Mannheim/Rhein-Neckar, 14. April 2014. (red/Fotos: FilmFaktum) Europa driftet zunehmend nach rechts ab. Extremistische Vereinigungen gewinnen an Kraft. In Deutschland sind diese Bewegungen eher unauffällig und finden im Untergrund statt – trotzdem gibt es hierzulande menschenverachtende Ansichten und in besorgniserregendem Ausmaß. Das zeigt der Dokumentarfilm “Blut muss fließen” eindeutig: Thomas Kuban ermittelte neun Jahre lang verdeckt und filmte mit einer Knopflochkamera Ausschnitte aus rechtsextremen Konzerten. Doch nicht nur diese Bilder sind beängstigend. Denn Kuban zeigt auch den desinteressierten bis ignoranten Umgang von Politik und Gesellschaft mit einem Thema, das höchste Aufmerksamkeit verlangt.
In einer heruntergekommenen Spelunke sind Skinheads und anderes Gesindel ausgelassen am Feiern. Sie heben den Arm zum Hitlergruß und grölen Texte, bei denen normal denkenden Menschen schlecht werden muss: Es brauche eine neue SS, die in Kreuzberg einwandern und es dem Erboden gleich machen müsse, fordern sie. Den “Judenschweinen” müsse man “die Kehlen aufschlitzen”. Dann “singen” sie schwärmerisch:Adolf Hitler steig hernieder und regiere Deutschland wieder.
Es sind nicht nur eine Handvoll Neonazis auf dem Konzert – es sind hunderte. Die Aufnahmen sind verzerrt, die Tonqualität ist miserabel. Das liegt daran, dass solche Aufnahmen nur unter höchsten Vorsichtsmaßnahmen entstehen können: “Thomas Kuban” ist das Pseudonym eines unerkannt bleiben wollenden Journalisten. Neun Jahre betrieb er investigative Recherchen in verschiedenen Verkleidungen und filmte meistens mit Knopflochkamera.
Zehn Jahre unter Feinden
Mit Springerstiefeln und Bomberjacke infiltrierte er mehr als vierzig Konzerte von Neonazis im rechtsextremistischen Untergrund. Im gelben Sakko und mit blonder Perücke stellte er Politikern, Polizisten und der Gesellschaft unangenehme Fragen. Aus dem Material von fast einem Jahrzehnt Arbeit wurde ein knapp neunzig Minuten langer Dokumentarfilm: “Blut muss fließen – Undercover unter Nazis”.
Der Titel bezieht sich auf eine verstörende Liedzeile, die auf fast jedem Nazikonzert zum festen Repertoire gehört:
Blut muss fließen, knüppelhageldick, denn wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik.
Zu solchen und ähnlichen Zeilen feiern regelmäßig hunderte von Neonazis aus Deutschland und dem benachbarten Ausland. Irgendwie ein Widerspruch, der keinen stört: So lange man nur rechts genug ist und über Randgruppen hetzt, ist den Nazis die Nationalität scheinbar egal.
Feiern ohne nachzudenken?
Unter den Konzertgängern sind auch erschreckend viele Jugendliche und Frauen. Eine Besucherin sagt aus, ihr seien die Texte eigentlich egal:
Es gibt nicht sonderlich viele Angebote hier vor Ort, die attraktiv für Jugendliche sind. Hier klingt die Musik gut und das ist es, worauf es ankommt.
“Gut gelaunt feiern”, indem dazu aufgerufen wird, “Judenschweine”, “Nigger” und “Schwuchteln” zu lynchen? Rechtsrock wird in “Blut muss fließen” mit einer Einstiegsdroge in die Naziszene verglichen: Viele achten zwar vielleicht am Anfang gar nicht so genau darauf, was die Texte aussagen. Dennoch entwickeln die meisten im Lauf der Zeit immer extremere Ansichten.
Beschämende Bilder von Politik und Gesellschaft
Rechtsrock schafft Feindbilder. Die Gründe für etwaiges Scheitern an stereotypen Sündenböcken festzumachen, ist oft leichter als sich sein eigenes Versagen einzugestehen. Trotzdem kann das keine Entschuldigung sein, die Menschenwürde mit Füßen zu treten und Menschen wegen ihrer Herkunft, Religion oder Einstellung zu diskriminieren oder Gewalt gegen sie auszuüben.
Doch nicht nur die Aufnahmen, die von Konzerten gezeigt werden, sind besorgniserregend. Kubans Bilder zeigen ebenfalls einen verstörenden Umgang von vielen Politikern, die das Thema desinteressiert bis ignorant angehen. Bezeichnend ist dabei eine Pressekonferenz mit dem CSU-Politiker Günther Beckstein, damals noch bayrischer Innenminister.
Eine bezeichnende Pressekonferenz
Herr Beckstein redet vor einer Hand voll Journalisten über Extremismus: Das größte Gefahrenpotenzial ginge derzeit vom islamistischen Terror aus. Rechtsextremismus sei kein so großes Problem, wie von den Medien gerne dargestellt, sagt er und geht nicht weiter auf das Thema ein.
Auf die anschließenden Fragen von Kuban antwortet Herr Beckstein meistens nicht selbst. Als Kuban wissen will, wie es sein kann, dass die Polizei nicht einschreitet, wenn auf Konzerten verbotene Nazihymnen gespielt werden, redet Becksteins Pressesprecher für ihn:
Wenn die Polizei mitbekommen würde, dass illegale Handlungen stattfinden, würden sie natürlich eingreifen und diese unterbinden.
Kubans Material zeigt ein anderes Bild: Statt einer Intervention zeigen die Aufnahmen Polizisten dabei, wie sie zwar vor Ort sind – aber nichts tun. Der Pressesprecher tut das als nichtig ab. Es könne schon einmal vorkommen, dass Polizisten nicht alle indizierten Texte auswendig kennen.
Wenn die Texte allerdings zu abscheulichen und menschenverachtenden Taten aufrufen, wie “Kreuzberg dem Erdboden gleich machen” oder “Messer in Judenleiber treiben” werden müssen, gehört eigentlich nicht viel dazu, die Illegalität eines Liedtextes zu erkennen.
Wer nachfragt, wird mundtot gemacht
Becksteins Pressesprecher sind die Fragen von Kuban sichtlich unangenehm. Irgendwann wird er nur noch mit Phrasen abgewickelt, bis es schließlich heißt, man müsse auch anderen Journalisten die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen und Kuban ein Redeverbot erteilt wird. Die anschließende Frage eines “Kollegen” hat wieder den islamistischen Terror zum Thema.
Zu einigen anderen Veranstaltungen wird der verdeckt arbeitende Journalist gar nicht erst zugelassen – seine Verkleidung sei unangebracht, heißt es. Tatsächlich ist die Art, wie Kuban sich außerhalb von Konzerten anzieht, sehr ungewöhnlich: Das gelbe Sakko und die blonde Perücke, dazu eine schwarze Sonnenbrille, die große Teile des Gesichts verdeckt und ein falscher Bart. Der Regisseur erklärt:
Natürlich ist dieses Outfit auffällig. Das muss es aber auch sein: Es soll provozieren und zum Hinsehen zwingen. Im Idealfall wird diese Kunstfigur zum Symbol für den Kapf gegen Rechtsextremismus.
Kuban erklärt den Veranstaltern, er könne auf seine Verkleidung nicht verzichten. Es gebe Morddrohungen gegen ihn, daher müsse seine wahre Identität unbedingt geheim bleiben. Das ist absolut verständlich. Dennoch ist fraglich, ob er nicht ein anderes, schlichteres, unauffälligeres Outfit hätte wählen können, um so an Informationen zu gelangen.
Finanzierung aus eigener Tasche
Für den Film fanden sich keine Fördermittel. Keine Filmanstalt wollte Gelder bereit stellen. Der Regisseur Peter Ohlendorf sagt dazu:
Die Sender nannten uns zum Großteil unglaubwürdige Gründe. Etwa ‘Wir haben schon einen Film über Rechtsextremismus’. Das halte ich für eine freundliche Umschreibung für ‘interessiert uns nicht’.”
Also wurde der Film privat finanziert – teilweise war das nur durch die Aufnahme von Krediten möglich. Auch das zeigt auf eine traurige Weise, wie wenig vielen Medien an Aufklärung liegt. Schließlich gibt es mehr als eine Fernsehproduktion, deren Notwendigkeit zumindest angezweifelt werden darf.
So ist es etwas traurig – denn der Geldmangel ist dem Film deutlich anzuerkennen. Vielen Aspekten konnte nicht nachgegangen werden. Die Dokumentation wirkt stellenweise etwas ungeordnet und sprunghaft, oft fehlen vermittelnde Übergänge.
Film verdient größere Aufmerksamkeit
Was läuft schief, wenn heute noch hunderte Menschen die Arme zum Hitlergruß heben und unfassbar dumme Parolen von sich geben? Und was kann man dagegen tun? Wer organisiert die Konzerte? Diese Fragen beantwortet der Dokumentarfilm leider nicht. Er zeigt aber, dass die Verbote und die Arbeit der Polizei nur wenig nutzen. Solange es die Nachfrage gibt, gibt es entsprechende Angebote – wenn nötig auch illegal im Untergrund.
Also muss man hinsehen, wo es nur geht. Bislang wurde der Film noch nicht veröffentlicht. Immer noch sind die meisten Fernsehsender desinteressiert. Vor etwa zwei Jahren wurde der Film das erste Mal aufgeführt – beim Berlinale 2012. Seitdem reist der Regisseur Peter Ohlendorf herum und führt die Dokumentation im Rahmen einer Filmtournee auf. In Mannheim wurde “Blut muss fließen” am 10. und 11. April im Cinema Quadrat und im Jugendkulturzentrum FORUM vorgeführt – Schulklassen und Interessierte hatten im Anschluss die Möglichkeit über den Film und den Inhalt, die rechtsradikale Szene zu diskutieren.
Bleibt zu hoffen, dass die Bilder bald auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Kubans aufopferungsbereite Leistung, fast zehn Jahre verdeckt im brauen Milieu zu recherchieren, hat auf jeden Fall Aufmerksamkeit verdient – insbesondere, seit die NSU-Mordserie bekannt geworden ist.