Rhein-Neckar/Mannheim, 11. Oktober 2014. (red/pro) Dienstag bis Donnerstag haben überwiegend Kurden in Mannheim friedlich gegen den Terror des selbsternannten Islamischen Staates (IS) in Syrien demonstriert – in der Türkei ist die Rede von über 30 Toten bei „prokurdischen Protesten“. Nach den Ausschreitungen in Hamburg und anderen Städten muss man die Besonnenheit der Kurden hier vor Ort ausdrücklich anerkennen. Doch kann die Lage jederzeit eskalieren – wenn sich die Lage in Syrien noch mehr zuspitzt oder wenn es zu Konfrontationen kommt. Ob die Behörden in Sachen Prävention gut vorbereitet sind, ist zweifelhaft.
Von Hardy Prothmann
Es besteht bislang kein Zweifel an der Friedfertigkeit der Kurden in der Region. Ob die aktuellen Demonstrationen oder die vor einigen Monaten wegen der Bombardierung Gazas – die Teilnehmer zeigen sich friedlich und besonnen. Und das ist gut so. Ebenso die Polizei, die erfolgreich eine sehr defensive Strategie wählt und bislang ein Garant für Sicherheit im Rahmen ihrer Möglichkeiten ist.
Kurden in der Region sind friedlich – die Frage ist, wie lange?
Aber: Der Kurden-Krawall vom Oktober 2012 hat die Mannheimer Polizei mit einer unvorstellbaren Wucht getroffen. Fast 80 Beamte wurden verletzt. Die Lage drohte zu eskalieren. Nur dank der einzig richtigen Entscheidung zum Rückzug und zur Deeskalation konnte Einsatzleiter Dieter Schäfer schlimmeres verhindern. Und es war auch Glück im Spiel – es gab eine Situation, in der Polizisten zur Eigensicherung kurz vor dem Schusswaffengebrauch waren. Undenkbar, wie die Lage sich weiter entwickelt hätte.
Und dann der Auftritt der Salafisten auf dem Mannheimer Marktplatz – in der aktuellen Lage undenkbar. Damals formierte sich ein neues Bündnis in der Hooligan-Szene – eigentlich verfeindete Club-Anhänger schlossen sich gegen die Salafisten zusammen. Damit wird die gewaltbereite Fußball-Fan-Szene eindeutig politisch. 200 waren es an der Zahl. Die Polizei hatte viel Arbeit, Einsatzleiter Joachim Scholl meint: „Wir hatten auch Glück.“ Das soll die hervorragende Arbeit nicht schmälern – Glück gehört immer dazu.
Salafisten haben Mannheim im Visier
Heute müsste die Polizei noch mit Kurden als Gegendemonstranten rechnen – denn viele beim IS gehören zur Salafisten-Szene, einer besonders archaischen Form des Islamismus. Würden Salafisten am Rande einer Kurden-Demo auftauchen, hätte man schnell Hamburger Verhältnisse, wo durch Macheten und Messer mehrere Menschen verletzt worden sind. Dass Mannheim im Fokus der Salafisten ist, ist spätestens seit dem Auftritt von Pierre Vogel klar.
Polizei, Staatsschutz und Verfassungsschutz haben nach unseren Informationen so gut wie keine Erkenntnisse über die hiesige Salafisten-Szene. Es ist so gut wie unmöglich, V-Männer in diese Zirkel einzuschleusen. Man agiert verdeckt. Klar werden einzelne Personen wie der deutsche Konvertit Pierre Vogel wohl beobachtet – aber bei den anderen Personen wird es schwierig. Es gibt Deutsche, Türken, Araber verschiedener Nationen in diesen Kreisen. Auf rund 5.000 Salafisten, davon etwa 10 Prozent gewaltbereit, wird die Anzahl deutschlandweit geschätzt. Für unsere Region liegen keine Zahlen vor. Dass es hier keine radikalen Salafisten gibt, ist mit Sicherheit ein Trugschluss.
Das Drei-Länder-Eck – Drehkreuz für Kriminelle und Terroristen
Denn das Drei-Länder-Eck ist nicht nur für gemeine Kriminelle wie Drogenbanden und die Mafia schon immer interessant gewesen – auch für Terroristen. Die RAF war hier stark aktiv. Der schnelle Wechsel zwischen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen fordert die jeweiligen Behörden in ihren Zuständigkeiten heraus.
Frankfurt als wichtiger Flughafen liegt im Einzugsgebiet, Straßen und ÖPNV kreuzen die Region intensiv – und die meisten Gewalttäter beim Kurden-Krawall rund um’s Maimarkt-Gelände kamen aus dem nahegelegenen Frankreich.
Neben der direkten Konfrontation zwischen Kurden und Sympathisanten der IS, mutmaßlich Salafisten, können Mannheim und Ludwigshafen auch Ziel von direkten Anschlägen sein. Der IS hat diese bereits mehrmals angedroht – insbesondere nach den militärischen Hilfen, die die Bundesregierung den Kurden im Nordirak zugesagt hat.
Umgekehrt kann es zu kurdischen Übergriffen auf Salafisten kommen – bei den Demos sind immer wieder Bilder von PKK-Führer Öcalan zu sehen. Informationen, wie stark der militärische Arm der kurdischen PKK in Mannheim und Ludwigshafen ist, liegen nicht vor. Die Sympathien unter den Kurden ist jedenfalls deutlich sichtbar.
Der türkisch-kurdische Konflikt kann auch hier brennen
Damit sind auch direkte Konfrontationen zwischen Kurden und Türken vorstellbar. Insbesondere unter den Mannheimer Türken gibt es viele Erdogan-Anhänger – konservativ und Kurden gegenüber ablehnend bis feindlich eingestellt. Die Politik des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan treibt die Kurden zur Weißglut – es gibt viele Hinweise, dass Erdogan den IS mindestens gewähren lässt, wenn nicht sogar aktiv unterstützt. Denn es geht ja gegen die Kurden, die von den Dschihadisten als Ungläubige angesehen und mörderisch verfolgt werden. Für viele Kurden ist damit die Türkei aktiv an der Verfolgung beteiligt.
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Die Kurden geraten damit in eine ausweglose Situation – sie verlieren ihre Autonomieregionen und jede Hoffnung auf ein „Kurdistan“. Es kommt zu fürchterlichen Massakern und eine Unterstützung durch die Türkei oder den Westen, der die PKK immer noch als terroristische Vereinigung einstuft, ergibt eine explosive Mischung, die sich irgendwann in Gewalt entladen wird. Unsere Kontakte in die kurdische Gemeinschaft erbringt eins: Alle sind fest vom „doppelten Spiel“ Erdogans überzeugt. Er verspricht Hilfe – doch ein Militäreinsatz der Türken im kurdischen Gebiet verstehen die Kurden als Besetzung. Alles sind überzeugt davon, dass die Türkei den IS finanziert, indem man Öl aus den vom IS eroberten Quellen abnimmt. Die Skepsis gegenüber Deutschland wächst erheblich, da Deutschland als Bündnispartner der USA wahrgenommen wird – und der IS verfügt über jede Menge amerikanischer Waffen. „Haben die USA den IS aufgebaut?“, fragt man nicht mehr hinter vorgehaltener Hand. Aus Syrien kommen viele Flüchtlinge auch hier an – man wird miteinander reden, erfahren, was passiert ist. Das wird die Gemüter erhitzen.
Deutsche Sicherheitsbehörden machen sich Sorgen über IS-Kämpfer, die als „Zeitbomben“ zurück nach Deutschland kommen könnten. Tatsächlich gibt es unter den Kurden viele mit einer militärischen Ausbildung, die in den Reihen der PKK oder Peschmerga das Kämpfen gelernt haben. Wie gesagt – bislang absolut friedlich und nicht radikal. Doch was, wenn Kobane fällt und die ersten Videos von Hinrichtungen der „Brüder und Schwestern“ im Internet auftauchen? Was, wenn klar wird, dass Frauen und Mädchen vergewaltigt, abgeschlachtet oder als Sklavinnen verkauft werden?
Dann wird sich die Gewalt – erzeugt durch den Terror des IS und die nicht nur zögerliche, sondern ignorante Haltung des Westens – auch bei uns entladen.
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