Mannheim/Heilbronn, 18. Oktober 2017. (red/pro) Der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) hat mit Urteil vom 13. Oktober 2017 im Fall eines afghanischen Staatsangehörigen entschieden, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird und damit das Urteil der ersten Instanz geändert. Der Kläger war im Dezember 2015 nach Deutschland gekommen und lebt seitdem im Landkreis Heilbronn. Er stammt aus der zur Provinz Kabul benachbarten Provinz Laghman (Az. A 11 S 512/17). Diese verwaltungsgerichtliche Entscheidung hat mit hoher Wahrscheinlichkeit politische Auswirkungen.
Von Hardy Prothmann
Dieses zweitinstanzliche Urteil hat es in sich, weil es bislang nur wenige Entscheidungen vor Oberverwaltungsgerichten gibt. Bislang liegt nur eine kurze mündliche Begründung zum Urteil vor. Nach unseren Recherchen hat der Fall zwei Ebenen.
Die erste Ebene ist der persönliche Fall des Mannes, der Ende 2015 nach Deutschland kam. Nach Überzeugung des Senats hatte er glaubhaft machen können, dass er als Soldat in der afghanischen Nationalarmee gedient und bei einem Kampfeinsatz zahlreiche Verletzungen erlitten hat. Als er sich nach diversen ärztlichen Behandlungen – u.a. an seinem linken Arm, dessen Amputation in Rede stand – zur Rekonvaleszenz in sein Heimatdorf begeben hatte, wurde das Haus seiner Familie auf Grund seiner Tätigkeit in der Armee und der hieraus geschlossenen Nähe zur afghanischen Regierung durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen und zerstört.
Der Kläger, so das Gericht, der auf Grund seiner Verletzung dauerhafte Beeinträchtigungen am linken Arm davongetragen hat und dem nach wie vor, jedenfalls in seiner Heimatregion, Verfolgung durch regierungsfeindliche Kräfte droht, kann nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs insbesondere nicht darauf verwiesen werden, vor weiteren entsprechenden An- und Übergriffen intern Schutz in der Hauptstadt Kabul zu erlangen. Von ihm sowie seiner Ehefrau und seinen zwei kleinen Kindern, die noch in Afghanistan leben, könne angesichts ihrer persönlichen Situation unter Berücksichtigung der Sicherheits-, Arbeitsmarkt- und humanitären Lage in Kabul nicht vernünftigerweise erwartet werden, sich dort niederzulassen.
Die zweite Ebene ist die Einschätzung der Sicherheitslage für die afghanische Hauptstadt Kabul. Um sich einen Überblick zur Einschätzung von Sicherheitslagen zu verschaffen, führen befasste Gerichte so genannte „Erkenntnislisten“ mit Informationen des Auswärtigen Amts, dem UNHCR oder auch NGOs wie amnesty international. Offenbar ist der 11. Senat zur Überzeugung gelangt, dass Kabul anders als von der Bundesregierung behauptet, eben kein sicherer Ort ist. Und das ist keine persönliche Dimension für den Kläger, sondern eine politische für die Bundes- wie auch Landespolitik.
Möglicherweise führt diese neue Entscheidung zu weiteren Anfechtungen von Verwaltungsgerichtsbeschlüssen. Dazu muss man aber die dezidierte Urteilsbegründung abwarten.
Die Beklagte ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) in Nürnberg.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden.