Rhein-Neckar, 28. November 2017. (red/pro) Die Urteile sind gesprochen. Anton Schlecker hat eine zweijährige Strafe erhalten und bleibt auf Bewährung frei. Seine Kinder müssen – sofern sie nicht erfolgreich Rechtsmittel einlegen – ins Gefängnis. Und landauf, landab empören sich verschiedene Medien, indem sie die Strafen in Frage stellen. Das ist Populismus pur, der sich kein Bisschen von der sonst gescholtenen AfD unterscheidet.
Kommentar: Hardy Prothmann
Ich bin kein Jurist. Auch kein Verwaltungsfachmann. Auch kein Polizist. Auch kein Angestellter in irgendeinem Unternehmen. Trotzdem berichten meine Kollegen und ich über Gerichtsprozesse, über Verwaltungshandeln, über die Polizei und die freie Wirtschaft. Das kann man verständig tun, wenn man sich akribisch kundig macht. Akribisch heißt Recherche über Recherche, viel Erfahrung und immer wieder von vorn beginnen: Wer, wie, wo, wann, was, warum?
Groß ist die Empörung
Sich kundig machen ist leider in der modernen Medienlandschaft eher lästig. Dementsprechend fallen auch viele Kommentare zu den Urteilen im Schlecker-Prozess aus. Groß ist die Empörung. Hier die, die sich angeblich bereichern wollten, dort die armen Schlecker-Frauen, die betrogen werden sollten. Das ist eine Mär, aber eine, die gut ankommt, weil die Bösen und die Guten einfach zu erkennen sind. Weil man nicht weiter nachdenken muss. Weil es so schön einfach ist.

Populistischer geht es nimmer: „Was haltet Ihr von dem Urteil?“, wird scheinheilig gefragt. Quelle: SWR
Das hat aber mit kritischem (sich-auseinandersetzendem) Journalismus nichts zu tun, wenn man die billige Popularismusmaschine bedient und den Affen Zucker gibt. Statt Aufklärung gibt es Empörung.
Was sind die Fakten?
Was ist passiert und warum haben die Richter wie entschieden?
Nach einem umfangreichen Beweisprogramm sah es die Kammer als erwiesen an, dass spätestens am 1. Februar 2011 – nach Eingang einer Betriebsauswertung für das Jahr 2010 – die Angeklagten zutreffend erkannten, dass dem Unternehmen Schlecker die Insolvenz drohte, teilte das Gericht heute mit (Az.: 11 KLs 152 Js 53670/12).
Herrn Schlecker nehme ich nicht in Schutz. Er hat verwerflich und strafbar gehandelt, ebenso seine Kinder. Dafür sind sie nun bestraft worden.
Der Angeklagte Anton Schlecker hat nach Überzeugung der 11. Großen Wirtschaftsstrafkammer auf unterschiedliche Art und Weise – etwa durch Zahlungen überhöhter Stundensätze an die faktisch von seinen Kindern geführte Logistikfirma LDG oder durch Geldgeschenke an seine Enkelkinder – Vermögenswerte in Höhe von insgesamt ca. 3,6 Millionen Euro beiseite geschafft, um diese dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen und seiner Familie zukommen zu lassen. Das wiegt schwer, dass ist ein Teil der Straftat, die zur Anklage kam.
Anton Schlecker ist wegen vorsätzlichem Bankrott in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Deren Vollstreckung ist zur Bewährung ausgesetzt. Daneben verhängte die Kammer gegen ihn eine Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 150 Euro – insgesamt 54.000 Euro – wegen vorsätzlichen Bankrotts in zwölf Fällen und falscher Versicherung an Eides statt.
Aber: Das Vorliegen einer „Gewinnsucht“ verneinte die Kammer, weshalb sie – abweichend von der Anklage – bei Anton Schlecker keinen besonders schweren Fall des Bankrotts annahm. Ein einst schwer reicher Mann hat also aus seiner Sicht „noch ein wenig Geld retten“ wollen. Was für ihn wenig erscheinen mag, sind für normale Arbeiter unglaubliche Beträge. Alles ist relativ.
Die Haftstrafen von Lars und Meike Schlecker beruhten laut Strafkammer im Wesentlichen darauf, dass sie sich als faktische Geschäftsführer am 20. Januar 2012 zusammen ca. 6,1 Millionen Euro von dem zu diesem Zeitpunkt bereits verschuldeten LDG Logistikunternehmen als Gewinnausschüttung ausbezahlen ließen. Dies wog noch schwerer, hier war der Vorsatz zur Hinterziehung von Geldern aus Sicht des Gerichts klar gegeben.
Seine beiden Kinder Lars und Meike Schlecker erhielten wegen dieser Untreue in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott, vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und Beihilfe zu zwölf bzw. zwei Bankrotttaten ihres Vaters, Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und neun bzw. zwei Jahren und acht Monaten.
Was ist nun dran an der Empörung?
Über fünf Jahre dauerte es von den Ermittlungen bis zum Urteil nach 29. Prozesstag. Das ist nunmal so. Es handelte sich um ein riesiges Unternehmen, das arbeitet man nicht in kürzester Zeit auf.
Strafmildernd, so stellte die Kammer eindeutig fest, wirkte bei allen Angeklagten die erfolgte Schadenswiedergutmachung. Insgesamt wurden rund 14 Millionen Euro bezahlt.
Dies führte dazu, dass die Strafkammer bei der Festsetzung der Strafen jeweils von einem geringeren Strafrahmen ausging und bei Lars und Meike Schlecker bei den Untreuetaten keinen „besonders schweren Fall“ annahm (vgl. § 46a Strafgesetzbuch. Bei Anton Schlecker erachtete die Kammer bei 13 Einzeltaten eine Freiheitsstrafe für nicht unerlässlich (vgl. § 47 Abs. 1 Strafgesetzbuch), weshalb sie für diese Fälle mit geringerer Schadenshöhe eine Gesamtgeldstrafe verhängte und diese neben der zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe gesondert stehen ließ (vgl. § 53 Abs. 2 Satz 2 Strafgesetzbuch).
Jahrzehnte für bezahlte Arbeit gesorgt
Bei aller Empörung wird vollständig vergessen, dass die Familie Schlecker über Jahrzehnte zehntausenden Menschen Arbeit gegeben hat – andere Arbeitsplätze wurden im Umfeld geschaffen, bei den Zuliefern und dem Transport, bei Steuerberatern, Rechtsanwälten und so weiter. Dazu hört man aktuell von niemandem mehr ein Wort des Dankes. Warum so undankbar? Warum nur das eine sehen und das andere nicht auch?
Es ist in Deutschland nicht strafbar, ins unternehmerische Risiko zu gehen. Es ist auch nicht strafbar, pleite zu gehen. Strafbar ist nur, wenn man sich dabei nicht korrekt verhält und das ist aktuell bestraft worden.
Der alte Schlecker hat sich zuvor nie etwas zuschulden kommen lassen, ist 73 Jahre alt und bankrott. Klar, er lebt vermutlich nicht in Armut, weil seine Frau noch Vermögen hat. Wie aber lebt man, wenn alle mit dem Finger auf einen zeigen? Denkt man darüber auch mal nach? Das Lebenswerk ist zerstört. Nicht vorsätzlich, nicht aus Gewinnsucht, sondern vermutlich aus eitler Hilflosigkeit – und ein Chance, sich wieder aufzurichten, hat er nicht.
Kein Arbeitsplatz ging durch das strafrechtlich-relevante Verhalten verloren
Die Familie Schlecker hat eben nicht keine Gewinnmaximierung zur persönlichen Bereicherung betrieben, als es dem Unternehmen noch gut ging.
Der Vorsitzende Richter stellte in seiner Urteilsbegründung klar, dass die Vermögensverschiebungen im festgestellten Umfang angesichts der offenen Forderungen gegen das Schlecker-Unternehmen von mindestens 30 Millionen Euro für die Insolvenz des Schlecker-Unternehmens nicht ursächlich waren,
teilte das Landgericht mit. Übersetzt: Kein Arbeitsplatz ist verloren gegangen, weil die Familie am Ende noch versucht hat, in die Kasse zu greifen. Ganz im Gegenteil gab es eine Schadenswiedergutmachung gegenüber dem Unternehmen und alle drei sind nun verurteilte Straftäter.
Ganz klar: Für die vielen Angestellten (zur Insolvenz noch rund 24.000) war das ein Schlag und alle, die dadurch in Schwierigkeiten geraten sind, kann man bemitleiden. Aber: Es gibt bei keinem Unternehmen dieser Welt eine Garantie, dass die Geschäfte immer gut laufen und der Arbeitsplatz von der Ausbildung bis zur Rente krisensicher ist.
Deshalb taugt das Thema auch nicht für populistische Zuspitzungen, sondern wäre es insbesondere bei Qualitätsmedien wert, aufgearbeitet zu werden. Aus Sicht des „Volkes“ sind alle Strafen immer zu niedrig. Gegen Rachegelüste sollten verantwortliche Medien Aufklärung stellen, das macht nämlich unsere Demokratie aus. „Hängt ihn höher“, ist nicht das, was unser Strafrecht ausmacht.
Fast drei Jahre sind fast drei Fünftel der Höchststrafe von fünf Jahren. Vermutlich gibt es genug, die selbst zehn Jahre für „zu wenig“ halten und auch nicht einsehen wollen, dass sich ein riesiger juristischer Apparat mit viel Sachverstand auf fünf Jahre Höchststrafe verständigt hat. „Mildernde Umstände“? „Ha – und wer hat mit mir Milde walten lassen“, beantwortet und beendet jede Diskussion.
Die Schleckers haben fertig
Die Schleckers haben fertig. Die Firma ist kaputt, das Vermögen weg, die Kinder müssen in den Knast. Jeweils fast drei Jahre Haft sind keine niedrige Strafe. Wer glaubt, dass die schnell rauskommen und sofort versorgt werden, stellt sich bitte mal vor, wie ein Bewerbungsschreiben verfasst wird: Guten Tag, ich heiße Schlecker, wurde unter anderem wegen Insolvenzverschleppung verurteilt und bewerbe mich bei Ihnen fürs Controlling. Wer glaubt daran, dass die beiden mit Handkuss genommen werden?
Urteile von deutschen Gerichten lassen sich nicht mit Facebookdaumen hoch oder grimmigem Wutsmiley beantworten, sondern nur mit einer angemessenen Berichterstattung, die sich vielleicht auch mal mit den rechtlichen Hintergründen befasst. In unserem Beispiel kritisieren wir den SWR – pars pro toto -, es gibt genug andere, die ebenso tönen. Es gab auch Beiträge beim SWR, die die Hintergründe einordnen. Aber es gibt insbesondere für einen öffentlich-rechtlichen Sender keine Begründung für eine „Daumen rauf – Daumen runter“-Fragestellung. Das wirkt wie Zirkus Maximus – und bekanntlich waren „Brot und Spiele“ bislang die dekadenteste Form von Populismus. Der geschichtliche Ausgang ist bekannt. Verantwortlicher Journalismus ist das nicht.
Viel Arbeit hat noch der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz vor sich. Den „Schlecker-Schatz“ hat er noch nicht gefunden. Aber er bleibt dran. Für die Gläubiger.
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Rechtliche Hintergründe:
§ 283 (Bankrott)
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit
1. Bestandteile seines Vermögens, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören, beiseite schafft oder verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht, (…)
8. in einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringert oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlicht oder verschleiert.
§ 46a Strafgesetzbuch (Schadenswiedergutmachung)
Hat der Täter 1. (…)
2. in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,
so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern (…) .
§ 47 Abs. 1 Strafgesetzbuch (Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen)
Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.
§ 53 Abs. 2 Strafgesetzbuch (Tatmehrheit)
Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Jedoch kann das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen; soll in diesen Fällen wegen mehrerer Straftaten Geldstrafe verhängt werden, so wird insoweit auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt.