Mannheim/Rhein-Neckar, 05. Dezember 2017. (red/pro) Am Montag kam es beim Prozess gegen sechs Heranwachsende im Landgericht Mannheim zu tumultartigen Szenen. Der Vorsitzende Richter Dr. Joachim Bock verlor dabei fast die Contenance. Herrisch wies er den Saal zurecht und kündigte außergewöhnliche Maßnahmen an. Die werden folgen müssen, weil sein Ordnungsruf verhallt, wenn er nicht mit allen gebotenen Mitteln durchgreift.
Von Hardy Prothmann
Bislang konnte ich mir nicht vorstellen, solche Sätze schreiben zu müssen: Dr. Joachim Bock, Vorsitzender Richter am Landgericht Mannheim, tut mir leid. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.
Der Mann ist unabhängiger Richter. Konzentriert. Ausgeglichen. Souverän in der Verhandlungsleitung. Aber konfrontiert mit dem Ende des gebührlichen Respekts. Ich kannte ihn bislang telefonisch als Pressesprecher des Landgerichts. Der Kontakt war immer einwandfrei professionell.
Am Montag ist ihm, salopp gesagt, die Hutschnur geplatzt:
Ich glaube, Ihnen geht es zu gut. Sie zeigen ja nicht das geringste Benehmen und haben überhaupt keinen Anstand. Reißen Sie sich zusammen.
„Verdammt noch mal“, sagt er nicht. Aber ich höre den Satz innerlich.
Systematischer Konflikt
Ich sitze in der zweiten Reihe. Die erste Reihe ist leer, die zweite ist für Medienvertreter, die dritte Reihe ist gesperrt und dahinter sitzt ein überwiegend asozialer Mob.
Junge Frauen, die überwiegend billig aufgemacht sind. Junge Männer, die sehr viel Wert auf Haarpflege legen, Jogging-Anzüge bevorzugen und sich vorzugsweise in breitbeinigem Imponiergehabe ergehen. Frauen in Kopftüchern, Männer mit finsteren Blicken. Es geht quer durch das multikulturelle, bunte Spektrum der Zuwanderergesellschaft. Deutsche, Türken, Araber, Schwarzafrikaner, Osteuropa, Balkan.
Interessant ist, dass dieses Publikum weder zur Arbeit muss, noch in die Schule, noch zur Ausbildung. Man hat Zeit, bereits am Vormittag über Stunden Stress in einem Gerichtssaal zu machen.
Wenn jemand jemals Vorurteile über eine Parallelgesellschaft würde abräumen wollen, hier ist der Jackpot versammelt.
Viele der jungen Männer betreten den Saal und tragen demonstrativ Kappen, Mützen oder haben den Hoodie auf. Sie zeigen demonstrativ keinen Respekt, sondern eine „Fick Dich“-Allüre. Smartphones gehen nicht mehr, im Gegensatz zu den ersten Verhandlungstagen kommt man damit nicht mehr durch die Sicherheitskontrolle. Dafür wird, wie es jedem passt, geredet und diskutiert.
Für mich als Reporter ist es schwer, der Verhandlung zu folgen, weil die Geräuschkulisse hinter mir hoch ist und die Zeugen oft nicht richtig ins Mikro sprechen und wenn, die Sprache eher genuscheltes Deutsch ist.
Der „Appell“ des Richters geht mehrfach in Richtung „Publikum“ im Besucherraum des Gerichtssaals, was ganz überwiegend ein asozialer Mob ist. Mehrmals. Unerhört, weil nicht verstanden. Und damit meine ich nicht unbedingt die Akustik.
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Der Vorsitzende Richter äußert sich artikuliert. Mit klaren Worten. Mit einer eindeutigen Haltung. Das Problem: Im Publikum verstehen einige vermutlich die Worte nicht. Andere vielleicht schon. Den Sinn verstehen fast alle nicht. Und wenn, geben sie einen Scheiß drauf.
Kurze Zeit später kommt es zu tumultartigen Szenen. Das Opfer der Schlägerbande sagt heute aus, wird in der Pause nach eigenen Angaben bedroht. Es kommt zu wechselseitigen Vorwürfen zwischen Opfer und Angeklagten.
Personen im Besucherraum stehen auf. „Ich fick Dich“, „Du Hurensohn“ kreischt es durch den Gerichtssaal. Junge, aggressive Männer beschimpfen sich.
Auch einige der Angeklagten reißt es von den Stühlen, Eyyüpcan P. meint: „Beleidige meine Schwester, dann…“ der Rest geht unter. Acht Polizeibeamte gehen in Stellung, Justizbeamte sichern die Seiten, einer geht in die Reihen und gefährdet sich selbst – wenn es jetzt abgeht, ist er mittendrin und alleine. Ich mache wir kurzzeitig richtig Sorgen um den Beamten, den ich aus vielen Verhandlungen kenne, der sehr konsequent, aber auch sehr freundlich ist und dessen Vorstoß böse enden könnte.
Der Saal ist von einer auf die andere Sekunde so aufgekocht, dass Übergriffe in Sekundenbruchteilen zu erwarten sind. „Fotze“, „Pussy“, „Hurensohn“, „Ich zeigs Dir“ gellen durch den Raum. Die Aggression ist greifbar. Von jetzt auf gleich kann es abgehen – vermutlich so, wie damals in der Straßenbahn, als die Meute über einen herfiel, der sich gegen den Mob gewandt hat.
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Aber damals war der Raum eine Straßenbahn. Heute findet eine Gerichtsverhandlung darüber statt, was damals passiert ist.
Sie sind jetzt alle ruhig, sonst setze ich bei der nächsten Verhandlung auf jeden zweiten Platz einen Polizeibeamten. Und zwar solche, da wundern Sie sich, wie schnell die reagieren und Sie ruckzuck draußen sind. Und Sie müssen sich nicht wundern. Dann dürfen Sie sich nicht beschweren, wenn es richtig weh tut. Haben Sie das verstanden?
Es dauert etwas, bis die Personen im Saal verstanden haben, was Dr. Bock ankündigt. „Fick dich“ und weitere Beschimpfungen hallen durch den Raum. Herr Dr. Bock, mittlerweile richtig konsterniert, sagt ins Mikrophon:
Wir wollen hier eine sachliche Atmosphäre. Ich danke den Polizei- und Justizbeamten, die hier noch sehr freundlich auftreten und das sehr gut machen. Das kann sich aber alles ändern. Wenn Sie hier weiter dabei sein wollen, müssen Sie das verstehen, sonst sind sie schneller draußen als Sie gucken können.
Ganz ehrlich? Ich habe Mitleid mit Dr. Bock. Und das gefällt mir gar nicht.
Irgendetwas läuft schief in diesem Land, wenn ich anfange, für Richter „Mitleid“ zu empfinden.
Perspektivenwechsel
Ich stelle mir den Richter Dr. Bock in einer Straßenbahn vor. Dort, wo er nicht Vorsitzender ist. Welche Möglichkeiten hätte Dr. Bock gehabt, damals in der Straßenbahn, als die angeklagten Schläger über ihr Opfer herfielen? Die Ankündigung, künftig jeden zweiten Platz mit einem Polizeibeamten zu besetzen, damit endlich mal Ruhe herrscht? Klingt absurd, ist absurd.
Der Vorsitzende Richter sitzt hinter seiner Bank. In gebührlichem Abstand zum „Publikum“. Teile der jungen Männer „nehmen Kontakt zu mir auf“. Sie wissen, dass ich sie als asozialen Mob sehe und beschreibe, ich weiß, dass sie mir zeigen wollen, wo der Hammer hängt.
Im Gegensatz zu Dr. Bock kann ich keine Polizeibeamten als Ordnungsmaßnahme ankündigen. Ich werde auch bedroht, so wie das Opfer und Zeugen und ich bin da draußen alleine. Teile der Anwesenden signalisieren eindeutig: „Ich habe Dich im Blick.“
Darüber habe ich Herrn Dr. Bock schon nach vergangenen Prozesstagen informiert.
Als das Opfer Mehmet E. nach der Pause von „Bedrohungen“ berichtet und als Zeuge vernommen wird, wird nachgefragt, wie konkret die Bedrohungen denn waren.
Das wirkt wie eine Farce. „Du wirst das später schon sehen“, klingt abstrakt. Die Bedrohung ist real.
Sie ist im Gerichtssaal real, sie ist im Gerichtsgebäude real, sie ist vor dem Gebäude real.
„Du wirst schon sehen“, ist nicht substantiiert. Klar wird jeder später irgendwas sehen.
Auch, „was guckst Du?“, ist erstmal keine strafbare Aussage.
Herr Dr. Bock macht Notizen. Er versteht noch nicht, dass alle, das Opfer, die Zeugen, die Berichterstatter und möglicherweise auch die Richter ganz konkret und unverhohlen bedroht werden.
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Wer sich in diesen Gerichtssaal begibt und es wagt, Augenkontakt zu Personen aus dem Mob aufzunehmen, erfährt die Dimension von „was guckst Du“. Sofort geht es um die „Ehre“, sofort wird signalisiert, dass es nicht um einen Dialog geht. Sofort wird klar gemacht, dass es nur darum geht, wer wen fickt.
Es ist kein Wunder, wenn ein Dr. Bock, ein kultivierter, erfahrender Richter am Rande des Nervenzusammenbruchs zu sein scheint. Seine Möglichkeiten sind endlich. Und natürlich ist er nur für seinen Gerichtssaal verantwortlich, wo er den Vorsitz führt. Draußen vor der Tür hat er keinen Vorsitz.
Er kann auch auf jeden Platz einen Polizeibeamten setzen, damit der Mob draußen bleibt. Draußen regiert der Mob weiter. Ohne Respekt. Ohne Anstand. Ohne Sinn. Ohne Verstand.
Was Herr Dr. Bock nicht realisiert, was die Jugendgerichtshilfe nicht realisiert, was die Gesellschaft nicht realisiert ist, dass man es nicht mit hochkriminellen Verbrechern zu tun hat, aber mit einer hochaggressiven Parallelgesellschaft, die, sofern sie sich konfrontiert fühlt, jede gesellschaftliche Ordnung mit „Fick dich“ ad absurdum führt.
Der Rechtsstaat am Rande des Nervenzusammenbruchs
Dieser Prozess gegen heranwachsende Straftäter muss massiv beschützt werden. Wie entwickelt sich das weiter, wenn es keinen Respekt mehr vor der Rechtsstaatlichkeit gibt? Wenn der Mob drauf und dran ist, den Gerichtssaal zu übernehmen? Ok, der Richter kann einschreiten, Justiz- und Polizeibeamte sorgen für „Ordnung“.
„Mannheim sagt Ja“ könnte auch das Gerichtsgebäude in ein Kulturzentrum der Begegnung verwandeln, mit Grill- und Schminkständen. Und „Who am I“ den Gerichtssaal zum Rap-Workshop machen – die Lyrik ist gegeben.
Warum denn nicht? Die Grünen und Teile der SPD ließen sich bestimmt für ein derart neues Konzept gewinnen.
Ende des Sarkasmus.
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Schon außerhalb des Gerichtssaals, im Gerichtsgebäude kommt es zu Auseinandersetzungen und vor dem Gerichtsgebäude geht es weiter. Auch in den Straßenbahnen, bis zum nächsten Wiedersehen.
Wie verhalten sich Asoziale, die selbst im Gericht keinen Respekt zeigen, dann da „draußen“?
Die Frage ist nicht offen, sondern beantwortet. Sie verhalten sich asozial.
Darüber, wenn dieses Verhalten eskaliert, wird gerade vor Gericht verhandelt. Rechtsstaatlich. Das heißt, die Schuld muss bewiesen werden.
Doch das wird schwer, weil vermutlich alle lügen.
Keiner von denen, die Ehre einfordern, hat auch nur einen Funken Ehre im Leib.
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Damit sind nicht nur die Angeklagten gemeint, sondern auch die jeweiligen Unterstützer im Zuschauerraum.
Bei diesem Prozess geht es um konkrete Anklagepunkte, vor allem Raub und schwere Körperverletzung, vielleicht sogar versuchter Totschlag.
Tatsächlich zeigt dieser Prozess für den Großraum Mannheim auf, wie konzentriert asoziale Elemente bereit sind, den öffentlichen Raum zu übernehmen. Nicht nur in der Straßenbahn, sondern auch im Gerichtssaal.
Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass bei anderen Prozessen, bei denen es um Streitigkeiten aller Art geht, es über 50 Personen im Raum gibt, die vor Aggressivität nur so strotzen, sich gegenseitig beleidigen und klar machen, dass sie zu unmittelbarer Gewalt bereit sind.
Interessant ist, dass unsere Recherchen einige Verbindungen von Mob-Mitgliedern zu Einrichtungen der Integration von Flüchtlingen und Ausländern ergeben. Staatlich gefördert und teils prämiert. Das kann spannend werden.
Aktuell wird spannend sein, wie Richter Dr. Bock den Prozesstag am Donnerstag organisiert? Macht er seine Ankündigung wahr oder lässt er sich weiter erniedrigen?
Denn nur das hat der Mob im Sinn – anderen zu zeigen, dass er auf sie scheißt.
Der Vorsitzende Richter Dr. Joachim Bock muss lernen, dass er einer öffentlichen Gesellschaft vorsitzt, die auf ihn und den Rechtsstaat nur einen Scheiß gibt und möglicherweise erst dann zur Räson kommt, wenn der erfahrene Schmerz größer ist als der angenommene.
Ich gehe davon aus, dass Herr Dr. Bock die Kontrolle behält. Zur Not mit staatlicher Gewalt. Auch schmerzhafter.
Hinweis: Die Zitate sind kein wörtliches Protokoll, geben aber zutreffend den Inhalt des Gesagten als Zusammenfassung wieder.
Hinweis: Unsere Überschrift ist eine Zuspitzung, die keinerlei Hinweis auf die persönliche Verfassung des Vorsitzenden Richters Dr. Joachim Bock impliziert, sondern nur die Stimmung im Gerichtssaal wiedergibt. Und die Nerven lagen blank.
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