Mannheim, 15. Dezember 2017. (red/pro) Sie sind jung. Sie haben keine Hemmungen. Sie rasten von jetzt auf gleich aus. Die Rede ist von einer Gruppe heranwachsender Schläger, die nach unseren Informationen 50 bis über 100 Mitglieder umfasst. Potenziell sind es deutlich mehr. Die meisten haben ausländische Nationalitäten oder sind Deutsche mit Migrationshintergrund, es sind aber auch deutsche Heranwachsende darunter. Es sind keine Flüchtlinge, keine Straßenkinder, sondern asoziale Gesellen einer sich bildenden, multikulturellen Parallelgesellschaft. Weder erreichbar durch Jugendhäuser, noch Streetworker oder sonstige Programme. Ihre gemeinsame Sprache ist die der Gewalt.
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Kommentar: Hardy Prothmann
Ich kann mich noch sehr gut an ein Hintergrundgespräch mit Polizeipräsident Thomas Köber erinnern, das ich in Teilen öffentlich mache, weil es notwendig ist. Damals sagte er mir:
Herr Prothmann, 60 Prozent aller Kinder unter zehn Jahren in Mannheim haben einen Migrationshintergrund. Wenn wir die jetzt nicht einfangen und abholen, haben wir in zehn Jahren ein massives Problem auf den Straßen in der Stadt.
Das ist ein paar Jahre her.
Herr Köber ist ein außerordentlich erfahrener und vor allem besonnener Polizeibeamter. Er sagt auch:
Ich werfe ganz bestimmt nicht mit Wattebällchen. Ich fahre da draußen immer wieder viele Kollegen und Material auf, um zu zeigen, wer die Macht hat – nämlich wir, die Polizei. Der Aufwand ist enorm, die Ansage aber deutlich. Ich versuche es erst gar nicht zum Kampf kommen zu lassen – den gewinnen wir. Die Frage ist der Preis: Wenn erstmal Gewalt auf der Straße ist, bekomme ich die da nur schwer wieder weg.
Wer sich um die öffentliche Ordnung sorgt und sich über den aktuellen Angriff auf die Weihnachtsmarktstreife aus zwei Beamten durch sechs Schläger empört, muss verstehen, wie komplex die Angelegenheit ist.
Polizei im Dilemma
Die Polizei müsste keine 18 Streifenwagenbesatzungen aufwänden, um fünf heranwachsende Schläger im Alter von 17 und 18 Jahren zu überwältigen. Im Extremfall reichen die beiden Beamten und je 15 Schuss aus den Dienstwaffen. Das Ergebnis wären Tote und Verletzte. Es reichten auch sechs Beamte – Mann gegen Mann. Das Ergebnis wären vermutlich zwölf verletzte Personen, weil dann jeder was abbekommt.
Um einen möglichst verletzungsfreien Zugriff zu gewährleisten, ist der Idealfall vier gegen einen – das tut zwar den Beteiligten vermutlich auch hier und da weh, aber schwere Verletzungen werden vermieden. In Summe wären das 24 Beamte gegen sechs aggressive Schläger. Weiter braucht man Beamte, die absichern. So kommt es zu der hohen Zahl der Einsatzkräfte. Die Polizei hat zwar das Gewaltmonopol – aber sie ist auch rechtlich verpflichtet, mit angemessen Mitteln vorzugehen, auch beim unmittelbaren Zwang.
Lesen Sie hier einen unserer meistgelesenen Texte aus dem Jahr 2015: Krass geht anders.
Sie darf, wie sich das manche wünschen, eben nicht einfach Leute “zusammenwichsen”, noch nicht einmal dann, wenn man einem ersten Impuls folgend, innerlich zustimmt, “damit die endlich mal kapieren, wann Schluss ist.”
Wir alle können froh sein, dass wir eine Polizei mit Maß und Mitte haben, die eher deeskaliert, als draufhaut. Dazu können wir froh sein, dass wir eine rechtsstaatliche Ordnung haben, die mutmaßlich Schuldige vor Gericht bringt, die sich dort verteidigen können und erst bei Nachweis der Schuld angemessen verurteilt werden.
Selbst unter “normalen” Umständen muss für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein erheblicher Aufwand betrieben werden. Und genau hier stehen wir als Gesellschaft vor einem echten Problem. Denn der Aufwand wächst rasant.
Provokation als Prinzip
Diese Schlägerbande mit multikulturellem Hintergrund hat nach unseren Informationen keine feste Struktur. Das sind keine Rocker. Sie pflegen keinen Muskelkult. Sie sind durch äußere Kennzeichen nicht zu erkennen. Sie sehen aus wie Jugendliche, sogar sehr gepflegt. Man geht oft zum Frisör. Viele haben eine normale, manche sogar eine schmächtige Gestalt. Aber sie sind zu jeder Gewalttat bereit – wie aus dem Nichts.
Vermutlich ist es nicht gelungen, sie “einzufangen” oder “abzuholen”, wie Herr Köber das nennt. Sie sind jeder Kontrolle entwichen. Sie haben überhaupt keinen Anstand und schon gar keinen Respekt. Es sind Asoziale, die provozieren und jeden Widerstand als rechtfertigende Provokation betrachten, um sofort zuzuschlagen. Dafür braucht es keinerlei “ideologischen Überbau” welcher Art auch immer.
Diese Gruppe ist möglicherweise nur die Vorhut des Problems, dass Polizeipräsident Köber benannt hat. Da wachsen noch sehr viele nach.
Aktuell fühlt sich diese Gruppe dadurch provoziert, dass man sechs ihrer “Mitglieder” den Prozess macht. Weiter fühlt sie sich provoziert, dass eine Übermacht an Polizei, darunter Kräfte vom Einsatzzug und der BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) diesen Prozess schützt, nachdem am Montag vergangener Woche tumultartige Zustände im Gerichtssaal herrschten und eine Schlägerei kurz bevorstand. Am Montag dieser Woche kam es nicht, wie fälschlicherweise in anderen Medien berichtet, zu einer Räumung des Zuschauerraums, aber sehr wohl zu Handgreiflichkeiten von Beamten gegenüber einzelnen im Zuschauerraum, weil sich einzelne nicht an die Anordnungen des Vorsitzenden Richters gehalten hatten, der eine Pause einberufen hatte. (Wir berichten dazu noch.)
Lesen Sie hier einen Artikel, der unseren Server vergangene Woche fünf Tage in die Knie gezwungen hat: Ein Richter am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Nun haben mutmaßlich sechs aus dieser Gruppe zwei Beamte am Plankenkopft gegenüber dem Weihnachtsmarkt am Wasserturm entdeckt und dachten, die seien leichte Beute. Die Beamten werden anlasslos beleidigt, Anweisungen werden nicht befolgt. Soweit bekannt, ging urplötzlich eine wilde Schlägerei los, als die Beamten Personalien feststellen wollten. Dann kam es zur Anforderung von Unterstützung, die auch schnell eintraf und durchgriff.
Neue Qualität der Gewalt
Der gezielte Angriff auf Polizeibeamte in Uniform zeigt eine neue Qualität und bestätigt leider meine Befürchtungen, über die ich immer wieder berichten muss. Diese Eskalation hatte keinen bekannten Grund. Die Beamten sind nicht von sich aus tätig geworden, sondern erst nach den Beleidigungen. Sie sind nicht in einen Streit zwischen Gruppen geraten. Sie haben nicht versucht, eine Straftat zu verhindern und jemand hat Gegenwehr geleistet. Sie wurden gezielt und vorsätzlich angegangen, soweit das ersichtlich ist. Und das im Herzen von Mannheim – dort, wo Menschen flanieren und Geschäfte gemacht werden.
Damit wird das hochpolitisch, denn auch der Handel ist bedroht, wenn Menschen sich Sorgen machen müssen, die Planken zu betreten. Und andere, die sich einfach nur unter anderen Menschen bewegen wollen. Zum Flanieren, Schauen, Kennenlernen.
Die Fanbase um die OEG-Schläger hatte sich auch, wie wir exklusiv berichtet haben, nach einem Prozesstag an der Garagenausfahrt des Landgerichts versammelt – und “die Lage gecheckt”. Nach uns vorliegenden Informationen bahnte sich eine “Gefangenenbefreiung” an. Nur die große Zahl der Beamten verhinderte dies mutmaßlich.
Kategorien von gestern
Ich will kein Psychogramm dieser Klientel erstellen. Schwieriges Elternhaus, soziale Ungleichheit, Armut. Das sind alles Kategorien von gestern. Diese Klientel steht klar außerhalb jeder gesellschaftlichen Ordnung. Sie respektieren den Staat nicht nur nicht, sie verachten ihn. Sie betrachten sich nicht als Mitglieder im öffentlichen Raum, sie wollen ihn dominieren. Jeder Widerspruch ist kein Einwand, sondern eine Provokation aus deren Sicht, die mit Gewalt beantwortet wird.
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Wenn diese lockere Gruppe auch nur ansatzweise das Gefühl hat, sich durchsetzen zu können, wird sie sich organisieren. Sie wird lernen und ihr Vorgehen weiterentwickeln.
Die Maßnahmen am Landgericht haben sie nicht beeindruckt. Die erkennungsdienstliche Behandlung am Donnerstag auch nicht, denn alle haben schon “Erfahrungen” mit der Polizei und sind wie gewohnt wieder auf freiem Fuß. (Anm. d. Red.: Langsam muss man sich fragen, ob das Haus des Jugendrechts wirklich ein Erfolgsmodell ist.)
Man muss große Sorge haben, was dieser Gruppe als nächstes einfällt. Klar handelt es sich um hinterhältige Feiglinge. Sie sind nur in der Gruppe stark. Das Prinzip ist einfach: Ein vermeintlich Schwacher zettelt einen Streit an, geht es los, folgen die anderen.
Die Gewaltspirale ist noch nicht ausgereizt
Genau das ist das Problem: Jeder kann zu jeder Zeit ihr Opfer werden. Ob um 21:30 Uhr jemand in einer Straßenbahn oder sogar unter der Woche um 18:30 Uhr Polizeibeamte auf den Planken.
Sie sind bislang nicht vordergründig auf kriminelle Handlungen wie Raub aus. Das machen sie auch, als Beiwerk. Sie wollen dominieren – jeden, den sie erst provozieren, der sich ihnen dann in den Weg stellt, was sie als Rechtfertigung verstehen, loszuschlagen. Sie wollen erniedrigen. (Anm. d. Red.: Möglicherweise ist die Gruppe doch hochgradig kriminell, es gibt Hinweise, aber keine bestätigten Ergebnisse unserer Recherchen.)
Diese Gruppe hat sich in eine Gewaltspirale begeben, die noch lange nicht bis zum bitteren Ende ausgetestet ist. Sie sind schon mit 17, 18 Jahren gescheitert und haben noch viele Jahre vor sich, um den Scheiterprozess voranzutreiben.
Man könnte jetzt hoffen, dass deren Eltern und Verwandte schnell eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Also jene, die schon zuvor unfähig waren, diese Entwicklung aufzuhalten? Dazu sage ich nur: Träumt weiter.
Diese Gruppe sucht Gewalt, übt Gewalt aus und wird am Ende nur durch Gewalt zu bezwingen sein. Für die Polizei bedeutet das: Sie muss härter durchgreifen. Für das Landgericht Mannheim bedeutet das, es muss hart urteilen. Für beide bedeutet das, sie müssen trotzdem angemessen handeln – also genau das tun, was andere nicht tun.
Ob “andere” diesen Konflikt verstehen – daran habe ich immer mehr Zweifel.
Leider wird die eingangs beschriebene Sorge des Polizeipräsidenten immer dringlicher. Bei Demos marschiert er mit Macht auf. Aktuell zeigte eine Fußstreife Präsenz – zum Schutz der Bevölkerung und um dieser ein gutes Sicherheitsgefühl zu geben. Das ist eine Präsentation der Präsenz, nicht der Macht. Für die Schlägergruppe war das eine ausreichende Provokation und es kam zur Gewalt. Die Frage lautet nun, ob man diese von der Straße bekommt oder nicht?
Und ich stelle für mich klipp und klar fest: Für mich ist dieser Angriff so, als wäre ich persönlich angegriffen worden. Es ist ein Angriff auf jeden von uns, die eine streitbare, aber friedfertige Gesellschaft wollen.
Den verletzten Polizeibeamten wünsche ich gute Besserung. Sie haben meinen Respekt! Ebenso die Kollegen, die sie “rausgehauen” haben.
Ich kenne durch meine intensive Arbeit mittlerweile mehrere hunderte Beamte durch meine Arbeit “persönlich” – also dann, wenn ich journalistisch mit ihnen zu tun habe, in aktuellen Situationen und durch nachfolgende Recherchen oder einfach durch einen allgemeinen Austausch. Wie mit den meisten Quellen pflege ich dabei keine persönlichen Freundschaften, sondern einen professionellen und immer vertraulichen Austausch. Deswegen habe ich auch so großen Respekt – das sind ganz überwiegend “Überzeugungstäter”. Sie setzen sich für die Gesellschaft ein, damit diese in Sicherheit ist. Dafür müssen diese Beamten viel aushalten. Das ist überhaupt nicht “selbstverständlich” – selbstverständlich sollte sein, dass sie respektiert werden.
Als Bürger erwarte ich, dass auch die politischen Entscheidungsträger Respekt für ihre Bediensteten und Beamten bezeugen und endlich klar machen, wann “Schluss mit lustig ist”.
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