Mannheim/Rhein-Neckar, 31. Oktober 2014. (jak/red) Es kam damals, 1992, zu zahlreichen Protesten, als die Islamische Gemeinde die Baugenehmigung für eine neue Moschee auf einem Trümmergrundstück im Jungbusch erhalten hatte. Der Bau einer muslimischen Glaubensstätte in einem ohnehin multikulturellen Stadtteil fördere die Ghettobildung, sagten damals die Gegner. Heute, 20 Jahre später, hat sich die Befürchtung nicht bewahrheitet. Die Yavuz Sultan Selim-Moschee ist fester Bestandteil der Stadtgesellschaft. Und von Anfang an beim Nachtwandel dabei: „Inside Moschee“ ist hier Programm.
Von Jan Karon
„Aus dem Schuh auf den Teppich“, sind die ersten Worte von Abdullah Bayram, als ich ihm begegne. Herr Bayram ist 1,75 Meter groß, hat sein weißes Hemd oben aufgeknöpft und trägt einen getrimmten Schnauzbart. Knapp ein halbes Jahrhundert ist es her, dass er aus seinem türkischen Heimatort Kayseri flüchtete und mit seiner Familie nach Mannheim kam. Damals war Abdullah Bayram zwölf Jahre alt. Heute sitzt er im Vorstand der Yavuz Sultan Selim-Moschee in Mannheim, hat drei Kinder von denen zwei studieren und sagt von sich:
Ich habe Sehnsucht nach meiner Heimat, ich liebe sie und ich bin gerne drüben. Aber meine Familie, meine Arbeit, meine Glaubensgemeinde sind hier. Wir gehören hierher.
Es ist Nachtwandel. In den nächsten eineinhalb Stunden wird Herr Bayram mir die Yavuz Sultan Selim-Moschee zeigen. Seit elf Jahren feiert der Jungbusch das kulturelle Straßenfest vom frühen Abend bis spät in die Nacht. Seit elf Jahren öffnet auch die Moschee ihre Pforten. Am Ende werden knapp 15.000 Besucher bei „Inside Moschee“ gewesen sein – 3.000 bis 4.000 am Freitagabend und mehr als 10.000 am Samstagabend.
Offener Umgang
Wir wollen unsere Kultur vorstellen und Rede und Antwort hinsichtlich unserer Religion stehen,
erklärt der Vorsitzende Bilal Dönmez die Beweggründe für „Inside Moschee“.
Jeweils fünf Besichtigungstermine werden bei „Inside Moschee“ an beiden Tagen angeboten – die Schlagzahl ist sehr hoch, aber auch sonst gibt es mehrmals die Woche die Möglichkeit einer Führung. An drei bis vier Tagen der Woche sind angemeldete Schulklassen zu Besuch und lassen sich die Glaubensstätte zeigen. „Teilweise kommen schon Fünftklässler zu Besuch. So erfahren deutsche Mitschüler eine Menge über ihrer muslimischen Klassenkameraden“, sagt Herr Dönmez. Bis zu 200 Neugierige strömen so jede Woche an den Luisenring, die Anmeldung erfolgt über die Homepage der Moschee.
Der offene Umgang mit dem Islam wird auch innerhalb der Glaubensgemeinschaft gelebt. An sechs Tagen der Woche veranstalten die Gläubigen Sitzungen zu verschiedenen Themen. So treffen sich ältere Frauen dienstags, mittwochs und donnerstags zum Koranlesen. Die Jüngeren, im Alter zwischen sechs und 15 Jahren, versammeln sich samstags und sonntags zwischen 09:00 Uhr und 12:00 Uhr zur Hausaufgabenbetreuung und zum Koranunterricht im Gemeinschaftsraum. Die Treffen finden nach Geschlechtern getrennt statt. Und die Jugendgruppe, zu der Männer zwischen 15 und 27 Jahren am Freitagabend kommen, organisieren Seminare zum Zeitgeschehen und der weltpolitischen Lage.
Ein friedlicher Ort
Eines dieser Seminare findet auch an diesem Freitag statt. Hasan Hüseyin Kadioglu ist Anfang 20 und leitet die Jugendgruppe. Er ist das jüngste Mitglied des Vorstands der Moschee. Seine Heimat ist Deutschland. Als ich den Raum betrete, referiert er gerade leidenschaftlich über den „Empirischen Doppelbefund des Demokratischen Friedens“:
Demokratien führen untereinander keine Kriege. Deshalb ist es gut, in einer Demokratie zu leben. Es ist jedoch nicht so einfach wie man denkt. In Ägypten schafften die Eliten einen Umsturz, aber jetzt reißen genau die gleichen Eliten die Macht an sich und missbrauchen sie.
Die erschienenen Jugendlichen kommen aus Deutschland und der Türkei, den USA und dem Nahen Osten, aus Balkan-Ländern sowie aus der Region Maghreb. Sie lauschen gebannt.
Herr Kadioglu sieht sich als Teil von Mannheim. Es liegt ihm daran, der Stadt Gutes zu tun. Vor eineinhalb Jahren zog er aus der bayerischen Provinz hierher und fühlte sich in der Glaubensgemeinde auf Anhieb willkommen. „Die Moschee ist ein friedlicher Ort. Ich kam nach den Vorlesungen hierher und habe mich manchmal einfach nur hingelegt und dem Koran gelauscht“, sagt er heute.
Mannigfaltige Hilfestellungen
Die Yavuz Sultan Selim-Moschee ist die größte DITIB-Moschee Deutschlands, bis zu 3.500 Menschen passen in den Gebetssaal. Das Aushängeschild der gemeinnützigen Arbeit ist die muslimische Seelsorge, für die Ismail Hakki Cakir zuständig ist. Er besucht Hilfsbedürftige in Krankenhäusern und Altersheimen, wo er sowohl den Kranken als Ansprechperson als auch dem Krankenpersonal als Vermittler zwischen Kulturen hilft.
Es gibt eine Reihe von Anliegen der Kranken, die spezifisch mit unserem Glauben verbunden sind, sodass unter Umständen nur islamische Seelsorger helfen können,
betont Herr Dönmez die Wichtigkeit der Seelsorge.
Auch bei Todesfällen innerhalb von muslimischen Familien helfen Herr Cakir und sein Team. Gemeinsam mit dem Dachverband der Moschee DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) hat die Moschee einen eigenen Bestattungsdienst. Bei Todesfällen kann dieser nicht nur den trauernden Familien helfen, sondern stellt ebenfalls ein Abschiedsgebet und eine traditionell muslimische Bestattung auf dem Hauptfriedhof in Mannheim bereit.
An zwei Dienstagen im Monat gehen die Seelsorger zudem in die JVA in Mannheim und sprechen mit muslimischen Häftlingen. Bis zu 200 Inhaftierte werden so monatlich erreicht. Herr Cakir kümmert sich auch um die sozial Schwachen und Hilfsbedürftigen innerhalb der muslimischen Gemeinde.
Sie freuen sich, dass man mit ihnen redet und kommen auch zunehmend in unsere Moschee, um in den Dialog zu treten,
sagt Herr Dönmez über den Dialog mit Obdachlosen.
Gelebte Toleranz
Dem Nächsten zu helfen, heißt keinen Andersdenkenden zu diskriminieren. DITIB verfolgt dieses Credo und setzt sich für Toleranz gegenüber Religionen ein. Von ihr initiiert entstand 1995 die christlich-islamische Gesellschaft e.V. Ihr gehören neben katholischen und evangelischen Vertretern eben jene DITIB, die Fatih Moschee sowie bosnische und alewitische Vertreter an. Die Glaubensangehörigen der Ahmadiyya-Lehre sind davon ausgeschlossen, hier stößt Toleranz an ihre Grenzen. Aktuell berät die christlich-islamische Gesellschaft e.V. über eine neue Satzung und plant Informationsstände für den Deutschen Evangelischen Kirchentag 2015 in Stuttgart.
Das Miteinander der Religionen wird offensiv gelebt. Die Jugendgruppen der Moschee und der benachbarten Liebfrauenkirche treffen sich in regelmäßigen Abständen, veranstalten Konzerte und andere Aktionen. „Nach dem Freitagsgebet vor zwei Wochen“, sagt Herr Bayram stolz, „waren die Katholiken hier drüben und wir hatten ein volles Haus.“
Zum 400-jährigen Stadtjubiläum Mannheims 2007 wurde zudem die „Meile der Religionen“ gegründet. Dieses Netzwerk beherbergt katholische, evangelische, orthodoxe, jüdische und muslimische Vertreter und veranstaltet alle drei Monate Sitzungen. Es wird über die aktuelle Lage der Glaubensgemeinschaften und neuste Entwicklungen gesprochen. Beim Katholikentag, der vergangenes Jahr in Mannheim stattfand, beteiligte sich so die Yavuz Sultan Selim-Moschee im Zuge der „Meile der Religionen“.
Von den in Mannheim veranstalteten „Free Palestine“-Demonstrationen distanziert sich der Moscheevorsitz. „Damit wollen wir nichts zu tun haben“, betont Bilal Dönmez. „Das hat nichts damit zu tun, dass wir kein Mitgefühl für die Lage der Palästinenser haben. Aber es gibt immer Verrückte und wenn solche Demonstrationen dem Ansehen unserer Stadt schaden, distanzieren wir uns.“
Zusammenarbeit im Quadrat
Die Moschee arbeitet außerdem eng mit der Stadt Mannheim zusammen. Der deutsch-türkische Kindergarten „Lalezar“ in der Neckarstadt ist ein Beispiel für die Kooperation. Anfangs noch kritisiert, setzte sich die Tagesstätte mittlerweile durch. Zwei Mitglieder des Mannheimer DITIB-Vorstands, Bilal Dönmez und Murat Mugan, zeigten sich für die Projektplanung des Kindergartens verantwortlich. Im „Tulpengarten“ werden die Kinder bilingual betreut. Knigge und Vokabular stehen ebenso auf dem Lehrplan wie korrektes Händewäschen oder religionsspezifische Rituale. Dabei will sich „Lalezar“ keine Grenzen setzen: „Es gibt zwei Gruppen mit jeweils 20 Kindern. Sie werden von Fachkräften betreut“, erklärt Herr Dönmez. „Lalezar“ konnte bereits drei Anmeldungen deutscher Kinder verzeichnen, weitere sollen folgen.
Aktuell ist das Projekt „Hoffnungsschimmer. Harmonie Familienleben ohne Gewalt“, das häuslicher Gewalt vorbeugen soll. „Hoffnungsschimmer“ soll geschädigten Frauen Hilfestellung und gewalttätigen Männern Resozialisierungsmaßnahmen anbieten. „Wir wollen den Familienzusammenhalt stärken. Manchmal gelingt das durch Gespräche, manchmal müssen wir aber auch Hilfe von außerhalb aufsuchen, zum Beispiel Frauen an Frauenhäuser vermitteln“, sagt Herr Dönmez. Der Jugendgruppen-Leiter Kadioglu ergänzt: „Wir klären auf, wie der Islam zu dem Thema Gewalt gegenüber Frauen steht. Der Prophet Mohammed hat nie seine Frau geschlagen. So geben wir Verhaltensanweisungen, die sich aus der Religion ableiten. Die Menschen lernen, Verantwortung für ihr Verhalten zu tragen.“
Die Yavuz Sultan Selim-Moschee kooperiert auch mit der Mannheimer Polizei. Die H4-Wache sieht einen Moscheebesuch bei der Einarbeitung neuer Polizisten vor. „Herr Adler und Herr Scholl zeigen unsere Moschee neuen Mitarbeitern und sagen immer: Das ist unsere Moschee hier im Jungbusch“, sagt der Vorsitzende Dönmez.
Das Stadtklima hat sich verändert
Die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten vernehmen die Mannheimer Muslime mit Besorgnis; die Berichterstattung der deutschen Medien mit Verärgerung. „Der SPIEGEL titelt ‚Allahs gottlose Krieger‘. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Ich meine: Das ist ein Paradoxon, übersetzt heißt das ‚Gottes gottlose Krieger'“, sagt Herr Kadioglu. „Wenn Fernsehsendungen zu Diskussionen über Muslime laden, dann würde ich mir wünschen, dass man einen Gelehrten von unserem Dachverband einlädt anstatt Vertretern der Al Nur-Moschee einzuladen.“. Ich merke ihm förmlich an, wie wütend er angesichts einseitiger oder „reißerischer“ Darstellungen der Muslime wird.
Die Mannheimer Moschee hat dabei noch viel vor. Für altere Muslime sollen „ruhige und angenehme“ Pflegeheime bereitgestellt werden. Die Zusammenarbeit mit dem Hauptfriedhof Mannheims hinsichtlich muslimischer Beerdigungen soll erweitert werden. Auf der Agenda ist ebenfalls die Entwicklung einer Arbeitsvermittlungsbörse, die muslimischen Schulabgängern den Einstieg ins Berufsleben erleichtern soll. Dieses Projekt steht aber „erst in den Startlöchern“, sagt Bilal Dönmez.
Meine Führung ist zu Ende. Als wir am Waschbäcken ankommen, bedanke ich mich und verabschiede Abdullay Bayram. Er sagt abschließend:
Im Vergleich zu 1995 hat sich das Klima sehr verändert. Wir haben das Stadtbild erweitert. Früher wurden wir gar nicht gesehen, waren auf einem Hinterhof beheimatet. Heute passen wir zum multikulturellen Mannheim.
Er lächelt zufrieden.