Mannheim, 06. Februar 2018. (red/pro) Aktualisiert. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat am Montag vor der vierten Strafkammer des Landgerichts Mannheim eine Gesamtstrafe von zwei Jahren zur Bewährung gegen einen Rechtsanwalt gefordert, dem in 13 Fällen der Kauf und Besitz von Kokain vorgeworfen wird, sowie Beihilfe zum Drogenhandel. Seine Verteidiger plädierten auf ein Jahr und sechs Monate. Die Staatsanwaltschaft warf Medien “unhaltbare Behauptungen” vor – die Verteidigung wiederum meinte, die Staatsanwaltschaft treffe “wahrheitswidrige Aussagen”.
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Von Hardy Prothmann
Die “Causa Rechtsanwalt” ist ein im Wortsinne merkwürdiger Prozess.
Bevor ich Ihnen meine Beobachtungen zum heutigen Prozesstag mit den Plädoyers im Detail schildere, vorab eine Kuriosität, die kein anderes Medium berichten wird.
Kuriose Vorgeschichte
Anfang 2017 verklagte die Dr. Haas-Gruppe (Mannheimer Morgen) die Staatsanwaltschaft Mannheim auf Auskunft (Anm. d. Red.: Wir hatten dazu berichtet.). Die Zeitung wollte den Namen des Anwalts erfahren, gegen den ermittelt worden war – also noch vor Anklageerhebung. Man verlor letztlich vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH). In dessen Pressemitteilung vom August 2017 zum Urteil heißt es:
“Es handele sich beim Tatvorwurf nicht um schwere Kriminalität, sondern „nur“ um 14 Fälle des Erwerbs von Kokain und das Herstellen eines Kontakts zwischen seinen beiden Betäubungsmittellieferanten, in dessen Folge es zu zwei Verkäufen von Betäubungsmitteln gekommen sei. Es sei nicht erkennbar, dass die Strafvorwürfe inhaltlichen Bezug zu der Ausübung beruflicher Pflichten durch einen Rechtsanwalt hätten.”
Dieses nicht anfechtbare Urteil war der Staatsanwaltschaft Mannheim derart wichtig, dass diese zwei Tage später meldete:
“Im Rechtsstreit zwischen der Verlagsgruppe des Mannheimer Morgen und dem Land Baden-Württemberg hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 04.08.2017 – 1 S 1307/17 – einen entgegenstehenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15.05.2017 aufgehoben. Der Mannheimer Morgen hatte von der Staatsanwaltschaft Mannheim Auskünfte darüber begehrt, ob gegen einen namentlich benannten Mannheimer Rechtsanwalt Ermittlungen wegen Besitzes und Handeltreibens mit Kokain geführt würden.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim hatte eine Auskunft im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das in diesem Fall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwog, abgelehnt.
Das vom Mannheimer Morgen daraufhin angerufene Verwaltungsgericht Karlsruhe hatte im Wege der einstweiligen Anordnung das Land Baden-Württemberg im Wesentlichen zur Auskunft verpflichtet.
Der Mannheimer Morgen hatte hierzu in seiner Ausgabe vom 27.05.2017 unter der Überschrift „Gericht weist Mannheimer Staatsanwaltschaft zurecht“ ganzseitig berichtet.
Auf die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, die das Land Baden-Württemberg im vorliegenden Rechtsstreit vertrat, hob der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe auf und lehnte den Antrag des MannheimerMorgen im vollen Umfang ab.
Dabei wurde die von der Staatsanwaltschaft Mannheim von Anfang an vertretene Rechtsauffassung bestätigt, wonach im konkreten Fall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unter Namensnennung das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt und die Mannheimer Staatsanwaltschaft damit rechtmäßig handelte.”
Ein ungewöhnliches Verfahren und ungewöhnlicher Vortrag
So weit, so klar, meinen Sie? Weit gefehlt. Die Staatsanwältin Linda Thomsen, eine junge, schmale Frau, trug mit brüchiger Stimme das Plädoyer vor. Gleich zu Beginn betonte sie, dass dieses Verfahren kein “gewöhnliches” Verfahren sei:
In erster Linie unterscheidet sich dieses Verfahren von anderen, weil der Angeklagte ein Rechtsanwalt ist.
Dann betont sie – als müsste man das betonen und als sei das nicht selbstverständlich -, allerdings ohne einen “Brustton der Überzeugung”:
Es geht alleine darum, Straftaten festzustellen und angemessen zu bestrafen.
Um sogleich festzustellen, dass Medien umfangreich berichtet hätten:
Damit wurde versucht, den Angeklagten als Opfer der Strafverfolgungsbehörden darzustellen und das Verfahren zu Gunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Behauptungen zur Arbeit der Ermittlungsbehörden entbehren jeglicher Grundlage.
Stopp.
Was die Staatsanwältin Linda Thomsen hier vorgetragen hat, ist starker Tobak. Erstens besteht sie darauf, dass dieses Verfahren “besonders” und “außergewöhnlich” sei, weil der Angeklagte eben ein Rechtsanwalt ist. Damit konterkariert sie die Verschweigehaltung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Anfrage der Zeitung und die Feststellung des VGH, dass es sich bei diesem Fall eben nicht um ein außergewöhnliches Verfahren handelt. Ein innerer, eklatanter Widerspruch, der für den weiteren Bericht von durchaus entscheidender Bedeutung sein wird.
Weiter unterstellt sie “der Presse”, also Medienvertretern, diese ließen sich einseitig beeinflussen. Was für ein auffällig miserables Verständnis von “Presse- und Meinungsfreiheit” muss man behördlicherseits haben, um so eine Feststellung zu treffen? Mal abgesehen davon, dass sie – ohne es zu sagen – nur das Rheinneckarblog meinen kann, denn nur wir haben umfangreich und belegt die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft sehr kritisch hinterfragt. Aber eben nicht einseitig. Wir waren an allen Prozesstage vor Ort, wir haben die Vorträge beider Seiten gehört, ebenso die Zeugen und eigene, exklusive Recherchen betrieben, die unterm Strich im Ergebnis der von uns verantworteten Berichte eben erhebliche Mängel der Ermittlungen erkennen lassen und den Eindruck erwecken, als sei die Staatsanwaltschaft weniger an ordentlichen Strafen für die Drogenhändler – die als “Kronzeugen” aufgetreten sind – interessiert gewesen, dafür aber umso mehr an einer Strafe für einen “missliebigen” Anwalt – der die Staatsanwaltschaft schon häufig wegen Ermittlungsfehlern in Bedrängnis gebracht hatte -, was diesen letztlich seine Zulassung kosten könnte.
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Der dritte Aspekt zu diesem Vortrag ist der gewichtigste: Die Staatsanwältin unterstellt implizit, dass möglicherweise auch die vierte Strafkammer unter Vorsitz der Richterin Bettina Krenz durch mediale Berichterstattung beeinflussbar sei. Und das ist ein unglaublicher Affront und geradezu ein Frontalangriff auf die Unabhängigkeit der Justiz – eigentlich sogar ein Skandal. Was sich diese junge Staatsanwältin hier herausgenommen hat, ist eine beispiellose Unterstellung ohne jede Grundlage. Geradezu eine Missachtung des Gerichts – mit einem spitzen Lächeln vorgetragen.
Erheblich zweifelhafte Ermittlungen
Diese Chuzpe ist umso erstaunlicher, weil die Verteidigung durch Dr. Jens Graf und Dr. Klaus Malek eben erhebliche Zweifel an den Ermittlungen aufgezeigt haben. Nicht erst in den Plädoyers, sondern während der vorhergehenden Verhandlungstage.
Im Plädoyer stellt die Staatsanwältin Thomsen fest:
Verdunkelungsgefahr entfällt regelmäßig dann, wenn die Beschuldigten umfangreiche Angeben gemacht haben.
Sie reagiert damit auf Fragen der Verteidiger zuvor, warum der “Kronzeuge” Kai F. nach noch nicht einmal einem Monat Untersuchungshaft entlassen worden war. Fragen, wie es sein kann, dass keine weiteren Ermittlungen angestellt worden sind, obwohl es auch durch den Angeklagten Hinweise auf weitere Straftaten des “Kronzeugen” gegeben habe oder dieser selbst Fragen im aktuellen Prozess nicht beantworten wollte, weil diese ihn selbst belasten könnten, beantwortet Staatsanwältin Thomsen nicht. Dazu lächelt sie nur.
Obwohl die Staatsanwaltschaft im Plädoyer eine Gesamtfreiheitsstrafe von “nur” zwei Jahren fordern wird, hält sie bis heute den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrecht. Warum? Um den Druck hoch zu halten?
Fragwürdig sind auch die “Beweise” der Anklage, was den Wirkstoffgehalt und die Menge des Kokains angeht. Laut Aussagen der Kronzeugen sind diese eben überhaupt nicht “bewiesen”. Es muss eigentlich erhebliche Zweifel geben – nur ist keinerlei Mühe der Staatsanwaltschaft feststellbar, auch nur ansatzweise “entlastend” zu ermitteln, wozu die Behörde klar verpflichtet ist. Ganz im Gegenteil erzeugte der Auftritt der Staatsanwältin Thomsen den erheblichen Eindruck, dass ausschließlich “belastend” ermittelt worden ist.
Ein Beispiel: Der Angeklagte soll laut Aussage eines “Kronzeugen” innerhalb kürzester Zeit, etwa einer Stunde, ingesamt rund drei Gramm Kokain geschnupft haben. Bei “handelsüblichen” Konzentrationen von “30 Prozent” wäre das eine vermutlich letale Dosis – die Verteidigung stellt das in Frage, die Staatsanwaltschaft nicht. Es kann sein, dass der Angeklagte drei Gramm geschnupft hat – aber eben “Schrott”, wie ein Verteidiger meint, also Kokain mit einem sehr geringen Wirkstoffgehalt, was ein Indiz sein könnte, dass er eben nur geringe Mengen echten Kokains erworben hatte.
Unheimlicher Eindruck
Die Staatsanwältin hätte zu jeder Zeit zwischen Vortrag der Anklage und des Plädoyers das Wort ergreifen können oder die schon fast “schmerzhaften” Fragen der Verteidigung aufgreifen können. Hat sie aber nicht. Meist saß sie lächelnd da, betrachtete ihre Fingernägel, tippte auf dem Mobiltelefon herum und wirkte ansonsten abwesend.
Und genau das erzeugt einen unheimlichen Eindruck, der sehr wohl “beeinflussend” wirkt, aber anders, als die Staatsanwältin behauptet. Hier eine eiskalt und inhaltlich inkompetent wirkende Staatsanwältin, die auf keine Kritik eingeht, diese mit “unhaltbar” und “fehlt jegliche Grundlage” zurückweist und genau kein einziges Argument vorbringt. Die eher abwesend und unorientiert wirkt. Dort eine engagierte Verteidigung, in der Rollenaufteilung eines teils berserkerhaft wirkenden Dr. Graf, der unruhig auf- und abläuft, körperlich massiv präsent und eines scheinbar sanftmütig erscheinender Dr. Malek, dessen Hand bei seinem Vortrag auf Gesetzbüchern ruht, der aber zeitgleich sehr umfangreich auf juristische Literatur verweist, was zu umfangreichen, aufmerksamen und konzentrierten Notizen der Vorsitzenden führt.
Geht so Rechtsstaat?
Als Dr. Graf in seinem Plädoyer ausführt, dass die “Kronzeugin” Ernestina G. für vier Kokainlieferungen an den Angeklagten als Dealerin verurteilt worden ist, aber sein Mandant für acht Lieferungen dieser verurteilten Straftäterin als drogenabhängiger Konsument angeklagt wird, wird die Luft sehr dünn. Frau Thomsen lächelt. Eiskalt und abfällig.
Mir wird es in diesem Moment eiskalt. “Geht so Rechtsstaat?”, frage ich mich. Nicht nur der Verteidiger “beeinflusst” mich als Prozessbeobachter, sondern auch und explizit Frau Thomsen als Vertreterin der Staatsanwaltschaft. Also des Staates gegen eine angeklagte Privatperson – die jeder sein könnte, auch ich oder Sie als Leser/in.
Die Staatsanwaltschaft sieht die 14 Anklagepunkte als beweisbar an. Demnach habe der Angeklagte in sieben Fällen Kokain in geringer Menge erworben, in sechs Fällen in nicht geringer Menge (ab 5 Gramm reinem Kokainhydrochlorid). Zusätzlich habe er die bereits Verurteilten Kai F. und Ernestina G. miteinander bekannt gemacht, um Drogengeschäfte einzuleiten – er habe also Beihilfe geleistet. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft liegt eine Strafschärfung vor allem deshalb vor, weil der Angeklagte als “Organ der Rechtspflege” gehandelt habe.
Ob die angegebenen Mengen von gestrecktem Kokain zu 10 und 20 Gramm zutreffend sind, kann die Staatsanwaltschaft nicht beweisen, weil das Kokain (vermutlich konsumiert) niemals aufgefunden worden ist. Deshalb ist auch nicht beweisbar, welchen Wirkstoffgehalt es hatte, also mindestens 30 Prozent oder vielleicht auch nur 20 Prozent oder weniger.
Die Aussagen der “Kronzeugen” hierzu variieren – und selbst wenn sie übereinstimmten, fehlt der tatsächliche Beweis, nämlich eine chemische Analyse. Denn woher sollen die Kronzeugen wissen, wie Mischverhältnis tatsächlich war? Weil deren Lieferanten das so behaupten? Albanische Drogenhändler und möglicherweise Personen aus dem Milieu der Hells Angels? Das verwundert, denn bislang gelten Drogenhändler nicht als staatlich anerkannte Gutachter.
Zudem gab die Zeugin Ernestina G. an, ein Händler habe sich mal zwei Gramm für seine Dienste weggenommen – dann wären es nur 18 Gramm und mindestens diese Lieferung im Ergebnis eine geringe Menge gewesen. Weder die Kronzeugen noch der Angeklagte haben die Lieferungen gewogen – woher weiß man also, dass es genau 10 und 20 Gramm waren und nicht weniger? Oder mehr?
Überhaupt nicht stutzig wurde die Staatsanwaltschaft beim vierten Anklagepunkt: Hier soll der Angeklagte beim Kai F. Kokain bezogen haben, was der Angeklagte auch einräumt, davon innerhalb einer Stunde ganze drei Gramm konsumiert haben, um danach nach Düsseldorf zu einem Gerichtstermin zu fahren. Das ist rund die zehnfache Menge dessen, was man als durchaus heftigen Konsum innerhalb einer Nacht betrachten darf. Mal angenommen, die Mengenangabe trifft zu, liegt die Frage auf der Hand, ob das Kokain nicht erheblich stärker gestreckt war und einen Wirkstoffgehalt von unter 20 Prozent hatte.
Strafschärfung wegen “Organ der Rechtspflege”?
Und was ist dran an dem strafschärfenden Vorwurf, der Angeklagte habe die Taten als “Organ der Rechtspflege” begangen? Weil er Drogen über sein geschäftliches Mobiltelefon bestellt habe? Weil es Drogenübergaben in den Geschäftsräumen gab? Diese Argumentation wirkt arg dünn bis völlig substanzlos. Denn wo soll hier die besondere Stellung eines Rechtsanwalts missbraucht worden sein? Es fand keine Beratung statt, es fand keine gerichtliche Vertretung statt, keine Treuhänderschaft oder irgendein anderer tatsächlich beruflicher Zusammenhang, sondern lediglich ein privater Konsum. Kein Dritter wurde über die besondere Stellung geschädigt, sondern nur der Angeklagte selbst, der seine Gesundheit aufgrund seiner Sucht in erhebliche Gefahr gebracht hat.
Ein Rechtsanwalt bekleidet zudem kein Amt, ist nicht zur Bekämpfung von Straftaten verpflichtet und hat keine Garantenstellung – seine besonderen Pflichten und Rechte enden bei seinem Privatleben. Eine Ausnutzung der besonderen Pflichten und Rechte konnte die Staatsanwaltschaft nicht substantiiert vortragen – es bleibt bei einer bloßen Behauptung, die allerdings als besonders strafschärfend gelten soll.
Nach unseren Recherchen schätzen Experten die Bestellung von Drogen über ein Mobiltelefon, dass sowohl beruflich wie privat genutzt wird, als nicht zusammenhängend ein. Die Übergabe in den Kanzleiräumen sehen Experten als sehr vage, aber nur unter eindeutigen Zusammenhängen als mögliche Pflichtverletzung an.
Kurios ist die Meinung der Staatsanwältin Thomsen, weil es sich um Kokain handelte, sei das strafschärfend – das gilt aber für Drogenhändler, nicht für Konsumenten. Und selbst, wenn man die Beihilfe als gegeben unterstellte, bei den Geschäften zwischen den Kronzeugen ging es nicht um Kokain, sondern um Marihuana und Amphetamine. Irgendeine persönliche Vorteilsnahme aus diesen Geschäften kann die Staatsanwaltschaft nicht belegen. Aus Sicht der Verteidigung war der Angeklagte mit beiden zur Tatzeit befreundet und hat eben zwei “Kumpels” zusammengebracht, die dann unter sich Geschäfte gemacht haben, von deren Art und Umfang der Angeklagte aber keine Kenntnis hatte.
Vor Gericht sollten erstmals Fakten zählen, dann vielleicht “Eindrücke”
Bemerkenswert ist dieser Prozess auch, weil der Angeklagte nicht nur geständig ist – er räumt die Drogenkäufe ein -, sondern weil er sogar zugegeben hat, dass es mehr Käufe gab. Doch keinen davon kann die Staatsanwaltschaft anklagen, weil es dazu keinerlei Beweise gibt. Weiter wies der Angeklagte die Ermittlungsbehörden auf mögliche weitere Straftaten hin, ohne allerdings einen “Deal” nach § 31 Betäubungsmittelgesetz (BTMG) zu machen, wie die beiden Kronzeugen mit der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten. Und noch bemerkenswerter ist, dass Staatsanwaltschaft und Polizei diesen Hinweisen offenbar nicht nachgegangen sind. Warum? Weil man hatte, was man wollte? Genug Indizien gegen den Angeklagten? Bleibt da die Pflicht zur Strafverfolgung auf der Strecke?
Wenn die Staatsanwältin Thomsen meint, die Verteidigung würde versuchen, den Angeklagten als “Opfer der Strafverfolgungsbehörden” dazustellen versuchen, dann ist dieser Eindruck nicht falsch, aber auch nicht zutreffend. Der Angeklagte und seine Verteidiger bestreiten dessen Straftaten nicht – nur den Umfang und sich daraus ergebenden Strafmaße.
Es ist auch völlig unerheblich, welchen “Eindruck” die Verteidiger erzeugen wollen – das Gericht urteilt unabhängig. Anhand der Beweise und nicht anhand von “Eindrücken”. Wesentlich für eine Urteilsfindung ist aber die Gesamtwürdigung aller Umstände. Und wenn der Eindruck entsteht, dass die Strafverfolgungsbehörden eine möglicherweise andere Motivation als nur die der Strafverfolgung haben könnten und dadurch möglicherweise nur zum “Malus” und nicht zum “Bonus” gegen den Angeklagten ermittelt worden ist, dann erhält dieser Umstand sicherlich eine abzuwägende Bedeutung – im Zweifel für den Angeklagten.
Die Staatsanwaltschaft machte den Fall “prominent”
Dazu gehört auch die außerordentliche mediale Beachtung des Falls – ist diese angesichts der eher geringfügigen Straftaten (Anm. d. Red.: Siehe die Einschätzung des VGH oben), die eben kein Fall “schwerer Kriminalität” sind. Und die eben laut VGH nicht erkennbar in Zusammenhang mit der beruflichen Stellung des Angeklagten stehen. Die Staatsanwaltschaft Mannheim verweigerte zwar die Auskunft zum Namen des Angeklagten, verfasste aber gleichwohl eine Pressemitteilung, was erstens ungewöhnlich für die angeklagten Straftaten ist und zweitens Hinweise auf den Anwalt enthielt:
“Wegen der besonderen Bedeutung der Sache, die sich aus der beruflichen Stellung des Angeschuldigten ergibt, hat die Staatsanwaltschaft Anklage zum Landgericht Mannheim erhoben, § 74 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Nr. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).”
Auch hier betont die Staatsanwaltschaft eine “besondere Bedeutung”, die sie aber vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe und dem VGH Baden-Württemberg bestritt.
Haltlose Behauptungen?
Zutreffend ist hingegen, dass die Fragen der Verteidigung nachdenklich machen müssen. Wieso wurde das Mobiltelefon der Ernestina G. nicht ausgewertet? Weil man keinen Code hatte? Wieso hat kein Beamter die Zeugin danach gefragt, obwohl die Italienierin “gesungen hat wie ein Vögelchen”? Wieso ist man dem Hinweis nicht nachgegangen, dass sich im Telefonbuch ein weiterer Rechtsanwalt als Drogenbezieher befinden könnte? Wie glaubwürdig ist die Zeugin, wenn sie behauptet, selbst kein Kokain zu konsumieren, das Kokain bezogen und ausschließlich an den Angeklagten weitergegeben zu haben, wenn bei deren Wohnungsdurchsuchung Kokainplomben mit ein Mal drei Gramm und zwei Mal ein Gramm gefunden worden sind? Wieso gab es dazu keine weiteren Ermittlungen und weshalb wurde die Drogenhändlerin nur für Lieferungen an den Angeklagten verurteilt und nicht auch für mögliche andere Straftaten, die aber offenbar nie aufgeklärt werden sollten?
Dasselbe gilt für den Zeugen Kai F.. Wieso gingen hier Ermittlungen nicht weiter, obwohl es Hinweise auf weitere Straftaten gab? Weil der Deal ausreichte, um den Angeklagten vor Gericht zu bringen und damit das Strafverfolgungsinteresse erlosch? Welche Berufsauffassung haben Staatsanwaltschaft Mannheim und Kriminalpolizei selbst als “Organe der Rechtspflege”, die im Gegensatz zu einem Rechtsanwalt als Beamte zur Strafverfolgung verpflichtet sind, was aber ganz offensichtlich bei den Kronzeugen ab dem Punkt unterlassen worden ist, als es “genug Beweise” gegen den Angeklagten gab?
Wenn die Staatsanwältin Thomsen von “haltlosen Behauptungen” spricht, bewegt sie sich auf dünnem Eis. Dieser Redaktion liegen eindeutige Belege vor, die viele der oben gestellten Fragen geradezu erzwingen.
Auch Rechtsanwälte haben Persönlichkeitsrechte
Nun stehen weder Polizei noch Staatsanwaltschaft vor Gericht – in der “Causa Rechtsanwalt” wird gegen einen Angeklagten verhandelt. Trotzdem hat der Blick auf die Umstände der Ermittlungen gegen ihn erhebliches Gewicht – denn es ist nicht erkennbar, dass die Staatsanwaltschaft neben dem angeblich strafschärfenden Aspekt als “Organ der Rechtspflege” auch angemessen strafmildernde Ermittlungen vorgenommen zu haben.
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Medien sind keine Gerichte, die rechtsstaatliche Urteile fällen, sondern haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit über relevante Sachverhalte faktisch zutreffend zu informieren, um eine freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Diese Aufgabe stützt sich auf das Grundgesetz, Artikel 5 über die Meinungsfreiheit sowie die Landespressegesetze.
Die vierte große Strafkammer am Landgericht Mannheim unter Vorsitz von Richterin Bettina Krenz hat selbst anerkannt, dass die im wesentlichen via Pressemitteilung durch die Staatsanwaltschaft Mannheim erzeugte Aufmerksamkeit beschränkt werden musste. So wurde die Öffentlichkeit bei Angaben des Angeklagten zur persönlichen Lebenssituation auf Antrag der Verteidiger ausgeschlossen und ein Fotografierverbot erlassen, um die Persönlichkeitsrechte des Anwalts im Gerichtssaal zu schützen – weil er eben nicht als bekannter Anwalt, sondern als privater Beschuldigter vor Gericht steht.
Das Gericht muss nun die Strafforderung der Staatsanwaltschaft gegen die der Verteidigung abwägen. Während die Staatsanwaltschaft Einsatzstrafen von 1,3 Jahren für den mehrfachen Kauf und Besitz von angeblich 20 Gramm Kokain fordert, setzt die Verteidigung hier nur neun Monate wegen einer nur knapp nicht mehr geringen Menge an, die zudem grundsätzlich in Zweifel gezogen werden. Weiter fordert die Staatsanwaltschaft eine Bewährungszeit von drei Jahren, 15.000 Euro Geldstrafe, zu zahlen (auch in Raten) an eine gemeinnützige Organisation sowie Bewährungsauflagen wie regelmäßige Drogenscreenings.
Berufliche Zukunft steht auf dem Spiel
Neben der Tatsache, dass es zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen wird – was wir für grundsätzlich notwendig erachten -, stellt sich aber die Frage nach der Angemessenheit der Strafen. Entscheidend ist nämlich die Höhe der höchsten Einzelstrafe, der sogenannten “Einsatzstrafe” – liegt diese bei einem Jahr und mehr, verliert der Angeklagte seine berufliche Zukunft, weil er mit hoher Wahrscheinlichkeit seine anwaltliche Zulassung verliert, was faktisch einem Berufsverbot gleichkommt.
Strafmildernd könnte für den Angeklagten sein, dass er geständig ist. Ohne dieses Geständnis wäre die Aufklärung der Straftaten erheblich behindert worden. Er handelte in keinem Fall zum Nachteil eines Dritten, sondern gesundheitlich wie finanziell nur zum eigenen Schaden – aufgrund seiner Drogenabhängigkeit, die auch Anlass für die beschaffungskriminellen Handlungen war.
Weiter hat er sich selbst in Behandlung gegeben und seine Drogensucht seitdem erfolgreich bekämpft. Durch das Gericht verfügte Drogentests im Januar waren alle negativ. Er ist bislang nicht vorbestraft. Seine Sozialprognose ist positiv. Ein Gutachter bescheinigte dem Angeklagten eine “narzisstische geprägte Persönlichkeit”, aber keinerlei krankhafte seelische Störungen.
Schuldeingeständnis und die Bitte um eine Perspektive für die Zukunft
Nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigern hat er das “letzte Wort” und beginnt:
Ich habe schwere Schuld auf mich geladen.
Dann stockt er kurz. Der Satz steht im Raum.
Er schildert den Moment seiner Verhaftung und Suizidgedanken in der zehntätigen Haft – für ihn als Strafverteidiger war dieses Erlebnis besonders bedrohlich. Seit über einem Jahr lebt er mit der bangen Frage, ob und wie es für ihn weitergeht:
Ich habe viele Menschen enttäuscht, Freunde, Familie, Leute, denen ich Vorbild war. Gleichzeitig hat mich aufgebaut, wie viele Menschen mir ihre Sympathie bekundet haben, auch solche, von denen ich es nicht erwartet hätte.
Er konzentriert sich wieder:
Ich weiß, dass ich einen frechen Mund habe und mit heißem Herz verteidige, was nicht nur Sympathien bringt. Aber ich erinnere mich auch an einen Staatsanwalt der mir nach einem sehr intensiven Prozess sagte: “Sie haben es uns nicht leicht gemacht, dass ist aber auch gut so.” Und weiter an meinen Lehrmeister, dessen wichtigsten Rat ich nicht befolgt habe: “Wenn Du ganz oben mitmischen willst, muss alles korrekt sein in Deinem Leben.” Da habe ich gefehlt. Und das ist eine Schuld, an der ich schwer trage.
Nochmal muss er durchatmen:
Nachdem ich nun drogenfrei bin, will ich wieder gute Arbeit machen. Dafür wünsche ich mir die Möglichkeit, meinen Beruf weiter ausüben zu können. Ich würde das gerne wieder gut machen. Das ist sicher ein schwerer Weg, aber das schreckt mich nicht. Ich war fünf Monate lang auf einem falschen Weg und hoffe, dass diese Zeit nicht meine zwanzigjährige Berufstätigkeit ersatzlos in Frage stellen.
Übersetzt erwartet er keine Gnade, sondern stellt sich der Strafe. Und seine Verteidiger, insbesondere Dr. Malek, machten deutlich, dass ein angemessenes Urteil akzeptiert wird, aber eines, dass die berufliche und damit existenzielle Zukunft vernichtet, nicht. In seinem Vortrag führte der Freiburger Verteidiger viele Entscheidungen auf, die eine erfolgreiche Revision nach sich zogen.
Dilemma und Selbstherrlichkeit
Die durch die Staatsanwaltschaft Mannheim geradezu erzwungene Prominenz der “Causa Rechtsanwalt” wird das Gericht nicht beeindrucken. Trotzdem ist ein Dilemma erzeugt worden. Verurteilt die Kammer den Rechtsanwalt zu einer Strafe, die in der Folge zu einer Aufhebung der Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer in Karlsruhe führen könnte, könnte der Eindruck entstehen, dass man hier einen unbequemen Strafverteidiger “an die Wand gehängt hat”. Bleibt das Urteil bei den Einsatzstrafen unter einem Jahr, könnte der Eindruck entstehen, dass der Anwalt als “juristischer Kollege” bevorzugt behandelt worden sein könnte.
Auch das ist bemerkenswert an der “Causa Rechtsanwalt”. Dabei steht aber nicht der Angeklagte im Rampenlicht, sondern die Verantwortlichen der Staatsanwaltschaft Mannheim, die bei sensiblen Prozessen – erinnert sei an die “Causa Kachelmann” – eher durch, freundlich formuliert, “unglückliches Agieren” auffällt.
Doch dieses Verhalten – zuletzt dokumentiert durch eine Unterlassungsverpflichtung, die die Staatsanwaltschaft Mannheim abgeben musste, um ein Urteil zu vermeiden – steht nicht vor Gericht. Gleichwohl müssen sich die verantwortlichen Personen bei der Staatsanwaltschaft Mannheim (Anm. d. Red.: Wir betonen “verantwortlich”, weil sicher nicht alle Bediensteten und Beamten dieser Behörde gemeint sind.) einen kritischen Blick gefallen lassen, der nicht nur auf einem Eindruck, sondern auf belegter Recherche beruht.
Staatsanwältin Thomsen kann öffentlich vortragen, diese Kritik sei “haltlos” und “entbehre jeglicher Grundlage” – damit belegt sie nur, dass es keine Bereitschaft gibt, mit Kritik konstruktiv umzugehen. Das zeugt eher von Selbstherrlichkeit. Und davor muss man sich immer in Acht nehmen – egal, wen es betrifft.
Das Urteil soll am kommenden Freitag, 09. Februar ab 11 Uhr, verkündet werden.
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