Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar/Stuttgart, 23. Dezember 2017. (red/pro) Innenminister Thomas Strobel (CDU) positioniert sich laut einer Zeitung massiv gegen den Oberbürgermeister von Mannheim, Dr. Peter Kurz (SPD). Es geht thematisch um unbegleitete minderjährige Ausländer. Konkret um ein Gruppe von gesetzlosen Straftätern, die alle Behörden an die Grenzen der Handlungsfähigkeit bringen. Die Schuld für die Handlungsunfähigkeit wird aktuell von oben nach unten verwiesen. Was im Ergebnis heißt, dass der Herr der Verfahren sich ein Opfer sucht, um die eigenen Versäumnisse zu kaschieren. Dafür findet er willige Helfer.
Von Hardy Prothmann
Es ist Freitagabend. Es steht nicht nur ein Wochenende bevor, sondern zwei zusätzliche Feiertage verlängern den Wirkungszeitraum der vermeintlich exklusiven Story. Doch was bringen, wenn man nichts selbst recherchiert hat? Ein Streit muss her. Noch besser zum Thema Flüchtlinge.
Spin vor dem langen Wochenende
Das ist der beste Zeitpunkt, um eine Story zu platzieren, wenn man möglichst “exklusiv” vorgeben möchte und möglichst unfair platziert. Samstag, Sonntag und in diesem besonderen Fall auch Montag und Dienstag ist eigentlich niemand mehr zu erreichen. Damit steht die Story erst einmal: “Innenminister Strobl: Kurz duckt sich weg” heißt es in der Überschrift, im Text wird der CDU-Innenminister zitiert:
Aber nur dann, wenn ich dort im Rathaus einen Partner habe, der ernsthaft die Probleme lösen will. Und nicht einen, der sich wegduckt, wenn der Wind etwas heftiger weht, sagte Strobl.
Und weiter:
Strobl kritisierte, dass es bei den minderjährigen Flüchtlingen „auch in Mannheim ein klares Vollzugsdefizit“ gebe. Die Instrumente der Altersfeststellung fänden keine konsequente Anwendung. Damit beginne „das große Elend“. (…) Man komme nicht weiter, wenn man mit dem Finger auf andere zeige – und wenn andere innerhalb von Tagen oder Wochen Probleme lösen sollen, für die man selber jahrelang Verantwortung trage. Strobl: „Ein jeder kehre vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier.“
Das ist, gelinge gesagt, eine volle Breitseite aus Stuttgart. Übersetzt: Der Oberbürgermeister ist inkompetent und nicht lösungsorientiert, dazu ein Feigling sowie ein Denunziant. Zudem nicht besonders ordentlich.
Eine Einordnung, was denn an diesen massiven Vorwürfen dran sein könnte, fehlt zunächst. Man lässt das erstmal stehen und wirken. Am Freitagabend telefonieren sehr viele Leute wegen dieses Berichts miteinander.
Am Samstag legt der MM nach. Lokalchef Stefan Prötel kommentiert: “Ein ganz schlechter Stil”:
Kriegserklärung. Es fällt schwer, dieses Wort zu schreiben – besonders so kurz vor Weihnachten, das wir Christen als Fest der Liebe und des Friedens feiern. Aber genau das sind Thomas Strobls neueste Aussagen: eine Kriegserklärung an Mannheim. Der Innenminister verlässt mit dem öffentlichen Zerriss der Arbeit von OB Peter Kurz die sachliche Ebene. (…) Waren Strobls Antworten darauf bisher ausweichend-ablenkend, fährt er das heikle Thema nun mit Provokationen und schlauen Sprüchen mit voller Absicht vor die Wand.
Was für eine überraschende Wende. Der mutige Lokalchef stellt sich vor das Mannheimer Stadtoberhaupt und jetzt folgt die Einordnung:
Das ist unseriös, destruktiv, ganz schlechter Stil und lässt vermuten, dass Strobl derzeit nichts Besseres einfällt – ein Armutszeugnis. Dafür spricht der sicherlich bewusst gewählte Zeitpunkt des Angriffs. Denn ein Tag vor Weihnachten heißt: Strobls Schuldzuweisungen kommen unters Volk, setzen sich und bleiben erst einmal ohne Einordnung, weil an den Feiertagen weder Mannheim noch andere betroffene Kommunen groß reagieren können.
Interessant ist die Analyse von Bericht und Kommentar
Ergänzt sei – auch die meisten Zeitungen und Sendeanstalten können nicht reagieren. Im Fernsehen und Hörfunk läuft Feiertagsprogramm, keine aktuellen Formate. Und Zeitungen werden nicht gedruckt und ausgeliefert.
Interessant ist die genaue Analyse dieses Kommentars: “Schuldzuweisungen kommen unters Volk”. Interessant: Kamen diese einfach so oder wurden die unters Volk gebracht? Und wenn ja, von wem? Richtig, vom Mannheimer Morgen.
“Der sicherlich bewusst gewählte Zeitpunkt”. Auch das ist interessant. Wer hat diesen Zeitpunkt bewusst gewählt? Herr Strobl sicher nicht. Es gibt keine Pressemitteilung und es gab keine Pressekonferenz und der Innenminister hat zwar Macht, aber er kann keinem Medium vorschreiben wann was berichtet wird. Wer hat also “sicherlich bewusst” diesen Zeitpunkt gewählt? Dann doch eher der Mannheimer Morgen.
Übrigens in Abstimmung mit der Heilbronner Stimme. Denn seit Mai 2017 unterhält man ein gemeinsames Korrespondentenbüro. Die drei Zeitungshäuser teilen sich Michael Schwarz (Heilbronn), Peter Reinhardt (Mannheim) und Ulrike Bäuerlein (Konstanz). In diesem Fall hat Michael Schwarz ein Interview mit dem Innenminister geführt, das am Samstag veröffentlicht worden ist. Also erst nach der Erstmeldung vom Freitag, in dem der MM schreibt: Im Gespräch mit dieser Zeitung bekräftigte er (Anm. d. Red. Strobl), er sei bereit, in Mannheim eine Kooperation mit der Stadt auf den Weg zu bringen.
Auch das ist interessant: “Im Gespräch mit dieser Zeitung” also. Richtig ist ein Gespräch mit dem Korrespondenten der Heilbronner Stimme, auf dessen Leistung man aber zugreifen darf. Doch war wurde aus diesem Gespräch, aus dem vorab zitiert worden ist? Im Mannheimer Morgen erscheint es nach unserem Wissen nicht, dafür aber in der Heilbronner Stimme. Nur findet man dort die “kriegserklärenden Zitate” nicht in der Form, wie sie im MM wiedergegeben wurden. Warum nicht?
Variante der Schießbefehl-Methode
Wir erinnern uns. Auch die “Schießbefehl”-Story zu Dr. Frauke Petry wurde damals vor einem Wochenende platziert. Das Gespräch dauerte rund 45 Minuten, heraus kam ein Kurzinterview in der Samstagsausgabe, dazu eine Vorabmeldung für die Streuung an die Agenturen. Das lief rund. Auch andere Medien haben sich begierig auf die Inhalte gestürzt, um den Spin weiterzudrehen, der für große Empörung sorgte und im weiteren Verlauf nicht mehr mit der Schließung der Balkanroute und echten Schüssen an anderen Außengrenzen in einen Kontext gesetzt worden ist.
Ganz ehrlich? Diese Art von Journalismus hat nichts mit seriöser Information zu tun. Es geht um Schlagzeile und ein so tun-als-ob. In Deutschland gibt es bundesweit nur eine Zeitung, die täglich per Schlagzeile versucht, sich zu verkaufen. Das ist die Bild-Zeitung. Entsprechend sind die Schlagzeilen. Je “geiler”, desto besser.
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Lokalzeitungen, die das nachahmen, gewinnen genau nichts. Sie steigern nicht ihre Umsätze durch Abverkauf. Ganz im Gegenteil – sie verstören Ihre meist eher mittelständischen Abonnenten durch Krawall. Beim Mannheimer Morgen kann man das sehr faktisch an dramatisch sinkenden Abonnentenzahlen nachvollziehen.
Krawalljournalismus
Was ist aktuell dran an der Schlagzeile? Nach meiner Auffassung nichts. Der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) hat sich eben nicht “weggeduckt”, sondern sich aktiv und unmissverständlich mit einem “Brandbrief” an das Innenministerium gewandt, also Herrn Strobl.
Dieser Brief wurde – von wem auch immer – in die Öffentlichkeit “durchgestochen”. Wie das ablief, ist unklar. Klar ist, dass sich der OB Dr. Kurz eben gerade nicht “weggeduckt” hat, sondern mit klaren, unmissverständlichen und sogar drastischen Worten eine Ansage nach Stuttgart gesendet hat.
Dort brauchte man viele Wochen für eine Antwort, die im Ergebnis nur Blabla war. Wenige Tage später legt die Lokalzeitung nach und berichtet erst mal über die Ausfälligkeiten des Innenministers. Und zwar ohne jegliche Einordnung – auch im Kommentar erfolgt diese nicht. Das hat nichts mit hintergründiger Information zu tun, das ist reiner Krawalljournalismus.
Erstaunlich ist, dass die Tageszeitung so gar keine eigenen Fragen hat
OB Dr. Kurz soll also einer sein, der sich “wegduckt”? Es ist mehr als erstaunlich, dass das lokale Monopolblatt eine solche Aussage zunächst unkommentiert verbreitet. “Wegduckerei” ist in den vergangenen Jahren eher keine Eigenschaft gewesen, die diesem Oberbürgermeister angedichtet worden ist. Eher das Gegenteil. Häufig wird er als Machtmensch beschrieben.
Erstaunlich ist, dass diese Tagezeitung so überhaupt keine eigenen Fragen hat. Beispielsweise, ob dieser Angriff eines Innenministers Strobl auf einen Oberbürgermeister Dr. Kurz nicht ein eindeutig zu durchschauende Manöver ist, um von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken?
Was sagt die Information über die Informationsgeber aus?
Drehen wir die Anklage um: Hat Innenminister Strobl sich etwa weggeduckt? Der Auffassung kann man mit Fug und Recht sein. Was hat Herr Strobl denn bitte-schön erreicht? Er chaotisiert seit eineinhalb Jahren die zwei “Hauptstädte des nördlichen Baden-Württembergs”, Mannheim und Heidelberg, mit Null-Planungssicherheit. Hat irgendjemand diesen Minister hier vor Ort mal zur Thematik gesehen? Flüchtlinge sah und sieht man jede Menge – auch kriminelle. Aber Thomas Strobl?
Herr Strobl lässt beide Standorte in der Luft schweben – beide Standorte haben in erheblichem Maß für das Land dazu beigetragen, den enormen Flüchtlingsandrang 2015 aufzufangen. In der Spitze waren in unserer Region bis zu 25.000 Flüchtlinge untergebracht – ein Viertel von allen im Südwesten. Der Rhein-Neckar-Kreis ist mit rund einer halben Million Menschen zwar der einwohnerstärkste Kreis im Land, aber gemeinsam mit Mannheim (317.000) und Heidelberg (156.000) bringt man es nur auf eine knappe Million Einwohner, also keine zehn Prozent der rund 11 Millionen Einwohner im Südwesten, die aber mit einem Viertel der Flüchtlinge wegen der vorhandenen Konversionsflächen zurecht kommen mussten. So etwas ist unverhältnismäßig.
Beide Standorte haben dem Land – salopp formuliert – den Arsch gerettet. Und beide Standorte dringen auf verlässliche Zusagen vom Land, um ihre Zukunftspläne verwirklichen zu können. Doch das Land agiert wie ein Zuhälter: Ordinär, aggressiv, drohend und fordernd.
Herr Strobl – und das sind Fakten – kann überhaupt keinen Erfolg vermelden. Über die CDU ist das “Ankunftszentrum Coleman” gespielt worden – eine Realisierung ist noch überhaupt nicht in Sicht. Insbesondere Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz hat dem Land seine Bereitschaft für ein solches Zentrum angeboten – gegen den Widerstand von Grünen und der CDU Mannheim, die sich geradezu erbittert dagegen sträubt. Auch der neue Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel ist hier aktiv ablehnend positioniert.
Im April 2018 läuft eigentlich die vereinbarte Unterbringung in Heidelberg aus. Doch Herr Strobl weiß nicht wohin mit den Flüchtlingen und dem Ankunftszentrum. Spinelli in Mannheim könnte man theoretisch noch annektieren, aber genauso würde das wahrgenommen werden. Es bleibt nur Coleman, aber hier kommt man augenscheinlich nicht voran.
Massiver Schaden
Unterm Strich bleibt ein massiver Schaden. Inszeniert und orchestriert von Tageszeitungen, die anscheinend einen wild gewordenen Berserker gefunden haben, den man geschickt vorgeführt hat: Thomas Strobl. Gleichzeitig ist es gelungen, Dreck in Richtung des Mannheimer Oberbürgermeisters zu werfen, Motto: Irgendwas wird schon hängenbleiben. Gleichzeitig wurde versucht, sich die Heldenrolle zu verschaffen – das dürfte nach unserer Einordnung ordentlich schief gelaufen sein.
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Ganz entscheidende Fragen sind offen – auch über die Feiertage, an denen die Zeitung eben auch nicht erscheint, was man möglicherweise nicht bedacht hat. Herr Strobl ist oberster Diensther der Polizei. Auch die ist mit ihrem Latein am Ende. Und er Frust steigt – jede Menge Aufwand, immer wieder Festnahmen, aber keine Konsequenzen. Zudem werden Beamte vermehrt angegriffen.
Wie man wohl dort diese Äußerungen des “Chefs” aufnimmt? Das Problem mit kriminellen (jugendlichen) Ausländern gibt es in vielen Kommunen im Südwesten – wie die anderen Bürgermeister wohl diese Äußerungen auffassen, wenn selbst einer wie Dr. Kurz derart abgemeiert wird? Und welches Signal wurde an die Jugendämter in den Stadt- und Landkreisen gesendet? Alles Idioten?
Und wie will man nach diesen Äußerungen künftig miteinander umgehen? Ist ein Foto vorstellbar, auf dem sich freundlich lächelnd OB Dr. Kurz und Innenminister Strobl die Hand reichen? Woher nimmt der Innenminister seine Kenntnisse für die Behauptungen, man sei in Mannheim nicht willig? Wer hat ihn da gebrieft? MdB Löbel oder CDU-Fraktionschef Claudius Kranz? Wie gestaltet sich die künftige Zusammenarbeit in der Kommune zwischen OB, den anderen Fraktionen und der CDU?
Thomas Strobl ist als Mitglied des CDU-Parteivorstands in die aktuellen Koalitionsverhandlungen involviert. Aktuell fordert er eine Absenkung der in der Diskussion befindlichen Obergrenze von 200.000 Menschen pro Jahr auf rund ein Drittel. Dazu fordert er laut MM:
Strobl sagte, er bringe die Thematik in mögliche Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene mit der SPD ein. „Da hätte ich auch gar nichts dagegen, wenn Kommunalpolitiker aus Baden-Württemberg den SPD-Verhandlern ihre Sorgen nahebringen würden“, sagte er.
Auch dieser Satz ist, analytisch betrachtet, ein Armutszeugnis für Herrn Strobl, der staatspolitisch offenbar überhaupt nicht zwischen den Ebenen Bund, Land und Kommunen zu unterscheiden weiß und zudem die Fakten nicht im Blick hat: Es war die schwarz-rote Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel, die von 2015 bis heute fast zwei Millionen Menschen ins Land gelassen hat. Wer jetzt die AfD- und CSU-Forderungen noch unterbieten will, ist ihm rabenschwärzesten Populismuskeller angekommen, den man sich nur vorstellen kann.
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Hinweis: Wir werden nach den Feiertagen versuchen, eine Chronologie und hintergründige Einordnung zur aktuellen Lage in Mannheim zu liefern. Das wird nicht einfach, aber wir denken, wir schaffen das. Möglicherweise haben sich Medien und Politik auch an diesem Kommentar vom 14. Dezember orientiert: “Politisch verantwortungsloser Innenminister“.
Weiterer Hinweis: Solche Hintergrundtexte bergen für uns immer ein juristisches Risiko. Insbesondere der Mannheimer Morgen hat uns in einem anderen Fall verklagt, war zunächst vor dem Landgericht Mannheim erfolgreich, die Revision haben wir vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe dann vollumfänglich gewonnen. Infos hier.