Mannheim, 07. Dezember 2015. (red/ms) Keine Stadt in Baden-Württemberg nimmt mehr Flüchtlinge auf als Mannheim und das Benjamin Franklin Village ist derzeit die größte Massenunterkunft des Landes. In den Lagern sind die hygienischen Umstände oft bedenklich, Krankheiten können sich zudem durch die dichte Belegung schnell verbreiten. Das Mannheimer Uniklinikum ist unter anderem zuständig für die Behandlung von Infektionen und erste Gesundheitchecks – dabei wurde auch Tuberkulose festgestellt. Die Gefahr einer Epidemie sei dennoch verschwindend gering, erklären leitende Ärzte.
Von Minh Schredle
Der Andrang ist riesig: Fast fünf Stunden lang veranstaltete das Uniklinikum am vergangenen Samstag Seminare über die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in Mannheim – nicht auf Laienniveau, sondern für Fachleute, die auch zahlreich aus dem Umland angereist sind. In den Hörsaal drängten fast 200 Leute. Nicht nur alle Stühle waren besetzt – sondern auch die Treppen.
Das Thema Gesundheit ist generell hoch emotional: Es geht buchstäblich um Leben oder Tod. Die Medizin hat in den vergangenen Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht – doch die weltweiten Standards weichen weit von einander ab und lange nicht alle Krankheitsbilder sind effektiv behandelbar. Angst um die körperliche Unversehrtheit ist daher bestens nachvollziehbar. Viele Sorgen sind allerdings trotzdem überdramatisiert. Dr. Peter Schäfer sagt dazu:
Ein Paradebeispiel ist Tuberkulose.
Dr. Schäfer ist der Leiter des Fachbereichs Gesundheit bei der Stadt Mannheim. Er bestätigt, dass am Uniklinikum Krankheiten festgestellt worden sind, die „für unsere Region sehr ungewöhnlich“ sind, seitdem in Mannheim mehrere tausend Flüchtlinge behandelt werden:
Tuberkulose fällt aber nicht in diese Kategorie. Das wurde am Klinikum auch in den Vorjahren immer wieder diagnostiziert und effektiv behandelt. Heute ist die Krankheit weitaus weniger gefährlich als gemeinhin angenommen.
Schon vor den stark angestiegenen Flüchtlingszahlen habe es jedes Jahr zweistellige Fallzahlen am Klinikum gegeben: „Eine Tuberkulose ist aber nicht gleich eine Tuberkulose,“ sagt Dr. Schäfer: „Sie tritt in vielen verschiedenen Formen auf. Und wenn man infiziert ist, heißt das noch nicht, dass die Krankheit auch ausbrechen muss.“
In frühen Stadien sei Tuberkulose heute meistens leicht behandelbar. Problematisch wären dagegen insbesondere multiresistente Tuberkulose-Formen, die man oft über mehrere Monate bis wenige Jahre behandeln müsse – nicht immer erfolgreich. Todesfälle seien dennoch die Ausnahme. Dr. Schäfer sagt außerdem:
Oft wird die Krankheit gar nicht erst diagnostiziert und dementsprechend auch nicht angemessen behandelt. Daher ist es gut, dass sich alle Flüchtlinge, die in Mannheim ankommen, einer Grunduntersuchung unterziehen. Dabei wird auch die Lunge geröntgt, wenn die Person älter als 15 Jahre und nicht schwanger ist.
Das Verfahren ist standardisiert und dauert oft nur wenige Minuten: Bei der Erstuntersuchung werden Flüchtlinge zuerst gefragt, wie sie sich fühlen; ob sie an Husten, Fieber, Schmerzen oder etwa Juckreiz leiden. Dann untersuchen Ärzte, ob äußerliche Symptome vorliegen, beispielsweise Hautausschlag. Wenn es dabei Auffälligkeiten gibt, werden weitere Maßnahmen eingeleitet.
„Gerüchte mit wahrem Kern werden überdramatisiert“
„Ein großes Problem ist die richtige Kommunikation,“ sagt Prof. Dr. Matthias Ebert, Direktor der zweiten medizinischen Klinik der UMM. Zu Beginn habe man (Sprach-)Probleme gehabt, den Flüchtlingen zu vermitteln, weswegen medizinische Grunduntersuchungen notwendig sind und was sie dabei erwartet:
Mittlerweile haben wir die Strukturen ein Stück weit professionalisiert und arbeiten zunehmend mit ausgebildeten Dolmetschern.
Zu Beginn hätten diese Aufgabe noch hauptsächlich Ehrenamtliche oder mehrsprachige Flüchtlinge übernehmen müssen. Das habe zwar meistens gut, aber nicht immer ohne Missverständnisse funktioniert. Doch auch die Kommunikation mit der Bevölkerung müsse man noch verbessern, sagt Prof. Dr. Ebert:
Viele Gerüchte sind im Umlauf, die sich aus einem Informationsdefizit ergeben.
Oftmals gebe es einen wahren Kern und ernstzunehmende Probleme, die aber überdramatisiert würden: „Wir sind auf etliche Szenarien vorbereitet,“ sagt er: „Die Wahrscheinlichkeit, dass es in Mannheim zu einer Epidemie kommt, ist verschwindend gering.“
„Gewöhnliche Krankheiten sind gefährlicher“
Gerade im Winter sind Immunsysteme anfällig. Die größte Gefahr geht nach Auskunft der Ärzte nicht von „exotischen“ Krankheiten aus – sondern beispielsweise der Grippe, Magen-Darm-Infekten oder Windpocken. Also kurzum: Allen Infektionskrankheiten, die sich schnell und mit hoher Ansteckungsgefahr verbreiten.
Oftmals sind Flüchtlinge nicht geimpft – das wird jetzt nachgeholt. Ein großes Problem sind die oftmals bedenklichen hygienischen Zustände in den Massenlagern – siehe Spinelli. „Wir versuchen unser bestes, allen Beteiligten eindringlich zu vermitteln, welchen Stellenwert eine korrekte Hygiene für die Gesundheit hat,“ sagt Dr. Schäfer, der auch für das Gesundheitsamt zuständig ist.
Alte Strategie – neue Dimensionen
Strukturen und Strategien zum Infektionsschutz gebe es schon lange in Mannheim, erklärt Dr. Schäfer:
Auch in einem Altersheim kann ein hochansteckender Virus ausbrechen, um nur ein Beispiel zu nennen.
In diesem Fall setze man auf Isolation: Die Betroffenen dürfen die Räume, in denen sie sich befinden, nicht mehr verlassen und werden vor Ort behandelt.
Das ist auch die Strategie, auf die wir in Flüchtlingslagern setzen – neu sind nur die Dimensionen.
Wichtig sei daher vor allem zügiges Handeln: „Wir haben ein sehr gutes Meldesystem, sodass wir regelmäßig über alle Auffälligkeiten informiert werden und entsprechende Maßnahmen einleiten können.“