
Findet sich nicht „in ihrem Sinne“ wiedergegeben – die Stadträtin und Bundestagsabgeordnete Dr. Birgit Reinemund (FDP).
Mannheim/Rhein-Neckar, 27. Juni 2013. (red/pro) Zur Bundestagswahl 2013 interviewen wir die Bundestagsmitglieder/Kandidaten in unserem Berichtsgebiet. Unter anderem Frau Dr. Birgit Reinemund (FDP). Am 28. Mai hat unsere Volontärin Lydia Dartsch die Abgeordnete zum Gespräch getroffen und am 04. Juni den Text zur „Freigabe“ geschickt. Drei Wochen später teilt uns das Büro mit, dass das Interview so nicht erscheinen könne. Das ist falsch. Es wird überhaupt nicht erscheinen.
Von Hardy Prothmann
Die Souveränität von Gesprächspartnern variiert. Es gibt die absolut souveränen, wie beispielsweise den Schwetzinger Oberbürgermeister Dr. René Pöltl, mit dem wir ein enorm langes Interview geführt haben und der uns die Freigabe für das 25.000-Zeichen-Interview nach einer halben Stunde bestätigt hat. Er wünschte nur eine kleine Korrektur, eine Jahreszahl war im Text nicht richtig. Das haben wir natürlich korrigiert. Oder kürzlich Herr Professor Jochen Hörisch – aus einem zweistündigen Gespräch habe ich ein Interview „zusammengefasst“ – kein Korrekturwunsch.
Journalismus vs. PR-Gebabbel
Und es gibt komplett unsouveräne Gesprächspartner wie die FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Birgit Reinemund. Die lässt drei Wochen nach Zusendung des Interviews mitteilen, die meisten Fragen und Antworten seinen „nicht in ihrem Sinne wiedergegeben“. Daher müsse das Interview „grundsätzlich überarbeitet werden“. Das brauche „leider noch etwas mehr Zeit“. Wenn wir auf eine Veröffentlichung verzichten wollten, stehe uns das „frei“. Man bitte um Rückmeldung, ob man das Interview überarbeiten solle.
Dies ist die Rückmeldung: Frau Dr. Reinemund oder ein Angestellter in deren Büro können sich die Mühe sparen. Denn wir veröffentlichen keine Interviewtexte, die im „Sinne von irgendjemandem“ und „grundsätzlich“ überarbeitet worden sind. Wir sind keine ausgelagerte PR-Pressestelle, die irgendwelche geglättete Parteipropaganda in die Welt hinausbläst. Wir stellen Fragen und bilden die gegebenen Antworten inhaltlich korrekt ab. Und unsere Fragen bleiben unsere Fragen – ganz sicher lassen wir die nicht grundsätzlich im Sinne von Hinz und Kunz überarbeiten.
Die Antworten der Gesprächspartner geben wir zutreffend wieder. Das Angebot der Freigabe heißt nicht, dass sich Politiker oder andere interviewte Personen hinterher „bessere“ Antworten überlegen können, sondern dass der Inhalt auf Fehler geprüft wird. Vielleicht wurde eine falsche Zahl genannt oder ein nicht korrektes Datum. Vielleicht haben wir tatsächlich etwas inhaltlich nicht korrekt erfasst – auch das ist „theoretisch“ möglich. Mit solchen Korrekturen, die faktisch begründet sind, haben wir keine Probleme.
Dreiste Freigeberitits
In der Journalistenbranche wird die „Freigeberitis“ schon seit Jahren thematisiert. Es gibt sogar Politiker, die so dreist sind, dass sie nicht-gestellte Fragen in Texte einfügen oder Fragen umschreiben, damit sie die gewünschte Antwort darauf geben können. Leider gibt es zu viele Medien, die das durchgehen lassen. Immer wieder hören wir den Wunsch, das wir Artikel vor Veröffentlichung „zur Prüfung“ vorlegen sollen, „das machen doch alle, also auch Zeitung xy“.
Wenn Medien und Politiker oder andere Personen so „Hand in Hand“ arbeiten, ist jede unabhängige Berichterstattung, jedes kritische Nachfragen, jede Pressefreiheit schlicht und einfach erledigt. Journalismus hat dann ausgedient. Übrig bleibt eine reine PR-Schleuder.
Vielleicht hat Frau Dr. Reinemund bislang andere Erfahrungen gemacht oder ist als „Hinterbänklerin“ in ihrer ersten Legislaturperiode einfach zu unerfahren oder vielleicht ist ihr Büroleiter, der FDP-Stadtrat Volker Beisel, vorauseilend gehorsam.
Als Chefredakteur habe ich mir die Gesprächsaufzeichnung zwischen Frau Dr. Reinemund und unserer Volotärin Lydia Dartsch angehört und den Interviewtext dazu gelesen. Die Arbeit ist vollkommen zutreffend und in Ordnung. Selbstverständlich ist ein Interview meistens eine „Kunstform“, das heißt, Antworten werden zusammgenfasst und gestrafft, sprachlich überarbeitet – auch im Sinne der Gesprächspartner. Oder sollte man jedes „äh“, jede Wiederholung, jede „seltsame“ Formulierung wiedergeben? Das würde Texte unlesbar machen.
Die Kollegin Lydia Dartsch hat die Aussagen von Frau Dr. Reinemund zutreffend zusammengefasst. Wenn Frau Dr. Reinemund oder ihr Büroleiter Beisel nun im Nachhinein andere Formulierungen „in ihrem Sinne“ wünschen, bedanken wir uns ganz herzlich, dass uns die „Freiheit“ zugestanden wird, den Text nicht veröffentlichen zu müssen.
Hinweis: Die Interviews mit den Kandidaten werden jeweils terminlich vereinbart. Dann wir ein Gespräch geführt. Idealerweise sind Fragen und Antworten 1:1 identisch. Das setzt allerdings eine hohe Konzentration und außerordentliche rhetorische Fähigkeiten beim Gesprächspartner voraus. Typischerweise werden Aussagen zusammengefasst und aus dem mündlichen in Textsprache transskribiert. Die Aufgabe dabei ist, so nah wie möglich an der mündlichen Aussagen zu bleiben. Insbesondere, wenn viele „Nebensätze“ oder „Gedankensprünge“ vorhanden sind, erfordert dies durchaus ein hohes Geschick. Ziel ist immer die zutreffende Wiedergabe der inhaltlichen Information.
Bislang sind diese Interviews erschienen:
Franziska Brantner (Bündnis90/Die Grünen): Schon meine Schulzeit war europäisch geprägt
Lothar Binding (SPD): Kluge Politik nicht nur für die Region allein
Dirk Niebel (FDP): Wer einen Plan B hat, folgt Plan A nicht konsequent genug