Mannheim/Rhein-Neckar, 08. Dezember 2017. (red/pro) Der Prozess gegen sechs Heranwachsende, denen in wechselnden Tatmitgliedschaften Raub, Körperverletzung und schwere Körperverletzung vorgeworfen werden, steht nun unter Polizeischutz. Um die Ordnung für einen ordentlichen Prozessablauf zu gewährleisten. Der Staat zahlt eine hohe Gebühr für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit.
Von Hardy Prothmann
Vor dem Zuschauerraum positionieren sich Polizeibeamte. Hinter den Zuschauerbänken positionieren sich Polizeibeamte. Im Gerichtsgebäude positionieren sich Polizeibeamte. Vor dem Gerichtsgebäude positionieren sich Polizeibeamte. Um das Gerichtsgebäude herum positionieren sich Polizeibeamte. Das Landgericht Mannheim war am Donnerstag eine Art Hochsicherheitstrakt, damit störungsfrei gegen sechs heranwachsende Gewalttäter verhandelt werden konnte.
Die Staatsmacht lies keinen auch nur kleinsten Zweifel zu, wer die Macht hat und wer sie im Zweifel durchsetzt.
Unmissverständliche Ansage
Polizei und Landgerichtsverwaltung haben entschieden, dass ein Prozess gegen sechs beschuldigte Heranwachsende diesen ganz enormen Aufwand nötig macht. Weil sowohl die Angeklagten wie ihre in Teilen asoziale Fanbase offenbar bislang nicht verstanden haben, dass hier ein ernsthaftes Gerichtsverfahren durchgeführt wird, das voraussichtlich massive Folgen für die Angeklagten haben wird und durch drei Tatbestände, insbesondere eine massive Gewaltattacke gegen einen Geschädigten, bereits massive Folgen für dieses Opfer hatte.
Wie “symbolisch” ernst die Polizei den Einsatz nimmt, zeigt die Anwesenheit von Polizeioberrat Jörg Lewitzki, Revierleiter Innenstadt und David Faulhaber, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums Mannheim. Der zuständige Revierchef und der Pressechef begleiten nicht eben oft persönlich und standardmäßig Gerichtsverhandlungen – die zunehmende Respektlosigkeit der “Zuschauer” bis hin zu tumultartigen Zuständen am vergangenen Montag, diesen Einsatz notwendig gemacht. Den Angeklagten und deren Fanbase soll eindeutig klar gemacht werden, dass die rote Linie übertreten worden ist.
Besondere Lage
Vor Ort sind neben Beamten des Reviers Innenstadt Einheiten der BFE sowie der Einsatzzug der Polizei Mannheim. Beide Einheiten werden immer dann angefordert, wenn der “Streifendienst” möglicherweise “Unterstützung” brauchen könnte. Anders ausgedrückt: Das sind Einheiten, die insbesondere auf “herausfordernde Lagen” ausgebildet sind und “konzentriert” vorgehen. Es ist keine gute Idee, sich Streifenbeamten zu widersetzen – wer sich diesen Einheiten widersetzt, schreit förmlich nach Schmerzen.
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Ich habe beide schon oft bei diversen Einsetzen erlebt. Wenn der Einsatzzug der Polizei Mannheim und/oder die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) auftauchen, weiß man, dass es “stressig” werden könnte und die “Spezialisten” genau wissen, was sie im Zweifel tun müssen. Das sind “geschlossene Einheiten”, trainiert auf harte Auseinandersetzungen. Dabei agieren diese Einheiten zurückhaltend – wenn es aber nötig ist, dann muss sich niemand wundern, wenn es weh tut.
Plötzlich sind alle ganz brav
Im Gerichtssaal ist es am Morgen noch relativ leer. Die Fanbase schläft wohl noch aus. Keine Arbeit, keine Schule. Gegen 11 Uhr kommen nach und nach einige, die in den vergangenen Verhandlungstagen für Stress gesorgt haben, in den Gerichtssaal. Setzen sich artig hin und nehmen auch ihre Mützen ab. Smartphones gibt es keine mehr, vor dem Gerichtssaal werden Ganzkörperkontrollen durchgeführt. Auch für mich als Reporter. Wenn ich durch die Sperre gehe und zurückkehre, heißt es immer wieder Arme abstrecken, Beine breit, Abtasten von oben bis unten. Die Beamten der Justiz und Polizei machen das sehr gewissenhaft. Das geht in Ordnung.
Später wird es voller. Und siehe da – es werde Licht. Ganz brav und artig sitzen die früheren Störer in den Reihen. Kein Getuschel mehr. Versuchte Kontaktaufnahmen zwischen Publikum und Angeklagten werden auch mit “persönlicher Ansprache” unterbunden.
Genau das Klientel, das sich am Montag noch als Mob versucht hat, sitzt nun artigbrav in den Reihen und tut so, als könne man kein Wässerchen trüben.
Natürlich ist das nur gespielt. Der Mob ist komplett im Stress. Das merkt man vor allem an der enorm gesteigerten Rein-Raus-Frequenz. Ständig geht die Tür, viel öfter als bei den vergangenen Prozesstagen. Der arme Mob. Man sieht einigen an, dass sie einen Weg suchen, sich erneut zu produzieren. Nur ist da keiner.
Die neue Situation besteht aus fünf Justizbeamten und teilweise bis zu 20 Polizeibeamten im Raum. Man wird beobachtet. Auch durch Jörg Lewitzki, der ein sehr erfahrener Einsatzleiter ist, was der Mob nicht weiß. Und Informationen sammelt, was der Mob nicht einschätzen kann. Plötzlich ist der Gerichtssaal, den der Mob zu übernehmen versucht hatte, ein Ort der kontemplativen Ruhe.
Der Richter macht keinen Spaß
Der Vorsitzende Richter Dr. Joachim Bock hatte am Montag angekündigt, dass sich die Verhältnisse im Gerichtssaal ändern würden. Wer das für einen Spaß des sehr souveränen Richters gehalten haben könnte, muss sich nun der Realität stellen. Der meinte das ernst.
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Nach unseren Informationen wird es bis zum Urteilsspruch keine Tumulte mehr geben. Wer aufzumucken gedenkt, wird sehr schnell und sehr eindeutig und möglicherweise sehr schmerzhaft Erfahrung mit “staatlich legitimierter Gewalt” machen dürfen. Die Staatsmacht versaut, salopp gesagt, dem Mob die Party.
Sehr krass ist, dass dieser Mob sich nach unseren Informationen beim Abtransport der Gefangenen bereits versammelt haben soll. Dementsprechend wird die Ausfahrt aus dem Gericht nach Prozessende durch Beamte bewacht.
Negativer Eindruck
Der Mob hat aktuell eine herausragende Chance etwas zu lernen: Er wird nicht gewinnen und wenn er denkt, dass man Stress ohne Konsequenzen machen kann, ist man schief gewickelt.
Was der Mob und die Angeklagten nicht verstanden haben: Das bisherige Verhalten, das den Einsatz der Polizei nötig gemacht hat, wird sich nicht eben günstig auf den Eindruck auswirken, in welchen Kreisen die heranwachsenden Straftäter verkehren. Auf der Anklagebank sitzen keine “Jungs”, die mal aus Versehen einen Fehler gemacht haben, sondern Gewalttäter, die aus einem Milieu stammen, das grundsätzlich zur Gewalt bereit ist. Gegen schwächere in Überzahl. Heute sieht sich dieses Milieu einer Übermacht von Polizei entgegen und kann sich plötzlich benehmen. Wer hätte das gedacht?
Hoher Aufwand
Zur Erinnerung: Angeklagt sind nicht Mitglieder einer Rockerbande oder Mafiamörder, sondern sechs heranwachsende Gewalttäter, die zum Tatzeitpunkt Anfang des Jahres 17 oder 18 Jahre alt waren, allesamt längst polizeibekannt sind und teils schon Haftstrafen absitzen mussten. Alle haben einen Migrationshintergrund: Türkisch, arabisch, russisch, afrikanisch.
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Die Kammer besteht aus fünf Richtern, drei Berufsrichter und zwei Schöffen. Es gibt sieben Verteidiger. Sechs beigeladene Personen und den Staatsanwalt, eine Schriftführerin. Dazu acht Justizbeamte und aktuell weit über 40 Polizeibeamte. Am heutigen Verhandlungstag werden Polizeibeamte befragt, die als Sachbearbeiter die Delikte aufgenommen und ermittelt haben. Einer nach dem anderen gibt sich die Klinke in die Hand. Was das alles kostet? Keine Ahnung, aber richtig viel Geld. Das “Fehlverhalten” dieser jungen Gewalttäter ist eine richtig teure Angelegenheit. Vier befinden sich in Untersuchungshaft, auch das kostet Steuergelder in erheblicher Höhe. Pro Häftling kann man pro Monat zwischen 3.-4.000 Euro veranschlagen.
Die Angeklagten wie ihre asoziale Fanbase verstehen das nicht, sie können sich aber glücklich schätzen, in einem Rechtsstaat den Prozess gemacht zu bekommen. Woanders würden sie anders behandelt werden.
Am Ende des Prozesstages kesseln Polizeibeamte den Zuschauerraum ein. Der Vorsitzende Richter Dr. Bock sagt:
Sie bleiben sitzen.
Die Gäste müssen abwarten, bis die Gefangenen ihre Handschellen angelegt und abgeführt werden. Der Grund ist ein einfacher: Bei den früheren Prozesstagen versuchten Angehörige und Angeklagte miteinander zu kommunizieren. Das findet heute nicht statt.
Ein junger Mann zieht sich seine Hoodie-Mütze über den Kopf. Eine Frau, vermutlich die Mutter, trägt Kopftuch und zieht im die Mütze wieder herunter. Dabei redet sie sanft auf ihn. Der junge Mann guckt böse. Dann bewegt sich der Polizist vor ihm und guckt nicht eben freundlich. Der junge Mann verzichtet drauf, die Mütze nochmals über den Kopf zu ziehen.
Hinweis: Am 09. Dezember berichten wir inhaltlich über die Prozesstag vom Montag und Donnerstag – die Aussagen verschiedener Zeugen ergeben sehr interessante Informationen und Hintergründe. Ebenso die Protokolle der Haftanstalten.
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