Mannheim, 28. März 2017. (red/pro) Aktualisiert – wir haben Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen unbekannten Polizeibeamten eingelegt (Gründe am Ende des Artikels). Die Anklage der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen einen Rechtsanwalt aus Mannheim wegen Drogenerwerbs und -besitzes gerät ins Zwielicht. Denn die Klage gehört eigentlich vor das Amtsgericht Mannheim als erste Instanz und nicht vor das Landgericht – zwar kann bei einer “besonderen Bedeutung einer Sache” die erste Instanz übersprungen werden, doch ist es nach unseren Recherchen äußerst fraglich, ob dies hier gegeben ist.
Von Hardy Prothmann
Wegen der besonderen Bedeutung der Sache, die sich aus der beruflichen Stellung des Angeschuldigten ergibt, hat die Staatsanwaltschaft Anklage zum Landgericht Mannheim erhoben, § 74 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Nr. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG),
begründete die Staatsanwaltschaft Mannheim am 27. März in ihrer Pressemitteilung die Anklage vor dem Landgericht statt dem eigentlich zuständigen Amtsgericht (Schöffengericht). (siehe unten den verlinkten Artikel)
Nach unseren Informationen hat der Verteidiger des angeklagten Rechtsanwalts beim Landgericht die Verweisung ans Amtsgericht beantragt. Denn die “besondere Bedeutung der Sache” ist mehr als fragwürdig.
Konstruierte “besondere Bedeutung”
Die “berufliche Stellung” des Angeklagten, also ausschließlich seinen Beruf als “besondere Bedeutung” zu werten, wirkt konstruiert. Und von außen betrachtet, wirkt auch der Vorgang konstruiert. Es hat zum Beispiel kein wahrnehmbares öffentliches Interesse vor der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft gegeben – obwohl die Causa in Justiz- und Medienkreisen seit Wochen bekannt war. Unsere Redaktion hat beispielsweise seit über vier Wochen detaillierte Kenntnisse.
Mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung wird aber ein öffentliches Interesse hergestellt – verschiedene Medien haben über die Anklage berichtet und mit weiteren Details angereichert, die zum aktuellen Stand der Dinge nur den Behörden, dem Angeklagten und dessen Verteidiger bekannt sein können. Kurzum: Die Staatsanwaltschaft selbst hat die Öffentlichkeit hergestellt, die nun ein Beleg für ein öffentliches Interesse sein könnte.
Interessengeleitete Informationsübermittlung?
Pikant: Der Angeklagte hat sich nach unseren Informationen definitiv nicht gegenüber Medienvertreter geäußert – außer gegenüber uns im Zuge einer anderen Recherche, da der Angeklagte unter dem Siegel des Quellenschutzes mit uns gesprochen hat. Woher hat die Lokalzeitung also ihre Informationen? Deren Quelle ist vermutlich eine Behörde – also die Staatsanwaltschaft Mannheim oder die Kriminalpolizei.
Wir beobachten sehr kritisch, dass immer wieder anscheinend Informationen “durchgestochen” werden – und dass bei einer Staatsanwaltschaft, die sich sonst sehr wortkarg präsentiert und insbesondere bei “Nationalitäten” und “Minderjährigen” auf Schutzgründe pocht. Gegenüber einem angesehenen und erfolgreichen Anwalt spielt diese “Haltung” möglicherweise keine Rolle mehr. Möglicherweise hängt dieser direkte Draht auch mit familiären Verbindungen zwischen der “Polizei”-Reporterin und deren Ehemann, der Polizist ist, zusammen.
Auf Anfrage geben sich Polizei und Staatsanwaltschaft Mannheim unschuldig. Niemand habe etwas über die Presseinformation hinaus mitgeteilt. Mit Verlaub – das ist vollständig unglaubwürdig. Wir glauben unseren Kontaktpersonen, dass diese selbst nicht “beteiligt” sind, wir glauben aber auch, dass es entweder bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft Mannheim “undichte Stellen” gibt, die interessengeleitet Informationen nach außen geben.
Und dieser Zustand währt schon lange an – Bemühungen behördlicherseits, Tatverdächtige in eigener Sache zu ermitteln, sind uns nicht bekannt.
Erstaunliches Vorgehen der Staatsanwaltschaft Mannheim
Warum haben wir also bislang nicht berichtet? Weil der Angeklagte für uns eine Quelle ist und Angaben von Quellen behandeln wir immer vertraulich und niemals zum Schaden gegen die Quelle. Lieber verzichten wir auf ein Story. Weiter war für uns klar, dass der Fall mit Sicherheit vor Gericht kommt. Die vorgeworfenen Straftaten liegen zurück, eine Gefahr weiterer Straftaten konnten wir nicht erkennen.
Die von der Staatsanwaltschaft herausgestellte “besondere Bedeutung” ist unserer Ansicht nach mehr als fraglich, denn die Drogen wurden privat und nicht im öffentlichen Raum konsumiert. Der Konsum zog keine weiteren Straftaten nach sich. Es wurde keine dritte Person geschädigt.
Sehr erstaunlich ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Mannheim – gerade vor dem Hintergrund der von dieser so explizit herausgestellten “besonderen Bedeutung”. Wenn die Staatsanwaltschaft das ernst meinte, hätte sie auf “Schaufenster”-Razzias in Büro und Wohnung des Rechtsanwalts verzichten können. So etwas kann man auch diskret vornehmen.
Wie eine Lokalzeitung berichtet, ist der Tatverdächtige verhaftet worden und saß auch eine Woche in Untersuchungshaft. Diese Information ist zutreffend. Aber merkwürdig. Der Tatverdächtige musste nicht gesucht werden. Er war nicht auf der Flucht. Es bestand keine Gefahr weiterer Straftaten. Die Adresse des Beschuldigten ist den Behörden selbstverständlich bekannt gewesen. Der Zugriff erfolgte aber direkt vor dem Landgericht Mannheim, in das der Anwalt zu einem Prozess wollte. Man hätte ihn jederzeit zu Hause oder an anderer Stelle verhaften können.
Eine Fluchtgefahr ist nach unserem Dafürhalten nicht gegeben – es gibt zwingende private und berufliche Gründe, die nachvollziehbar dagegen sprechen. Das weitere Verhalten des Beschuldigten ist derart vorbildlich, dass dies geradezu gegen eine “besondere Bedeutung” spricht. Er hat sich zu den Tatvorwürfen eingelassen, ist also mindestens in Teilen geständig. Er weiß, dass es eine Strafe geben wird und hat sich der eigenen Verantwortlichkeit glaubhaft und nachvollziehbar gestellt.
Soll hier ein Exempel statuiert werden?
Warum also dieses Verhalten der Staatsanwaltschaft Mannheim? Verhaftung im öffentlichen Raum auf dem Weg zur Arbeit. Untersuchungshaft. Durchstechen von Details der Anklage. Einordnung als “besondere Bedeutung” und Überspringen einer gerichtlichen Instanz, die möglicherweise die Verteidigungschancen des Anwalts behindert. Soll hier ein Exempel statuiert werden?
Man könnte geneigt sein zu meinen, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim nicht objektiv agiert, sondern die Chance wittert, mit dem beklagten Anwalt “nach Strich und Faden” abzurechnen. Denn der ist seit vielen Jahren ein Stachel im Fleisch der Staatsanwaltschaft und kritisiert immer wieder schmerzhaft Ermittlungsfehler der Behörden. Das ist sein Job als Verteidiger und so sieht der Rechtsstaat das vor. Angenehm ist das nicht für die Staatsanwaltschaft Mannheim.
Erinnerung an den Fall Kachelmann
Diese Meinung über die Staatsanwaltschaft Mannheim sollte man aber nicht haben müssen, wenn diese ihren Job nachvollziehbar und angemessen verrichten würde. Dazu gehört übrigens auch, nicht nur belastende Beweise zu sammeln, sondern ebenso entlastende Tatumstände – doch davon ist nach unseren Informationen genau nichts zu erkennen. Vielmehr scheint es, als böte sich eine willkommene Gelegenheit, den Anwalt härter als nötig “ranzunehmen”, um ihm möglicherweise “ärgerliche” Erfahrungen heimzuzahlen.
Das wäre ein Skandal. Damit hat die Staatsanwaltschaft Mannheim allerdings Erfahrung. Man denke nur an den Fall Kachelmann. Es wäre also nicht das erste Mal, dass diese Behörde agitativ vorgeht und im Ergebnis eine Existenz über Gebühr beschädigt.
Man darf gespannt sein, wie die Causa “besondere Bedeutung” weitergeht. Soweit wir wissen, hat die Staatsanwaltschaft Mannheim bis heute niemals geprüft, ob es in der eigenen Behörde oder bei der Polizei “undichte Stellen” gibt, die Informationen nach außen geben, was strafbar sein könnte.
Hier ist das “Ermittlungsinteresse” der Staatsanwaltschaft Mannheim erstaunlich träge und offensichtlich vollständig ahnungslos. Man könnte meinen, dass das “gewissen Interessen” im Weg stehen könnte. Aber davon gehen wir nicht aus, weil wir als Verteidiger des Rechtsstaats dringend davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim ausschließlich rechtsstaatlich vorgeht und niemals “interessengeleitet”.
Tatsächlich vertreten wir die Auffassung, dass die Causa “besondere Bedeutung” nicht den angeklagten Rechtsanwalt meint, sondern die ermittelnde und klagende Behörde Staatsanwaltschaft Mannheim.
Der Beschuldigte ist geständig. Er weiß aus “beruflichen Gründen” um die Bedeutung und Tragweite der Vorwürfe gegen ihn. Er rechnet mit einer Strafe und hat sich damit persönlich in nachvollziehbarer Form auseinandergesetzt.
Damit gewinnt die Causa “besondere Bedeutung der Sache” durch die Staatsanwaltschaft Mannheim einen anrüchigen Drive, dessen Ende offen ist. Es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Strafe für den Beschuldigten geben – aber möglicherweise auch eine Bestätigung seiner oft ätzenden Kritik an der Arbeit der Ermittlungsbehörden.
Im Gegensatz zu sonst geht es für den Rechtsanwalt um eine “eigene Sache”. Er hat alles Recht auf seiner Seite, um sich ordentlich verteidigen zu können. Die Staatsanwaltschaft Mannheim macht aus einem wenig spektakulären Drogenkonsumentenfall eine Big Story.
Wir sind gespannt, wem die am Ende vor die Füße fällt.
Aktualisierung, 29. März 2017, 10:59 Uhr:
In ihrer heutigen Ausgabe berichtet die Lokalzeitung Mannheimer Morgen über das “Protokoll einer Recherche” zu dieser Angelegenheit. Hat die Zeitung die Staatsanwaltschaft auf die Idee gebracht, die Anklage als “besondere Bedeutung der Sache” zu sehen? Zumindest argumentierte die Zeitung wohl gegenüber dem Verwaltungsgericht Karlsruhe und der dortigen Generalstaatsanwaltschaft entsprechend.
Geradezu unglaublich ist die Offenlegung der Quellenlage. Laut Mannheimer Morgen habe man von einer Quelle bereits im Dezember von der Verhaftung des Beschuldigten erfahren und dann noch von zwei weiteren Quellen Informationen erhalten. Dies kann so sein, es kann aber auch sein, dass zwei weitere Quellen erfunden wurden, um die eine Quelle dadurch zu schützen. Wir können das nicht prüfen.
Tatsächlich haben wir mit heutigem Datum Dienstaufsichtsbeschwerde gegenüber Unbekannt beim Polizeipräsidium Mannheim eingereicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sitzt die undichte Stelle bei der Kriminalpolizei. Auch in der Vergangenheit wurden der Zeitung Informationen gesteckt, die diese sofort verwertet hat. Damit liegt ein Verstoß gegen die Schweigepflicht von Beamten vor. Die Beweggründe erachten wir als niederträchtig, weil der angeklagte Anwalt häufig und zu Recht Ermittlungsfehler der Polizei angeprangert hat. Möglicherweise will man sich an dem Mann rächen – doch Rache ist das Ende des Rechtsstaats.
Anm. d. Red.: Unsere Leserschaft muss wissen, dass wir im Rahmen unserer Arbeit wie jedermann an Gesetze gebunden sind. Wir haben viele Möglichkeiten der Informationsrecherche, des Quellenschutzes und der Berichterstattung, aber es gibt auch Grenzen, beispielsweise § 353d StGB. Wir arbeiten häufig investigativ, aber immer im Rahmen der Rechtsstaats und seiner Gesetze. Illegale Methoden der Informationsbeschaffung lehnen wir aus berufsethischen Gründen strikt ab. Im vorliegenden Fall haben wir umfangreiche Detailkenntnisse, die wir aber ohne Rechtsverletzung zum aktuellen Zeitpunkt nicht öffentlich machen können. Wir sind wie immer sehr bemüht, die Öffentlichkeit ordentlich zu unterrichten – wir wägen öffentliche und private Interessen aber immer sehr genau ab. Insbesondere der Quellenschutz ist für uns heilig – uns ist noch nie eine Quelle “verbrannt”, wie das im Branchenjargon heißt. Und das wird auch so bleiben. Die aktuell von uns veröffentlichten Informationen beschädigen die Quelle nicht, sondern ordnen ein, was öffentlich im “Umlauf” ist.
Link: Hier die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Mannheim.