Mannheim/Rhein-Neckar, 08. Juni 2017. (red/pro) Am 20. Mai haben wir berichtet, dass fünf Bezirksbeiratsmitglieder der Stadtverwaltung einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung vorwerfen und ebenso, dass diese Personen juristische Schritte prüfen. Eine Klage gab es nicht, dafür aber eine „Dienstaufsichtsbeschwerde“ gegen Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und Baubürgermeister Lothar Quast (beide SPD). Das ist für gewisse Medien ein gefundenes Fressen, um populistisch Stimmung zu machen. Recherche ist dafür nicht notwendig – man kommentiert einfach mal „Alarmsignale“.
Kommentar: Hardy Prothmann
In unserem Artikel vom 20. Mai haben wir den grundlegenden Sachverhalt umfangreich dargelegt. Die Beschwerde gründet sich vor allem auf Paragraf 6 „Entsendung in Ausschüsse“ der Geschäftsordnung für Bezirksbeiräte der Stadt Mannheim (Anm. d. Red.: mit Stand 22. Juli 2014). Den entsprechenden Paragrafen und seine Einordnung durch uns finden Sie in dem besagten Artikel: Nur soviel. Die Stadtverwaltung hatte mehrere Bezirksbeiräte zu einer Sondersitzung am 04. Mai 2017 geladen und über den Stand der Planungen informiert. Insofern ist der Vorwurf einer aktuellen Nicht-Beteiligung absurd.
Aber es geht noch weiter. In der Präambel der Geschäftsfordnung für den Bezirksbeirat heißt es:
Nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung Baden-Württemberg (GemO) ist der Oberbürgermeister Vorsitzender des Bezirksbeirats und legt auch die Tagesordnung fest. Die in der nachfolgenden Geschäftsordnung dazu beschriebenen Regelungen sind daher als Selbstverpflichtung des Oberbürgermeisters zu betrachten; erforderliche Änderungen kann der Oberbürgermeister uneingeschränkt vornehmen.
Um den Hintergrund möglichst einfach zu erklären. Mannheim muss keine Bezirksbeiräte haben. Dazu gibt es keine Vorschrift. Städte können Bezirksbeiräte einrichten. Es gibt also nur eine Kann-Regelung. Mannheim hat diese Bezirksbeiräte in allen 17 Stadtteilen eingerichtet. Jeweils 12 Bürger werden auf Vorschlag des Gemeinderats „bestellt“.
Achten Sie auf die Wortwahl
Achten Sie auf die Wortwahl: „Bestellt“. Nach Proporz der Wahlergebnisse der Parteien in den Stadtbezirken. Bezirksbeiräte sind damit nicht durch demokratische Wahlen legitimiert. Sie können auch nicht, wie eine Lokalzeitung einen Bezirksbeirat zitiert, „ihr Votum abgeben“. Ganz im Gegenteil. Die Bezirksbeiräte können nur Empfehlungen aussprechen – und zwar als mehrheitliche Gesamtentscheidung und nicht nach Meinungen von einzelnen Bezirksbeiratsmitgliedern.
Bezirksbeiräte sind eine von vielen Formen der Bürgerbeteiligung. Anscheinend gibt es aber einige Bezirksbeiratsmitglieder, die auch nicht ansatzweise wissen, was ihre Rolle ist. Sie sollen den Gemeinderat und die Stadtverwaltung verantwortlich beraten. „Politik zu machen“, gehört nicht zu den Aufgaben von Bezirksbeiräten und deren Mitgliedern.
Alarmsignale sind populistischer Blödsinn – oder doch nicht?
Wenn nun von „Alarmsignalen“ die Rede ist, weil die Bezirksbeiräte angeblich zu wenig gehört würden, dann ist das populistischer Blödsinn, der sich selbst bestätigt. Fake News. Es gibt kein Projekt in der Vergangenheit, das mehr Bürgerbeteiligung erfahren hätte als die Planung von Grünzug Nordost und einer zum Start durchgeführten Bundesgartenschau.
In den unmittelbar betroffenen Bezirksbeiräten war das ständig Thema und es gab wie gesagt im Vorfeld der Gemeinderatsentscheidung vom 23. Mai eine Sondersitzung am 04. Mai für die Bezirksbeiräte Käfertal, Neckarstadt-Ost, Neuostheim/Neuhermsheim, Schwetzingerstadt-Oststadt, Vogelstang und Wallstadt.
Andersherum wird ein Schuh draus. Man muss sich eher Sorgen machen, ob gewisse Bezirksbeiratsmitglieder überhaupt verstanden haben, was ihre Rechte und vor allem Pflichten sind.
Sie können sich informieren, sich beraten, sie können Empfehlungen abgeben, aber sie treffen keine politisch oder rechtlich relevante Entscheidung. Schon gar nicht außerhalb der Sitzungen der Bezirksbeiräte als Partisanenfraktion gewisser Parteien und Wählervereinigungen.
Ein wenig Recherche würde diesen Bezirksbeiratsmitgliedern und gewissen Medien gut anstehen. Beispielsweise die Lektüre des Paragrafen 5 der Geschäftsordnung für den Bezirksbeirat:
Von einer Vorberatung des Bezirksbeirates ausgenommen sind in der Regel:
(…)
– Beratungsgegenstände, die stadtweite Auswirkung haben bzw. zentrale Institutionender Stadt Mannheim betreffen.
An der Grenze zur vorsätzlichen Desinformation
Wenn zudem behauptet wird, man solle die Bezirksbeiräte doch besser lieber ein Mal öfter zu Wort kommen lassen, als ein Mal zu wenig, dann grenzt das angesichts der tatsächlich stattgefunden Bürgerbeteiligung schon fast an vorsätzliche Desinformation.
Ebenfalls nicht richtig ist der Ablauf der Konfrontation. Die Stadt hat nicht „juristisch geurteilt“, dass kann sie gar nicht, weil sie kein Gericht ist, sondern nach dem Vorwurf des angeblichen Verstoßes gegen die Geschäftsordnung ihre Sicht der Dinge mit Bezug auf die Geschäftsordnung und einer einberufenen Sondersitzung dargestellt. Und zwar auf Anfrage unserer Redaktion. Die Stellungnahme ging auch anderen Medien zu.
Es ist ebenfalls nicht richtig, sondern mehrfach falsch, dass „fünf Bezirksbeiräte“ eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht hätten. Erstens sind Bezirksbeiräte als Gremium keine juristisch handelnden Personen. Die Einrichtung „Bezirksbeirat“ ist juristisch handlungsunfähig. Und zweitens wäre das nur zutreffend, wenn fünf Bezirksbeiräte als Gremien geschlossen, also 60 Personen oder in jedem Bezirksbeirat zumindest die Mehrheit, diese Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht hätten. Haben sie aber nicht, sondern nur fünf einzelne Bezirksbeiratsmitglieder, was noch nicht einmal die Mehrheit in einem nicht verbindlich-beschlussfähigen Gremium von zwölf Personen ist.
Das Ziel: Krawall
Wer also vorsätzlich medial Begriffe derart verantwortungslos dem Volk zum Fraß vorwirft, agiert extrem populistisch, verdreht Tatsachen und Zusammenhänge und hat nur ein Ziel: Krawall.
Richtig ist, dass es gewisse Bezirksbeiratsmitglieder gibt, die immer wieder aktuell und andere früher, durch Unmutsäußerungen auffallen. Angeblich sei man nur ein „Feigenblatt“ und fühle sich „missbraucht“. Ganz ehrlich? Das ist möglicherweise kein Wunder, wenn deren inhaltlich leeres Gekreische von gewissen Medien immer wieder hochskandalisiert wird und so getan wird, als gäbe es irgendwelche Verstöße gegen irgendwelche Regeln, was sich bei genauerer Betrachtung als haltlos herausstellt.
Wir gehen nach sorgfältiger Recherche und Analyse davon aus, dass diese Dienstaufsichtsbeschwerde haltlos ist und vom Regierungspräsidium Karlsruhe als Aufsichtsbehörde zurückgewiesen werden wird.
Alarmsignal? Absolut
Und wir sprechen eine eindeutige politische Warnung aus: Wenn gewisse Leute in Ehrenämtern, in denen sie sich eigentlich uneigennützig und verantwortlich zeigen sollten, diese über Gebühr strapazieren und möglicherweise selbst missbrauchen und diese Leute in Verbindung mit gewissen Medien den Anschein erwecken, als würden verantwortliche Behörden und Ämter nur mauscheln und sich über Gesetze hinwegsetzen, dann sät genau diese Allianz Politikverdrossenheit bis Hass auf den Staat. Damit wird ein Nährboden bereitet, den die Hardcore-Populisten wunderbar beackern können. Und dass diese das mit zunehmendem Erfolg tun, muss man niemanden erklären, der sich politisch interessiert.
Man könnte es auch noch härter ausdrücken: Manche Geister sind entweder vorsätzlich bösartig oder wegen grundsätzlich fehlender Intellektualität Agitatoren der Pervertierung einer grundsätzlich wünschenswerten Einrichtung einer bürgerschaftlichen Beteiligung über die Gremien der Bezirksbeiräte.
Bürgerbeteiligung ist nicht per se „heilig“
Ganz selbstverständlich sind durch den Grünzug Nordost und die Buga23 sieben Stadtbezirke unmittelbar betroffen. Ganz sicher haben beide Projekte aber auch eine überwiegend stadtweite Auswirkung. Damit kann der Oberbürgermeister, was er umfangreich getan hat, die Bezirksbeiräte mit einbinden, er musste es aber nicht und hat es trotzdem getan.
Unsere Leserschaft weiß, dass wir keine „Hau-den-Bürgermeister-raus“-Veranstaltung betreiben, sondern sehr kritisch und streitbar allen Verantwortungsträgern gegenüberstehen. Langjährige Leser/innen wissen auch, dass ab 2009 Bürgerbeteiligungen immer wieder kritisch begleitet, aber im Kern unterstützt haben.
Tatsächlich musste sich unsere ursprüngliche, grundsätzlich positive Haltung gegenüber Bürgerbeteiligungen einer nüchternen Erfahrung beugen. Nach wie vor halten wir Bürgerbeteiligungen im Kern für eine gute Sache. Hat man es allerdings mit „Wutbürgern“ zu tun, die sich „beteiligen“, wird es ganz schnell sehr unappetitlich.
Wenn dann noch agile Grüppchen auf den Plan treten, die absolut ihre eigenen Ziele durchzusetzen versuchen, wird es ganz streng. Denn dann werden Bürger vertrieben, die sich einbringen wollen, merken, dass das für sie persönliche Nachteile hat und abspringen. Diese Bürger sind für einen Beteiligungsprozess verloren. Übrig bleiben am Ende die Agitatoren und spätestens dann wird es populistisch.
Verantwortung der Medien
Insbesondere Medien haben hier eine sehr große Verantwortung. Sie sollen „die Mächtigen“ kontrollieren. Das RNB macht das, fragt aber auch, wer „die Mächtigen“ sind. Sind das die, die politische Macht haben oder auch die, die eine Meinungsdarstellungsmacht aufbauen und transportieren können. Und sei es mit Fake News?
Der Bürger auf der Straße hat nicht automatisch recht. Leserbriefschreiber schon gar nicht. Und Aktionsbündnisse sind immer mit Vorsicht zu genießen.
Wir selbst haben auch schon einige Male Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht. Die erste war gegen den Heddesheimer Bürgermeister Michael Kessler, der klar gegen das Landespressegesetz verstoßen hat, indem er uns nach Aufforderung nicht in den Presseverteiler aufgenommen hatte. Die Rechtsaufsichtsbehörde der Gemeinde, das Kommunalrechtsamt im Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, bestätigte die Auffassung des Dorfbürgermeisters. Wir mussten dem Kommunalrechtsamt dann juristische Nachhilfe geben. Dort entschied man sich dann für eine Empfehlung an die Gemeinde, unserem Wunsch nachzukommen.
Dienstaufsichtsbeschwerde? Klar, kann man machen
Aktuell hatten wir eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Polizeipräsidium Mannheim eingereicht – gegen unbekannt. Inhalt: Irgendwo gibt es in der Polizei undichte Stellen, die gewissen Medien frühzeitig aus laufenden Ermittlungen Informationen zustecken. Ergebnis: Diese wurde eingestellt, weil (bislang) nicht zu ermitteln war, wer das sein könnte. Wieder der Hinweis: Achten Sie auf die Wortwahl: „Bislang“.
Ziel und Zweck dieser Dienstaufsichtsbeschwerde ist von uns wohl überlegt. Wir wollen, dass ein Vorgang aktenkundig wird. Sollten Personen, die Dienstgeheimnisse verraten, in anderen Zusammenhängen ermittelt werden können, kann man rückwirkend feststellen lassen, dass es schon vor dem aktuellen Ereignis möglicherweise Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht gegeben hat.
Kenntnisreiche Leser/innen fragen sich jetzt: Was macht das RNB da? Lebt es im Zusammenhang mit investigativer Berichterstattung nicht davon, auch mal Dienstgeheimnisse zu erfahren? Diese Frage ist absolut berechtigt und wird beantwortet. Ja, vertrauliche Hinweise sind uns für unsere Arbeit mehr als willkommen. Der Unterschied: Wir gehen damit verantwortungsvoll um und schützen unsere Quellen. Nicht nur über Privilegien wie das Auskunftsverweigerungsrecht, sondern auch über die vernünftige Verwertung. Wir blasen nicht sofort alles raus, was uns „gesteckt“ wird. Wir überlegen immer sehr genau, wann und wie wir berichten.
Auch dazu haben wir eine klare Haltung. Selbstverständlich muss es Dienstgeheimnisse geben – stellen Sie sich mal vor, jeder Sachbearbeiter einer Behörde würde am Stammtisch oder heute über Facebook über alle möglichen Klienten was mitteilen. Selbstverständlich gibt es schützenswerte Interessen. Und selbstverständlich gibt es Dinge, die ans Licht kommen sollten oder sogar müssen – wenn Macht beispielsweise vorsätzlich missbraucht wird oder unhaltbare Zustände eintreten.
Wenn gewisse Medien aber immer wieder dadurch auffallen, dass man schnell über absolut exklusives Wissen verfügt und dieses selbst bei Kleinigkeiten benutzt, dann sollten die Quellen wissen, dass sie nicht – wie bei uns – in guten Händen, sondern in Gefahr sind.
Journalismus, Quellen, Bürgerbeteiligung, Machtkontrolle… wie hängt das alles zusammen?
Sie fragen sich jetzt: Warum wird das hier so mitgeteilt? Auch darauf gibt es eine präzise Antwort: In der jüngeren Vergangenheit sind viele Quellen aufgeflogen – verbrannt, wie man das im Journalismus nennt. Das prominenteste Beispiel ist Chelsea Manning mit der Aufdeckung eines Kriegsverbrechens der US-Streitkräfte im Irak. Der Frau, die früher ein Mann war, drohte wegen Verrat sogar die Todesstrafe – aktuell wurde sie vor kurzem wieder freigelassen. Lebensbedrohlich war für diese Person Wikileaks, deren Methoden wir grundsätzlich ablehnen.
Jetzt fragen Sie sich: Was haben Mannheimer Bezirksbeiräte, Wikileaks, die USA, Meinungsfreiheit und Journalismus miteinander zu tun? Sehr viel. In allen Fällen geht es um Grundsätzliches und Einzelfälle. Es geht um Ideale, Ideologien, Rechtsstaatlichkeit, dessen Grenzen, dessen Kontrolle und Übertretungen.
Journalismus sollte feststellen, wenn etwas schief läuft, aber auch, wenn etwas gut läuft. Grundsätzlich ist die Einrichtung „Bezirksbeirat“ positiv, um Bürger an der „Graswurzel“ zu beteiligen. Dabei ist aber die Verhältnismäßigkeit nicht nur zu beachten, sondern zu respektieren.
Wenn fünf einzelne Bezirksbeiratsmitglieder von insgesamt 204 in Mannheim meinen, sie müssten auf vollständig absurder Argumentationsbasis eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Oberbürgermeister und einen Bürgermeister einreichen, dann haben sie dazu die Möglichkeit und können geltendes Recht nutzen. Dafür müssen sie übrigens noch nicht einmal Bezirksbeiräte sein, das kann jeder Bürger machen. Ohne Kosten, ohne Konsequenzen.
Wenn gewisse Medien diese Aktion in Aberkennung der absurden Verhältnislosigkeit zum „Alarmsignal“ hochstilisieren, dann ist Alarm angesagt. Gegen Fake News. Gegen Populismus. Gegen Desinformation.
Diese fünf Bezirksbeiratsmitglieder haben keinen „juristischen Weg“ beschritten. Es kostet sie kein Geld. Sie haben dafür scheinbar viel billige Aufmerksamkeit erhalten. Aber auch nur scheinbar. Wir berichten über den Ausgang, über den Inhalt der Beschwerde und über die verantwortlichen Personen und werden die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe einordnen.