Mannheim, 19. Januar 2018. (red/pro) Der SPD-Kreisverband Mannheim, nach Rhein-Neckar und Stuttgart der drittgrößte im Südwesten, wollte wissen, wie die Basis zu einer möglichen neuen großen Koalition steht. In einer ersten Abstimmungsrunde vor der Debatte votierten 63 Prozent dagegen, nach der Debatte noch rund 55 Prozent. Die Zahl ist alarmierend für den bevorstehenden Bundesparteitag in Bonn, wo beraten werden soll, ob man auf Basis des „Sondiergungspapiers“ in Koalitionsverhandlungen eintreten wird.
Von Hardy Prothmann
Soviel vorab: Wer sich Sorgen um den Zustand der SPD macht, muss das differenziert betrachten. Das Ergebnis der Bundestagswahl ist eine Katastrophe, die Debattenkultur und das Engagement der Basis hingegen ist vorbildlich.
152 stimmberechtigte Mitglieder kam am Donnerstagabend ins Bürgerhaus nach Mannheim-Vogelstang. Am Ende der rund dreistündigen Mitgliederversammlung, ist das Stimmungsbild der mehrheitlich gegen eine erneute Groko. Nach einer lebhaften, sehr kontroversen Debatte entschieden sich rund 55 Prozent für die Opposition.
Die Opposition bietet Chancen

SPD-Kreisvorsitzender Wolfgang Katzmarek ist, wenn auch mit Zweifeln, für die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen.
Wolfgang Katzmarek, Kreisvorsitzender der SPD Mannheim, warb in einer Ansprache für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen – auch, wenn er „das Ergebnis der Sondierungsgespräche nicht für einen großen Wurf“ hält:
Man muss klar Kritik an der Kommunikation der Parteiführung üben. Erst sollte das ein „Super-Ergebnis“ sein, das hielt keine 24 Stunden, bis die Kritik kam. Man muss sich fragen, welches Bild wir da abgeben?
Klar gibt es eine Verunsicherung nach dem Absturz auf nur noch 20 Prozent bei der Bundestagswahl 2017. Stadtrat Thorsten Riehle sagte uns nach der Versammlung:
Ich muss mich nicht erneuern, ich habe meine SPD-Werte.
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Ein anderes Mitglied: „Selbst wenn wir bei einer Neuwahl auf 17 Prozent noch weiter abstürzen sollten. Na und? Dann ist das so. Das ändert nichts an meiner Überzeugung, warum ich SPD-Mitglied bin.“
Wenn die Menschen SPD-Politik wollen, dann sollen sie uns auch wählen.
Viele waren sich einig, dass etwas schief läuft:
Wir bekommen viel Kritik von Leuten, die uns nicht gewählt haben, jetzt aber meinen, wir sollten SPD-Politik in die Regierung einbringen.
Konstanze Wegner (79), von 1988-2002 Bundestagsabgeordnete sagte: „Eine große Koalition macht man in Notzeiten, nicht aus Bequemlichkeit. Die Opposition bietet Chancen.“ Wie bei allen Wortbeiträgen gegen eine erneute große Koalition (Groko), entsprach der lautere Applaus dem Stimmungsbild. In einer ersten Runde stimmten 63 Prozent gegen die Groko, nach der Debatte waren es 66 Prozent.
Eine Neuwahl kann für uns in einer Katastrophe enden.
Isabel Cademartori, Mitglied im Landesvorstand, meinte:
Eine Neuwahl kann für uns in einer Katastrophe enden, von der wir uns nicht mehr erholen.

Die frühere Bundestagsabgeordnete Konstanze Wegner will auf keinen Fall eine neue Groko: „Die Opposition bietet Chancen.“
Ein anderes Mitglied widersprach: „Eine Erneuerung muss auch in der Führungsebene stattfinden, doch das geht nur, wenn wir nicht in der Regierungsverantwortung sind.“ Eine ältere Dame sagte: „Der Dobrindt ist jetzt schon so frech, was stellt der mit uns an, wenn wir an der Regierung beteiligt sind? Wenn wir schon verlieren, dann nicht, weil die Schwarzen uns kaputt gemacht haben.“
„Wir sind nicht nur die Partei, die den Mindestlohn durchgesetzt hat, sondern auch die, die der Autobahnmaut, der Vorratsdatenspeicherung und der Verhinderung des Familiennachzugs zugestimmt hat, das wissen auch die Wähler“ – brandender Applaus. „Die Groko taugt nicht als Reparaturbetrieb vorangegangener Regierungsbeteiligung“, meinte ein anderes SPD-Mitglied. Eine weitere Stimme: „Wir haben in der Groko immer verloren, sollen wir uns jetzt den Todesstoß geben?“ oder „Wenn die Menschen SPD-Politik wollen, dann sollen sie uns auch wählen.“
Hermann Genz (Leiter Sozialamt Stadt Mannheim) sagte:
Ich kenne die skandinavischen Länder sehr gut, habe dort studiert. Deren Sozialstandards liegen deutlich über unseren. Jetzt schaue ich nach Dänemark und stelle fest: Minderheitsregierungen haben noch nie das Soziale befördert.
„Wenn man das Sondierungspapier genau studiert, steht fest, da gibt es kaum noch finanzielle Spielräume, um soziale Politik zu fördern“, sagte ein junger Mann.
Die AfD als stärkste Oppositionsfraktion? Ein Albtraum.
Die SPD Mannheim ist drittgrößter Kreisverband nach Rhein-Neckar und Stuttgart in Baden-Württemberg mit aktuell 1.790 Mitgliedern (2015:1.669). Der Kandidat Stefan Rebmann kam nicht mehr in den Bundestag.

Erst waren 63 gegen die Groko, nach der Diskussion noch 55 Prozent.
Geht es nach der Stimmung der Mannheimer SPD-Basis, soll es keine Koalitionsverhandlungen geben. Ob das auch das Ergebnis des Bundesparteitags am Sonntag sein wird, ist fraglich. In vielen Wortbeträgen und in Gespräche mit vielen Mitgliedern wurde eins klar: Die „Krise“ der SPD wird an der Basis als Krise der Führungsebene gesehen. Hier soll eine „Erneuerung“ stattfinden. Konstanze Wegner konstatierte: „Durch eine Groko wäre die AfD stärkste Oppositionsfraktion. Das ist ein Albtraum.“
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Am Freitagabend holt der Kreisverband Rhein-Neckar ein Stimmungsbild ein – der Vorstand ist gegen eine Groko. Was sagt die Basis dort? Klar ist, dass selbst wenn der Bundesparteitag Koalitionsverhandlungen beschließen sollte, eine Mitgliederbefragung diese Entscheidung letztlich wieder kippen könnte oder möglicherweise knapp bestätigt. Und dann? Eine Regierungsbeteiligung gegen die Hälfte der Basis? Das wird die SPD zerreißen.

152 stimmberechtigte Mitglieder diskutierten gute zwei Stunden: „Groko – Ja oder Nein?“
Vor Ort wird klar, dass es sehr viel Kritik an den Führungskräften der Partei gibt. Viele Mitglieder meinen, die SPD brauche keine innere Erneuerung, sondern eine klare Besinnung auf sozialdemokratische Werte, was „da oben“ aber nicht vertreten werde. Viele sind offenbar bereit, „ganz unten“ wieder anzufangen, egal wie schmerzhaft weitere Verluste sein sollten.
Von der Mitgliederzahl her gesehen, ist die SPD stärker geworden – darauf sollte die Führungselite achten.

Cem Yalcinkaya stimmte zwar mit Ja, aber auch er kritisiert die Kommunikation: „Der SPD-Parteivorstand sollte die Ziele verständlicher formulieren.“
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