Heidelberg/Rhein-Neckar, 09. Oktober 2015. (red/ms) Asylbewerber aus dem Patrick Henry Village sollen ein Pferd vom Reiterhof Kirchheim gestohlen und geschlachtet haben – dieses Gerücht hält sich seit Wochen hartnäckig in Heidelberg und Umgebung. Was an der Geschichte dran ist? Überhaupt nichts. Es handelt sich um eine freie Erfindung. Gegen eine Frau aus dem Rhein-Neckar-Kreis wurde nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie soll die Flüchtlinge wissentlich in Misskredit gebacht haben wollen und steht im Verdacht der üblen Nachrede.
Von Minh Schredle
Das Polizeipräsidium Mannheim gibt heute per Pressemitteilung bekannt:
Seit Wochen hält sich in Heidelberg und Umgebung hartnäckig das Gerücht, dass Bewohner des Patrick Henry Village am Ende des Ramadan von einem Reiterhof im Stadtteil Kirchheim ein Pferd gestohlen und geschlachtet hätten. Dies ist nach Erkenntnissen des Polizeireviers Heidelberg-Süd frei erfunden.
Auch unsere Redaktion wurde von verschiedenen Leserinnen und Lesern auf diesen vermeintlichen Vorfall “hingewiesen” – wie allerdings häufig bei solchen und vergleichbaren “Geschichten” hat keiner dieser Hinweisgeber irgendetwas persönlich beobachtet, sondern etwas von jemandem gehört, der das von jemandem gehört hat, der es von einem Bekannten weiß, der es wissen muss.
Vertrauen wird vergiftet
Wir wurden außerdem darauf angesprochen, dass die Polizei angeblich die Medien dazu angehalten hätte, nicht über diese Geschichte zu berichten, um die Bevölkerung ruhig zu halten. Auch das ist vollständiger Blödsinn – aber trotzdem wirksames Gift im diffusen Weltbild der “Lügenpresse!”-Bewegung: Die gleichgeschalteten Systemmedien lassen sich als Propagandaorgan für einen Staat missbrauchen, der nicht einmal souverän ist, aber sein Volk trotzdem in die Verdammnis führen will, weil… Ja, warum eigentlich?
Aber da in dieser Welt sich ja doch hin und wieder Dinge abspielen, die man eigentlich für unglaublich halten will, hat unsere Redaktion die Geschichte trotz großer Skepsis überprüft – und wir kamen zu dem Schluss, dass nichts dran ist. Das ging eigentlich ganz einfach: Wenn wirklich ein Pferd gestohlen und geschlachtet worden wäre, hätten bestimmte Personen davon mitbekommen müssen. Beispielsweise müsste dann nach einfacher Mathematik ein Pferd auf dem Reiterhof fehlen. Das ist aber nicht der Fall.Ein paar wenige Rückfragen bei den richtigen Personen machen schnell klar, dass an dem Gerücht genau überhaupt nichts dran ist. Man müsste meinen, dermaßen leicht zu entlarvende Lügengeschichten bräuchte man nicht besonders ernst nehmen – das muss man aber sehr wohl: Denn Verleumdungen wie diese zerstören Vertrauen und erzeugen Hass – nicht nur gegenüber den Asylsuchenden, die als unzivilisierte Barbaren dargestellt werden, sondern auch gegenüber dem Rechtsstaat und der Demokratie.
Wer Lügen verbreitet, wird verfolgt
Besonders kritisch wird das, wenn solche Hassbotschaften im öffentlichen Raum verbreitet werden. Wie Polizeipressesprecher Norbert Schätzle mitteilt, habe eine Frau aus dem Rhein-Neckar-Kreis versucht, verschiendenen Medien das Gerücht als große Story mit gefälschten “Beweisen” zukommen zu lassen. Daher hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen “des Verdachts der üblen Nachrede und Vortäuschens einer Straftat” eingeleitet. Herr Schätzle sagt dazu:
Wir hoffen, ein eindeutiges Signal setzen zu können. Mit so etwas darf man nicht durchkommen.
Es sei “leider üblich”, dass insbesondere über Asylsuchende immer wieder Lügengeschichten in die Welt gesetzt werden, die diese diskreditieren sollen – oft auch im Zusammenhang mit Sexualdelikten. Wie in jeder Gruppe, gebe es natürlich auch unter den Flüchtlingen Kriminalität und rechtswidrige Aktivitäten. Aber nur in den seltensten Fällen würden “Gruselgeschichten” zutreffend sein.
Die Linie des Polizeipräsidiums Mannheim ist in dieser Hinsicht klar und unmissverständlich: Wer andere öffentlich in Misskredit ziehet, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden:
Jedermann, der wider besseres Wissen Behauptungen verbreitet, denen ähnliche Motive zugrunde liegen, muss mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen.
Nach Angaben von Herrn Schätzle erhoffe man sich, mit einem Ermittlungserfolg und einer möglichen Verurteilung andere potenzielle Täter davon abzuschrecken, verleumderische und diskreditierende Unwahrheiten zu verbreiten.