Mannheim/Rhein-Neckar, 24. Februar 2017. (red/pro) Dr. Peter Kurz ist Oberbürgermeister der Stadt Mannheim und SPD-Mitglied. Im Interview mit uns äußert er sich als Parteimitglied zum Kanzlerkandidaten Martin Schulz, den positiven Umfragewerten der SPD, dem Zustand der Demokratie und kritisiert eine politische Debatte, die sich nicht an Anstandsregeln hält. Dabei nimmt er nicht nur den politischen Gegner ins Visier.
Interview: Hardy Prothmann
Das Niveau von 32 Prozent kann ich mir besser erklären als das Niveau von 20 Prozent.
Herr Dr. Kurz, die SPD surft im Moment auf der Schulz-Welle ganz oben, 30 Prozent und mehr sagen die Umfragen. Aktuell liegt die SPD sogar vor der CDU. Wie erklären Sie sich die enormen Zuwächse?
Dr. Peter Kurz (lacht): Das Niveau von 32 Prozent kann ich mir besser erklären als das Niveau von 20 Prozent. Die SPD hat eine ganze Reihe von Themen in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt und auch praktisch vorangebracht – Beispiel Mindestlohn. Aber irgendwie ist das nicht durchgedrungen und war ohne Effekt. Die SPD war lange bei 20-22 Prozent gefangen. Und da saß quasi irgendwie wie ein Pfropf drauf. Der ist jetzt weg.

Dr. Peter Kurz ist seit Schülerzeiten Mitglied der SPD. Archivbild
Die SPD konnte sich der Öffentlichkeit also nicht vermitteln und jetzt kommt der rote Ritter Schulz aus Brüssel und alles ist anders?
Kurz: In meiner Antwort habe ich die Perspektive gewechselt. Ich halte 30 und mehr Prozent nicht für einen ungewöhnlichen Wert, sondern die lange Zeit sehr schwachen 20 Prozent. Jetzt ist wieder eine Normalisierung eingetreten. Was Herrn Schulz angeht – möglicherweise hat er diese Zugkraft, weil er eben nicht Teil der Koalition ist, sondern von außen kommt. Herrn Gabriel musste, aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt, viele negative Zuschreibungen hinnehmen. Herr Schulz hat diese Belastungen nicht und damit erklärt sich womöglich die Überwindung des Umfragentiefs.
Was fällt Ihnen bei Herrn Schulz positiv auf?
Kurz: Martin Schulz spricht eine andere Sprache. Manche werfen ihm Populismus vor – das halte ich für eine bewusste Irreführung. Denn populistisch heißt ja nicht, Dinge klar zu benennen oder kritische Themen vielleicht auch mal zugespitzt anzusprechen, sondern populistisch ist ein konsequenter Angriff auf die politischen oder gesellschaftlichen sogenannten Eliten mit dem Ziel einer grundlegenden Systemveränderung. Martin Schulz spricht klar, das ist ein starkes Plus bei ihm.
„Herr Schulz ist kein Brüsseler Apparatschik“
Was ich besonders interessant finde – er steht einerseits eindeutig für Europa, ist aber gerade nicht, was viele ihm unterstellen wollen, ein Brüsseler Apparatschik. Herr Schulz hat sich immer deutlich positioniert und gegenüber Herrn Erdogan, Herrn Orban, Herrn Berlusconi und anderen immer klare Kante gezeigt. Er benennt die Demokratiedefizite, die Europa hat, wenn er auch logischerweise in seiner Funktion ein Fürsprecher für mehr Europa war. Diese Haltung hat ihn zum ersten Parlamentspräsidenten gemacht, der überhaupt wahrgenommen worden ist und das ist seine Leistung. Er hat gesagt: Ich vertrete hier das Parlament und deswegen möchte ich mit Regierungschefs reden, ich möchte damit an den Tisch und erwarte Gehör. Das hat ja vorher keiner durchgesetzt.
Sie meinen, weil er Europa-Experte ist, wäre seine Kompetenz von Vorteil in einer Regierungskoalition?
Kurz: Ganz klar. Er kann der sein, der sich mit Europa auskennt, aber für Deutschland aktiv ist. Das ist ein Vorteil, den andere nicht haben, die eben Europa nicht so gut kennen wie er. Das ist ein Aspekt, den ich in der bisherigen Berichterstattung vermisse. Der Vorwurf, er wolle nach wie vor die Türkei in der EU, ist ohne Substanz: Eine Türkei im derzeitigen Zustand ist für Herrn Schulz sicher undenkbar als Mitgliedsland der EU.
Sie meinen, verschiedene Medien vereinfachen die Sachverhalte zu sehr?
Kurz: Es ist jedenfalls absurd, Herrn Schulz eine bedingungslose Aufnahmebereitschaft für die Türkei in die EU vorzuwerfen. Das findet man nirgends bei ihm, ganz im Gegenteil hat er eine klare Position: Die europäischen Grundwerte sind nicht verhandelbar. Daraus resultieren auch die Konflikte mit einem Herrn Orban oder auch der polnischen Regierung. Dazu brauchen wir Debatte und es ist absolut richtig, über nationale Interessen zu reden, diese zu thematisieren und auch durchzusetzen. Das ist aber etwas anderes als nationalistische Wallungen – die laufen gegen unsere Interessen. Hier klar zu differenzieren ist vermutlich das “Lösungsmittel”, das Herr Schulz gefunden hat. Ich glaube nicht, dass sich das schnell verbraucht, sondern diese Debatte durch Herrn Schulz stärker vorangebracht wird. Das ist kein Selbstläufer, sondern harte Arbeit, aber erfrischend. Aktuell ist die SPD auf Augenhöhe mit der CDU – das wird ein spannender Wahlkampf, der unserer Demokratie hoffentlich gut tut. Insbesondere, weil diese – mediale – Fixierung auf die AfD möglicherweise ein Ende hat.
„Man muss das Niveau halten, das andere unterlaufen wollen“
Sie haben in Ihrer Neujahrsansprache (den Text finden Sie als Montagsgedanken hier bei uns) die “Tonalität” angesprochen und mehr Respekt im Umgang miteinander gefordert. Was denken Sie in diesem Zusammenhang, wenn ein Herr Schäuble Herrn Schulz mit Herrn Trump vergleicht?
Kurz: Das eine ist der Tonfall, das zweite der konkrete Vorwurf – den halte ich für eine Katastrophe. Ebenso die Reaktion von Herrn Oppermann, der meinte “selber Trump”. Sowohl Herr Schulz als auch Herr Schäuble sind – darüber können wir alle froh sein – in einem völlig anderen politischen System beheimatet als ein Herr Trump. Stellt man beide in die Nähe von Herrn Trump, wird dieser, anders herum gesehen, sogar fast verniedlicht. Das ist völlig absurd. Dazu ist es verheerend, weil hier alle Vergleichsmaßstäbe nivelliert werden.
Offenbar gilt ein aggressives Angehen des politischen Gegners als geeignetes Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Kurz: Ich mache mir viel mehr Sorgen um die Kontur. Klar muss man im politischen Kampf auch austeilen und einstecken können. Aber das ist doch nicht alles. Wir müssen um zukunftsfähige Konzepte im Rahmen der Demokratie ringen und wir müssen uns dabei von anderer Politik abgrenzen. Mit bleibt aber der Mund offen stehen, wenn ich beobachten muss, dass die Grundlagen unserer Demokratie mit solchen Vergleichen und Redeweisen beständig angegriffen werden. Wenn Politik ernst genommen werden will, dann muss man auch das entsprechende Niveau halten und sich von anderen abgrenzen, die das unterlaufen wollen.
„Das politische System funktioniert – ich bin da optimistisch“
Ich wage mal eine These: Könnte es sein, dass die SPD erst durch die AfD mächtig Federn lassen musste und nachdem diese besser bekannt ist, jetzt die Wähler wieder zur SPD als besserer Alternative zurückkehren?
Kurz: Das sehe ich nicht so. Es sind Grenzen eingerissen worden, sowohl in der Art, wie argumentiert wird, wie in der Wertschätzung für unsere Demokratie generell. Es wird nicht einfach, diese Grenzen wieder aufzubauen. Klar ist, dass die SPD es versäumt hat, wie andere auch, einige ersichtlich drängende Fragen mit Konzepten zu beantworten: Themen wie die Frage der sozialen Gerechtigkeit, gerade in Zeiten der Globalisierung. Die Frage wie Europa organisiert ist, wie demokratisch Europa ist oder wie organisieren wir Zuwanderung? Durch fehlende Antworten hat man natürlich auch das Erstarken der AfD ermöglicht. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass das politische System insofern funktioniert, als dass diese Fragestellungen aufgenommen worden sind und jetzt sozial- oder christdemokratische Antworten gegeben werden. Das entzieht Populisten die Energie. Ich glaube, da hat sich viel bewegt in den vergangenen Monaten. Insofern bin ich ganz optimistisch. Die anderen Parteien haben auf die AfD reagiert.
Anscheinend sind aber noch nicht alle wach. Waren die geplanten Änderungen der Rentenbezüge für Abgeordnete im Südwesten nicht ein schwerwiegender Fehler?
Kurz: In der Sache selbst bin ich nicht ausreichend im Thema. Aber eins ist klar: Eigentlich herrschte Einigkeit, dass man solche Dinge erstens transparent macht und zweitens externe Expertise einholt. Weil man sich sonst absolut angreifbar macht. Beides ist nicht erfolgt und insofern muss sich niemand über die Watschen wundern.
Zur Person:
Dr. Peter Kurz ist am 6. November 1962 in Mannheim geboren und in der Stadt aufgewachsen. Zu Schulzeiten wurde er Mitglied der Jusos, später der SPD. Der promovierte Jurist entschied sich gegen eine Berufslaufbahn als Journalist und wurde Verwaltungsrichter in Karlsruhe. 1984 war er im Bezirksbeirat Schwetzingerstadt/Oststadt, ab 1989 Stadtrat der SPD. 1993 übernahm er den SPD-Fraktionsvorsitz im Gemeinderat der Stadt Mannheim. 1999 wurde er Kulturbürgermeister der Stadt, 2007 zum Oberbürgermeister gewählt und 2015 im Amt wiedergewählt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.