Mannheim, 29. März 2018. (red/pro) Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Mannheim erließ das Amtsgericht Mannheim Haftbefehle gegen einen 17-jährigen und 19-jährigen Deutschen (beide Migrationshintergrund) sowie gegen einen 18-Jährigen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Das Trio ist tatverdächtig, mit vorgehaltenen Waffen zwei Pizzaboten überfallen zu haben. Der 17-Jährige soll zudem beim Angriff auf eine Weihnachtsstreife beteiligt gewesen sein. Das Trio gehört nach unseren Informationen mutmaßlich zu einer Jugendbande im Mannheimer Norden.
Von Hardy Prothmann
Die Beschuldigten stehen laut Staatsanwaltschaft Mannheim „im dringenden Verdacht des gemeinschaftlichen besonders schweren Raubes in zwei Fällen zum Nachteil von zwei Pizzaboten.“
Am Donnerstag, 25. Januar 2018 soll der 19-Jährige bei einem Pizzaservice angerufen und eine Bestellung in den Stadtteil Mannheim-Schönau geordert haben. Zwei Pizzaboten, ein 34-Jähriger und ein 41-Jähriger, fuhren gegen 01.30 Uhr zur Auslieferadresse.
Vor Ort soll der 34-Jährige vor dem Anwesen von den nunmehr Beschuldigten und weiteren drei bis vier Tätern erwartet worden.
Mindestens zwei der Tatverdächtigen sollen Schusswaffen vorgehalten und damit den Mann bedroht haben. Laut Staatsanwaltschaft sei der Geschädigte aufgefordert worden, die Hände zu heben und sich abzuwenden, „andernfalls würde er geschlagen oder erschossen werden.“
Einer der Täter habe daraufhin die Geldbörse des Pizzaboten entwendet – mitsamt des Bargelds „im Wert von rund 800 Euro“. Der andere Pizzabote (41) soll zu seinem Arbeitskollegen geeilt sein – daraufhin soll ihm die Täter die Schusswaffe gegen seinen Kopf und gegen die Brust gehalten haben. Auch sei bedroht worden und aufgefordert sein Geld herauszugeben. Einer der Täter soll dem 41-Jährigen die Geldbörse mit etwa 280 Euro Bargeld und sein Mobiltelefon entwendet haben. Und ebenso die Thermobox mit der Pizzalieferung. Danach gingen die Täter laut Staatsanwaltschaft flüchtig.
Umfangreiche Ermittlungen des Kriminalkommissariats Mannheim führten am 22. März 2018 zu acht Durchsuchungsbeschlüssen. Die gegen die drei Beschuldigten erwirkten Haftbefehle vollstreckt wurden. Weitere vier Beschuldigte wurden laut Staatsanwaltschaft nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen auf freien Fuß gesetzt. Diese Maßnahmen wurden von Einsatzkräften der Polizei Mannheim und Unterstützungskräften des Polizeipräsidiums Einsatz durchgeführt.
Alle Beschuldigten gehören laut Staatsanwaltschaft und Polizei offenbar einer Gruppierung an, die sich selbst „Classics“ nenne. In wie fern Mitglieder dieser Gruppierung auch an anderen Straftaten beteiligt sind oder waren, bedürfe weiterer Ermittlungen des Kriminalkommissariats Mannheim.
Nach unseren Informationen deutet viel darauf hin, dass die Tatverdächtigen zum Umfeld der „OEG-Schläger“ gehören. Im Dezember waren sechs Heranwachsende (zwei Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund, zwei Türken, ein Somli und ein Staatenloser (Eltern Algerien/Libanon)), die im Frühjahr 2017 in einer OEG-Bahn einen Mann gemeinsam massiv angegriffen hatten, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
Der Prozess war teils von gut 50 Zuschauern verfolgt worden, in der Mehrheit junge und teils sehr aggressive Männer aller Nationen. Die Polizei musste letztlich mit starken Kräften den Prozessverlauf schützen. Einmal kam es fast zu einer Gefangenenbefreiung.
Dasselbe Schema nun wieder: Als die beschuldigten 17-, 18- und 19-Jährigen auf Antrag der Staatsanwaltschaft Mannheim am 22. März 2018 dem Haftrichter des Amtsgerichts Mannheim vorgeführt wurden, erschienen laut Behörden rund zehn Personen, die nach Einschätzung der Behörden zur Gang „Classics“ gehörten und versucht haben sollen, den Ablauf der Haftvorführung zu stören. Zwei Personen hätten die ausgesprochenen Platzverweise nicht befolgt und kurzzeitig in Gewahrsam genommen worden.
Die Haftbefehle wegen „gemeinschaftlichen besonders schweren Raubes in zwei Fällen, gegen den 17-jährigen Jugendlichen zudem wegen tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung vom 14. Dezember 2017“.
Die drei Beschuldigten wurden in verschiedene Justizvollzugsanstalten eingeliefert.
Nach unseren Informationen handelt es ich bei den Heranwachsenden um eine neuartige Jugendgang, die nur lose und in wechselnden Konstellationen verknüpft ist. Ihr gehören Heranwachsende aus zahlreichen Nationen an. Die meisten kommen aus dem Mannheimer Norden, hier Schönau und Sandhofen, aber auch aus umliegenden Gemeinden wie Ludwigshafen oder Viernheim. Zentrale Themen sind „cool zu sein“, Drogen, Gewalt und ein klares Bekenntnis gegen die Gesellschaft, insbesondere „Bullen“.
Welches Gewaltpotenzial die Heranwachsenden entwickeln, konnte man im Fall der schweren Körperverletzung zum Nachteil eines damals 28-Jährigen und an dem Angriff auf die „Weihnachtsstreife“ erkennen – zwei Beamte waren beleidigt worden, wollten eine Personenkontrolle vornehmen und wurden dann massiv angegriffen. Der Vorfall löste einen Großeinsatz der Polizei, Beamte wurden dabei verletzt.
Auch die CDU Mannheim hatte uns auf „wir haben gehört, es gibt da so eine Jugendbande“ aufmerksam gemacht. Wir haben die Hinweisgeber darauf aufmerksam gemacht, dass wir schon länger in der Sache recherchieren und noch nicht berichtet hatten, um die Ermittlungsarbeit der Polizei nicht zu stören.
Offenbar ist noch eine Person flüchtig, gegen weitere wird ermittelt. Die beiden Waffen scheinen nicht gefunden worden zu sein, zumindest erhielten wir dazu keine Auskunft.
Hintergrund zur Transparenz:
Für professionelle Journalisten gibt es den Quellenschutz, ähnlich wie Ärzte oder Anwälte, können sie Informationen zu „Quellen“ verweigern, sogar vor Gericht. Der Quellenschutz ist uns heilig – wir verzichten lieber auf eine Story, als eine Quelle einer Gefahr auszusetzen. Wir schützen keine Verbrecher – wer erhebliche Straftaten begangen hat, kann sich zwar mit uns in Verbindung setzen, einen Schutz bieten wir abhängig von der Schwere der Straftat nur bedingt oder nicht.
Im vorliegenden Fall wie in der Vergangenheit schon sehr häufig, hatten wir umfassende Informationen zur Sache, die wir der Polizei in Teilen übermittelt haben. Die wusste dadurch, dass wir an der Story mit validen Informationen dran sind. Auf unsere Frage, ob eine Veröffentlichung hinderlich für die Ermittlungsarbeit wäre, erhielten wir zur Antwort, dass dies der Fall sein könnte, weswegen man bitte, von einer Berichterstattung zu diesem Zeitpunkt abzusehen. Die Polizei kann nur die Bitte äußern, verbieten kann sie das nicht, entscheiden müssen wir.
Wir wägen immer die ordentliche Unterrichtung der Öffentlichkeit gegen mögliche Folgen ab – hier eine mögliche Behinderung einer polizeilichen Ermittlung zu heranwachsenden Kriminellen, die wir als gefährlich erachten. Weil wir den Ermittlungserfolg höher bewertet haben als eine frühzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit, haben wir nicht berichtet. Das hat nichts mit Lügen- oder Lückenpresse zu tun, sondern mit Achtung des Rechtsstaats, vernünftiger Güterabwägung und auch staatsbürgerlicher Haltung. Nachdem es nun einen Ermittlungserfolg gab, haben wir die Pressemitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei mit weiteren Informationen ergänzt. Es wird zwar weiter ermittelt, durch die Haftbefehle war aber eine Unterrichtung der Öffentlichkeit gegeben.