Rhein-Neckar, 28. April 2014. (red/pro) Die Bunte hat vorgelegt und der Rest des Blätterwalds rauscht nach – mitten in die grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen hat man jetzt aus Sicht der Qualitätspresse eine „Liebes-Affäre“, über die es in den nächsten Tagen sicherlich jede Menge „Enthüllungen“ geben wird. Es ist einfach widerlich.
Von Hardy Prothmann
Es ist einfach widerlich. Diese Branche ist widerlich. Ich verstehe Menschen, die Journalisten verachten, sehr, sehr gut, weil es mir nicht anders geht. Ich wehre mich oft gegen die Bezeichnung „Kollege“, weil ich mit vielen nichts zu tun haben will und schon gar nichts „kollegial“ teile.
Tiere-Titten-Tote
Die Bild-Zeitung hat eine Erfolgsformel: TTT. Tiere-Titten-Tote. Mit diesen drei Buchstaben lässt sich trefflich Boulevard-Journalismus machen. Ob über Wettermoderatoren, Kleiderkammer-Affären oder Amtszimmer.
Wer mit wem wo und wie, Ihr Bettfleckensucher, ist Privatsache. Und eine Frau, die ganz offensichtlich in schwersten Nöten ist, sollte man nicht an die Öffentlichkeit zerren, sondern eher Schutz gewähren.
Journalismus – auch wenn Ihr das vergessen habt – hat auch was mit Verantwortung zu tun.
Hochnotgeile Qualitätsmedien vs. Privat ist Privat
Es ist einfach widerlich und unwürdig, wie sich angebliche „Qualitätsmedien“ geradezu hochnotgeil auf die „Affäre“ stürzen. Ich würde ja raten: „Schämt Euch“ – ich bin mir aber sicher, dass Ihr dazu nicht in der Lage seid.
Privat ist privat. Was ist die öffentliche Relevanz? Ein angeblich grünes Talent in seelischer Not? Ist es das, was Ihr Qualitätsjournalisten als öffentlich relevant einstuft? Ist es das, womit Ihr Schlagzeilen machen wollt?
Es geht niemanden was an, welche Beziehungen Menschen privat miteinander haben. Auch so genannte „Personen der Zeitgeschichte“ haben ein Recht auf ein Privatleben und dort dürfen sie alles machen, was ihnen und anderen gefällt, ohne von Euch Voyeuren behelligt werden zu müssen.
Was ist die öffentlich relevante politische Dimension?
Gibt es eine politische Dimension? Haben sich verantwortliche Personen durch Verknüpfung von Offiziellem und Privatem ruchbar gemacht? Wo sind die „harten Fakten“? Was ist der Vorwurf? Was muss man anzweifeln?
Die Namen werden breit getreten. Der Noch-Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (41) soll also nach Darstellung der Landtagskandidatin Kerstin Lamparter (26) drei Jahre lang eine Liebesbeziehung mit ihr gehabt haben.
„Anfragen der Presse“ nicht mehr „aushaltbar“
Frau Lamparter macht das auf Facebook öffentlich. Man beachte den Grund:
Der Druck auf meine Person mit Gerüchten und Anfragen der Presse um eine Liebesbeziehung zu Bonde wurde immer größer und zuletzt für mich jetzt nicht mehr aushaltbar.
Hat niemand von Euch skrupellosen Gesellen den Hilferuf gehört? Gibt es nicht eine Sekunde des Innehaltens, dass Ihr und/oder andere ein persönliches, seelisches Drama nur befördert anstatt es mit Anstand zu behandeln? Ist niemand von Euch ehrlosen Gesellen auf die Idee gekommen, die Frau dringend aufzufordern, diesen Post zu löschen, um sich selbst zu schützen? Nein? Klar – das würde ja die „geile Story“ kaputt machen.
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Was hat die Frau verbrochen? Was der Mann? Was geht es die Öffentlichkeit an?
Seid Ihr alle treu? Zahlt Ihr Eure Steuern korrekt? Fahrt Ihr immer nach Vorschrift? Seid Ihr ohne Tadel? Baggert Ihr Praktikantinnen an oder habt Ihr Euch als Praktikantinnen „hoch gebumst“?
Fickfleckensucher
Ihr Fickfleckensucher seid für mich genau eins: Widerliche Wichtigtuer. Bekloppte Blockwarte. Despektierliches Dreckspack.
Ihr seid ohne Anstand und ohne Moral – deswegen versucht Ihr auch ständig anderen Euer innerstes verkommenes Selbst anzuhängen. Verroht, verludert, verlogen.
Mir werden ständig „private Sachen“ gesteckt. Der Bürgermeister hat eine Affäre, dieser Politiker ist beim Psychiater und so weiter. Na und? Das ist privat und bleibt privat, solange es keine öffentliche Relevanz hat.
Ein verzweifelter Hilferuf einer gekränkten Persönlichkeit ist kein öffentliches Thema – außer, man konzentriert sich auf die tatsächlich Schuldigen. Und die wurden benannt: „Anfragen der Presse“.
Schämt Euch!
Ich kenne weder den Mann noch die Frau bislang persönlich. Die Grünen und deren Ministerpräsident begleite ich als Redaktionsleiter äußerst kritisch. Aber was hier gerade abgeht, ist beschämend. Für den Berufsstand des Journalismus.
Anm. d. Red.: Wir verlinken nicht auf den Facebook-Post von Frau Lamparter. Den kann jeder selbst finden. Wir zeigen auch keine Fotos von Frau Lamparter oder Herrn Bonde oder dessen Frau. Wir respektieren trotz der „Veröffentlichungen“ zumindest so gut es geht das Privatleben der betroffenen Personen.
Journalismus wirkt an der Willensbildung mit…
… leider immer weniger mit relevanten Informationen und immer mehr mit unnötigen Skandalisierungen. „Sex sells“ ist für viele Redaktionen immer noch ein „Handlungsleitfaden“. Für uns nicht. Bei uns ist klar geregelt: „Privat ist Privat“ und „Öffentlich ist Öffentlich“. Wenn Sie unsere Arbeit wichtig finden und wollen, dass wir weiter zupacken, dann spenden Sie für informativen, hintergründigen Journalismus. Allein schon deshalb, um gegen die Medienkonzentration eine Gegenöffentlichkeit zu ermöglichen. Hier geht es zum Förderkreis.