Mannheim, 17. November 2017. (red/pro) Beim dritten Verhandlungstag am 16. November gegen sechs jugendliche Schläger konkretisieren sich die Tatvorwürfe. Die 7. Strafkammer am Landgericht Mannheim zeigt ein Video, das zwei Straftaten im Februar 2017 in einer S-Bahn dokumentiert. Eine Polizistin sagt aus. Im Gerichtssaal sitzen über 50 Zuschauer, Freude und Familienangehörige der Angeklagten. Rund ein Dutzend Justizangestellte und acht Polizeibeamte schützen den Prozess. Ein Strafverteidiger ruft zur Ordnung. Hier wird ganz großes Kino geboten.
Von Hardy Prothmann
Der dritte Verhandlungstag gegen sechs angeklagte Schläger, die in wechselnder Tatbeteiligung für drei Straftaten vor Gericht stehen, konkretisierte die Tathandlungen für einen Raub mit Körperverletzung und einen weiteren Raub in einer Straßenbahn im Februar 2017.
Respektlose Zuschauer
Nachdem es bereits beim Auftakt am vergangenen Freitag zu „Auffälligkeiten“ im Publikum gekommen war, die am Montag wiederholt wurden, versuchte das Landgericht Mannheim vergeblich, sich Respekt zu verschaffen. Gut ein Dutzend Justizbeamte sowie acht Polizeibeamte nahmen Einlasskontrollen vor. Während der Verhandlung waren immer mindestens sechs Justizbeamte im Raum und ein bis zwei Polizeibeamte. Das hinderte die bis zu 50 Zuschauer nicht daran, mit Feixen und Getuschel fortzufahren. Immerhin werden heute keine Smartphones herausgeholt – wegen der Einlasskontrolle mussten alle diese in den Schließfächern lassen.
Um 14:48 Uhr platzte dem Freiburger Strafverteidiger Thorsten Schulte-Günne der Kragen. Aufgebracht drehte er sich um, fixierte die Menge hinter sich und sagt mit sehr lauter Stimme:
Das hier ist nicht lustig. Hier geht es um ein Strafverfahren mit ernsten Konsequenzen für die Angeklagten. Das ist hier kein Kino.
Das sehen die Zuschauer wohl anders. In den Reihen sitzen mehrheitlich junge Männer. Die meisten mit Migrationshintergrund. „Sportliche“ Kleidung, an den Seiten ausrasierte Schädel, Machogehabe. Dazwischen Frauen, die in ihrem Auftreten eher billig wirken. Die Blicke der allermeisten sind abschätzig verachtend.
Respekt vor dem Gericht gibt es keinen. Ständig wird getuschelt, gelacht, gefeixt. Die Justizbeamten wirken sehr angespannt. Immer wieder werfen sie ernste Blicke ins Publikum, was dort keinen so richtig beeindruckt. Die Meute will demonstrieren, wo der Hammer hängt.
Der Vorsitzende Richter Dr. Joachim Bock schaut überrascht auf und stellt in seiner ruhigen Art fest:
Ich habe den Eindruck, dass es hier an der nötigen Ernsthaftigkeit fehlt. Ihr Verhalten ist alles andere als angemessen und offenbar fehlt es am Bewusstsein, welche Bedeutung diese Verhandlung für die Beschuldigten hat.
Weiter bedankt er sich beim Strafverteidiger und stellt fest, dass man am Richtertisch vermutlich weniger von der Unruhe im Raum wahrnimmt als bei Tischen der Verteidiger in unmittelbarer Nähe zum Zuschauerraum.
Zweifelhafte Aussagen
Anders als am Montag beginnt der Prozess nicht mit einer rund zweistündigen Verspätung, sondern fast pünktlich. Die Angeklagten Filmon N. und Eyyüpcan P. werden befragt.
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Filmon N. befindet sich wie Özcan K. auf freiem Fuß, weil deren Tatbeteiligungen offenbar als nicht so schwer eingestuft werden, wie bei den Hauptangeklagten Furkan D., Jermaine L. und Taufik M., die wegen einer gemeinschaftlichen schweren Körperverletzung in einer OEG-Bahn angeklagt sind. Auch Eyyüpcan P. war eigentlich noch in Freiheit – seit dem Mitte September sitzt auch er in Untersuchungshaft wegen einer weiteren schweren Straftat, die allerdings nicht in diesem Verfahren verhandelt wird.
Filmon N. ist Eritreer, äußerlich ein schmales Bübchen. Auch er soll nach dem in der OEG am Boden liegenden Geschädigten getreten haben. Um seinen Kumpels zu helfen. Fünf gegen einen. Bei der Befragung nuschelt er vor sich hin, ist oft nur schwer zu verstehen. Seine bevorzugten Gesten sind das Hochziehen der Schultern und der nach oben gerichteten Handflächen. Motto: Ich hab doch nicht wirklich was getan.
Eyyüpcan P. hingegen tritt sehr höflich auf und ist der einzige Angeklagte, dessen Äußerungen man deutlich verstehen kann. Auch er ist ein schmales Kerlchen, klein gewachsen. Er räumt seine Tatbeteiligungen beim Angriff auf einen jungen Mann in einer S-Bahn und beim Angriff auf den Geschädigten in einer OEG-Bahn ein. Begründung: Er habe halt dazugehören wollen. Richter Bock kommentiert das trocken:
Das ist ein seltsames Verständnis von „dazugehören“.
Wie zuvor auch andere Angeklagte bestreitet Eyyüpcan P. zunächst bei der polizeilichen Vernehmung gemachte Aussagen – obwohl er wie alle rechtlich belehrt worden ist und das Vernehmungsprotokoll unterschrieben hat. Wie alle anderen auch deren Protokolle.
Sie haben also blind unterschrieben?,
will das Gericht wissen. Schulterzucken. „Ja“, ist die Antwort.
Dieses Spiel kennt man bereits vom Prozesstag am Montag. Da äußerte sich Jermaine L. sehr erregt:
Der Kripo wollte, dass ich gegen den Taufik aussage und hat irgendeine Scheiße da reingeschrieben. Der Kripo macht doch eh, was er will.
Soll Taufik M. geschützt werden?
In der Befragung geht es dem Gericht immer wieder darum, die verschiedenen Aussagen abzugleichen. Insbesondere zum Angeklagten Taufik M., staatenlos, stehen zwei wichtige Fragen im Raum: Wollen die anderen Angeklagten diesen durch relativierende Aussagen schützen? Immerhin saß dieser bereits eine dreieinhalbjährige Strafe ab und muss wieder mit einer hohen Strafe rechnen. Oder ändern die anderen Angeklagten ihre Aussagen, weil sie bedroht werden?
Beides verneinen die fünf Angeklagten. Glaubwürdig ist das nicht.
Ein Mal verplappert sich Eyyüpcan P.. Bei der Befragung gibt er an, er hätte mal früher in einer Vernehmung Namen genannt, dass sei dann nicht gut ausgegangen. Für wen, will das Gericht wissen? Nicht für ihn, sondern für jemanden, den er genannt hätte, antwortet Eyyüpcan P..
Bei der gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung räumt er ein, den Geschädigten mit Faustschlägen an den Kopf traktiert zu haben. Er sei dazugekommen, gestürzt und habe neben dem Geschädigten im Gang gelegen. Weil er von seinen Kumpels Tritte abbekommen habe, habe er um sich geschlagen und dabei den Geschädigten von der Seite getroffen. Dann habe ihn ein weiterer Kumpel hochgezogen und man sei aus der Bahn geflüchtet, als jemand rief, dass „die Bullen kommen“.
Wieder geht es vor Gericht um die Rekonstruktion – wer war wo wie an dem Angriff gegen einen damals 28 Jahre alten Geschädigten in der OEG beteiligt? Lag das Opfer auf dem Rücken oder auf dem Bauch? Welche Rolle hatte Taufik M., der zur Sache schweigt? Das Gericht zeigt eine Skizze der Situation, Eyyüpcan P. erklärt an der Richterbank, wo er sich befunden haben will.
Video zeigt brutales Vorgehen der Angreifer und Erniedrigung des Opfers
Nach der Mittagspause zeigt das Gericht die Videoaufnahmen der zwei Taten vom Februar in der S-Bahn. Der Vorsitzende Richter Dr. Bock erklärt danach, dass solche Videobeweise äußerst hilfreich seien, um Straftaten aufzuklären. Aus der OEG gibt es keine Aufnahmen, weil die Kamera nicht funktionierte:
Möglicherweise ist das kein Vorteil für Sie.
Die Aufnahmen aus der S-Bahn zeigen den Ablauf bei der Körperverletzung sehr eindeutig. Hauptagressor ist zunächst Eyyüpcan P.. Dieser geht plötzlich mit einem Griff an die Kehle des Opfers auf einen jungen Mann los. Unterstützt wird er von Furkan D. und Özcan K.. Alle drei schlagen immer wieder auf ihr Opfer ein. Rund zehn Mal greifen sie an. Der junge Mann versucht anfangs noch, die Angriffe abzuwehren. Irgendwann weint er nur noch und lässt es über sich ergehen. Eine junge Frau versucht ihn zu trösten. Weitere junge Leute schauen dem Geschehen zu. Niemand greift ein.
Bis auf Jermaine L., der anfangs seine aggressiven Kumpels zurückschiebt. Am Montag sagte er dazu:
Ich hab versucht zu schlichten. Hat halt nicht geklappt.
Seine Verteidigerin Susanne Bauknecht hebt das hervor. Das spreche für den Angeklagten. (Anm. d. Red.: Wir sehen das anders, was Sie in einem Kommentar nachlesen können.)
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Die Szenen aus dem Video zeigen, wie das Opfer immer wieder angegangen und gedemütigt wird. Das bestätigt auch die Polizeikommissarin B. in ihrer Aussage nach der Vorführung des Videos:
Zeugen haben in der Befragung angegeben, dass die Täter ihr Opfer gefragt haben: Was ist mit Deiner Ehre? Warum wehrst Du Dich nicht vor Deiner Freundin?
Zuvor sollen sie eine junge Frau „angemacht haben“:
Du häßliche Bitch, was hast Du denn für Zähne?
Die Sprache der Täter sei von Zeugen als „Asideutsch“ bezeichnet worden. Richter Dr. Bock möchte von der Beamtin wissen, was „Asideutsch“ sein soll. „Jugendsprache“, sagt die Beamtin.
Brisante Details
Weiter erfährt man durch die Aussagen der Beamtin, dass es wohl eine kurze verbale Auseinandersetzung vor dem Angriff auf den jungen Mann gegeben hat. Zeugen hätten berichtet, dass das Opfer „Scheiße gelabert“ hätte, weil er betrunken war und unter Drogen stand. Das habe man auch den Angreifern erklärt, damit diese ablassen. Das Gegenteil war der Fall. Beim Stichwort „Drogen“ wird die Schlägerbande aufmerksam und zieht nach dem Angriff auf das erste Opfer einen Begleiter in die Zugtoilette, um diesen auszurauben.
Dabei ziehen sie dem zweiten Opfer auch die Hose runter – oder fordern es auf, diese selbst herunterzulassen. Genau lässt sich das nicht aus den Aussagen rekonstruieren – das Geschehen in der Toilette sieht man nur von außen. Furkan D. soll das Opfer durchsucht haben, während Özcan K. es von hinten festgehalten haben soll. Jermaine L. soll die E-Shisha an sich genommen haben, die die Räuber auf dem Toilettentisch abgelegt hatten. Mit vor Ort ist auch Filmon N.. Taufik M. ist an diesen Taten nicht beteiligt.
Der Vorsitzende Richter Dr. Bock befragt die Beamtin zum Ablauf der Ermittlungen und zur Vernehmung der Zeugen. Dabei wird der Ablauf der Ermittlungen rekonstruiert. Zunächst habe man nur ein Video der Bundespolizei gehabt. Das Video aus der S-Bahn stand nicht zur Verfügung, weil der Datenträger beschädigt war. Später konnte man dieses rekonstruieren. Nach und nach konnten dann die Tatbeteiligten ermittelt werden.
Zunächst war Eyyüpcan P. noch in der Tatnacht nach den Straftaten in der S-Bahn festgenommen worden. Vor allem seine Angaben seien „hilfreich“ gewesen, um die anderen Täter zu ermitteln. Später habe er dann keine Angaben mehr zu den Mittätern gemacht.
Bemerkenswert ist vor allem eine Aussage, die Richter Dr. Bock aus dem Ermittlungsbericht der Beamtin zitiert. Dabei geht es um den Zustand des ersten Opfers, zu dem einer der Täter gesagt haben soll:
Was besäuft der sich auch so? Wir trinken immer nur soviel, dass wir auch wissen, was wir machen.
Damit sind frühere Erklärungen, man sei zu betrunken und bekifft gewesen, um sich zu erinnern, mehr als fraglich. Insbesondere zur Tat in der OEG hatten einige der Angeklagten, insbesondere Jermaine L. immer wieder betont, dass sie zu viel getrunken hätten. Man habe sich Orangensaft gekauft, die Hälfte ausgeleert und mit Wodka aufgefüllt. Angeblich habe man so viel getrunken, dass nur noch ein Viertelliter in der Flasche war. Verteilt auf mehrere Personen und dem Prinzip, sich nur „anzusaufen“ wird die angebliche erhebliche Alkoholisierung unglaubwürdig.
Ein zweites Video von einem Bahnsteig am Hauptbahnhof Mannheim soll gezeigt werden, lässt sich aber im Gerichtssaal aus technischen Grünen nicht abspielen. Richter Dr. Bock fasst den Inhalt zusammen. Hier erkennt man, wie die Täter die S-Bahn verlassen. Furkan D. habe sich von der Gruppe getrennt und sei weggerannt. Dieser will sich daran nicht erinnern. Er sagt, er habe sich von der Gruppe getrennt, weil er nicht auffallen wollte. Die Polizei würde eher Gruppen kontrollieren. Das gestohlene Handy konnte später bei seiner Festnahme infolge einer Wohnungsdurchsuchung gefunden werden.
In der weiteren Befragung gibt die Polizeibeamtin an, dass Zeugen angegeben hatten, dass Taufik M. bei der Tat in der OEG den größten Tatbeitrag geleistet hätte.
Der nächste Prozesstag findet am 21. November, 9:00 Uhr statt. Dann sollen Berichte zum Verhalten der Angeklagten aus den Justizvollzugsanstalten bekannt gemacht werden. Außerdem werden weitere Zeugen gehört.