Rhein-Neckar, 29. September 2017. (red/pro) Seit dem 28. September 2016 bieten wir ausgewählte Artikel gegen eine Gebühr an. Dafür haben wir den Dienstleister Selectyco ausgewählt, ein Startup aus Österreich. Wie ist unsere Bilanz nach einem Jahr “Bezahlschranke”? Ein Überblick.
Von Hardy Prothmann
Als erstes Ergebnis möchten wir die Zusammenarbeit mit Selectyco loben. Diese funktioniert ganz hervorragend. Freundlich, schnell, verbindlich.
Die wichtigste Frage: Sind wir mit den Umsätzen über kostenpflichtige Artikel zufrieden? Darauf gibt es eine differenzierte Antwort.
Mittlerer dreistelliger Umsatz
Wir erlösen über die gebührenpflichtigen Artikel aktuell monatlich einen mittleren dreistelligen Umsatz. Diese Umsätze sind seit dem Start vor einem Jahr kontinuierlich gestiegen. Einerseits durch die zunehmende Zahl der Leser/innen, die für Artikel zahlen, andererseits durch eine Steigerung der Anzahl der bepreisten Artikel.
Im Oktober 2016 sind beispielsweise 422 Artikel erschienen, davon waren 24 kostenpflichtig. Im September 2017 sind bislang 206 Artikel erschienen, davon sind 42 kostenpflichtig. Insbesondere zum Start waren die echten Umsätze gering, weil für alle, die sich bei Selectyco anmelden, zunächst 2,50 Euro Startguthaben bereitstehen. Erst, wenn diese aufgebraucht sind, fließt tatsächlich Geld. Die meisten Artikel kosten 39 Cent, damit sind die ersten sechs “Käufe” ohne tatsächlichen Geldfluss.
Pass erzeugt berechenbare Einnahmen
Wie oft Artikel gekauft werden, entscheiden die Leser/innen und hängt auch von der Zahl der kostenpflichtigen Artikel ab. Stabile, berechenbare Einnahmen erhalten wir über den “Rheinneckarblog-Plus-Pass” (Noch keinen Pass? Hier können Sie diesen bestellen). Hier überweisen uns Leser/innen mindestens 60 Euro (viele zahlen freiwillig mehr) und können dann pauschal auf alle bepreisten Artikel zugreifen. Ob ein Artikel nun 29, 39 oder 79 Cent kostet, spielt dann keine Rolle mehr. Das gilt auch für institutionelle Kunden, also Unternehmen oder Behörden. Diese melden eine Anzahl von Mitarbeitern, die dann einen pauschalen Zugang erhalten. Abgerechnet wird die Anzahl der Zugänge per monatlicher Rechnungslegung an die Firma/Behörde.
Die Zugriffszahlen auf unser Angebot entwickeln sich weiter gut. Die Bereitschaft zu zahlen auch. Trotzdem müssen wir feststellen, dass hier noch sehr viel Luft nach oben ist. Das Verhältnis der Zahl der Leser/innen, die einen kostenpflichtigen Artikel aufrufen und dann tatsächlich bezahlen, um weiterlesen zu können, liegt meist im einstelligen Bereich.
Bislang Minusgeschäft
Ein Rechenbeispiel: Wenn bei 1.000 Aufrufen 100 Käufe zu 39 Cent stattfinden, haben wir 39 Euro brutto Umsatz erzielt, davon geht die Gebühr an Selectyco ab. So gut wie alle kostenpflichtigen Artikel sind exklusive Nachrichten oder aufwändige Recherchen, die mehrere Stunden Arbeit erforderlich machen, manchmal sogar Dutzende von Stunden, die auch mal 40-50 Stunden Aufwand erreichen. Bis heute ist fast jeder kostenpflichtige Artikel für uns ein “Minusgeschäft”, wenn wir die Kosten für den Arbeitsaufwand oder die Honorare gegen die Einnahmen. Es ist bislang nur bei wenigen Artikeln gelungen, tatsächlich mehr Geld einzunehmen, als wir bezahlt haben, damit es diesen Artikel gibt. Trotzdem sind es natürlich Einnahmen.
Warum bleiben wir dann bei den kostenpflichtigen Artikeln und bauen das sogar aus? Ganz einfach. Journalismus ist nicht kostenlos, sondern kostenintensiv. Insbesondere die Zeitungsverlage haben über Jahre die “Kostenloskultur” erst ermöglicht und damit massiv dem Markt geschadet. Es gibt weiter scheinbar “kostenlose” Angebote durch öffentlich-rechtliche Sender, die aber tatsächlich über den erzwungenen Rundfunkbeitrag mit 17,50 Euro viel mehr Geld kosten, als unser Rheinneckarblog-Plus-Pass, den es schon ab fünf Euro pro Monat gibt.
Wir benötigen höhere Einnahmen
Den absolut überwiegenden Teil unserer Einnahmen erzielen wir über das Anzeigengeschäft mit unseren Werbekunden. Wir bieten ganz klassisch ein redaktionelles Umfeld und damit Aufmerksamkeit, wofür die Werbekunden zahlen. Dazu gibt es weiterhin Spenden von Lesern, die uns unterstützen wollen. Die Einnahmen über verkaufte Artikel oder den Rheinneckarblog-Plus-Pass benötigen wir aber zusätzlich, denn wir kommen als unabhängiges Angebot gerade so über die Runden. Wenn wir wachsen wollen, benötigen wir höhere Einnahmen.
Es gab seit 2011 immer wieder Situationen, an denen wir am Rand des wirtschaftlichen Abgrunds standen. Manchmal, weil die Einnahmen gegenüber den Ausgaben zu gering waren, meist aber durch “unerwartete” Kosten, hier vor allem Kosten für Anwälte und Prozesse, weil unsere Arbeit angegriffen worden ist. Wir mussten in den vergangenen Jahren rund 50.000 Euro dafür aufwenden. Das ist sehr viel Geld für ein kleines Unternehmen. Und dieses Geld fehlt für die journalistische Arbeit.
Jede Leserin, jeder Leser, der für unsere Arbeit kleine Cent-Beträge zahlt oder besser den Rheinneckarblog-Plus-Pass kauft, handelt eigennützig – denn damit wird ein Beitrag geleistet, der unsere wirtschaftliche Situation verbessert. Wir können nur anbieten, was wir auch bezahlen können.
Kein Abo, keine Mindestumsätze
Die Anmeldung ist bei Selectyco ist ruckzuck erledigt. Danach steht ein Startguthaben von 2,50 Euro zur freien Verfügung. Später muss man das Konto ähnlich einer Prepaid-Karte mit mindestens 7 und höchstens 100 Euro aufladen und verbraucht dann beim Aufruf kostenpflichtiger Artikel das Guthaben. Dieser Aufwand entfällt, wenn man den Rheinneckarblog-Plus-Pass bestellt und einmalig zahlt.
Wichtig: Es gibt keine Abo-Pflicht und auch keine Pflicht für Mindestumsätze. Leser/innen zahlen nur das, was sie auch wirklich kaufen wollen. Fairer geht es nicht. Niemand wird gezwungen, unsere Artikel mehrfach zu kaufen. Man kann sich auf dem Gerät, das man gerade nutzt, bei selectyco anmelden und das System erkennt dann, ob ein Artikel bereits gekauft worden ist oder nicht. Wir wissen übrigens nicht, wer welche Artikel kauft und liest, sondern nur Selectyco, die dem gesetzlichen Datenschutz unterworfen sind. Jeder Nutzer ist Kunde bei Selectyco, ebenso wie wir, die wir für die Dienstleistung durch einen Teil der Einnahmen bezahlen.
Förderer und Spender wollten überwiegend keine Gutschrift
Sehr gefreut hat uns vor einem Jahr, dass die meisten Förderer und Spender, die vor Einführung des Bezahlmodells bereits an uns Geld gezahlt hatten, keine Gutschrift für einen Rheinneckarblog-Plus-Pass wollten, sondern diesen zusätzlich gekauft haben. Andere haben die Gutschrift angenommen, was natürlich auch vollkommen in Ordnung war, wir haben das angeboten, weil wir diese Förderer und Spender nicht aussperren wollten.
Spenden sind im Vergleich deutlich zurückgegangen, dafür die Rheinnneckarblog-Plus-Pässe gestiegen. Natürlich freuen wir uns weiterhin über “Extra”-Zuwendungen. Diese Gelder sind eine sehr große Unterstützung, die uns helfen, unsere Arbeit zu machen. Falls Sie auch fördern wollen, hier geht es zur Anmeldung. Per Paypal können Sie hier spenden.
Wir führen das Bezahlsystem “Rheinneckarblog-Plus” ein
Information zum Bezahlsystem selectyco (select your content)
Hinweis:
Redaktionell-journalistische Angebote sind in den vergangenen Jahren enorm unter Druck geraten – durch sinkende Abo-Zahlen und eingebrochene Werbemärkte. Mehrere Dutzend Zeitungen sind bereits vom Markt verschwunden, weitere werden folgen, viele neue Internetangebote, insbesondere mit lokalen/regionalen Informationen sind längst wieder dicht gemacht. Der Grund ist ganz einfach: Ohne Einnahmen kann Journalismus nicht finanziert werden.
Immer mehr Unternehmen schichten ihre Werbeausgaben um. Sie beauftragen PR-Agenturen, die keinen kritischen Journalismus bieten, sondern die Wünsche der Auftraggeber erfüllen. Das Geld fließt in Websites oder social Media-Aktivitäten oder Sponsoring. Hier informieren die Auftraggeber dann so, wie sie wollen. Eine kritische Auseinandersetzung findet nicht mehr statt. Auch viele öffentliche Einrichtungen geben mehr Geld für solche PR-Aktivitäten aus als klassisch für Werbung in journalistischen Medien, die überwiegend, wie wir auch, werbefinanziert sind.
Wir bekommen beispielsweise viele Einladungen zu “Presse-Konferenzen”, bei denen Unternehmen Ihr Angebote vorstellen. Häufig gibt es was “umsonst”, also Essen, Getränke oder Geschenke. Hier fließt viel Geld in die Arbeit der PR-Agentur, in Sachleistungen, Raummieten, Werbemittel – nur Werbung wird keine mehr gebucht und bezahlt. “Berichtet” man zu solchen Terminen, hat man also nur Kosten für Zeit und Honorare, aber keine Einnahmen. Aus diesem Grund nehmen wir keine Einladung zu Geschäftseröffnungen oder ähnlichen PR-Termine wahr. Das sind gewerbliche Aktivitäten – dafür kann man bei uns eine Anzeige buchen.
Aus Sicht vieler Unternehmen ist das ideal: Sie geben Geld für PR aus und erhalten dafür eine “ideale” Darstellung und Präsentation. Leider machen das viele redaktionelle Angebote mit, weil man hofft, doch noch irgendwann an Werbeeinnahmen zu kommen. Oder weil man auf “Reichweite” setzt, also eine hohe Zahl an Nutzerkontakten, um dadurch hohe Werbepreise verlangen zu können.
Doch das hat nichts mehr mit Journalismus zu tun, sondern mit einer massiven Abhängigkeit, deren “Nährwert” immer geringer wird. Eine fatale Entwicklung, die dazu führt, dass immer mehr redaktionelle Angebote eingestellt werden müssen. Stellt sich die Frage: Welche “Pressekonferenzen” richten PR-Agenturen dann noch aus, wenn es keine “Presse” mehr gibt? Und wo kann man sich dann noch gut durch unabhängigen, kritischen Journalismus informieren, der sich traut, unangenehme Fragen zu stellen und Missstände aufzuzeigen?
Mittelfristig betrachtet, wird das Verschwinden von unabhängigem Journalismus ein absoluter Schaden für die demokratische Gesellschaft sein, weil eine freie Meinungsbildung nicht mehr möglich ist, wenn die meisten Informationen gekauft, gesteuert und manipuliert sind. Und es wird auch ein Schaden für die Wirtschaft entstehen, wenn beispielsweise Konkurrenten im Markt mit unlauteren Mitteln arbeiten, aber niemand darüber berichtet. Es wird auch ein Schaden für öffentliche Einrichtungen sein, wenn keine journalistisch Kontrolle mehr stattfindet, dann sind Korruption und Misswirtschaft Tür und Tor geöffnet. Das sind keine Fantasien, sondern das ist überall dort eindeutig zu belegen, wo es keinen unabhängigen Journalismus (mehr) gibt – also in den allermeisten Ländern dieser Welt.
Eine Gesellschaft ohne eine funktionierende, unabhängige Medienlandschaft ist einer massiven Manipulation und Propaganda ausgesetzt. Ein aktuelles Beispiel ist die Türkei – dort gibt es kein funktionierendes, unabhängiges Mediensystem. Die negative Entwicklung dürfte jedem bekannt sein. Übrigens trägt dazu nicht nur Herr Erdogan die Schuld – auch seine Gegenspieler.