Rhein-Neckar/Hamburg/Berlin, 17. Juli 2017. (red/pro) Überall auf der Welt ist Journalismus massiv bedroht – typischerweise denkt man bei dieser Gefahr an Entwicklungsländer oder Russland oder die Türkei. Doch das ist zu kurz gegriffen. Auch in Deutschland wird Journalismus aus allen Ecken in die Zange genommen – und damit meinen wir allen Ecken, auch durch den Journalismus selbst. Die Lage ist absolut alarmierend.
Von Hardy Prothmann
Haben Sie sich intensiv mit G20, den Gewaltakten, den Medienberichten und der Rolle der Journalisten beschäftigt? Sie meinen Ja? Ich meine Nein. Denn Sie können das gar nicht wissen, wenn Sie nicht selbst Journalist sind und/oder ganz tief drin in der Materie.
Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Demo-Reporter zu. Das sind oft junge Leute, meistens helmbewehrt und teils sogar mit richtiger Schutzausrüstung. Auf den Helmen und Jacken steht “Press” oder “TV”. Viele dieser “Journalisten” haben einen Presseausweis. Viele sind auch offiziell angemeldet, also “akkreditiert”. Doch für welche Medien arbeiten sie? Nicht für das Rheinneckarblog. Nicht für ARD und ZDF. Nicht für Zeitungen und Magazine. Also für wen?
Möglicherweise für eine “alternative Presse”. Doch wer ist das? “Russia today” und deren Ableger “ruptly”? “Buzzfeed” oder “Vice”? Ist das, was dort stattfindet “Journalismus”?
Ist das Journalismus?
Leider ja.
Jeder kann sich in Deutschland Journalist nennen und eine journalistische Arbeit freiberuflich aufnehmen. Unser Berufsfeld ist nicht geschützt und das ist gut so. Die Basis für diesen besonderen Beruf ist Artikel 5 Grundgesetz. Jeder kann sich aus allgemein zugänglichen Quellen informieren und auch seine Meinung kundtun.
Diese Meinung kann kreuzdumm und inhaltsleer sein. Das Grundgesetz definiert mit Artikel 5 keine Qualität, sondern nur eine schlichte, aber geschützte Möglichkeit.
Freie Journalisten, die auf eigene Initiative loslegen, hatten es schon immer schwer. Sie mussten höhere Hürden überwinden als solche, hinter denen große Medienhäuser stehen. Sie haben keine Einkommensgarantie, sie sind im Zweifelsfall ohne Schutz einer großen Organisation hinter sich. Gleichzeitig waren sie vielleicht genau deswegen in den vergangenen Jahrzehnten auch häufig kreativer und spannender als träge Medienhäuser und ihre Angestellten das sein können.
Seit einigen Jahren gibt es aber eine besorgniserregende Entwicklung – nämlich die Entkopplung von “freien Journalisten” von eingeführten Medienmarken. Möglich macht das insbesondere das Internet.
Journalismus als Bedrohung
Übrigens gilt das auch für uns: Auch wir konnten uns erst durch das Internet von der traditionellen Medienwelt entkoppeln und eine eigenes Angebot schaffen. Wir wurden von vielen sehr früh als “Bedrohung” wahrgenommen – vor allem von anderen Medien, der Politik und einflussreichen Personen, denn auch wir waren ein nicht kalkulierbarer neuer Player im System.
Das Rheinneckarblog bedroht niemanden, denn wir machen klassischen Journalismus. So, wie ich diesen als früherer Mitarbeiter von TV, Hörfunk, Print gelernt und im Laufe der Jahre fortentwickelt habe. Klar modifiziert und vor allem vom Dogma der “Objektivität” befreit. Aber im Kern sehr ähnlich und im Inhalt sehr bewusst. Fakten müssen gesichert sein, verschiedene Perspektiven erklärt und für und wider von Ereignissen eingeordnet werden.
Journalist zu sein, heißt nicht, über den Dingen zu stehen. Journalist zu sein, meint immer auch verantwortlich zu sein – jedenfalls nach meiner Definition. Journalisten sind nicht heilig und Journalisten können Verfehlungen begehen oder kriminell sein. Wie in jedem anderen Job auch.
Wir nehmen zunehmend “Journalisten” wahr, die wir nicht kennen, nie gesehen haben, deren Arbeit nicht dokumentiert ist, die aber plötzlich, insbesondere bei Demos auftauchen und Chaos veranstalten. Klar müssen sich Polizeibeamte im Einsatz auch filmen und fotografieren lassen, das wurde höchstrichterlich entschieden.
Aber muss der einzelne Beamte wirklich ertragen, dass er teils von Dutzenden von “Helmträgern” umzingelt ist, die alles dokumentieren, was er macht. Bis auf Distanzen unter Armlänge? Und muss sich die Polizei vorhalten lassen, dass, wenn es zu einem Einsatz kommt und diese Leute umgerannt werden, hinterher auch seriöse Medien kreischen: “Angriff auf die Pressefreiheit”?
Angriffe auf die Pressefreiheit?
Leider ja.
Zumindest, solange die öffentliche Debatte nicht bereit ist, über Journalismus konstruktiv zu argumentieren. Ab 2018 sollen Journalistenausweise nur noch an tatsächlich professionelle Journalisten ausgegeben werden. Wie definiert man das? Ist nur professionell, wer so und so viel Euro verdient oder wer so und so viel Publikationen hat?
Hier fehlt es an einer gesellschaftlichen und politischen und letztlich gesetzgeberischen Debatte, die dringend notwendig ist.
Denn die behelmten Typen, die der Polizei vor der Nase rumspringen, sind überwiegend keine Journalisten. Es sind Aktivisten, die Propaganda betreiben. Sie wollen beispielsweise “Polizeigewalt” dokumentieren und dabei gehen sie verfälschend vor, wie wir mehrfach nachgewiesen haben, unter anderem beim Bundesparteitag der NPD in Weinheim 2015.
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Hier geht es nicht um Hintergründe und analytische Einordnung, sondern nur um Action und Aufreger. Inszeniert und per Propagandaschlacht ausgebreitet – vor allem über Social Media.
Fatal kommt hinzu, dass insbesondere Journalistengewerkschaften oder auch Reporter ohne Grenzen sich falsch solidarisieren. Weil es immer weniger “echte” Journalisten gibt, schielt man auf diese Leute, die sich als solche ausgeben und versucht auch deren Interessen zu vertreten.
Doch welche sind das? Die einer allgemeinen Öffentlichkeit?
Ich weiß aufgrund meiner sehr guten Kontakte in die Polizei, dass diese Entwicklung mit großem Argwohn beobachtet wird. Der Argwohn entsteht nicht wegen “kritischer Berichte”, sondern weil die Zielsetzung klar ist. Warum sollte die Polizei Berichterstatter zulassen, deren “Ergebnisse” schon vorher feststehen? Weil sie das müssen? Ja, Behörden müssen sich kritische Blicke und Einordnungen erlauben lassen, jedenfalls solange, bis das Maß voll ist und andere Rechte vorrangig werden.
Aktivsten gehen an Grenzen und darüber hinaus
Diese “Journalisten”, die Aktivisten sind, gehen so sehr an die Grenzen und darüber hinaus, dass Räume für Journalismus anhand von klar zu bezeichnenden Überschreitungen enger gemacht werden könnten. Heißt im Ergebnis: Schränkt man die Krawalljournalisten ein, die eigentlich nur Aktivisten oder schon längst “Kombattanten” sind, müssen alle gleich behandelt werden, also auch die anderen Journalisten. Heißt: Für alle kein Zugang mehr.
Das ist eine bedrohliche Entwicklung.
Ich gebe Ihnen ein dramatisches Beispiel: Ich habe sehr intensiv zu den Krawallen von Hamburg berichtet. Aus Mannheim. Wenn Sie diese Berichte lesen und im Thema sind, werden Sie feststellen, dass ich von Mannheim aus, an einem Schreibtisch, eine hochaktuelle und ziemlich zutreffende Berichterstattung geleistet habe, wie Sie diese kaum woanders finden konnten.
Der Grund dafür sind meine Erfahrung, meine vielen Quellen, aber auch Dutzende von Livestreams, die ich über alle möglichen Kanäle ausgewertet habe. Diese Streams waren für mich hochproblematisch, weil ich die Quellen nicht kenne, weil ich nicht weiß, nach welchen Standards sie arbeiten – aber ich konnte natürlich anhand der Perspektiven schnell einordnen, wer hier was angeboten hat. Das hat meiner Arbeit sehr geholfen, denn sonst wäre ich “blind” gewesen.
Live-Streams als unmittelbare und systematische Gefahr
Doch – und diese Einschätzung lesen Sie in dieser Deutlichkeit nirgendwo. Diese Streams sind eine absolute Gefahr für die öffentliche Ordnung. Denn nicht nur ich und andere Journalisten verfolgen diese. Auch Krawallmacher, Schläger, Räuber, Randalierer und am Ende auch Terroristen.
Die vorbehaltlos draufhaltenden Streamer sind Auge und Ohr vor Ort – für ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Manche finden die Show geil und lassen sich unterhalten. Ich und andere seriöse Kollegen werten die Informationen für eine solide Berichterstattung aus. Wieder andere können diese Informationen nutzen, um ihr kriminelles Handeln zu planen.
Auch Randalierer haben das längst erkannt und gehen gegen streamende Journalisten auch gewalttätig vor – und damit auch auf alle, die nur “aufnehmen”, um diese Aufnahmen später sinnvoll und einordnend zu verarbeiten.
Echtzeit ist kein Journalismus
Als der Journalist Richard Gutjahr beim “Shooting” in München Fotos von Polizisten im Einsatz postete, hat er sofort von mir und anderen Kritik erfahren, weil diese Fotos Informationen über Einsatzpositionen der Polizisten geben konnten und damit potentiellen Tätern möglicherweise helfen konnten.
Man nennt das “Aufklärung”. Der sehr geschätzte Kollege Gutjahr hat das verstanden. Nun werden aber stundenlange Randale per Video live gestreamt und teils treten die Teams ganz nah an die Polizei heran, sodass man auch Einsatzbesprechungen mithören kann.
Was wird daraus folgen? Es wird Bannmeilen geben, weil die Polizei den “Journalisten” – und damit sind alle gemeint – nicht mehr vertrauen kann. Das ist eine Katastrophe – aber auch Sicht der Polizei kann ich das nachvollziehen. Ich hätte auch was dagegen, wenn Aktivisten in meiner Redaktion alles mitfilmen und auch Audio aufnehmen und live übertragen.
Vertrauen ist alles und wird zunehmend verspielt
Vertraut die Polizei Journalisten? Ist das nicht eine Vorzugsbehandlung? Zwei Mal Ja. Sie vertraut, wenn sie vertrauen kann und sie bevorzugt diejenigen, denen sie vertrauen kann. Journalismus ist aus meinem Verständnis heraus nicht ein Beruf, der gnadenlos alles öffentlich macht, sondern der auch diskret sein muss. Diskret heißt nicht, sich gemein machen, aber sehr wohl, den Verstand einzusetzen, Verabredungen einzuhalten und “berechenbar” zu sein. Nicht im Sinne einer “Systempresse”, sehr wohl aber im Vertrauen auf ein vernünftiges Miteinander.
Wenn immer mehr Menschen “dem Journalismus” nichts mehr zutrauen und ihn als “Lügenpresse” titulieren, wenn immer mehr Aktivisten die Freiheit für Journalismus als Freiheit für Propaganda missbrauchen, wenn Journalistenverbände keine klare Trennlinie zwischen hauptberuflichen Journalisten und Aktivisten ziehen, wenn jeder politische Propagandist in der Türkei plötzlich ein “Journalist” ist und zum Debattenargument umgedeutet wird, wenn die Behörden immer häufiger durch Skandalisierungen ohne Grundlage in Misskredit geraten und darauf harsch reagieren – dann verliert am Ende der Journalismus, der ein sauberes Handwerk betreibt, einem klaren unabhängigen Auftrag folgt.
Leider, liebe Leserinnen und Leser, gibt es keine Branche auf der Welt, die weniger selbstkritisch und solidarisch ist, als der “Journalismus”. Gleichzeitig ist der Journalismus nicht nur in einer Sinnkrise, sondern auch ökonomisch enorm unter Druck. Die Bereitschaft, Dinge zu tun, die man unter Druck nicht tun würde, wächst.
Kritik muss berechtigt sein – um daraus zu lernen
Beobachten und denken Sie drüber nach, was Ihnen dazu einfällt – die Kritik an ARD und ZDF zur Ukraineberichterstattung. Sie war berechtigt. Das heillose Einhauen auf Herrn Trump – den muss man nicht mögen, aber der Kampagnencharakter vieler Medien ist willenlos. Statt sich um die starken demokratischen Kräfte des amerikanischen Systems zu kümmern, ist jeder Tweet dieses Mannes viel wichtiger.
Fake News ist kein Phänomen unseriöser Medien – die Beispiele vermeintlich seriöser Medien sind Legion. Davor sind seriöse Medien nicht gefeit, aber Fake News sind dort weniger zu finden. Leider gibt es noch keine ernstzunehmenden Strategien, diese noch weiter einzugrenzen.
Viele etablierte Medien rutschen immer mehr in den Boulevard ab – weil sie dem Ruf der vermeintlichen Aufmerksamkeit folgen, statt inhaltlich verlässlich auch schwierige Themen zu bearbeiten, die aber längst nicht so viel Aufmerksamkeit wie ein “Busenblitzer” von wem auch immer erfahren.
Boulevard ist, “was die meisten wollen” – Tiere, Titten, Tote. Das zieht immer. Aber das ist meist nicht seriös.
Das Publikum will zudem für die Unterhaltung nichts bezahlen, für harte journalistische Arbeit schon gar nichts.
Die Bild-Zeitung “fahndet” mit Fotos nach mutmaßlichen Gewalttätern und überschreitet damit jede Kompetenz und vermutlich jede Menge Gesetze – die Zeitung, dies sowas sonst gerne skandalisiert.
Der Deutsche Presserat muss die Zeitung dafür rügen – und wenn er das tut, zuckt die nur mit der Schulter. Das kostet die Zeitung nichts und eventuelle Klagen wegen der Verletzung der Persönlichkeitsrechte? Ist eingepreist. Wer der Logik der Bildzeitung folgt, hat keinen Skrupel mehr.
Andere nehmen sich daran ein Beispiel und treiben es immer weiter. Damit Sie das richtig verstehen: Sie regen sich über etwas auf, Sie sind in etwas verwickelt… Schon morgen können Sie als Nazi, Vergewaltiger, Störenfried oder als sonstiger Verbrecher bundes- oder weltweit durch “die Medien” gehen. Klar, Sie können sich möglicherweise wehren. Aber warum muss das so sein?
Seriöser Journalismus hat nie etwas mit Hatz zu tun
Die Polizei erlebt aktuell eine Hatz von beispiellosem Ausmaß – auch getrieben von vermeintlich seriösen Medien. Ui – 35 Strafanzeigen gegen Polizeibeamte? Was ist daran die Nachricht bei einem Einsatz von 20.000 Beamten und gewalttätigen Krawallen von historischem Ausmaß?
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Medien berichten, nicht alle 470 Polizisten seien zwischen Donnerstag und Sonntag verletzt worden, sondern schon vorher, beispielsweise durch Kreislaufprobleme und “Dehydrierung”? Mal ehrlich? Ist das keine “Verletzung”, keine körperliche Beeinträchtigung? Andere meinen, Polizisten seien durch Stürze und nicht durch Pflastersteine verletzt worden? Aha, ist das keine Verletzung mehr im Dienst? Ist der Polizist einfach nur zu doof zum Rennen gewesen? Können Sie sich vorstellen, wie das ist, in dieser Montur zu rennen? Wie viele Meter, glauben Sie, würden Sie kommen, bevor Sie stürzten? Die Frage galt nicht Ihnen, sondern den depperten Journalisten, die meinen, sie würden irgendetwas “aufdecken” und doch nur dokumentieren, dass Sie nichts wissen und sich schon gar nicht in Situationen der Einsatzkräfte versetzen können.
Wir leben in Deutschland in einem sehr sicheren Land mit international einem der höchsten Standards.
Schaut man auf “die Presse”, muss man den Eindruck haben, wir lebten in einem Entwicklungsland mit angeschlossenem Bürgerkrieg. Ist dieser Eindruck richtig?
Leider ja. In in mehr Köpfen. Und das ist ein Alarmsignal. Denn Kriege beginnen im Kopf.
Auf die Schweigespirale folgt die Aufregerspirale
Die Fakten sprechen dagegen. Trotzdem ist die Lage enorm brisant. Je länger der systematische Vertrauensverlust in alle Richtungen voranschreitet, umso mehr wird genau das zerstört. Vertrauen. Gemeinsamkeit.
Das ist eine hochbrisante Entwicklung. Der traditionelle Journalismus spielt dabei eine unrühmliche Rolle, noch unrühmlicher viele neue Medien.
Die seit langer Zeit schier unaufhörlich drehende Aufregerspirale setzt niemals Besinnung frei, sondern nur noch mehr Wut und Hass und Empörung und Unwillen und Misstrauen und sonstigen Unbill.
Wir, liebe Leserin und Leser, wissen um unsere Rolle. Ja, auch wir sorgen für Aufreger. Aber wir beschwören geradezu immer die Vernunft zu behalten und auf den Rechtsstaat zu vertrauen und sich für ihn einzusetzen.
Das ist der einzige Ausweg auf Stimmungen der Krise, damit Krisen nicht unser Leben bestimmen.