Mannheim, 16. November 2017. (red/pro) Der brutale Angriff von mindestens fünf Heranwachsenden auf einen Mann in einer OEG-Bahn hat im März 2017 die Region erschüttert. Am 11. März war die Gruppe (wieder mal) auf Stress aus, einer belästigte eine junge Frau, ein Mann schritt ein, dann fielen die Angeklagten über diesen her, schlugen und traten ihn, brachen im das Nasenbein und zwei Rippen. Zwei Angeklagte sollen gezielt gegen den Kopf des am Boden liegenden Mannes getreten haben. Die Angeklagten sind äußerlich allesamt eher schmale Jüngelchen – innerlich sind es hartgesottene, hochgefährliche Schläger.
Von Hardy Prothmann
Der Prozess gegen insgesamt sechs Angeklagte, die zum Zeitpunkt der Taten im Februar und März 17 bis 18 Jahre alt waren, ist anstrengend, denn es geht um drei Straftaten in wechselnder Besetzung, die aus prozessökonomischen Gründen in einer Hauptverhandlung eröffnet worden sind.
Ein Prozess – verschiedene Taten
Tat 1 ist ein Körperverletzungs- und Raubdelikt in einer S-Bahn im Februar, Tat 2 ein Raubdelikt in derselben Bahn wenige Minuten später. Tat 3 ist eine gefährliche Körperverletzung in einer OEG-Bahn einige Wochen später. Die Angeklagten Furkan D., Jermaine L. und Eyyüpcan P. waren an allen Taten beteiligt.
Özcan K. und Filmon N. waren teils beteiligt, teils nur “anwesend”, Taufik M. war nur beim Angriff auf einen Mann in der OEG beteiligt – wie, ist noch unklar.
Am Montag, den 13. November 2017, werden die Angeklagten vom Vorsitzenden Richter Dr. Joachim Bock mit den Tatvorwürfen in der öffentlichen Verhandlung konfrontiert. Zum Auftakt wird Furkan D. gehört. Die Tatvorwürfe stimmten weitestgehend, sagt dieser. Man habe Eyyüpcan P. in einer Disco in Heidelberg in Bahnhofsnähe abgeholt und sei zurück nach Mannheim mit der S-Bahn gefahren. In der Bahn hätte es “Stress mit Jungs” gegeben. Warum? “Ich weiß nicht mehr”, sagt Furkan D..
Auf “Stress” gibt es eine Faust
Dieser “Stress” endet in Schlägen und einem Handy-Raub gegen einen jungen Mann und einige Minuten später in einen Raub gegen einen Bekannten des ersten Opfers. Wie das ablief, wird man erst am Donnerstag erfahren, da zeigt die 7. Strafkammer nämlich das Überwachungsvideo aus der S-Bahn.
Entscheidend ist zu diesen Taten, wie sich die Beteiligten äußern: “Der hat halt Stress gemacht.” “Die haben uns beleidigt”, reicht aus, um die Gewalt zu rechtfertigen. Hat sich der Angeklagte Jermaine L. bei der Tat 1 noch angeblich als (erfolgloser) “Schlichter” versucht, ist er bei Tat 2 als Ausführender dabei und raubt eine E-Shisha. Immer, wenn Richter Dr. Bock genauer nachfragt, können sich die Angeklagten “nicht mehr erinnern”. Sie seien betrunken und bekifft gewesen. Auch das wird in der Verhandlung am Donnerstag thematisiert werden.
Häufig werden die Achseln gezuckt oder die Handflächen nach oben gedreht. Motto: Man versteht die Aufregung nicht. Ist doch eigentlich nicht viel passiert. Es gab halt Stress und daraufhin ne Faust.
Eine Frage der “Ehre”
Bei Tat 3 ist allen Beteiligten klar, dass es hier um mehr als “Stress” geht. Im Raum steht gefährliche Körperverletzung und für einige Beteiligte versuchter Totschlag. Furkan D. gibt zu, versucht zu haben, von oben nach unten auf den Kopf des Geschädigten Mehmet E., damals 28 Jahre alt, zu treten. Furkan D. hat “Kickboxen” trainiert. Darauf geht das Gericht am Montag nicht ein. Er habe aber nicht richtig treffen können, weil der Geschädigte seinen Kopf unter einen Sitz gebracht hätte.
Jermaine L. hat einen osteuropäischen Hintergrund. Schulisch ist er eine Niete, im Fußball war er nicht schlecht. Er räumt ein, mehrmals gegen den Kopf des Geschädigten getreten zu haben, so wie man gegen einen Fußball tritt. Drei Mal habe er nach seiner “Erinnerung” getroffen. Außerdem sagt er: “Ich hab ihm eine Faust gegeben, mich dann an den Haltegriffen hochgezogen, ihn getreten und dann in den Schwitzkasten genommen.” Auf eindrückliche Nachfrage der Richterin Brigitte Beck, ob er sich über die Folgen im Klaren sei, was gegen einen Kopf treten bedeute, räumt er ein: “Daran kann jemand sterben.” Auf Nachfrage sagt er: “Ich hab nicht nachgedacht. In der Situation habe ich das so gemacht.”
Die Richter haken nach. Sie wollen wissen, wie der Ablauf war. Jermaine L. sagt:
Ich habe die angesprochen. Die hat mich beleidigt. Verpiss Dich. Geh weg. Dann hab ich die beleidigt. Dann kam der Typ. Da hab ich ein bisschen Politik gemacht. Also geredet. Der hat Stress gemacht. Dann hab ich dem eine gegeben. Dann ein Tritt ins Gesicht, dann hab ich den in den Schwitzkasten genommen.
Später sei er über die Sitze gesprungen und habe gegen den Kopf des Geschädigten getreten. Dessen Kopf sei dann unter dem Sitz gewesen. “Da konnte ich ihn nicht mehr treffen.” Warum er so ausgerastet sei? “Ich hab mich verarscht gefühlt. Ich war sauer.” Weiter gibt er zu:
Auslöser von der Sache war ich.
Straßen”elite”
Taufik M., zur Tatzeit im März 18 Jahre alt, war erst neun Wochen vor der Tat aus einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe entlassen worden. Weswegen er eine solch massive Strafe abbüßen musste, ist noch nicht thematisiert worden. Er soll auf dem Geschädigten gelegen haben. Er selbst sagt zur Sache bislang nicht aus. Auch mit seinen Verteidigern redet er nur das Nötigste.
Immer wieder geht es den Richtern bei Nachfragen darum, ob die anderen zu seinen Gunsten aussagen. Ob sie ihn schonen wollen. Ob sie bedroht worden sind, um gewisse Aussagen zu machen oder eben nicht. Die Rolle von Taufik M. bleibt am Montag weitestgehend unklar.
Gegen Ende der Verhandlung will er Fragen stellen. Der Vorsitzende weißt ihn darauf hin, dass er das nicht darf, sondern sein Verteidiger dies tun müsse. Taufik M. zeigt sich unwirsch und aggressiv, letztlich lässt er seinen Verteidiger Thorsten Schulte-Günne nach einer Pause Fragen stellen.
Taufik M. ist der “Hellste” aus der Gruppe. Er absolviert die Grundschule mit einem guten Abschluss, kommt aufs Gymnasium. In der achten Klasse wird der Aufstieg in die “Bildungselite” jäh beendet, weil er massiv straffällig wird und für drei Jahre und sechs Monate in Haft muss.
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Wie genau die Tat an diesem 11. März ablief, bleibt am zweiten Verhandlungstag unklar – selbst eine “Skizze”, die am Richtertisch gefertigt wird, trägt nicht zur Aufklärung bei. Wer war wo? Wer hat was getan?
Drohen als Standard
Als die Verteidiger am Richtertisch stehen, schaut Taufik M. zu mir rüber und sieht, dass ich ihn anschaue. Er hält den Blick. Daraus wird ein “Battle”. Er verliert. Das wiederholt er noch zwei Mal und verliert wieder, weil er den Blick abwendet. Dann lacht er und zeigt mir den aufrechten Daumen.
“In einer anderen Situation wäre es nicht beim Lachen geblieben”, denke ich mir. Auch ein, zwei Kumpels im Zuschauerraum versuchen sich im Blickbattle mit mir. Gleiches Ergebnis. Die Nachricht geht rum. In den Pausen werde ich genau fixiert. Die Meute macht mir klar, dass man auf mich aufmerksam geworden ist. Die Signale sind eindeutig und lauten: “Was guckst Du? Willst Du Stress?”.
Im Gästeraum bleiben einige der Besucher sitzen, wenn die Richter eintreten. In der zweiten oder dritten Reihe. Sie zeigen dem Gericht, das das nicht sehen kann, dass der Rechtsstaat demonstrativ nicht respektiert wird. Ständig wird getuschelt und gefeixt. Fast alle haben immer wieder ihre Smartphones in der Hand. Die sind hier verboten. Ebenso Essen und Trinken. Trotzdem reichen sie Getränke herum. Erst ein Ordnungsruf macht klar, dass “Batschkappen” abgenommen werden müssen. Für die Bagage im Zuschauerraum ist der Prozess ein Witz. Gute Unterhaltung. Unterschichten-TV live und “fer umme”.
Klare Beweislage?
Jermaine L. bestreitet ebenso wie andere, dass man von den Sitzen auf den Kopf des Geschädigten gesprungen sei. Das ist ein entscheidendes Detail – denn hier geht es um die Frage, ist die Tathandlung noch gefährliche Körperverletzung oder schon versuchte Tötung? Im Strafmaß geht es um bis zu drei Jahre oder mehr – das wird das Gericht zu klären haben.
Jermaine L. führt aus, er habe bei der Körperverletzung in der S-Bahn dazwischen gegen wollen: “Hat halt nicht geklappt.” Beim Raub war er dabei: “Ich hab nur die E-Shisha genommen.” Was beim Raub in der Toilette genau passiert ist, bleibt unklar.
Angeblich hat Eyyüpcan P. das Opfer festgehalten und Furkan D. es durchsucht. Dabei soll auch die Hose des Opfers heruntergezogen worden sein. Weil die Angeklagten Drogen suchten. Hier war möglicherweise Özcan K. beteiligt.
Wir haben ein Video,
sagt der Vorsitzende Dr. Bock. Ein Hinweis, der den lückenhaften Erinnerungen auf die Sprünge helfen soll. Die Angeklagten nehmend das mit ausdruckslosen Mienen zur Kenntnis. Insbesondere Özcan K. gähnt immer wieder ausgiebig – offenbar ist das Geschehen im Gerichtssaal für ihn extrem ermüdend. Er hat auch häufiger Verständnisprobleme. Richter Dr. Bock sagt: “Hier bestimmt nicht der Schnellste, sondern oft der Langsamste den Ablauf.”
Jermaine L. sagt auf Fragen der Richter immer wieder: “Ich kann mich nicht erinnern, ich war betrunken.” Irgendwann fragt Dr. Bock, der insgesamt eine sehr gelassene und konzentrierte Verhandlungsführung zeigt, deutlich ungeduldig: “Was stimmt jetzt?” Darauf gibt es keine befriedigende Antwort.
Die Fragen der Richter springen ständig zwischen den Taten in der S-Bahn und der OEG hin und her. Zur OEG wird Jermaine L. gefragt: “Warum haben Sie nicht aufgehört?” Die Antwort: “Ich weiß es nicht.”
Nix wissen, nix hören, nix sagen
Eyyüpcan P. wird gefragt, ob es zutreffend sei, dass er ein “Täter-Opfer-Ausgleich”-Gespräch hatte. Er bejaht. Wann, weiß er nicht mehr. Mitte August, informiert das Gericht. Herr P. sagt, dass er sich entschuldigt hat:
Das wird nicht wieder vorkommen.
Am 12. September, also nur einen Monat nach “nicht wieder vorkommen”, kommt er nach einer schweren Straftat in Untersuchungshaft. Die Art der Straftat ist der Redaktion bekannt – die Ermittlungsbehörden bitten aber aus ermittlungstaktischen Gründen, diese noch nicht zu nennen.
Der Prozesstag am Montag hatte viele Wendungen und war eher verwirrend. Wie auch Fragen zum Geschehen nach der Tat. Offenbar gab es noch am Abend der Tat in der OEG einen Kontakt zwischen dem Bruder des Geschädigten und den Angeklagten. Dieser soll drei Forderungen gestellt haben: 15.-20.000 Euro “Schmerzensgeld” oder eine Strafanzeige oder die Entsendung von drei “der Besten”, um die Sache mit den Fäusten zu regeln.
Schläger-Logik
Die behördlichen Ermittlungen haben diese drei Varianten dann erledigt. Sehr interessant war die Frage der Richter, ob man sich denn auch auf die Faustregel einlassen hätte. Furkan D. antwortete mit ausdruckslosem Gesicht aus seiner Sicht logisch erstaunt:
Wenn der große Bruder schon Schläge bekommen hat, was soll ich dann noch mit dem kleinen?
Die Frage, wie der kleine Bruder die Bubi-Schläger noch am Tatabend (oder später) identifizieren und kontaktieren konnte, wurde vor Gericht nicht gestellt. Auch nicht, inwieweit die “Angebote” nicht genau das Thema sind, was man als “Paralleljustiz” bezeichnet.
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Ebenfalls interessant zur Einordnung dieser Hauptverhandlung. Am Montagmorgen kam es fast zu einer Schlägerei innerhalb der “Fan-Gruppe”. Tatsächlich kam es zu einem Raubdelikt vor dem Landgericht. Irgendjemand hat irgendjemanden “abgezogen”. Der erstattete Anzeige, woraufhin es zum Einsatz von rund einem Dutzend Polizeibeamten kam, die im Landgericht dann eine Personenkontrolle durchgeführt und den mutmaßlichen Täter vorläufig festgenommen haben. Nach erkennungsdienstlicher Behandlung kam der wieder frei – und sitzt möglicherweise im Zuschauerraum. Feixend ob des großen Kinos für null Euro Eintritt.
Strukturell-kriminelles Milieu
Die Sache ist und bleibt bislang unübersichtlich. Sehr klar ist, dass die Angeklagten zu einem Milieu gehören, dass mehrere Dutzend Mitglieder hat, die auf den deutschen Rechtsstaat einen Scheiß geben. Und zwar sehr bunt und absolut multikulturell.
Ein Polizeibeamter meinte lakonisch: “Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, hat mir mal jemand erzählt. Hier kann man das beobachten.”
Das ist eine abstrakte Ebene, die dem “Pack” vermutlich inhaltlich verborgen bleibt. Die denken, dass sie beobachten, wie sie unter aktivem Verhalten den Rechtsstaat vorführen können. Dass dutzendweise Personalien aufgenommen wurden, dass ich den Amtsstuben Akten angelegt werden, dass Namen und Gesichter zugeordnet werden, übersteigt vermutlich die kognitiven Fähigkeiten der ausrasierten Schädel, die sich breitbeinig demonstrativ selbstbewusst vor dem Gericht präsentieren.
Dem Landgericht Mannheim wird angesichts sehr vieler Bewerber die Arbeit nicht ausgehen. Die Gesichter sind jung. Sie feixen angesichts des Rechtsstaat. Der geht ihnen, um “Asideutsch” zu verwenden, “am Arsch vorbei”. Solange, bis der sie am Arsch packt. Das haben weder die Angeklagten noch die meisten Zuschauer hinreichend verstanden.
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