Rhein-Neckar, 05. Dezember 2017. (red(pro) In Zeiten der Lügenpresse-Vorwürfe tut Wahrheit mal ganz gut. Die Wahrheit ist, dass Journalismus an allen Ecken und Enden an Grenzen stößt. Das Rheinneckarblog ist seit Jahren Vorreiter für einen kritischen Journalismus. Die kritische Betrachtung über Innenverhältnisse gehört dazu.
Von Hardy Prothmann
Ich fange diesen Text um genau 5:40 Uhr an. Warum? Weil ich gerade einen Text fertig gestellt habe, den ich seit etwa 01:00 Uhr nachts geschrieben habe: “Ein Richter am Rande des Nervenzusammenbruchs“.
Solche Arbeitszeiten sind für mich nichts Ungewöhnliches. Wenn ungewöhnliche Ereignisse passieren, müssen nicht nur Feuerwehrleute in den Einsatz, sondern auch Reporter. Wenn viele wichtige Ereignisse zusammenfallen, wie Gerichtsprozesse oder morgen eine Sondersitzung des Gemeinderats, dann gibt es keinen “nine-to-five”-Job, keine geregelten Arbeitszeiten.
Ich mache diesen Job seit Jahren und mit viel Freude. Aber er geht auf die Knochen – immer härter.
Am Montag begann mein Arbeitstag um 5:30 Uhr. Ich bin aufgestanden und habe den Text zu Toxicator geschrieben. Aus Polizeikreisen habe ich sehr viel Rückmeldung erhalten. Vielen Dank für meine kenntnisreiche Berichterstattung teilten mir Polizeibeamte mit. Es gingen Paypal-Zahlungen ein. Das freut, hat aber nicht ansatzweise die Arbeitskosten gedeckt.
Ab 9:00 Uhr stand der Prozess gegen jugendliche Schläger vor dem Landgericht Mannheim auf dem Programm. Um 10 Uhr war ich vor Gericht, gerade rechtzeitig, denn wie in der Vergangenheit auch, hat der Gericht verspätet begonnen.
Um 15 Uhr war ich in einem Hintergrundgespräch mit den Geschäftsführern des Klinikums. Ganz ehrlich? Es könnte mich freuen, dass vor allem unsere Berichte dieses Gespräch “notwendig” machten. Es waren zwar auch je ein Reporter vom MM und RNF anwesend, aber die hatten keine Ahnung, waren nicht im Thema. 90 Prozent des Gesprächs gingen zwischen mir und den Geschäftsführern.
Darauf könnte ich mir jetzt was einbilden. Sie können das jetzt für arrogant halten oder meinen, ich wollte jemanden “beschädigen”. Ich bin weder arrogant, noch habe ich ein Interesse daran, jemanden zu beschädigen. Ich berichte, was ist. Ich bin für mangelhafte Vorbereitung von anderen nicht verantwortlich.
Die beiden Kollegen waren auch nicht ansatzweise durch Recherche tatsächlich im Thema. Und ich war auch nicht optimal vorbereitet, weil der Swing zwischen eben noch Schlägerprozess und jetzt Krankenhausfinanzen nicht eben derselbe Themenkreis ist. Ich hatte im Vorfeld berichtet und mich stundenlang mit den Bilanzen beschäftigt, daraus ergaben sich Fragen, die habe ich gestellt und über die Antworten werde ich berichten. Aber wann? Jetzt? Am frühen Morgen? Das schaffe ich nicht mehr verständig und mit einem soliden Bericht.
Zum Vergleich: Bei der Stadt Mannheim arbeiten sehr viele Pressesprecher, bei der Polizei ebenso, beim Klinikum ebenso. Unsere kleine Redaktion ist in Summe mit Hunderten hauptamtlichen Pressesprechern konfrontiert, die ihre Lobby vertreten, die wir in Frage stellen.
Wir wollen gar nicht von “Kampf” reden, weil das gar kein Kampf sein muss. Aber die Chancen sind so ungerecht verteilt, wie sie ungerechter nicht sein könnten.
Heute ist eine Sondersitzung des Gemeinderats. Ich könnte jetzt noch irgendeinen Aufreger zusammenzimmern. Hauptsache Schlagzeile. Das ist aber überhaupt nicht mein Verständnis von Journalismus. Zumindest nicht von Journalismus, den ich verantworten kann.
Wenn Sie eine Schlagzeile haben wollen, die ich verantworten kann, dann die folgende: Die Universitätsmedizin Mannheim ist ohne erhebliche Zuschüsse der Stadt Mannheim insolvent. Diese Schlagzeile mag ich aber nicht veröffentlichen, weil sie zu wenig den Gesamtkomplex erklärt.
Die andere Schlagzeile ist: Das Rheinneckarblog ist seit Jahren in erheblichen Schwierigkeiten. Der Hintergrund: Wir mussten uns einen Platz in einem Markt erkämpfen, der von Umbrüchen gezeichnet ist.
Wir sind mit den Steuererklärungen im Verzug, die Rentenkasse fordert Nachzahlungen, es drohen Bescheide und eigentlich müssen wir Buchhaltung machen und haben eigentlich weder Zeit für Schläger noch für Finanzprobleme des Klinikums, sondern müssten uns dringend um die eigene Bürokratie kümmern. Niemand gibt uns einen Cash-Pool oder gleicht sonstwie aus. Und wenn wir im Verzug sind, kostet das.
Gleichzeitig müssen wir Vertragsverlängerungen mit unseren Kunden versenden, was auch klemmt.
Wir, also ich als Chef und meine Mitarbeiter, sind auch am Rande des Nervenzusammenbruchs, weil die Herausforderungen einfach übermenschlich sind.
Auch hier bin ich gnadenlos ehrlicher als viele andere in der Branche.
Das hat sehr viel mit Erwartungen zu tun. Den eigenen und denen von anderen.
Wir haben uns eine Stellung erobert. Mit viel Kraft, auch mit viel Kampf, auch mit erheblichen Mitteln. Wie beispielsweise in der Auseinandersetzung mit dem Großverlag Mannheimer Morgen, der uns kaputt klagen wollte und verloren hat. Wir haben vollumfänglich gewonnen – aber der Erfolg hat enorm viel Energie gekostet und irgendwie trotzdem kaputt gemacht. Die Angst, vor dem Aus zu stehen, lag monatelang in den Knochen. Und das wirkt nach.
Das zehrt unendlich an Kraft. Sie können sich das nicht vorstellen, wenn Sie das nicht selbst erlebt haben. Dabei bleiben andere Dinge liegen, daraus folgen weitere Probleme.
Ja, es gibt sicher einige, die jetzt meinen: Der Prothmann, dieses Weichei hält nichts aus und beklagt sein Leid. Ich biete jedem, der das meint, eine Woche Praktikum zur Bewusstseinsreinigung an. Danach ist jeder von diesen Vorwürfen geheilt.
Wir versuchen mit erheblichem Aufwand, die Bedeutung und den Vorteil von unabhängigem Journalismus zu verdeutlichen. Und auch, dass dieser finanziert werden muss. Dabei haben wir bedingt Erfolg. Immer mehr Nutzer zahlen. Leider nicht genug, um unser Angebot auch nur ansatzweise zu finanzieren. Das ist die Realität.
Ich persönlich, das gebe ich unumwunden zu, überlege mir seit geraumer Zeit, warum ich mich noch weiter in den Dienst der Allgemeinheit stellen sollte?
Ich bin ein Profi, ich weiß, wie man einen Spin betreiben kann. Ich habe unzählige Kontakte und ich kann meine Haut auch auf einem anderen Markt verkaufen, der mir sehr viel mehr Geld einbringt und weniger Stress. Warum sollte ich meine Gewissenlosigkeit nicht an Einzelne verkaufen, wenn meine Gewissenhaftigkeit der Allgemeinheit nichts wert ist?
Ich bin gerne unabhängiger Journalist. Ich arbeite gerne für die allgemeine Gesellschaft unabhängig von Interessen. Aber ich stelle mir zunehmend drängend die Frage, ob meine Arbeit eine Wertschätzung “dieser Gesellschaft” erfährt.
Entscheider schätzen meine Arbeit – aber “die Gesellschaft”?
Unterm Strich ist das Problem, dass ich zunehmend weniger “diese Gesellschaft” erkennen kann. Es geht zunehmend um Einzelinteressen. Sofern das Bürger oder Bürgerinteressengemeinschaften sind, zahlen einzelne für die Arbeit, die meisten bislang nicht. Damit ist meine Arbeit nicht refinanzierbar. Und wenn die Berichterstattung nicht den Interessen entspricht, muss ich sogar mit Klagen rechnen.
Auf der anderen Seite stehen Unternehmen oder Interessengruppen, die sehr viel Geld zu zahlen bereit sind. Warum sollte ich nicht den Schröder machen? Weil irgendjemand dann schreibt, dass der Prothmann seine Ideale verkauft hat? Da stecke ich mir im Zweifel genüßlich eine Cohiba an.
Am Ende muss ich auch meine Miete zahlen und kann mir nichts davon kaufen, dass der eine oder andere meint, ich sei ein streitbarer, kritischer Journalist.
Für das kommende Jahr versuche ich, die Verträge mit Kunden zu verlängern und solange ich für die Redaktion verantwortlich bin, findet eine strikte Trennung von Journalismus und Werbeeinnahmen statt. Ob das aber eine Zukunft hat – daran habe ich erhebliche Zweifel.
Ich habe nicht nur meine Energie in den vergangenen Jahren in diesen Job investiert, sondern auch meine Gesundheit.
Und ich hadere seit langer Zeit damit, weil die Art und Weise, wie dieser Job auf die Gesundheit geht, auf Dauer nicht gesund ist. Keine Gewerkschaft setzt sich dafür ein.
Ich bin sehr stolz auf meine Arbeit und die meiner Mitarbeiter. Das Rheinneckarblog ist ein journalistischer Faktor. Wir haben Maßstäbe gesetzt und neu definiert. Wir haben andere Medien gezwungen, bessere Leistungen abzuliefern und wir haben aufgezeigt, wie viel schlechter Journalismus zugemutet worden ist. Wir haben andere Medien gezwungen, Themen aufzugreifen, die sonst verschwiegen worden wären.
Ab dem 16. Dezember machen wir, insbesondere ich, drei Wochen Pause. Um Luft zu schnappen, um Bürokratie zu ordnen, um Hoffnung zu schöpfen.
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dürfen sich gerne Gedanken machen, ob Sie unsere Leistung haben möchten, dafür zahlen oder es Ihnen egal ist.
Wenn es irgendwann drängt, Sie gerne kritischen Journalismus zurück hätten, den Sie vorher beerdigt haben, haben Sie bitte Verständnis, dass man Ihren Wünschen nicht wird entsprechen können.
Ich gehe hoffnungsvoll ins Jahr 2018. Auch, dass Unternehmen vermehrt bei uns werben und unsere Arbeit damit finanzieren. Wenn es der regionalen Wirtschaft, den Händlern egal ist, wenn diese denken, dass man mit den “traditionellen Medien” besser fährt, dann soll das so sein und ich schaue mich dann nach Alternativen um.
6:55 Uhr. Text fertig
Ich schlafe jetzt ein paar Stunden. Danach bin ich wieder über Stunden in Sitzungen. Top-Act ist die Sondersitzung des Gemeinderats um 19 Uhr. Akteure sind ein Oberbürgermeister, der über einen “Konzern” mit rund 8.000 Mitarbeitern “regiert”, es gibt 48 Stadträte, mehrere Parteien mit strukturierten Organisationen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und eine kleine Redaktion, die das alles verständig journalistisch begleiten soll. Denken Sie mal drüber nach, was das für uns für eine Aufgabe ist. Ich führe keine Klage, sondern erzähle Ihnen die Wahrheit. Sie entscheiden, wie Sie damit umgehen.
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