Rhein-Neckar, 18. November 2016. (red) Die Betreuung unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge ist mit hohem Aufwand verbunden, da der Staat sie in Obhut nehmen muss. Pro minderjähriger Person rechnet man mit Kosten zwischen 3.-5.000 Euro monatlich. Verantwortlich sind die Jugendämter unter Beachtung einer ganzen Reihe von gesetzlichen Auflagen. Der Rhein-Neckar-Kreis hat uns auf eine umfangreiche Anfrage eine ebenso umfangreiche Antwort übermittelt, die wir hiermit dokumentieren.
Antwort des Landratsamts auf unsere Anfrage zu unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen:
“Der Rhein-Neckar-Kreis ist seit 2016 konstant für knapp 400 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMA) verantwortlich. Tagaktuell beträgt die Zahl 392, hierunter befinden sich 29 weibliche UMAs. Im Jahr 2014 betrug die Gesamtzahl 17, im Juli 2015 waren es 53 UMAs, nach Beginn des Flüchtlingszustroms Ende 2015 dann 253.
Nahezu alle UMAs erhält das Jugendamt aufgrund der landesweiten Zuweisung auf der Grundlage des seit 01.11.2015 neu geregelten Verteilungsverfahrens. Die meisten UMAs wurden in der Vergangenheit in den Erstaufnahmestellen (BEAs und LEAs) registriert und identifiziert. Diese befanden sich für den nordbadischen Landesteil vorrangig in den Stadtkreisen Mannheim und Heidelberg, so dass der Rhein-Neckar-Kreis als „Erst“Jugendbehörde hier nicht zuständig war.
Wenig verheiratete UMAs
Für die Unterbringung der UMAs hat der Landkreis seit Beginn des Jahres bis Ende Oktober an Sach- und Personalkosten ca. 13,5 Mio. EUR aufgewendet. Nach den gesetzlichen Vorschriften erhält der Landkreis sämtliche seiner Sachaufwendungen vom Land erstattet. Diese Sachaufwendungen (Unterbringungskosten usw.) betrugen bis Ende Oktober ca. 12,6 Mio. EUR. Die Personalkosten des Landkreises, die durch die Vielzahl der zu versorgenden UMAs entstehen, werden nicht erstattet.
Verheiratete UMAs gibt es wenige. In den letzten 12 Monaten weilten insgesamt 4 verheiratete UMAs in der Rhein-Neckar-Region, 3 weiblich und 1 männlich. Unter diesen verheirateten UMAs befinden sich keine UMAs unter 14 Jahren. Überwiegend sind die verheirateten UMAs im Alter zwischen 16-18 Jahren. Eine minderjährige verheiratete Frau im Rhein-Neckar-Kreis ist keine UMA im Sinne des Jugendhilferechts. Bei den verheirateten UMAs wurde bisher eine Ehe nicht anerkannt, in einem Fall ist ein Ehepartner noch im Heimatland, die Anerkennung einer weiteren Ehe ist im Prüfungsverfahren und eine weitere Eheschließung konnte bisher schriftlich nicht nachgewiesen werden.
Trennungen gegen den Willen der nachweislich verheirateten UMAs bzw. minderjährigen Ehepartner durch das Jugendamt wurden nicht durchgeführt. Die meisten verheirateten UMAs – sofern der Ehepartner mitgeflüchtet ist – wollten mit Ihrem Ehepartner zusammenbleiben. Hier ist zu bedenken, dass das Jugendamt auch Sensibilität für die ankommenden Menschen und Jugendlichen, ihre Geschichten und Traditionen aufbringen muss.
Hohe Sensibilisierung
Wenn die Kontakte mit den UMAs und die geführten Gespräche keinen Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung oder den Verdacht auf Zwangsausübung ergeben, hat auch in der Jugendhilfe der geäußerte Wille von Jugendlichen einen hohen Stellenwert. Anhaltspunkte für die Ausübung sexuelle Gewalt wurden in diesem Zusammenhang vom Jugendamt bisher nicht festgestellt.
Alle beteiligten Fachkräfte sind für das Thema jedoch sensibilisiert. Werden durch Schilderungen oder besondere Verhaltensweisen Anhaltspunkte für eine mögliche Gewalterfahrung in diesem Bereich deutlich, wird – wie auch bei Familien ohne Fluchthintergrund – entsprechend dem Schutzauftrag des § 8a SGB VIII reagiert und die gefährdende Situation unmittelbar unterbrochen.
Strafanzeigen wegen Sexualdelikten nach den §§ 176 ff StGB wurden bisher ebenfalls nicht gestellt, da die verheirateten UMAs seit sie in Deutschland sind die Altersgrenze nach § 176 StGB überschritten haben und Straftaten nur dann verfolgt werden können, wenn sie in Deutschland geschehen sind oder bspw. das Opfer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (§§ 3 ff StGB). Was unter ausländischen Staatsangehörigen in ihrem Heimatland geschehen ist, kann deshalb in Deutschland nicht strafrechtlich geahndet werden.
Klagen gegen den Rhein-Neckar-Kreis wegen nicht anerkannten Ehen oder (ungewollt) durchgeführten Trennungen gab es bisher keine.
Von den UMAs haben zwei wiederum selbst Kinder, wobei sich ein Kind noch im Heimatland aufhalten soll und sich deshalb die Angaben rein auf mündliche Äußerungen des/r UMA stützen.
Pflicht zur Obhut
Das Jugendamt ist aufgrund der gesetzlichen Vorschrift des § 42a SGB VIII verpflichtet, UMAs (vorläufig) in Obhut zu nehmen und auch die Altersfeststellung zu treffen. Dies geschieht in der Regel durch Gespräche mit dem/der UMA und eine Inaugenscheinnahme (optischer Eindruck).
Ausgangspunkt ist hier die Altersangabe des/der potentiell Minderjährigen. Neben dem persönlichen Eindruck (äußeres Erscheinungsbild, Art der Schilderung der Flucht etc.) aus dem Gespräch findet eine Plausibilitätsprüfung der Angaben statt. Die Befragung findet grundsätzlich durch zwei Fachkräfte des Jugendamts statt.
Insgesamt steht hier der Aspekt „Im Zweifel für die Minderjährigkeit“ im Vordergrund. Bislang wurde erst in einem Fall diese Annahme durch eine Begutachtung der Gerichtsmedizin im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens korrigiert. In einem „ersten Durchgang“ werden auch gesundheitliche Aspekte (insb. mögliche Umstände, die zu einer Traumatisierung geführt haben) erfragt. Diese Fragen werden allerdings nicht spezifisch gestellt – vor allem zur Vermeidung von Retraumatisierungen. Der traumasensible Umgang setzt sich auch in der weiteren Versorgung und Unterstützung der Jugendlichen fort. Sei es bei der Vorstellung in einer ärztlichen Praxis, sei es im familiengerichtlichen Verfahren.
In den Jugendhilfeeinrichtungen geht es dann in einer ersten Phase um Stabilisierung und Vertrauensaufbau. Ist eine traumatherapeutische Behandlung notwendig, wird der Kontakt mit einer Facheinrichtung gesucht.
Ein anderer Weg ist die Einleitung einer psychotherapeutischen Begleitung. Ein wichtiger Baustein im gesamten Vorgehen ist außerdem der unmittelbare Kontakt zu den jeweiligen Vormündern (Regelfall: Amtsvormundschaft des Jugendamtes). Da für Minderjährige in der Regel eine Amtsvormundschaft eingerichtet wird, findet eine enge Zusammenarbeit mit den Vormündern statt, die als Inhaber der Personensorge auch von den Jugendhilfeeinrichtungen in den weiteren Entwicklungsprozess unmittelbar einzubeziehen sind. Insgesamt gilt der Schutzauftrag im Rahmen des staatlichen Wächteramtes und die Umsetzung im Rahmen des SGB VIII.
Auch in den Fällen von minderjährigen Ehepartnern wird grundsätzlich eine Vormundschaft beim Familiengericht angeregt. Hier wird eine Amtsvormundschaft und nicht der meist volljährige Ehepartner – als Vorschlag übermittelt. Diesem Vorschlag sind die Familiengerichte bislang immer gefolgt.
Entspricht es dem Wohl und dem Willen des/der Jugendlichen würde im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme auch eine unabhängige Lebensführung umgesetzt.”