Mannheim/Rhein-Neckar, 17. November 2017. (red/pro) Der Prozess gegen sechs jugendliche Schläger und Räuber ist eine echte Herausforderung. Zum einen inhaltlich, um den Ablauf und die Tatbeteiligungen zu drei angeklagte Straftaten zu klären, um dann angemessene Urteile sprechen zu können. Dieser Prozess zeigt aber noch ganz andere Dimensionen auf, die besorgniserregend sind. Denn sowohl die Angeklagten als auch deren Umfeld lassen sich offenbar wenig durch den Rechtsstaat beeindrucken.
Kommentar: Hardy Prothmann
Gerechte Urteile zu finden, ist Sache der unabhängigen Richter im Rechtsstaat. Der aktuelle Prozess gegen sechs jugendliche Straftäter zeigt, dass dies erfolgen wird. Die Umstände hingegen zeigen, welchen erheblichen Aufwand das mit sich bringt.
Rechtsstaat herausgefordert
In Zahlen: Sechs junge Männer, die zu den Tatzeiten zu Jahresbeginn 17 bis 18 Jahre alt waren, sind angeklagt. Vier sitzen in Untersuchungshaft und müssen zu jedem Prozesstag von Freiburg, Stuttgart, Karlsruhe und Adelsheim zum Gericht transportiert werden. Die 7. Strafkammer besteht aus drei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern. Auf der rechten Seite vom Gericht aus betrachtet sitzen drei Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe, ein Psychologe und ein Rechtsmediziner als Gutachter, der Vertreter der Nebenklage sowie der Vertreter der Staatsanwaltschaft.
Auf der anderen Seite sitzen die sechs Angeklagten und die sechs Strafverteidiger. Weil sich der größte Teil der Freunde und Familienangehörigen der Angeklagten absolut respektlos und asozial verhalten, muss der ordentliche Ablauf der Verhandlung durch rund ein Dutzend Justizbeamte und acht Polizisten geschützt werden. Jeder Prozesstag kostet damit einen Haufen Geld.
Da drängt sich die Frage auf:
Wo sind wir hier denn eigentlich?
Die Frage ist einfach zu beantworten. In Mannheim. In einem Landgericht. In Deutschland, einem Land mit einem der vorbildlichsten Rechtsstaatssysteme dieser Welt. Der enorme Aufwand, der hier aktuell betrieben wird, ist von mindestens sechs Heranwachsende ausgelöst worden, die denken, dass Recht und Ordnung für sie nicht gelten, sondern sie sich jederzeit jede Person zum Opfer ihrer Aggressionen machen können. Und ihre Fanbase im Zuschauerraum leistet durch überwiegend asoziales Verhalten “Unterstützung”.
Dieses respektlose Verhalten macht fassungslos. Wenn diese “Bagage” sich selbst in einem Gerichtsgebäude unter Anwesenheit von Wachleuten und Polizei so verhält, kann man sich ausmalen, wie sich das Verhalten ändert, wenn keine Ordnungskräfte zugegen sind.
Hemmungslose und asoziale Verhältnisse
Die Angeklagten haben allesamt lange Vorstrafenregister und teils bereits Hafterfahrung. Ganz offensichtlich sind alle staatlichen Mittel der Jugendsozialhilfe bislang gescheitert. Wenn man sich die kalten Augen der Angeklagten anschaut, ihr genervtes Gebaren anschaut, stellt man fest, dass sie sich von gar nichts beeindrucken lassen. Ihnen fehlt zudem jedes Einfühlungsvermögen für ihre Opfer. Drei Straftaten werden verhandelt – wie oft sonst diese Schläger andere Menschen belästigt, ausgeraubt und geschlagen haben, was nicht zu Anzeigen führte und nicht ausermittelt werden konnte, ist unbekannt.
Das Vorgehen dieser Schläger ist mit einem Wort gut beschrieben: Hemmungslos.
Die Richterin Brigitte Beck fragte in der Verhandlung am Donnerstag:
Sie scheinen sich ja gut amüsiert zu haben?
Die Frage basiert auf den Videoaufnahmen in einer S-Bahn, wo es zu Körperverletzung und Raub gekommen war. Man sieht, wie einige der Angeklagten bei der Tatausübung lachen.
Bewährungen aussichtslos
Es ist nicht einfach, in Deutschland in Untersuchungshaft zu kommen. Die Hürden liegen hoch, deswegen sind auch zwei der sechs Angeklagten noch auf freiem Fuß. Eigentlich war auch Eyyüpcan P. (geb. 1999) noch auf freiem Fuß – obwohl er nachweislich einer der Hauptschläger bei der Straftat in der S-Bahn war. Im August gab es ein “Täter-Opfer-Ausgleich”-Gespräch, in dem er versicherte, dass er sich künftig anders verhalten werde. Nur ein paar Wochen später wird er nach einer weiteren, schweren Straftat in Untersuchungshaft genommen.
Es ist richtig, dass der Rechtsstaat sich bemüht, mit erheblichem Aufwand eine Resozialisierung von auffälligen Menschen zu leisten. Insbesondere, wenn diese noch jung sind und ihr Leben vor sich haben. Es muss aber auch richtig sein, denjenigen, die sich von nichts beeindrucken lassen und vollständig uneinsichtig ihr Unwesen treiben und dabei die Brutalität ihrer Taten noch steigern, klipp und klar aufzuzeigen, dass der Rechtsstaat auch sehr harte Strafe verteilen kann.
Doch selbst das schreckt manche nicht ab, wie man an Taufik M. feststellen kann. Dreieinhalb Jahre saß der zur Tatzeit 18-Jährige (staatenlos) bereits ein. Nur neun Wochen nach seiner Freilassung beteiligte er sich an dem Angriff auf einen 28-Jährigen Mann in einer OEG-Bahn, der versucht hatte einer Frau, die von Jermaine L. belästigt worden war, zu helfen. Fünf der sechs Angeklagten machten sich über der Opfer her, traktierten es mit Faustschlägen und Fußtritten.
Gewalt als lustiges Rollenspiel
Das Opfer hatte Glück – die beengten Verhältnisse in der Bahn haben ihm möglicherweise das Leben gerettet. Hätten die Angeklagten freies Schlag- und Trittfeld gehabt, hätten sie das Opfer mindestens schwerer verletzt, wenn nicht gar getötet. Einfach so. Weil jemand, der sich ihnen in den Weg stellt, halt ne Faust kriegt. Das passiert halt so, aus Sicht der Angeklagten. Nachgedacht wird nicht, sondern sofort zugeschlagen.
Möglicherweise hätten sich noch mehr aus diesem Milieu beteiligt – um “dazuzugehören” und einfach Spaß zu haben. Dass diese asozialen Typen ihre Taten lustig finden, sieht man auf dem Video einer Überwachungskamera.
Das Gericht hat abzuwägen, was für und was gegen die Angeklagten spricht. Dabei sollte es sich aber nicht täuschen lassen. Das angebliche “Schlichten” durch Jermaine L. gehört zum Spiel dieser Schläger dazu. Je nach Laune greifen die einen an und andere spielen sich als “vernünftig” auf. Wenige Minuten nach dem angeblichen Schlichtungsversuch beteiligt sich Jermaine L. am Raub an einem zweiten Opfer. Zum OEG-Überfalls äußert er sich, dass er halt “leicht abgeht” und gegen den Kopf des Opfers getreten hat, wie man gegen einen Fußball tritt. Verhält sich jemand, der eine “ausgleichende” Seele hat, in dieser Art?
Wenn man die “Freunde” der Schläger beobachtet, erkennt man, dass es auch untereinander roh zugeht. Boxschläge mit wenig Kraft vor die Brust, “Klapser” ins Genick, den Hinterkopf auf die Wange werden reihum verteilt. Man bauscht sich dann auf, redet was von Respekt und Ehre. Was sich hier beobachten lässt, ist das ständige Einüben von Angriffen und Erniedrigungen, die sich jederzeit gegen jeden urplötzlich entladen können – dann allerdings mit massiver Gewalt durch den Angriff eines Rudels.
Jung und trotzdem durch und durch verderbt
Wie verderbt diese Bande ist, zeigt sich an ihrem Aussageverhalten. Sie lügen, selbst wenn sie dabei erwischt werden. Sie äußern sich respektlos über Polizeibeamte. Sie behaupten, dass diese sie unter Druck gesetzt und zu Falschaussagen gedrängt hätten. Sie schützen sich gegenseitig. Möglicherweise werden aber auch sie oder Freunde bedroht. Keiner realisiert bislang, in welchem Teufelskreis sie stecken und dass nicht ihnen Unheil widerfährt, sondern sie persönlich ein Unheil für die Gesellschaft sind.
Vermutlich halten sie sich für clever. Zumindest haben sie verstanden, dass sie nur für die Taten bestraft werden können, die man ihnen nachweisen kann. Weil die Summe früherer Straftaten enorm ist und zu Jahresanfang drei Straftaten in kurzer Folge begangen wurden, von einem sogar eine weitere schwere Straftat Anfang September, zieht sich das System Rechtsstaat aber um sie zu.
In Freiheit haben sie keine “sozialen” Stützen in ihrem ganz offensichtlich asozialen Umfeld. Unter den Zuschauern gab es am Montag einen Raub mit anschließender Festsetzung des Täters. Vor dem Landgericht. Kann man sich nicht vorstellen? Ist aber Realität.
Wenn die Meute im Zuschauerraum auch am kommenden Dienstag wieder auffällig wird, wird das Gericht weitere Maßnahmen wie Ordnungsgelder oder Hausverbote erlassen müssen, um das Treiben zu beenden und einen ordentlichen Ablauf zu gewähren.
Doch wird das etwas verändern? Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Dann hat man zwar im Gerichtssaal Ruhe – “draußen” werden diese Personen weiter ihr Unheil treiben. Und mit ziemlicher Sicherheit werden einige im Laufe der Zeit dann vorne auf der Anklagebank Platz nehmen dürfen.
In Polizeikreisen wird dieses Milieu als “Monnemer Dreck” bezeichnet. Und damit ist nicht das leckere Makronengebäck gemeint.