Weinheim, 22. Juni 2015. (red/ms) Oberbürgermeister Heiner Bernhard macht vor Gericht wissentlich falsche Angaben – CDU, SPD und Freie Wähler heißen das gut, schließlich geht es gegen die NPD und dabei wird offenbar jedes Mittel “Recht”. Die Weinheimer Liste solidarisiert sich mit der Entscheidung des Staatsgerichtshof und reicht eine Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen den Oberbürgermeister beim Regierungspräsidium Karlsruhe ein. Es folgt eine Hetzkampagne, in der diejenigen diffamiert werden, die für den Rechtsstaat und die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten.
Von Minh Schredle
Am 17. Juni treffen wir vor der Gemeinderatssitzung die beiden Rechtsanwälte Peter Lautenschläger und Dr. Michael Lehner in einem Weinheimer Cafe. Beide sind politisch für die Weinheimer Liste aktiv. Herr Lautenschläger war bis 2014 im Gemeinderat, Herr Dr. Lehner ist es immer noch.
In knapp zwei Stunden wird eine öffentliche Gemeinderatsitzung stattfinden. Einen Tag zuvor hat die Weinheimer Liste eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) eingereicht.
Zweck heiligt alle Mittel?
Das Thema ist brisant: 2013 hat die rechtsextreme NPD ihren Bundesparteitag im Ortsteil Sulzbach abgehalten. Ein Jahr später soll Weinheim erneut als Standort ausgewählt werden, diesmal die Stadthalle. Ohne den Gemeinderat davon in Kenntnis zu setzen, behauptet Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD), der selbst als Verwaltungsjurist für die Stadt Heidelberg gearbeitet hat, die Stadthalle wäre an allen denkbaren Terminen bereits besetzt – eine wissentliche Falschaussage, wie sich später herausstellen sollte.
Die NPD reicht Klage ein, diese wird von den Verwaltungsgerichtshöfen Mannheim und Karlsruhe – die offenbar Weinheims Oberbürgermeister glaubten, ohne seinen Sachvortrag zu überprüfen – abgewiesen. Recherchen des Rheinneckarblog deckten auf: Die Angaben des Oberbürgermeisters entsprechen nicht der Wahrheit. Erst im Nachhinein wurde in Absprache mit der Kirche konstruiert, dass diese schon vor der NPD die Stadthalle angefragt hätten.
Die NPD klagt weiter, schließlich wird der Fall vor dem Staatsgerichtshof – dem höchsten Gericht Baden-Württembergs – verhandelt. Und das Gericht erlässt eine Eilverfügung: Die Stadt Weinheim muss die Stadthalle zur Verfügung stellen. Wie bereits jetzt feststeht, soll auch 2015 der Bundesparteitag der NPD wieder in der Weinheimer Stadthalle stattfinden.
Gerichte dürfen nicht politisch entscheiden
In der Begründung des Staatsgerichts heißt es, dass man nicht politisch entscheide, sondern nach Recht und Gesetz. Und darin ist festgelegt, dass für alle zugelassenen Parteien die gleichen Bedingungen zu gelten haben. Also auch eine rechtsextreme NPD, solange diese nicht verboten ist. Das muss einem nicht gefallen – aber das ist die rechtsstaatliche Ordnung.
Parteien sind gesetzlich verpflichtet, Parteitage abzuhalten. Und wenn es einer Partei gestattet ist, in einer städtischen Einrichtung politische Veranstaltungen abzuhalten, muss es allen Parteien gestattet sein.
“Dieser Sachverhalt ist noch nicht abgeschlossen”
Die Verfehlungen von Oberbürgermeister Bernhard wurden bereits im November 2014 bekannt. Schon im Dezember reichte die NPD eine Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Bernhard ein. Jetzt folgte die Rechtsaufsichtsbeschwerde der Weinheimer Liste. Warum erst ein halbes Jahr später?
Rechtsanwalt und Stadtrat Dr. Lehner (Weinheimer Liste) sagt dazu:
Wir wollten das Thema erst ein bisschen liegen lassen, um es nicht unnötig zu skandalisieren. Es geht darum, das Fehlverhalten des Oberbürgermeisters sachlich und unaufgeregt aufzuklären.
Vielen Mitgliedern der Weinheimer Liste sei es nicht leicht gefallen, diesen Schritt zu gehen. Man habe das Vorgehen in drei Sitzungen beraten und sei zu dem Entschluss gekommen, man wolle “nicht einfach der NPD das Feld überlassen”. Fest steht für Dr. Lehner:
Dieser Sachverhalt ist noch nicht abgeschlossen und muss aufgearbeitet worden. Es gibt kein Notlügerecht. Und immer noch fehlt jede Erklärung des Oberbürgermeisters.
“Bedauert wird nur, dass es mit der Prozesslüge schlussendlich nicht geklappt hat,” heißt es in der Begründung der Weinheimer Liste zur Rechtsaufsichtsbeschwerde. Und weiter: “Wer eine solche Rechtsauffassung vertritt, kann auch nicht Oberbürgermeister einer Stadt bleiben”.
“Wir brauchen rechtlich-tragbare Methoden”
Peter Lautenschläger sagt, es sei richtig und wichtig, sich eindeutig gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeiten und Parteien wie die NPD zu positionieren. Aber: “Das muss man mit rechtlich tragbaren Methoden tun.” Er sagt außerdem:
Hoffentlich missbrauchen die anderen Fraktionen unsere Beschwerde nicht, um uns in die rechte Ecke zu stellen.
Sollte beim Versuch die NPD in Weinheim zu verhindern, wie es jährlich viele andere Verwaltungen auch machen, ein Fehler passiert sein, dann werden wir damit leben müssen.
An einer weiteren Aufklärung des Vorfalls scheint die SPD-Fraktion offenbar nicht interessiert zu sein. Stattdessen erhebt die Fraktion Vorwürfe gegen die Weinheimer Liste: Der Wählervereinigung gehe es gar nicht um Aufklärung, sondern nur darum, den Oberbürgermeister in einem “rein populistischen und persönlichen Akt” zu beschädigen. Dadurch habe sich die Weinheimer Liste in “eine ziemlich rechte Ecke katapultiert”.
Mitglieder der Weinheimer Liste, der CDU, der FDP verlassen die Sitzung, während die SPD ihre Erklärung verliest. Nicht nur wegen persönlicher Anfeindungen – die Stadträte sehen darin, dass die Erklärung verlesen werden darf, ohne dass ein entsprechender Tagesordnungspunkt angesetzt war, einen eindeutigen Verstoß gegen die Geschäftsordnung. Zumal Oberbürgermeister Bernhard sich ihrer Ansicht nach für befangen hätte erklären müssen.
Weinheimer Mehrheit solidarisiert sich gegen den Rechtsstaat
Es bleibt nicht bei fragwürdiger Kritik seitens der SPD. Schnell ziehen die CDU und die Freien Wähler nach. In einer Erklärung der CDU vom 18. Juni heißt es:
Die Angriffe der WL auf den Oberbürgermeister haben nur ein Ziel, nämlich ihn vorzuführen. Es zeigt die mangelnde Wahrhaftigkeit und das politische Unverständnis der WL. Sie sind schlicht unglaubwürdig, unredlich und beschämend. Sie entlarven die Mitglieder der WL als “Hau-drauf-Verein” und politisch wenig überzeugend.
In der Stellungnahme der Freien Wähler wird sogar die Fraktionsvorsitzende der Weinheimer Liste, Dr. Elke König, persönlich angegriffen – obwohl diese für die Dienstaufsichtsbeschwerde gar nicht federführend ist. Vermutlich geht es um eine “offene Rechnung” – war Frau Dr. König doch in der vergangenen Wahlperiode noch CDU-Stadträtin, die dann im Streit gegangen ist und für die WL antrat:
Das Vorgehen der WL missbilligen wir, ja, wir sind entsetzt. Ihr Vorgehen, Frau Dr. König, schadet dem Ansehen vor allem des Oberbürgermeisters, aber auch der Stadt Weinheim. Es spielt der NPD geradezu in die Karten. Und das will die WL!
Die Fraktionen von SPD, CDU und der Freien Wähler haben im Weinheimer Gemeinderat zusammen 24 von 38 Sitzen. Damit positioniert sich aktuell eine deutliche Mehrheit gegen eine sachliche Aufarbeitung des Vorfalls – und gegen die Weinheimer Liste, der nun tatsächlich unterstellt wird, sie wolle die NPD fördern.
Wer spielt wem in die Hände?
Besonders spannend ist auch folgender Vorwurf der SPD:
In einer Zeit, in der wir, alle demokratischen Parteien und Fraktionen, uns im Schulterschluss gegen die NPD positionieren sollten, legen sie genau diesen eine Steilvorlage vor, so dass sich alle Braunen der Region, verwundert und erfreut die Hände reiben können.
Bei diesen Worten wird offenbar “vergessen”, dass nicht die Weinheimer Liste der NPD eine Steilvorlage liefert – sondern Oberbürgermeister Bernhard. Denn dieser kann nun durch die NPD wegen seiner wissentlichen Falschaussagen vor Gericht zum “wahren Feind der Demokratie” stilisiert werden, während sich die NPD als Opfer inszeniert.
Oder ist inzwischen nicht mehr derjenige schuldig, der sich das Recht zurecht biegt, sondern derjenige, der solches Verhalten anprangert? Oder erfüllt der Oberbürgermeister mit seinen Falschaussagen gar eine Vorbildfunktion, solange es um die NPD geht?
Keine Erklärung möglich
Weder SPD noch CDU noch die Freien Wähler hätten versucht, einen Kontakt zur Weinheimer Liste herzustellen und Erklärungen anzuhören, bevor sie ihre Stellungnahmen veröffentlichten, erklärt Dr. Lehner auf Anfrage. Stattdessen bekomme man “diese haltlosen Unterstellungen” zu hören.
“Um eines ganz klar zu stellen”, sagt Dr. Lehner:
Wir solidarisieren uns nicht mit der NPD – sondern mit dem Staatsgerichtshof.
Ein Rechtsstaat könne nur dann bestehen, wenn er selbst seinen eigenen Prinzipien der Rechtswahrung folge.
Wer nicht lügt, ist Pro-NPD?
“Wir brauchen einen Selbstreinigungsprozess in der Kommunalpolitik”, sagt Peter Lautenschläger von der Weinheimer Liste. Dieses Rechtsverständnis von SPD, CDU und Freien Wählern könne langfristig verheerende Konsequenzen haben: “Entweder verstehen sie unsere freiheitlich-demokratische Grundlage nicht. Oder sie wollen sie nicht verstehen, wenn sie gerade nicht zu ihren Zielen passt.”
Auch Dr. Lehner hat kein bisschen Verständnis für die Vorwürfe von SPD, CDU und Freien Wählern:
Was ist das denn bitte für eine Auffassung? Wer vor Gericht nicht lügt, ist also Pro-NPD? Und wer diese Lügen nicht gutheißen will, ebenfalls?
Nach wie vor habe es keine Distanzierung des Oberbürgermeisters von den Falschaussagen vor Gericht gegeben. “Eine einfache Entschuldigung würde uns ja ausreichen”, sagt Dr. Lehner: “Aber wir wollen nicht, dass dieses Thema so lange totgeschwiegen wird, bis es vergessen ist. Schließlich geht es um das Oberhaupt unserer Stadt, das seine Glaubwürdigkeit stark beschädigt hat.”
Blindlinks gegen rechts
Man muss sich vor Augen führen, was sich aktuell in Weinheim abspielt: Ein Oberbürgermeister versucht drei Gerichte zu täuschen. Das fliegt auf – eine Distanzierung oder Erklärung vom Oberbürgermeister hat es bis heute nicht gegeben. Seitens SPD, CDU und der Freien Wähler scheint es nicht das geringste Interesse an einer Aufarbeitung zu geben. Wenn es gegen die NPD geht, wird offenbar jedes Unrechtsmittel Recht.
Dann wagt es die Weinheimer Liste als einzige Fraktion, das Fehlverhalten von Oberbürgermeister Bernhard als Fehlverhalten zu kritisieren – und plötzlich werden sie mit unsäglichen Diffamierungsversuchen zu “Steigbügelhaltern” für die Nationalsozialisten stilisiert. Das hat nichts mehr mit einer legitimen politischen Kontroverse zu tun. Hier findet eine Hetzkampagne statt.
Die CDU schreibt über die Beschwerde der Weinheimer Liste:
Diese von der WL geführten Angriffe auf den OB haben einen Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung erreicht.
Der Tiefpunkt ist tatsächlich erreicht. Aber sicher nicht, weil die Weinheimer Liste eine Rechtsaufsichtsbeschwerde eingereicht hat. Sondern weil ein Großteil der Weinheimer Repräsentanten im Kapf gegen die Feinde der Demokratie demokratiefeindliche Mitteln anwendet und alle, die ihrer Doppelmoral nicht blindlinks folgen wollen, als Förderer des Nationalsozialismus diffamiert.
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