Rhein-Neckar/Balingen, 12. August 2016. (red/Gastbeitrag) Als vor einem Jahr die Flüchtlingskrise begann, auf Hochtouren zu kommen, war auch das kleine Städtchen Meßstetten betroffen. Die Stadt zählt zwar „politisch“ über 11.000 Einwohner, geografisch aber waren in der Nachbarschaft der „Kernstadt“ mit 5.000 Einwohnern bis zu 4.000 Flüchtlinge untergebracht. Die bundesweit mit Abstand dichteste Konzentration im Verhältnis Einwohner/Flüchtlinge. Mit den Flüchtlingen kamen auch Hass und Hetze gegen die Flüchtlinge – nicht aus der Kernstadt. Auch die örtliche Tageszeitung Zollern-Alb-Kurier wurde mehr als hart angegangen – Vorwurf: Lügenpresse. Der Redakteur Michael Würz schildert, wie man bei der Zeitung mit Vorwürfen und Todesdrohungen umgegangen ist.
Anm. d. Red.: Dieser Text ist eine Übernahme von Uebermedien.de. Der erste Teil des Textes ist hier wie dort frei zu lesen, der zweite Teil über eine Bezahlschranke abrufbar. Informationen dazu finden Sie am Ende des Artikels.
Gastbeitrag: Michael Würz
Die Schließung einer beliebten Kneipe, die Renovierung einer Kirche, das Urteil gegen einen Brandstifter, der in der Region sein Unwesen getrieben hatte: Es wäre eine ziemlich gewöhnliche Samstagsausgabe gewesen, die wir beim „Zollern-Alb-Kurier“ am 15. August 2014 produziert hatten. Die Nachricht, die uns zwei Jahre lang jeden Tag und manche Nacht beschäftigen sollte, landete erst am späten Freitagnachmittag im E-Mail-Eingang: Die damalige baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney kündigte an, in einer seit Kurzem leerstehenden Kaserne in Meßstetten – einer Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb – bis zu tausend Flüchtlinge unterbringen zu wollen.
Wie werden die Bürger auf diese Nachricht reagieren? Geht das überhaupt gut, sind das nicht zu viele für Meßstetten? Wird es zu Zwischenfällen kommen? Es waren kritische Fragen, die sich die Kollegen stellten, während wir hektisch unsere Samstagsausgabe umbauten.
„Ich komme sonst vorbei und regle das auf meine Art…“
Auf seine Art kritisch äußerte sich dann auch der Mann, der am Samstagmorgen seiner Wut am Telefon freien Lauf ließ: Wir würden schon sehen, was wir von denen haben. Die sollen gefälligst fortbleiben, und vor allem solle ich aufhören, Kommentare bei Facebook zu löschen. Andernfalls käme er vorbei und regle das auf seine Art. Eine unverhohlene Drohung, wie die meisten in den folgenden zwei Jahren freilich an die falsche Adresse, aber: eine Drohung.
Das kannte ich nicht. Ein Jahr zuvor hatte mir der Verlag den Aufbau der Onlineredaktion anvertraut. Die Zukunft meiner Heimatzeitung mitgestalten zu dürfen, in die ich einst als 17-Jähriger meine ersten Artikel geschrieben hatte, empfand ich als Ehre. Vor allem unsere Arbeit bei Facebook war eine kleine Erfolgsgeschichte: Unsere Seite wurde schnell zum lieb gewonnenen und viel beachteten Kommunikationskanal – nach innen wie nach außen. Leser lobten unsere Arbeit – das fühlt sich zugegebenermaßen gut an in einer Zeit, in der wir wie alle Zeitungshäuser um die richtigen Wege ringen.
Die Kontrolle verloren
Natürlich, im Netz weht ein rauer Wind. Nachdem ein Jäger einen Hund an sein Auto gekettet und durch den Ort geschleift hatte, traf uns ein ausgewachsener Shitstorm, weil ich nicht so gut fand, dass sich Leute auf unserer Facebookseite verabreden wollten, um den Mann zu lynchen. Und es gab einfachere Tage als die, an denen wir Lesern erklären mussten, warum wir eine Bezahlschranke einführen. Doch was ab dem 16. August 2014 – jenem Tag, als wir darüber berichtet hatten, dass in Meßstetten Flüchtlinge untergebracht werden sollen – passierte, war neu.
Wohlwollend ausgedrückt könnte man sagen: Selten hatten wir so viel Reichweite wie an diesen Tagen. Kritischer ausgedrückt könnte man sagen: Wir hatten die Kontrolle verloren. Manchmal gingen auf unserer Facebookseite im Minutentakt Kommentare ein, in denen sich Menschen ausmalten, wie sie Flüchtlinge an die Wand stellen und erschießen. Wie sie Gas in unsere Redaktion lassen. Oder ihr Haus abfackeln, wenn sie Flüchtlinge aufnehmen müssten. Menschen schrieben solche Dinge unter Klarnamen. Feuerwehrleute, Ortsvorsteher, Akademiker.
Mehr noch als Behörden und Politiker, mehr auch als andere Medien in der Region, standen wir online plötzlich im Fokus jener, die anscheinend nur noch hassten. Dass wir bei Facebook in den Monaten zuvor ganz erfolgreich gearbeitet hatten, war auf einmal Fluch und Segen zugleich. Bei uns spielte die Musik – unglücklicherweise nicht nur die schöne. Flapsig formuliert: Wir standen an der Front. All das, was in jenen Tagen auf uns einprasselte, fühlte sich an wie ein Kampf. Ein Kampf, bei dem wir auf vermeintlich verlorenem Posten standen: Auf der einen Seite viele böse Hetzer, auf der anderen wir, seinerzeit zwei einigermaßen übernächtigte Onlineredakteure, die versuchten, ihre Zeitung im Netz zu retten, Kommentare moderierten und viele davon löschten.
Wir kennen die Leute mit dem Hass
Viele Medien haben sich seither auf die Suche nach den Leuten gemacht, die blanken Hass in ihre Kommentarspalten kippen. Die FAZ fand im September 2014 ein besonderes Exemplar. Unter der Überschrift „Ich bin der Troll“ erzählt sie die Geschichte des Frührentners Uwe Ostertag, der seinen Alltag damit verbringt, systematisch Stimmung in Kommentarspalten der Medien zu machen.
In der Lokalredaktion müssen wir da gar nicht so lange suchen; oftmals wissen wir, mit wem wir es zu tun haben. Unser Feuerwehrmann, der bei Facebook ein brennendes Flüchtlingsheim in Sachsen feiert? Ein paar Nächte zuvor hatte er sich beim Großbrand vor unserer Haustür noch rührend um eine ausländische Familie gekümmert.
Ich weiß ohnehin nicht, was bei Menschen falsch läuft, die brennende Flüchtlingsheime feiern. Dazu kam nun noch eine berufliche Dimension: Wie sollte ich Kollegen in der Redaktion, die langsam, aber sicher ihre Freude am Netz entdeckt hatten, fortan ermuntern, mit unseren Lesern zu diskutieren, wenn sie dort bestenfalls bepöbelt und schlimmstenfalls mit dem Tode bedroht werden? „Geht ins Netz, redet mit den Leuten, die beißen nicht“, hatte….
….ab hier können Sie den Text bei Uebermedien.de sofort oder später weiterlesen, wenn Sie dafür bezahlen. Der Kollege Michael Würz berichtet detailliert, was die Zeitungsredaktion erlebt und welchen Aufwand man betrieben hat, um Lügenpresse-Vorwürfen zu begegnen. Unser Tipp: Die 3,99 Euro lohnen sich. Nicht nur für diesen Text – damit ist der Zugang zu allen Texten aktiviert. Weitere Informationen dazu finden Sie am Ende des Textes auf Uebermedien.de. Dieses Angebot der Kollegen Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz ist deutschlandweit eine der besten Seiten zum Thema Medien, das auch wir regelmäßig mit großem Interesse nutzen. Transparenz: Es besteht keine geschäftliche Verbindung von uns zu Uebermedien.de oder zum Zollern-Alb-Kurier. Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung der Übernahme.
Hinweis: Wir arbeiten bundesweit mit einem großen Netzwerk zu anderen Journalisten und Medien zusammen – sehr gut sogar, auch wenn es einzelne „Verstimmungen“ mit örtlichen Medien gibt. Wir haben ebenfalls viele Gerüchte als falsch enttarnt – weitere Texte finden Sie am Ende dieser Seite. Besonders interessant: „Es wurde kein Pferd geschlachtet“. Wir bearbeiten unsere Facebook-Seite auch sehr intensiv – wer sich nicht an die Netiquette hält, wird blockiert. Aktuell sind mehrere hundert Facebook-Nutzer blockiert, das heißt, sie können keine Kommentare mehr schreiben.
Anm. d. Red.: Nach Schließung der Balkan-Route befinden sich aktuell nur noch wenige hundert Flüchtlinge in Meßstetten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte eine Schließung bis Ende 2016 zugesagt – eine Verlängerung nur mit Zustimmung der Bürger. Der Gemeinderat hat vor kurzem nach einer vorangegangenen Bürgerversammlung, die sich positiv äußerte, einer Verlängerung zugestimmt, um bis zu 500 Flüchtlinge in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) aufzunehmen. Die Gerüchte bleiben – vor allem außerhalb Meßstettens…
Zur Person:
Michael Würz, 33, verbrachte einen großen Teil seiner Jugend in der Balinger Lokalredaktion des „Zollern-Alb-Kuriers“, wo er schnell begriff, dass der Weg in den Journalismus zunächst unweigerlich in Hasenzüchterheime führt. Später arbeitete er als VJ fürs Fernsehen, lebte aber seine Liebe zum Lokalen aus, indem er nebenbei die „Neue Rottweiler Zeitung“ vollschrieb. Seit 2013 ist er zurück beim „Zollern-Alb-Kurier“. Dort hat er die Onlineredaktion aufgebaut.
Die Zeitung:
Der „Zollern-Alb-Kurier“ erscheint in Balingen, einer baden-württembergischen Kreisstadt südwestlich von Stuttgart. Er hat eine verkaufte Auflage von rund 20.000 Stück. In dem kleinen Nachbarort Meßstetten lebten zeitweise zusätzlich zu den 5.000 Einwohnern der Kernstadt bis zu 4.000 Flüchtlinge.