Mannheim/Rhein-Neckar, 18. August 2017. (red/pro) Am Donnerstagvormittag kam es zum Schusswaffengebrauch durch Polizeibeamte gegen einen Mann, der diese im Laufe einer Kontrolle mit einem Messer attackiert haben soll. Die Schussabgabe soll notwendig geworden sein, nachdem der Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock den Mann nicht habe aufhalten können. Und reflexartig gibt es Äußerungen von Leuten, die alles mögliche wissen wollen, aber keine Ahnung haben. Viele Medien suchen nach “Zeugen” und transportieren deren Schilderungen – ungeprüft. Denn die Nachricht ist sensationell, da kann Recherche schon mal auf der Strecke bleiben.
Kommentar: Hardy Prothmann
Ah, der Besserwisser-Prothmann mal wieder! Wofür hält der sich? Was weiß denn der schon?
Ich kenne solche Reflexe gewisser Leute zur Genüge. Wenn wir beim RNB berichten, wissen wir es besser als andere – auch, wenn denen das nicht gefällt. Und wir halten was auf unsere Arbeit, denn wir arbeiten professionell nach Regeln. Wir wissen das, was wir wissen. Nicht mehr, nicht weniger. Wir blasen nicht alles raus, was wir irgendwo finden. Sondern wir prüfen und alles, was nicht überprüfbar ist, ziehen wir in Zweifel.
“Zeugen” sind immer mit Vorsicht zu behandeln
Selbstverständlich reden wir auch mit “Zeugen” – also Menschen, die was gehört oder gesehen oder erfahren haben wollen. Immer wieder erhalten wir dadurch wertvolle Informationen – beispielsweise auch die, das viel geschwätzt, aber wenig tatsächlich belegbar gewusst wird. Insbesondere unmittelbare Zeugen von Vorfällen sind wertvoll, weil sie vielleicht entscheidende Informationen haben, was diesen Personen aber nicht unmittelbar bewusst ist.
Denn jeder “Zeuge” hat seine eigene Wahrnehmung, sein eigenes Bild, sein eigenes Verständnis – und das taugt nur in ganz seltenen Fällen für eine umfassende Sicht auf welches Ereignis auch immer.
Wenn Medien solche “Zeugenaussagen” schnell und ungeprüft öffentlich verbreiten, um “Erste” zu sein, um “exklusiv” zu sein, dann beeinflussen sie andere “Zeugen”, sie manipulieren Sichtweisen, weil der eine sich “bestätigt” fühlt und der andere denkt: “Hm, vielleicht habe ich mich doch geirrt, ich sage lieber nicht, was ich denke, erlebt zu haben, sonst sage ich ja was ganz anderes als andere und bekomme Stress”.
Das Tötungsdelikt im September 2014 vor der H4-Wache war ein markantes Beispiel für die vollständige Unzulänglichkeit von “Zeugen” und medialer Hysterie. Erst puschten verschiedene Medien in der Region “Zeugenaussagen” – später vor Gericht stellte sich heraus, dass der Großteil vollständig unbrauchbar war und auf Hörensagen beruhte. Insbesondere Aussagen zu einem Fehlverhalten der Polizei. (Lesen Sie einen unserer Top-Texte) Keines dieser Medienangebote hat nach unserer Kenntnis reflektorisch in der Nachsicht die eigene Rolle kritisch betrachtet.
Aktuell weiß man wenig
Aktuell wissen Medienvertreter wenig über den Vorfall am Donnerstagvormittag, pumpen aber ordentlich die Sensation. Beispiel: Das Wort “Schießerei”. Es gab keine solche, weil “Schießerei” meint, dass mindestens zwei Personen aufeinander schießen.
Ein Mann soll randaliert haben, wurde kontrolliert, soll dann mit einem Messer auf Beamte losgegangen sein. Diese sollen versucht haben, den Mann mit Pfefferspray und Schlagstockeinsatz zu stoppen. Als letztes Mittel soll der Schusswaffeneinsatz nötig gewesen sein.
Haben Sie aufgepasst? Konjunktiv first, solange Fakten nicht gesichert sind!
Der Absatz beschreibt die gesamte Situation auf dem aktuellen Wissenstand. Ergänzt durch: Es hat einen Schusswaffeneinsatz gegeben. Ein Mann wurde von Polizeikugeln getroffen, kein Polizist wurde verletzt, wie viele Schüsse aus wie vielen Waffen abgegeben wurden, ist unklar. Ebenso, wer der Mann ist und wie es ihm gesundheitlich geht. Offenbar besteht keine Lebensgefahr.
Das Problem der Medien – betrifft auch uns -: Das ist zu wenig für eine “Top-Meldung”. Also wird aufgebauscht – das betrifft uns nicht.
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Der Staat hat das Gewaltmonopol und darf Gewalt auch anwenden
Was klar sein muss – insbesondere vor der Debatte über angebliche Polizeigewalt in Hamburg anlässlich des G20-Gipfels – ist: Der Staat hat grundsätzlich das Gewaltmonopol, das rechtsstaatlich geordnet ist. Polizisten müssen immer dann Gewalt ausüben, wenn dies notwendig ist, um Gefahren abzuwehren. Dabei gilt es immer eine Abwägung der Mittel zu wahren – aber nicht das letzte Mittel pauschal zu kritisieren. Eine Schusswaffe ist eine sehr große Macht, die als solche auch verantwortlich eingesetzt werden kann und muss.
Was vielen Leuten immer noch nicht klar ist: Ein Messer ist auf kurze Distanz eine absolut tödliche Waffe. Potenziell viel tödlicher als eine Pistole. Polizeibeamte, die in eine kurze Distanz zu einer Person gehen, begeben sich immer in allergrößte Gefahr, wenn plötzlich ein Messer auftaucht. Im Zweifel ist dann die Dienstwaffe vollständig nutzlos.
Ich behaupte – auf Basis sehr weniger Informationen -, dass dieser Vorfall Konsequenzen haben muss und wird. Sollten die Beamten tatsächlich versucht haben, den Mann mit Pfefferspray und Schlagstöcken zu kontrollieren, nachdem dieser ein Messer gezogen hatte und damit auf die Beamten losgegangen ist, haben die Beamten möglicherweise unverantwortlich gehandelt, weil sie ihre Eigensicherung nicht gewährleistet haben könnten. Gehen Sie davon aus, dass wir da dran bleiben.
Wenn jemand ein Messer zieht – egal welcher Größe – und eine erkennbare Bedrohungslage vorliegt, müssen Polizeibeamten einen Sicherheitsabstand herstellen, ihre Dienstwaffen ziehen und unmissverständlich klar machen, dass diese zum Einsatz kommen, wenn die Messerwaffe nicht weggelegt und damit unbedrohlich gemacht wird. Geschieht das nicht und erfolgt eine angreifende Bewegung, müssen Polizisten von der Schusswaffe sofort Gebrauch machen, um sich und andere Leben zu schützen. Und im Zweifel so schießen, dass der Angreifer gestoppt wird – auch unter Gefährdung dessen Lebens.
Es gibt kein Recht, andere mit Waffen zu bedrohen – es gibt sehr wohl ein Recht der staatlichen Gewalt, bedrohliche Personen unschädlich zu machen.
Selbstverständlich müssen Polizeibeamte auch deeskalativ vorgehen – wenn das nicht gelingt, bleibt nur die Eskalation. Alles andere ist argumentativ nicht begründbar, außer, man verlangt von Polizeibeamten, dass sie fortwährend über jedes Maß hinaus ihr Leben riskieren müssten. Undenkbar, weil unzumutbar.
Waffeneinsatz ist immer extrem
Klar ist – für die Polizeibeamten sind solche Ausnahmesituationen immer extrem. Keiner will jemanden “abknallen”. Das ist faktisch klar zu belegen. Aber ebenso klar ist, dass die Schusswaffe oft gezogen werden muss, weil “Ansagen” sonst nicht verstanden werden. Meist reicht der Griff zur Waffe oder auch der “Zug”, um eine Situation zu “entspannen”. Manchmal eben nicht. Gefühlt häuft sich das.
Der Vorfall am Donnerstagmorgen in den Quadraten lässt keinen Polizisten unbeeindruckt – nach unseren Informationen waren die beteiligten Beamten überhaupt nicht “glücklich” über den Ablauf. Da werden viele Fragen gestellt. Viele fangen mit “Warum?” an. Oder “was hätte?”. Die beteiligten Beamten werden betreut – nicht ohne Grund. Jeder Schuss kann tödlich sein. Dafür muss man nicht den Kopf oder das Herz treffen – auch der “Beinschuss” als vermeintlich milde Variante kann tödlich sein, wenn Hauptgefäße zerfetzt werden. “Ist nur ein Durchschuss, nicht so schlimm”, gibt es nur im Kino. In der Realität knallt es echt. Es riecht. Es fließt Blut. Die Herzen pumpen. Es gibt Angst. Adrenalin strömt. Bilder prägen sich ein.
Wir beim RNB gehen davon aus, dass der Ablauf sehr genau rekonstruiert wird und die Behörden dabei verantwortlich prüfen, ob der Schusswaffengebrauch angebracht und richtig war.
Selbstverständlich informieren wir Sie zutreffend über Informationen, die uns gesichert vorliegen. Das wird voraussichtlich dauern.
Worauf wir uns nicht verlassen, sind “Zeugen”, die irgendwas meinen. Hinweise nehmen wir zur Kenntnis und gehen diesen nach. Verantwortlich.
Nimmt der Schusswaffeneinsatz zu? Womöglich – aus Gründen
Auch hier ein Hinweis – wir haben schon vor langer Zeit gegenüber der Polizei unsere Sorge geäußert, dass Schusswaffeneinsätze zunehmen könnten – einerseits bedingt durch “Irre”, die das provozieren und andererseits durch Beamte, die auch nur Menschen sind und nervös werden, weil man aus aller Welt erfährt, wie viele “Irre” es gibt.
Aktuell ist unsere Sorge noch nicht validiert begründet, tendenziell aber schon. “Gefühlt” nehmen Schusswaffeneinsätze zu. “Gefühlt” aber auch die Notwendigkeiten dafür. “Gefühlt” meinen wir, dass das viel mit immer mehr “Irren” zu tun haben könnte.
Sie erkennen in unserer Berichterstattung immer, was faktisch belegt ist, was mutmaßlich ist und was “gefühlt” ist.
Unterm Strich liegen wir fast immer richtig. Hinweise von “Zeugen” nehmen wir immer an – aber wir blasen sie nicht gleich als Tatsachen in die Welt hinaus, denn das ist unverantwortlich und hat mit seriösem Journalismus nichts zu tun.
Anm. d. Red.: Wir waren aktuell aus Kapazitätsgründen nicht vor Ort. Wir können keine Bilder anbieten – aber eine Reflexion, die Sie in keinem anderen Medium finden. Wir bieten häufig Bilder für den Kopf und nicht fürs Auge. Der Kopf ist dem Auge überlegen – mit Recherche sowieso. Immer.