Rhein-Neckar/Polarkreis, 14. Dezember 2017. (red/pro) Normalerweise gehören Eisbären nicht zum Themenkreis unserer Berichterstattung. Das aktuell veröffentlichte Video eines vermeintlich verhungernden Eisbären als “Gesicht des Klimawandels” triggert deutschlandweit die Menschen, also auch bei uns vor Ort – mit tatkräftiger Unterstützung von Medien, die keinerlei Recherche leisten, sondern die “herzzerreißende” Geschichte voneinander abschreiben. Merke: Wenn ein Eisbär stirbt, stirbt bei vielen sofort auch der Verstand.
Von Hardy Prothmann
Die Bilder eines ausgemergelten Eisbären, der sich kraftlos dahinschleppt, gehen um die Welt:
Wen dieses Video kaltlässt, der muss ein Herz aus Eis haben. Es sind sehr traurige und bewegende Bilder,
textet beispielsweise Spiegel online schwülstig.
Der preisgekrönte Fotograf und Biologe Paul Nicklen hat auf seinem Instagram-Account vor wenigen Tagen eine Aufnahme hochgeladen, die mittlerweile mehr als eine Million mal aufgerufen worden ist,
“berichtet” die FAZ beeindruckt von der Reichweite. Selbst das Handelsblatt, eigentlich eine Wirtschaftszeitung, berichtet über den tragischen Tod:
Wer sich ein feines Gehör für die Sorgen der Anderen, auch die der anderen Spezies, bewahrt hat, der empfängt die Botschaft: Hier spricht das Opfer zu seinen Tätern.
Tiere-Titten-Tote – die TTT-Erfolgsformel
Selbstverständlich ist auch die Bild dabei und die wird bekanntlich nach der TTT-Erfolgsformel gemacht: Tiere-Titten-Tote gehen immer. Kombinationen noch besser. In diesem Fall also Tiere und Tote.
Was in der Sache sicher ist: Man sieht einen ausgemergelten Eisbären, der nicht mehr lange zu leben hat. Doch Eisbären sterben – wie alle Lebewesen. Weil sie keinerlei natürliche Feinde haben, sind die Todesursachen manchmal ein Unfall, meistens aber Verhungern, ob bedingt durch Krankheit oder Alter. So gut wie nie sterben Eisbären durch Rivalenkämpfe – man geht sich eher aus dem Weg. Eisbären sind keine knuffigen Knuts – sie sind die größten Landraubtiere und fressen “süße Robben”, die übrigens auch Raubtiere sind. Wer hat Mitleid mit den Robben, wenn die Reißzähne des Bären in ihr Fleisch eindringen und sie zerfetzen?
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Was auch sicher ist – die Aufnahmen stammen aus dem August 2017 und wurden auf der Baffin-Insel aufgenommen. Kein Schnee und Eis ist weit und breit zu sehen. Das ist auch kein Wunder, denn im Sommer tauen Schnee und Eis dort großflächig ab – es ist also vollständig normal und eben kein Zeichen des Klimawandels, wenn das Land in dieser Zeit dort nicht weiß ist.
Was auch sicher ist – die Aufnahmen stammen von Paul Nicklen, dem Gründer und Betreiber von Sea Legacy, einer privaten NGO, die auf Spenden angewiesen ist. Er veröffentlichte das Video nicht im August, nicht im September, nicht im Oktober, nicht im November, sondern am 05. Dezember, denn dann ist die Spendenbereitschaft in den westlichen Ländern am größten. Alle beschäftigen sich mit Weihnachten, die Zeiten werden “besinnlich”, “herzig” und genau das ist der Zeitpunkt, um eine solche Kampagne am erfolgreichsten zu fahren. Das ist knallhart kalkuliert – die Spendenspezialisten wissen genau, was sie wann tun.
Diese Bilder sind nicht die Arbeit eines Wissenschaftlers, eines unparteiischen Dokumentarfilmers oder eines Betroffenen. Sie sind Teil einer sehr kalkulierten Öffentlichkeitsarbeit von Sea Legacy, einer Organisation, deren erklärtes Ziel es ist, Fotos festzuhalten, die “kraftvolle Siege für den Naturschutz” vorantreiben,
schreibt die in Kanada erscheinende National Post. Bei Sea Legacy liest sich das so:
For over twenty years, Cristina and Paul have used their imagery to convert apathy into action and to bring about powerful conservation wins.
Getriggertes Mitleid – auf dass erst Tränen und dann Geld fließt
Sprich, man trifft die Leute mitten ins Herz, triggert das Mitleid und die Barmherzigkeit, auf dass nicht nur Tränen, sondern auch Geld fließt.
Für andere Medien ist der verhungernde Eisbär ein gefundenes Fressen – Recherche findet nicht statt, sondern auch hier ist man getriggert, weil man um die TTT-Formel weiß. Geschichten, die das Herz rühren, werden immer gerne genommen, egal ob sie stimmen oder nicht.
Die National Post setzt in ihrem Artikel sehr differenziert auseinander, dass der Klimawandel vermutlich Folgen hat und möglicherweise auch Eisbärenpopulationen darunter zu leiden haben und dezimiert werden könnten – das hängt aber auch von den jeweiligen Eisbären ab und wie sie sich anpassen. Eisbären können monatelang ohne Futter auskommen, wenn sie sich genug Fett angefressen haben. Richtig ist, die bevorzugte Beute sind Robben, die an den Luftlöchern im Eis gejagt werden. Nicht richtig ist, dass das Bild eines verhungernden Eisbären taugt, um gesichert festzustellen, dass dieser “das Gesicht des Klimawandels” ist. Dazu kommen viele Experten in dem Artikel zu Wort.
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Fakenews – sogar vom Urheber zugegeben
Noch interessanter ist, dass die National Post recherchieren konnte, dass Paul Nicklen und Cristina Mittermeier selbst zugeben, nicht zu wissen, warum oder woran der Bär gestorben sein könnte. Bei Spiegel online hingegen liest sich das so:
“So sieht es aus, wenn man verhungert. Der Muskelschwund, keine Energie. Es ist ein langsamer und schmerzvoller Tod”, schreibt der bekannte Fotograf und Biologe Paul Nicklen zu den Bildern.
Auch das ist eine Falschinformation, weil Verhungern eben kein schmerzvoller Tod ist. Der Körper reagiert mit Endorphinen auf den Hunger – euphorische Glücksgefühle sind die Folge.
Der verhungernde Eisbär ist eine reine PR-Story, dankbar aufgegriffen von Medien, die auch nicht ansatzweise bereit sind, Informationen auf ihre Korrektheit zu überprüfen – denn das könnte ja die herzzerreißende Geschichte kaputt machen.
Möglicherweise ist der Eisbär aufgrund fehlender Beute verhungert. Möglicherweise auch nicht. Eine Sektion wurde nicht vorgenommen. Es fehlt also jeglicher Beweis. Den braucht es auch nicht, solange eine Geschichte in das eigene Weltbild passt. Das gilt für alle Verschwörungsfanatiker dieser Welt, ob sie an das jüdische Großkapital glauben, dass uns alle beherrscht, Freimaurerlogen, die uns fernsteuern oder Chemtrails, die uns vergiften.
Manchmal reicht auch – wie in Mannheim geschehen – ein Pinguin ohne Kopf, um erst gewissen Medien und dann vielen Mediennutzern den Verstand zu rauben.
Auch gesellschaftlich findet ein Klimawandel statt: Immer mehr Menschen lassen sich auf dubiose Quellen ein, glauben lieber PR-Kampagnen als seriöser journalistischer Arbeit. Leider lassen verabschieden sich möglicherweise deshalb auch immer mehr Medien von seriöser Information – was kurz Aufmerksamkeit bringt, aber letztlich das sichere Ende verlässlicher Information.
Nachtrag: Nein, die Problematik eines sich wandelnden Klimas soll nicht in Abrede gestellt werden. Es wäre aber gut, wenn man bei den Fakten bleibt.
Hinweis: Warum beschäftigen wir uns immer wieder mit Medien? Weil diese auch unsere Leserschaft erreichen. Es gehört zu unserem Auftrag, Hintergründe über Medien anzubieten, damit sich die Leser/innen eine Meinung bilden können – insbesondere dann, wenn sogar große Medien nicht für Aufklärung sorgen, sondern die Menschen an der Nase herumführen. Sie wollen unsere Arbeit honorieren? Dann zahlen Sie gerne per Selectyco oder via Paypal einen von Ihnen festgelegten Betrag. Besten Dank vorab!