Rhein-Neckar/Südwesten, 24. Februar 2017. (red/pro) Die Fälle der verhinderten Abschiebungen von Afghanen am Mittwoch werden medial und politisch verkürzt und nicht zutreffend dargestellt. Wenn der innenpolitische Sprecher der Grünen, Hans-Ulrich Sckerl (Wahlkreis Weinheim), feststellt, „Abschiebungen von Familienvätern und Schwer-Kranken gehen gar nicht. Sie sind ethisch und rechtlich nicht vertretbar. Die Gerichtsbeschlüsse sind da glasklar“, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Tatsache ist: Bis Abschiebungen gerichtsfest durchgeführt werden können, müssen hohe Hürden genommen werden.
Von Hardy Prothmann
Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim haben am Mittwoch die Abschiebung von zwei Männern nach Afghanistan gestoppt. Diese Information ist zutreffend – die Gründe dafür werden von Politikern und vielen Medien aber nur unzureichend genannt.
Rechtsgüterabwägung
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat aktuell wie auch bei einem Fall im Dezember 2016 eine Abwägung vorgenommen. Im Kern geht es um die Frage, ob bei der Rechtsgüterabwägung eine Entscheidung getroffen wird, die einen erheblichen Nachteil des Antragstellers bedeuten könnte. Zum aktuellen Fall liegt noch kein schriftlicher Beschluss vor, aber die Sache ist ähnlich gelagert wie im Dezember 2016. Hier führte das Bundesverfassungsgericht aus:
Würde sich nach erfolgter Abschiebung herausstellen, dass diese rechtswidrig war, wäre dem Antragsteller eine Fortführung seines Asylfolgeantrags angesichts der angespannten Lage in Afghanistan kaum möglich. Diese Folgen wiegen erheblich schwerer als die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, sich später aber herausstellen würde, dass die Abschiebung ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können.
Damit lässt das BVergG eine mögliche Abschiebung offen – auch nach Afghanistan, was das BVerfG eindeutig herausstellt. Ob oder ob nicht abgeschoben werden darf, wird die Prüfung in der Hauptsache erbringen müssen. Diese stehen noch aus:
Der Antragsteller kann ohne weiteres zu einem späteren Termin abgeschoben werden, sofern sich herausstellen würde, dass die Abschiebung ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können.
VGH stellt technische Mängel fest
Ähnlich verhält es sich bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (VGH). Das Gericht urteilte, dass das Regierungspräsidium nicht ausreichend dargelegt habe, welche Folgen die Abschiebung des Mannes für dessen Familie und die Kinder haben könnte. Der Mann hat sowohl die afghanische als auch die türkische Staatsbürgerschaft und lebt seit 2000 in der Bundesrepublik Deutschland. Mit einer Türkin hat er zwei Kinder, die ebenfalls die türkische Staatsbürgerschaft haben. Ein 14-jähriges Kind ist behindert.
Der VGH begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass „Gründe für eine Abschiebung in die Türkei nicht erkennbar und nicht nachvollziehbar dargelegt sind„. Die Tatsache, dass „der Antragsteller derzeit nicht über einen gültigen türkischen Reisepass verfüge, genüge als Rechtfertigung nicht“.
Damit schließt auch der VGH eine Abschiebung nicht aus – und zwar der ganzen Familie in die Türkei. Dafür müssen die Behörden Ersatzreisepapiere
für den Mann beschaffen. Da sowohl die Frau als auch die Kinder keinen „Aufenthaltstitel“ haben, könnten also alle vier Personen ohne Trennung als Familie abgeschoben werden.
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Wenn nun der innenpolitische Sprecher der Grünen, Hans-Ulrich Sckerl, behauptet, es lägen „glasklare Gerichtsbeschlüsse“ vor, dann ist das eine falsche Aussage. Richtig ist, dass die Gerichte abgewogen haben, dass Zeitpunkt und Umstände möglicherweise zum Nachteil der Abzuschiebenden seien und dies nochmals überprüft werden muss. Nicht richtig ist, das Abschiebungen von Familienvätern und Kranken „ethisch und rechtlich unzulässig“ wären – es kommt immer auf den Einzelfall an.
Das gilt auch für den Fall einer mazedonischen Staatsangehörigen, die psychisch krank ist. Hier führt der VGH aus:
Die mit der Abschiebung betraute deutsche Behörde habe die aus Art. 2 Abs. 2 GG (Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) erwachsende Pflicht, durch eine hinreichende Ausgestaltung der tatsächlichen Durchführung der Abschiebung erhebliche Gefahren für Leib und Leben des Betroffenen abzuwenden.
Weiter begründet der VGH seine Entscheidung mit technischen Umständen. Eine „automatisch generierte“ Bestätigung, dass die Frau in Mazedonien in Obhut einer medizinischen Behandlung kommen würde – als eine „erhebliche Gefahr für Leib und Leben“ ausgeschlossen werden könnte – betrachtete das Gericht als nicht ausreichend, um eine Gefahr für die Frau auszuschließen. Das gilt auch für die Entscheidung des BVerfG – auch hier soll eine psychische Erkrankung bei dem Ausreisepflichtigen vorliegen.
Auch Familien und Kranke können abgeschoben werden
Die Gerichtsbeschlüsse bedeuten im Kern – und hier ist die Kritik absolut zulässig -, dass die entsprechenden Behörden ihre Hausaufgaben nicht gemacht und unzureichend gearbeitet haben. Richtig ist auch die Anmerkung von Hans-Ulrich Skerl, wieso man einen Mann, der seit 17 Jahren in Deutschland lebt, ausgerechnet jetzt abschieben wollte.
Die Forderung an den Innenminister Thomas Strobl (CDU) die Auswahlgründe und das Verfahren offenzulegen, sind nicht nur nachvollziehbar, sondern dringend geboten. Wenn Herr Sckerl allerdings behauptet, die Mehrheit der Deutschen sei gegen Abschiebungen nach Afghanistan, kann er dafür keine Quelle und keine valide Zahl nennen – das ist nur eine Behauptung.
Mit den aktuellen Fällen wird deutlich, welche Probleme es mit Abschiebungen gibt: Häufig sind es organisatorische Gründe, die eben nicht bei anderen Staaten liegen, sondern bei den deutschen Behörden. Das BVerfG weist beispielsweise darauf hin, dass sich die rechtlichen Grundlagen für eine Abschiebung 30 Monate, also zweieinhalb Jahre, nach dem Abschiebebeschluss verändert haben könnten und stellt deshalb die Rechtsgültigkeit in Frage. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nicht ausschlaggebend.
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Die Abschiebung der Familie in die Türkei hätte – so unsere Recherchen – problemlos möglich sein können. Nur hätte es dafür Reisepapiere für den Mann gebraucht. Sowohl Afghanistan als auch die Türkei nehmen Abgeschobene auf, wenn deren Staatsbürgerschaft feststeht.
Fatale Instrumentalisierung
Fatal ist die Instrumentalisierung der Abschiebungen im bevorstehenden Bundestagswahlkampf. Die Bundesregierung hat angekündigt, rund 80.000 Personen dieses Jahr abschieben zu wollen. Damit soll „Entschlossenheit“ gezeigt werden – doch ist das Manöver sehr durchsichtig und nachdem über 1,5 Millionen Menschen ins Land gelassen worden sind, ist klar, dass die allermeisten eben nicht abgeschoben werden. Gerade mal rund fünf Prozent sind betroffen und alle haben die Möglichkeit, sich rechtsstaatlich Hilfe zu suchen und gegen die Abschiebungen zu klagen, was eine enorme Belastung der Gerichte zur Folge haben dürfte. Diese Prozesse können sich über Jahre hinziehen. Laut FAZ dauern Asylverfahren „immer länger“.
Kommt es dabei zu möglicherweise fehlerhaften Entscheidungen, wird die Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit der Justiz im öffentlichen Ansehen beschädigt. Obere Gerichte heben Entscheidungen anderer Gerichte auf – nicht, weil sie falsch sind, sondern weil eben eine entsprechende Sorgfalt nicht eindeutig erkennbar ist.
Die wechselseitigen politischen Vorwürfe kommen beim Bürger nicht gut an. Die meisten werden sich denken: „Was für ein Hickhack und ein Chaos“. Die bereits gespaltenen Lager werden sich verhärten – ohne jede Möglichkeit des Konsens: Hier „Refugees welcome“, dort „Raus mit allen, die kein Recht haben, hier zu sein“.
Eine wesentliche Lösung wäre ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz auf der Höhe der Zeit – doch traut sich da offenbar niemand so wirklich ran.