Weinheim, 23. Juni 2015. (red/pm) Aktualisiert. Im Weinheimer Gemeinderat kommt es zum Eklat: Ist Heiner Bernhard (SPD) als Oberbürgermeister noch tragbar? Diese Frage stellt die Weinheimer Liste – sie hat vergangene Woche beim Regierungspräsidium Karlsruhe eine Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen den amtierenden Oberbürgermeister eingereicht. Herr Bernhard steht im Verdacht, vor drei Gerichten wissentlich Falschangaben gemacht zu haben. Wir dokumentieren die Positionen verschiedener Fraktionen und Stadträte im Gemeinderat.
Am 16. Juni 2015 hat die Weinheimer Liste eine Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) beim Regierungspräsidium Karlsruhe eingereicht. Herr Bernhard steht im Verdacht, vor drei Gerichten wissentlich falsche Angaben gemacht zu haben, um so einen Bundesparteitag der NPD in der Weinheimer Stadthalle zu verhindern.
Der Staatsgerichtshof – das höchste Gericht Baden-Württembergs – gab der NPD recht und begründet, man entscheide nicht politisch, sondern nach der Rechtsstaatlichkeit. Schließlich wird der NPD-Parteitag in der Stadthalle abgehalten. Außerdem reichte die NPD schon im November 2014 eine Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Bernhard ein, die aktuell vom Staatsgerichtshof bestätigt worden ist.
Kontroverse im Gemeinderat
Die Beschwerde der Weinheimer Liste aus der vergangenen Woche sorgt für einen Eklat im Weinheimer Gemeinderat: Die Fraktionen von SPD, CDU und Freien Wählern solidirisieren sich mit Oberbürgermeister Bernhard. Der Weinheimer Liste gehe es gar nicht um eine Aufklärung, sondern darum, den Oberbürgermeister zu beschädigen oder der NPD in die Karten zu spielen, so die Vorwürfe. Die Weinheimer Liste selbst sagt dazu:
Wir solidarisieren uns nicht mit der NPD – sondern mit dem Staatsgerichtshof.
Es gehe darum, den Sachverhalt nüchtern und sachlich aufzuarbeiten und einige Fragen zu klären, die noch offen seien: Etwa wie hoch die verlorenen Prozesskosten für die Stadt sind. Außerdem habe es von Seiten des Oberbürgermeisters bis heute keine Erklärung gegeben, in der er Zeichen von Reue für sein „Tricksen“ vor Gerichten gezeigt habe.
Wir dokumentieren die Stellungnahmen von Fraktionen und Stadträten des Weinheimer Gemeinderats in chronologischer Reihenfolge.
Stellungnahme der Weinheimer Liste vom 16. Juni 2015:
„Es geht nicht um die NPD. Schon gar nicht für die Weinheimer Liste. Es geht auch nicht um ein Nachkarten. Es geht aber um ein Nachhaken und darum, dass die Verwaltung und der Oberbürgermeister der Stadt Weinheim verstehen und kapieren müssen, dass es in einem gesetzlichen Verwaltungshandeln keine Rechtfertigung dafür und auch kein Notlügerecht gibt. Weder im Gemeinderat noch vor deutschen Gerichten.
Wer will einer Verwaltung und einem Oberbürgermeister zukünftig noch bei öffentlichen Statements zu welchen Sachverhalten und gegenüber welchen Institutionen auch immer glauben, wenn diese vor Gericht nicht nur wider besseren Wissens falsche Tatsachen behaupten sondern sogar solche falschen Tatsachen selbst als Prozesslüge konstruieren?
Der Sachverhalt ist so kurz wie klar: Die NPD hatte für ihren Bundesparteitag die Nutzung der Stadthalle beantragt. Nach einigem Liegenlassen des Antrags behauptete die Stadtverwaltung auch vor Gericht und wider besseren Wissens, dass die Halle bereits zu einem angefragten Termin belegt sei.
Lügen haben kurze Beine. Die Stadt hat ihre Quittung durch das Urteil des Staatsgerichtshofs vom Oktober 2014 erhalten und aktuell durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs auch die Prozesskosten des mit der NPD geführten Verfahrens auferlegt bekommen.
Wer ein „Asche auf mein Haupt“ oder wenigstens irgendeine reuige Erklärung seitens der Verwaltungsspitze erwartet hat, Fehlanzeige! Die offizielle Stellungnahme der Stadt lautet weiterhin so, dass die Verwaltung nur „Alle uns zur Verfügung stehenden juristischen Mittel ausgeschöpft“ habe, um einen NPD-Parteitag in Weinheim zu verhindern. Man bedauert, dass „diese Mittel leider nicht ausgereicht haben“.
Handgreiflich hält somit die Stadtverwaltung den Griff zu einer vorsätzlichen Prozesslüge weiterhin für ein legitimes juristisches Verteidigungsmittel. Bedauert wird so nur, dass es mit der Prozesslüge schlussendlich nicht geklappt hat. Dies kann so nicht stehenbleiben. Wer eine solche Rechtsauffassung vertritt, kann auch nicht Oberbürgermeister einer Stadt bleiben.
Die Weinheimer Liste möchte bei der Grundsatzfrage der Inanspruchnahme eines Rechts auf Prozesslüge durch den Oberbürgermeister der Stadt Weinheim das Feld nicht der NPD überlassen. Die Weinheimer Liste hat deshalb heute eigenständig Rechtsaufsichtsbeschwerde beim Regierungspräsidium erhoben in der Hoffnung, dass dort die Maßstäbe des Rechtsstaats, wie sie auch für Weinheim zu gelten haben, für Weinheim und deren Oberbürgermeister zurechtgerückt werden.
Die Hoffnung bleibt, dass auch Andere in Weinheim lernen, dass der Rechtsstaat, wie wir ihn alle engagiert und gerade gegen rechtsradikale Strömungen verteidigen wollen, nur dann bestehen kann, wenn er selbst seinen eigenen Grundprinzipien der Rechtswahrung folgt. Wer allerdings so wie das Urgestein der SPD in Weinheim, Herr Altstadtrat Martin Heckmann, in seinem am 20.05.2015 in den Weinheimer Nachrichten abgedruckten und der Rechtfertigung seines Parteifreunds Heiner Bernhard dienenden Leserbrief schreibt, wird wohl nicht lernen wollen und auch nicht lernen können.
Wer eine Prozesslüge rechtfertigt und der Stadt Weinheim „Anerkennung und Respekt zollt“ hat nicht verstanden, wovon und wie eine tatsächliche Demokratie leben und gelebt werden kann.
Die Weinheimer Liste bittet und fordert den Oberbürgermeister Heiner Bernhard auf, in der kommenden Sitzung des Gemeinderats nochmals und für alle laut zu hören, seinen Amtseid vorzusprechen. Eine Besinnung darauf und öffentliche Wiederholung ist mehr als angesagt.“
Stellungnahme der SPD vom 17. Juni 2015:
„Die SPD Fraktion ist über das Vorgehen der Weinheimer Liste sehr überrascht. Selbstverständlich steht es jeder Fraktion jederzeit zu eine Fachaufsichtsbeschwerde beim RP einzulegen. Dass sie über das Ergebnis allerdings keine Antwort vom RP erhalten wird, ist ebenso klar!
Wir möchten heute auch nicht über Schuld oder Unschuld sprechen – da werden wir auf ihre schriftliche Stellungnahme, Herr OB, warten. Allerdings, und das stellen wir mit Nachdruck fest, wissen wir, dass unser OB, Sie Herr Bernhard, in der Vergangenheit immer das Wohl der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger im Sinn hatten und haben.
Daß die Parteitage der NPD ein schiefes Licht auf unsere Stadt werfen, ist uns allen klar. Egal, wie sich eine Verwaltung hier aufstellt – sie wird immer mit Kritik zu rechnen haben. Wenn Sie Herr OB keine Versuche machen würden, die NPD zu verhindern, dann wären diejenigen, die heute so laut aufschreien, die, die Ihnen dann vorwerfen würden, dass Sie sich zu wenig angestrengt hätten, um diese in Weinheim zu verhindern.
Sollte beim Versuch die NPD in Weinheim zu verhindern, wie es jährlich viele andere Verwaltungen auch machen, ein Fehler passiert sein, dann werden wir damit leben müssen. Aber, in einer Zeit, in der sich eine Stadtgesellschaft auf den Weg macht, sich breit gegen die NPD in Weinheim aufzustellen, solch einen Antrag zu stellen, ist gelinde gesagt unsäglich, liebe Weinheimer Liste.
Nicht der Antrag ist unsäglich, sondern, die von Ihnen, damit verbundene Konsequenz, dass der OB nicht länger dieses Amt innehaben kann! Hier, liebe Weinheimer Liste, zeigen Sie Ihr wahres Gesicht! Es geht hier nicht um Aufklärung, sondern um einen persönlichen Krieg, den Sie nun schon seit Jahren in sich und mit sich tragen, und der jetzt zum Ausbruch kommt.
Hier geht es nicht um Glaubwürdigkeit, wie es die WL formuliert, sondern um einen rein populistischen und persönlichen Akt, der die Person des OB beschädigen soll. Doch, nicht alleine der OB wird beschädigt, sondern ganz Weinheim.
In einer Zeit, in der wir, alle demokratischen Parteien und Fraktionen, uns im Schulterschluss gegen die NPD positionieren sollten, legen sie genau diesen eine Steilvorlage vor, so dass sich alle Braunen der Regionen, verwundert und erfreut die Hände reiben können. Da können wir, die Sozialdemokraten der Stadt Weinheim nur sagen: Erbärmlich! Wir, die SPD, distanzieren uns von solche einer Vorgehensweise!
Wir stehen dafür ein, dass wir, rechtlich, alles dafür tun werden, damit wir nach außen zeigen können, dass wir, die Weinheimerinnen und Weinheimer die NPD nicht in unserer Stadt haben wollen! Dass wir die Menschen aufklären möchten, was Nationalsozialismus bedeutet und hoffen, dass sich auch die anderen Fraktionen klar positionieren.
Wir möchten diese Zeit, in der wir über extrem-rechte Ansichten in diesem Saal diskutiert wurden, nicht wieder zurück haben – es geht uns um demokratische Werte und um eine bunte Stadtgesellschaft. Darüber sollten Sie, die Fraktion der WL nachdenken und sich klar positionieren, denn im Moment haben Sie sich, vielleicht unbeabsichtigt, in eine ziemlich rechte Ecke, katapultiert!“
Stellungnahme der Freien Wähler vom 17. Juni 2015:
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Bernhard, sehr geehrte Damen und Herren,
das Vorgehen der WL missbilligen wir, ja, wir sind entsetzt.
Ihr Vorgehen, Frau Dr. König, schadet dem Ansehen vor Allem des Oberbürgermeisters, aber auch der Stadt Weinheim. Es spielt der NPD geradezu in die Karten.
Und das will die WL!
Dem OB sprechen wir als FW unser volles Vertrauen aus. Mit unserer Solidarität, Herr OB, können Sie in dieser Sache rechnen.“
Stellungnahme der CDU vom 18. Juni 2015:
„“Es geht um die Stadt Weinheim, um die Bürgerinnen und Bürger von Weinheim und um das politische Klima in Weinheim. Niemand möchte, dass Weinheim zu einer NPD-Hochburg wird. Deshalb gibt es von der CDU Weinheim diesbezüglich eine klare politische Unterstützung von Oberbürgermeister Heiner Bernhard“, so die Erklärung vom CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Roger Schäfer, „eine juristische Beurteilung der Vorgänge überlassen wir den dafür zuständigen Institutionen.“
Die CDU Weinheim und die CDU-Fraktion Weinheim missbilligen den unsäglichen Versuch der „Weinheimer Liste“, den Oberbürgermeister und auch den Gemeinderat zu beschädigen.
„Übertriebenes Machtkalkül und falscher politischer Ehrgeiz sind schlechte Ratgeber für eine gute Kommunalpolitik“, so Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion Holger Haring. „Unter Demokraten gilt der Grundsatz: Die politische Auseinandersetzung endet dort, wo die Persönlichkeit des Anderen beginnt. Die Angriffe der WL auf den Oberbürgermeister haben nur ein Ziel, nämlich ihn vorzuführen. Es zeigt die mangelnde Wahrhaftigkeit und das politische Unverständnis der WL. Diese von der WL geführten Angriffe auf den OB haben einen Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung erreicht. Sie sind schlicht unglaubwürdig, unredlich und beschämend. Sie entlarven die Mitglieder der WL als „Hau-drauf-Verein“ und politisch wenig überzeugend.““
Stellungnahme der FDP vom 18. Juni 2015:
„Wie berichtet, hat die Fraktion der Weinheimer Liste im Zusammenhang mit dem NPD-Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Regierungspräsidium Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen die Stadt Weinheim erhoben. Der Vorwurf der WL lautet auf „vorsätzliche Prozesslüge“.
Die FDP-Vertreter im Gemeinderat der Stadt Weinheim nehmen davon Abstand, eine rechtlich Bewertung des Vorgangs vorzunehmen. Dies zu tun ist jetzt Sache des Regierungspräsidiums. Selbstverständlich erwartet die FDP, dass alle in einer öffentlichen Verwaltung tätigen, von der Sachbearbeitungsebene bis zur Verwaltungsspitze, in Ausübung ihrer Amtstätigkeit nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit sagen.
Nun hat es der Oberbürgermeister in der vergangenen Gemeinderatssitzung zugelassen, dass unter dem Tagesordnungspunkt „Anfragen“ von der SPD-Gemeinderätin Kirgiane- Efremidis eine Fundamentalkritik am Vorgehen der WL verlesen wurde. Um die Fragestunde im Gemeinderat nicht zu einem Meinungsforum ausarten zu lassen waren bisher Beiträge unter diesem Tagesordnungspunkt eindeutig als Frage zu formulieren.
Die Zulassung eines ausführlichen Meinungs-Beitrags durch den Oberbürgermeister, in einer Sache, in der er selbst betroffen ist, ist nach Auffassung der FDP-Vertreter missbräuchlich, zumal die Gemeindeordnung die Aufnehme neuer Tagesordnungspunkte streng reglementiert. Da keine weitere Eingriffsmöglichkeit gegeben war, haben die FDP-Gemeinderäte es vorgezogen, die Sitzung zur Kundgabe ihres Protests gegen diese Vorgehensweise zu verlassen.
Stellungnahme der Linken vom 24. Juni 2015:
Aktualisiert am 24. Juni, 12:18 Uhr.
Anm. d. Red.: Dr. Carsten Labudda, Stadtrat für die Linke, hat auf eines unserer Facebook-Postings reagiert und dort Stellung genommen. Diese haben wir hier dokumentiert. Um den konkreten Verlauf verfolgen zu können, klicken Sie hier.
„Es steht nach dem Urteil der Verdacht im Raum, dass der OB vor Gericht die Unwahrheit gesagt haben soll. Das ist gut nachvollziehbar. Nun stellt die Weinheimer Liste in ihren Verlautbarungen den Vorwurf der „Prozesslüge“ als Tatsache hin und fordert den Rücktritt von Heiner Bernhard. Dabei beruft sie sich auf den Rechsstaat.
Nun ist selbst mir als juristischem Laien bekannt, dass ein Vorwurf noch kein Urteil ist. Eine Person gilt so lange als unschuldig, bis das Gegenteil erwiesen ist. Die Weinheimer Liste fordert also allein aufgrund ihres Verdachtes den Rücktritt.
Das hat nach meiner Auffassung mit Rechtsstaatlichkeit wenig zu tun, eher mit Vorverurteilung. Oder anders herum ausgedrückt: So begründet die Vermutung der Weinheimer Liste auch sein mag, sie ist eine Vermutung, keine Tatsache. Eine Tatsache wird aus der Vermutung nach meinem Laienwissen juristisch erst dann, wenn sie von den zuständigen Stellen festgestellt wird.
Deshalb kann sich die Rücktrittsforderung der Weinheimer Liste nach meiner Auffassung nicht auf den Rechtsstaat berufen, weil das auf die WL zurück fällt. Bleibt also, dass diese Forderung politisch zu betrachten ist, und da halte sie – da sie vor der Feststellung der Tatsachen erfolgt ist – mindestens für vorschnell.
Ich halte sie für einen Ausdruck des Politikverständnisses zumindest eines Teils der WL, welches zu schneller und lautstarker Skandalisierung neigt, sobald man glaubt, etwas kritisieren zu können. Ein solches Politikverständnis kann man ja haben, aber ob das immer so angemessen oder gar zielführend ist, möchte ich bezweifeln.
Auf jeden Fall sollte man, wenn man selbst gern kräftig austeilt, dann auch mal einstecken können. Herr Dr. Lehner hat in in der letzten Stadtratssitzung wahrlich nicht den Einruck gemacht. Was man dem OB vorhalten kann, ist der Umstand, dass er in der Fragerunde ein Statement zu seinen Gunsten zugelassen hat, während er sonst immer gern durchsetzt, dass tatsächlich nur Fragen gestellt werden. Das erweckt den Eindruck, dass er hier mit zweierlei Maß gemessen hat.
Ich finde es dennoch schade, dass einige Stadträte daraufhin den Ausführungen von Frau Kirgiane-Efremidis das Zuhören verweigert haben. Einer Versachlichung der Debatte ist Nicht-Zuhören nämlich nicht dienlich.“
Anm. d. Red.: Wir haben auch bei der Fraktion der Grünen nach einer Stellungnahme gefragt. Bislang liegt uns eine Antwort nicht vor. Wenn sich das noch ändert, werden auch ihre Position in dieser Dokumentation ergänzt.“