Rhein-Neckar/Südwesten, 16. Dezember 2016. (red/pro) Wenn zutrifft, was aktuell bekannt worden ist, handelt es sich um einen Skandal erster Güte, der belegt, was die AfD den etablierten Parteien vorwerfen: Fortgesetzter Rechtsbruch. Laut dem innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Hans-Ulrich Sckerl, haben die Grünen erfolgreich die Abschiebung eines Afghanen verhindert, da dieser Christ sei. 34 andere Afghanen hingegen wurden am Mittwoch abgeschoben. Mit diesem Erfolg ist den Grünen ein Schlag gegen den politischen Gegner gelungen – dumm nur, dass der als Koalitionspartner an der Regierung beteiligt ist. Der CDU droht ein politischer Vertrauensverlust, wenn sie weiter an der kurzen Leine der Grünen geht. Pikant: Die christenfreundliche Haltung der Grünen stammt ursprünglich vom Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Prof. Dr. Jörg Meuthen, wie unsere Recherche belegt.
Von Hardy Prothmann
Der Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Sckerl (Bündnis90/Die Grünen) äußerte sich in einem Video zu dem Fall. Danach handle es sich bei dem abzuschiebenden Afghanen um einen Konvertiten, der zum Christentum übergetreten sei und aktives Gemeindemitglied sei:
Es war für uns völlig unvorstellbar, dass so jemand nach Afghanistan abgeschoben wird. Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt. Ich habe mich selber eingeschaltet gegenüber dem Staatssekretär Jäger, der im Innenministerium dafür zuständig ist. Nach vielen und heftigen Interventionen und dann auch mit Hilfe der Staatskanzlei und auch dem Landesvorsitzenden der Grünen ist es gelungen den Innenminister zu überzeugen, dass er diesen Betroffenen wieder aus dem Flieger herausnimmt und nicht abschiebt.
Weiter führt Herr Sckerl aus, dass christliche Konvertiten in Afghanistan erheblicher Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt seien. Man erwarte “schonungslose Aufklärung:
Das belastet unsere Zusammenarbeit mit Innenminister Strobl sehr. Wir erwarten ganz schnell eine Korrektur der Lageeinschätzung in Afghanistan. Wir halten es derzeit nicht für haltbar, dass Menschen in der Zeit des Krieges abgeschoben werden. Das muss politisch korrigiert werden.
Herr Sckerl sagte zudem:
Verstehen kann ich nicht, wie der Innenminister und der Landesvorsitzender einer Partei mit dem C im Parteinamen zehn Tage vor Weihnachten einen Christen nach Kabul abschiebt.
Vor einem Jahr hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einem Video behauptet, die Landesregierung handle überhaupt nicht zögerlich bei “Rückführungen”:
Wir gehören zu den Ländern, die am stärksten zurückführen. (…) Wir haben einen Stab beim Innenministerium eingerichtet, damit systematischer zurückgeführt werden kann.
Skandalöser Vorgang
Der Skandal an dem Vorgang ist nicht, dass Rückführungen durchgeführt werden, sondern die aktive politische Einmischung eines Landtagsabgeordneten, eines Parteivorsitzenden und nach Aussage Herrn Sckerls auch der Landesregierung (“Staatskanzlei”) und die vorgenommene “Selektion” – aus Sicht der Grünen scheint ein Christ mehr Rechte zu haben als ein Muslim.
Dafür schreckte die Staatskanzlei (korrekt: Staatsministerium, das ist das Ministerium des Ministerpräsidenten) offenbar auch vor Rechtsbeugung nicht zurück. Wenn der betreffende Mann keine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung hatte, ist er nach neuen Rückführungsabkommen mit Afghanistan, die sowohl mit der EU als auch Deutschland vereinbart worden sind, abzuschieben. Diese Abkommen wurden im Oktober unterzeichnet. (Hier der englische Text).
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) erklärte Anfang Oktober:
Ich danke der afghanischen Regierung für ihre Bereitschaft zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit bei der Rückkehr ausreisepflichtiger Personen. Sie ist Zeichen der historischen Partnerschaft unserer beiden Länder. Gemeinsam tragen wir damit auch zur Akzeptanz derjenigen Afghaninnen und Afghanen in Deutschland bei, die Anrecht auf Schutz haben.
Allein in diesem Jahr sind rund 43.000 Menschen aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Sie stellen die zweitgrößte Gruppe nach den Syrern dar. Die Abschiebungen sorgen erhebliche Kosten. In Nordrhein-Westfahlen soll die Abschiebung drei afghanischer Straftäter 124.000 Euro gekostet haben. Aktuell kursiert die Zahl von 12.500 Afghanen, die nun kontinuierlich abgeschoben werden sollen – allerdings akzeptiert die afghanische Regierung nur jeweils Gruppen von 50 Personen, was also mindestens 250 Flügen entspricht.
Gegen die nun begonnen Abschiebungen gab es bundesweit Demonstrationen, auch am Frankfurter Flughafen. Menschenrechtler kritisieren die Abschiebe-Praxis nach Afghanistan. Das entspricht auch unserer Auffassung. Am 8. Dezember hatten wir hierzu geschrieben:
Und selbstverständlich bin ich der Auffassung, dass, wer als gewählter und mit Handlungsmacht ausgestatteter deutscher Politiker plant, in großer Zahl Menschen erst zu konzentrieren und sie dann beispielsweise nach Afghanistan zurückzuschicken, den Tod dieser Menschen billigend in Kauf nimmt.
Der eine sagt “Symbolpolitik”, der andere “Gutmenschentum”
Hans-Ulrich Sckerl wirft dem Innenminister Strobl “Symbolpolitik” vor – andersherum wird ein Schuh draus. Durch die dramatisierte Inszenierung “wie eine Partei mit dem C im Namen einen Christen abschieben” könne, vernebelt Herr Sckerl die Debatte. Und Achtung: Gegen die Abschiebung aller anderen “nicht-christlichen” Afghanen haben sich die Grünen nicht ins Zeug geworfen. Diese Menschen sind unserer Auffassung nach ebenfalls an Leib und Leben bedroht.
Ob es sich bei dem Mann tatsächlich um einen Christen handelt, basiert auf Aussagen einer Kirchengemeinde. Es gibt einige Gemeinden, die Flüchtlinge Schutz im “Kirchenasyl” bieten – ebenfalls ein klarer Rechtsbruch, weil es dieses Asylrecht nicht gibt. Staatliche Behörden zögern aber immer wieder, diesen Rechtsbruch zu beenden, weil sie negative Schlagzeilen fürchten.
Der abzuschiebende Afghane wurde nachweislich nicht wegen seiner Religion verfolgt – zum Christentum trat er erst in Deutschland über. Die Prüfung seines Asylantrags hat ergeben, dass er kein Schutzrecht genießt. Folglich ist er abzuschieben. Durch die öffentliche Inszenierung wird auch an alle weiteren afghanischen Flüchtlinge ein Zeichen gesetzt: Sollten Sie zum Christentum konvertieren, steigen ihre Chancen erheblich, nicht mehr abgeschoben zu werden.
Wie in allen muslimischen Ländern gelten alle Nicht-Muslime als “Ungläubige”, allerdings betrifft das aus Sicht von Sunniten auch andere muslimische Glaubensgemeinschaften. Eine tatsächliche, systematische Verfolgung von Christen in Afghanistan und den meisten anderen muslimischen Ländern ist nicht bekannt. Als sicher gilt, dass Christen und andere Gläubige gegenüber Muslimen benachteiligt werden und Opfer von Angriffen werden können. Tatsache ist, dass die meisten Opfer von Krieg, Vertreibung und Terror selbst Muslime sind. Vor allem die radikalchristliche Organisation “Open Doors” fällt immer wieder mit zweifelhaften Behauptungen zur Christenverfolgung auf.
Ein anderes “Schlupfloch” thematisiert die Zeitung Die Welt als “Talibantrick”. In den vergangenen Wochen habe die Selbstbezichtigung, Mitglied der Taliban gewesen zu sein, deutlich zugenommen. Da Taliban in Deutschland als terroristische Vereinigung gelten, wird dann gegen die Flüchtlinge ermittelt – offenbar nehmen diese lieber eine Haftstrafe als die Abschiebung in Kauf. Gerichtsfeste Beweise wären allerdings kaum zu beschaffen und damit eine Verurteilung unwahrscheinlich – mit Verweis auf drohende Folter oder die Todesstrafe hätte man aber einen Asylgrund.
Für falsch verstandenes Gutmenschentum ist jetzt die falsche Zeit,
zitiert die “Badische Zeitung” Nikolas Löbel, Vorsitzender der Jungen Union Baden-Württemberg und CDU-Kreisvorsitzender in Mannheim.
Unsere Bürger gewinnen nur dann wieder Vertrauen in den Staat und die etablierten Parteien zurück, wenn wir jetzt konsequent handeln und geltendes Recht umsetzen. Wer kein Bleiberecht hat, muss gehen. Und wer hier eine Straftat begeht und kein Bleiberecht hat, erst recht,
soll sich Herr Löbel laut Zeitung geäußert haben.
“Gutmensch” wurde 2015 zum Unwort des Jahres gekürt. Der Ausdruck wird häufig in rechtsextremen Kreisen und auch von AfD-Politikern zur Herabsetzung “linker” Politiker geführt. Herr Löbel kandidiert in Mannheim für die Bundestagswahl 2017.
AfD-Politiker Junge auf Seiten der Grünen
Gegenüber der Welt äußerte sich der rheinland-pfälzische AfD-Chef Uwe Junge am 25. November ablehnend zu Abschiebungen nach Afghanistan. Der frühere Bundeswehroffizier war nach eigenen Angaben selbst in Afghanistan im Einsatz:
Diese Position der deutschen Innenminister ist sehr optimistisch. Ich bin ausdrücklich für Abschiebungen, aber nur dann, wenn man sie auch verantworten kann. Und da sehe ich erhebliche Schwierigkeiten in Afghanistan. Zumal deshalb, weil es dort bisher keine dauerhaft sicheren Regionen gibt. Ich habe dort die Erfahrung gemacht, dass die Taliban immer dorthin ausweichen, wo es eine Zeit lang friedlich zu sein scheint.
Erhebliche Spannungen in der Landesregierung Baden-Württemberg
In der Landesregierung herrscht offenbar völlige Uneinigkeit, wie mit Abschiebungen umgegangen werden soll. Innenminister Thomas Strobl (CDU) zeigt zudem eine mangelhafte Durchsetzungsfähigkeit, wenn er sich wie aktuell von den Grünen und dem Staatsministerium in seine Entscheidungen nicht nur reinreden lässt, sondern sich sogar beugt.
Das Verhältnis der beiden Regierungsparteien Bündnis90/Die Grünen sowie CDU gilt allgemein als schlecht. Die CDU Baden-Württemberg ist nach massiven Verlusten bei der Landtagswahl 2016 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik “Juniorpartner” einer grün geführten Regierung geworden. Beobachter glauben, dass die Grünen die CDU dominieren. Die AfD konnte bei der Landtagswahl aus dem Stand 15,1 Prozent gewinnen und ist mit zunächst 23 Abgeordneten als drittstärkste Kraft ins Parlament eingezogen. Ein Landtagsabgeordneter verließ die Fraktion, nachdem diesem Antisemitismus vorgeworfen worden war.
In einem bekannt gewordenen Positionspapier “Wer kein Bleiberecht hat, muss gehen” fordert Innenminister Strobl härtere Maßnahmen zur Rückführung von nicht-aufenthaltsberechtigten Ausländern. Auch Kranke sollen abgeschoben werden:
Schon bisher ist es uns nicht in ausreichendem Maße gelungen, die Ausreisepflicht durchzusetzen. Dies müssen wir dringend korrigieren, sonst setzten wir das bisher Erreichte aufs Spiel: Wenn wir die Ausreisepflicht nicht durchsetzen, werden wir die Integration jener Schutzbedürftigen und Zuwanderer gefährden, die eine gesicherte Bleibeperspektive bei uns haben. Wenn wir es hinnehmen, dass Recht nicht vollzogen wird, werden wir das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat untergraben, und wir werden die Unterstützung der Menschen in unserem Land verlieren, wenn es künftig darum gehen wird, Schutzbedürftige aus Kriegsgebieten vorübergehend bei uns aufzunehmen.
Damit stellt sich Herr Strobl gegen die bisherige Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel – vermutlich aber mit deren Billigung, während Ministerpräsident Kretschmann sich im vergangenen Jahr demonstrativ hinter die Kanzlerin stellte und meinte “Ich bete jeden Tag für Frau Merkel”.
Gegenüber Die Zeit äußerte sich Herr Strobl Ende November zur Flüchtlingspolitik, Frau Merkel und dem Bundestagswahlkampf:
Wir brauchen beides: Herz und Härte. Für diejenigen, die politisch verfolgt sind, haben wir nach wie vor offene Arme und auch ein offenes Herz. Die Integration der Menschen, die wirklich schutzbedürftig sind, kann aber nur funktionieren, wenn wir auch konsequent gegenüber denen sind, die zu Unrecht hier sind und die unser Land wieder verlassen müssen.
Nach Aussagen der Kanzlerin sollen von den rund 900.000 Menschen, die allein im vergangenen Jahr gekommen sind, rund 60 Prozent Chancen auf ein Bleibrecht haben – im Umkehrschluss hieße das, dass 360.000 abgeschoben werden müssten. Dazu kommen weitere hunderttausende Ausländer aus den Vorjahren und aus diesem Jahr, die eigentlich das Land verlassen müssten.
In Mannheim plant Innenminister Strobl ein “Ankunftszentrum” für bis zu 3.500 Menschen – die Bevölkerung mutmaßt allerdings, dass von dort aus auch abgeschoben werden soll.
Grüne verwenden AfD-Forderung um CDU zu schwächen
Die Forderung und Umsetzung einer “verschärften” Abschiebungspraxis gilt als klare Strategie, die CDU wieder weiter rechts zu verorten und die AfD zu schwächen.
Diesen Plan der grüne Koalitionspartner in Baden-Württemberg aktuell erfolgreich durchkreuzt, die CDU geschwächt und die AfD gestärkt. Der Vorschlag, bevorzugt Christen im Asylverfahren aufzunehmen, stammt übrigens von Prof. Dr. Jörg Meuthen, Fraktionsvorsitzender der AfD im Stuttgarter Landtag und Bundessprecher der Partei:
Ich fände es übrigens eine überlegenswerte Sache, wenn wir zunächst einmal die sehr hohe Zahl und ständig steigende Zahl verfolgter Christen mit einer gewissen Priorität bei uns aufnehmen,
sagte er in der ZDF-Sendung Maybritt Illner am 28. Januar 2016 (ab 31:05). Unter Protest der Grünen-Politikerin Claudia Roth.