Mannheim, 19. September 2013. Prof. Dr. Egon Jüttner (72, CDU) ist mit Unterbrechungen seit 1984 Stadtrat in Mannheim. Seit 1990 ebenfalls mit Unterbrechungen Mitglied des Deutschen Bundestags. 1994 und 2009 gewann er das Direktmandat. Das hat er auch 2013 vor. Im letzten Interview unserer Gesprächsreihe mit den Kandidaten in den Wahlkreisen Mannheim, Heidelber-Weinheim und Rhein-Neckar-Kreis geht es um lokale und internationale Politik.
Interview: Hardy Prothmann, Mitarbeit: Lydia Dartsch
Herr Professor Jüttner, Sie sind nun 71 Jahre alt und mit Unterbrechungen seit zwanzig Jahren Bundestagsabgeordneter. Vielleicht kommen noch einmal vier Jahre hinzu. Haben Sie keine Lust auf Rente?
Jüttner: Ich kann mir nicht vorstellen, mich jetzt zur Ruhe zu setzen. Ich habe immer sehr viel gearbeitet und kenne gar nichts anderes. Die Arbeit macht mir Spaß, aber ich bin nicht davon abhängig. Deswegen bewerbe ich mich erneut für das Direktmandat und hoffe, es noch einmal in die nächste Legislaturperiode zu schaffen.
Dass Sie noch einmal antreten, ist eine Entscheidung, die Sie ja sicher auch mit ihrer Frau abgesprochen haben?
„Ich habe Leuten helfen können“
Jüttner: Naja, meine Frau war nicht sonderlich davon begeistert, schon bei der Wahl 2009 nicht.
Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche? Reichen 40 Stunden?
Jüttner: Nein. Wenn ich in Berlin arbeite, dann komme ich meist auch erst nach Mitternacht nach Hause und beginne jeden Tag um acht oder neun Uhr. Dazu kommt Arbeit und Termine in Mannheim.
Ihre Konkurrenten werben hauptsächlich mit Inhalten wie Kita-Ausbau, Solidarität und Mindestlohn. Für was stehen Sie?
Jüttner: Für mein kontinuierliches Engagement bei vielen Themen und für persönlichen Kontakt. Ich habe vielen Leuten irgendwie helfen können, z.B. bei einer Wohnungssuche oder bei Unzufriedenheiten mit der GBG. Um nur mal so kleine Dinge zu nennen. An großen Angelegenheiten sind wir ja schon lange dran, beispielsweise einer ICE-Anbindung. Dafür habe ich auch in der Gemeinderatsfraktion sehr gekämpft. Dann haben wir eine große Armutszuwanderung im Mannheimer Jungbusch und in der Neckarstadt-West. Dort gibt es Kriminalität, Ausbeutung, den Arbeitsstrich. Da habe ich die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, hergeholt.
Mit welchem Ergebnis?
Jüttner: Nun sollen Vorschläge der Bundesländerkommission zu diesem Problemen gemacht werden. Der Bund hat lange nicht erkannt, dass die Probleme der Kommunen auch den Bund betreffen. Ich hatte über sehr viele parlamentarische Anfragen versendet. Immer wurde geantwortet: Das ist eine Frage, mit der sich die Kommune auseinandersetzen muss. Ich habe die Leute aber immer wieder darauf angesprochen und so das Bewusstsein bei ihnen geschärft. Die betroffenen Kommunen dürfen nicht alleine gelassen werden.
Sehen Sie eine Lösung?
Jüttner: Nach dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien und den ab 01. Januar 2014 geltenden Einreisebestimmungen haben wir hier bald ein großes Problem. Wir müssen für die Menschen, die in unser Land einreisen, Gelder zur Verfügung stellen. Oft haben sie keine Krankenversicherung.
Erstgebot erreicht
Was sind die große Aufgaben für Mannheim in der kommenden Legislaturperiode?
Jüttner: Aus meiner Sicht auf jeden Fall auch Themen, die nicht so populär sind wie der Verbleib von Wasser- und Schifffahrtsamt, dem Patentgericht, aber auch dem Zollamt. Zusätzlich muss man natürlich an anderen Themen dran bleiben, wie beispielsweise an der ICE-Neubaustrecke. Und beim Thema Verkehr natürlich die Stadtbahn Nord. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, die diesen Streckenbau mitfinanziert, läuft 2019 aus. Wir brauchen hierfür aber weiterhin Zuschüsse.
Beschäftigen Sie sich auch mit der Konversion?
Jüttner: Ja, ganz klar. Dafür habe ich mich auch sehr stark gemacht. Ich habe den Chef von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Dr. Jürgen Gehb, einmal gefragt, ob wir über den Flächenaufgriff der Stadt Mannheim reden könnten. Daraufhin meinte er, er müsse das Gelände an den Meistbietenden verkaufen. Wir konnten dann erreichen, mit einer Entscheidung im Haushaltsausschuss, dass die betroffene Kommune ein Erstgebot abgeben darf. Und die Flächen nicht an den meistbietenden Immobilienunternehmer verkauft wird. Auch ein riesiger Kampf.
Wie würden Sie Ihre Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz beschreiben?
Jüttner: Ich habe keine Probleme mit ihm.
„Ich bekomme sogar Stimmen von SPD-Wählern.“
Wen wählen Ihre Wähler – eher die Partei CDU oder die Person Egon Jüttner?
Jüttner: Sie wählen wohl zuerst mit der Zweitstimme die Partei und dann wird natürlich differenziert. Ebenso bei der Erststimme. Ein FDP-Wähler, der einigermaßen schlau ist, sagt sich dann: „Ich will die FDP wählen und gebe ihr meine Zweitstimme.“ Die Erststimme dem FDP Kandidaten zu geben, wäre eine verlorene Stimme. Es gibt aber auch Leute, die die SPD wählen und trotzdem mir ihre Erststimme geben. Weil ich mal irgendwie für die tätig war. Oder die sagen: „Der macht was!“. Grade erst kam ein SPD-Altstadtrat auf mich zu und sagte: „Ich habe schon gewählt. Meine Stimme haben Sie“.
Sie werben auch mit Lokalpatriotismus.
Jüttner: Ja. Für viele Wählerinnen und Wähler spielt auch die Herkunft eine Rolle. Mein Slogan „Ein Mannheimer für Mannheim“ kommt an. Bei der letzten Bürgermeisterwahl erhielt der CDU Kandidat Ingo Wellenreuther nur 31 Prozent der Stimmen. Da habe ich gehört, wie die Leute gesagt haben: „Ich wähle doch keinen Karlsruher!“
Die Buga ist wichtig für die Entwicklung von Mannheim
Wie ist Ihre Einstellung gegenüber der Bundesgartenschau?
Jüttner: Wenn man es langfristig sieht – so sieht es ja der Oberbürgermeister auch – ist sie wichtig für die Entwicklung von Mannheim.
Auch in Verbindung mit der Konversion?
Jüttner: Hauptsächlich deswegen. Die Konversionsflächen bieten die Möglichkeit, sozialen Wohnungsbau oder auch gehobenen Wohnungsbau anzubieten. Dann ist es für die längerfristige Entwicklung auch wichtig, neue Gewerbeflächen zu erschließen, um Arbeitsplätze zu schaffen. So etwas ist für die ganze strukturelle Entwicklung einer Stadt wichtig.
Wie beurteilen Sie den bisherigen Ablauf?
Jüttner: Meiner Meinung nach hat man den Fehler gemacht, zuerst die Ausarbeitungen des Konzepts zu machen und erst im Februar oder März die Leute damit zu konfrontieren. Jetzt können die Leute nur noch sagen: „Wollen wir“ oder „Wollen wir nicht“.
Also wären Sie auch für einen späteren Bürgerentscheid gewesen?
Jüttner: Ich persönlich ja. Die CDU wollte ihn jetzt durchführen, um eine Entscheidung herbeizuführen. Aber viele Bürger interessiert eine langfristige Entwicklung gar nicht mehr. Sie denken sich, in zwanzig, dreißig Jahren leben sie sowieso nicht mehr. So etwas bekommt man immer wieder zu hören. Dann sehen sie die kaputte Straßen oder den sanierungsbedürftigen Herzogenriedpark und stellen fest, dass dafür kein Geld da ist. Aber etwas Neues soll gebaut werden.
Versuchen Sie das langfristige Denken der Mannheimer zu fördern?
Jüttner: Ja, ich versuche es zumindest immer. Ich bin sehr gespannt, wie der Bürgerentscheid ausgeht. Ich denke schon, dass es sich die Bundesgartenschau langfristig lohnen wird. Da kommen ja nicht nur Zuschüsse in Höhe von 40 Millionen vom Land, sondern auch noch die Eintrittsgelder.
Sind sie mit der wirtschaftlichen Entwicklung Mannheims zufrieden, oder sehen Sie Probleme, die schnell behandelt werden müssen?
Jüttner: Es ist natürlich ein Problem, dass die Gewerbesteuern erhöht wurden. Vor allem, weil es andere Standorte im Umkreis gibt, an denen man als Unternehmen billiger davon kommt. Aber das war eine Entscheidung des Gemeinderats. Eine gute Entwicklung wäre meiner Ansicht nach noch mehr Gewerbe zu schaffen. Das hat die Stadt ja mit den Konversionsflächen jetzt selbst in der Hand.
Ob maut oder Gewerbesteuer – man wird Kompromisse finden
Was ist an der Meldung dran, dass die CDU und die FDP die Gewerbesteuer abschaffen wollen?
Jüttner: Ja, das wurde immer mal wieder diskutiert. Mir ist da jetzt allerdings nichts Konkretes zu bekannt.
Aber es ist ein Wahlkampfthema?
Jüttner: Man weiß das ja vorher nie, das wird dann erst im Koalitionsvertrag vereinbart. Wie mit den Maut-Gebühren auch. Da vermute ich, dass dann irgendwie ein Kompromiss gefunden wird. Und es gibt natürlich immer irgendwelche Experten, die dann auch etwas einwenden können.
Mal zu einem ihrer Kerngebiete, der Sicherheitspolitik. Flüchtlinge aus Syrien kommen hier ja gerade massenweise an. Aus Afghanistan und aus dem Irak kommen sie auch. Wird sich das Ihrer Meinung nach noch verschärfen? Kommen noch mehr? Was trägt eher zu einer Einigung dieser Situation bei: Gespräche, Embargos, politischer Druck oder muss es einen Militärschlag geben?
Jüttner: Also meiner Meinung nach, kann man nicht abschätzen, wozu ein Militärschlag führt. Ich würde auch abwarten, was die UN-Inspekteure rausbekommen. Auch wenn die Amerikaner das ja letztlich selbst entscheiden müssen, bin ich persönlich sehr skeptisch gegenüber einem Militärschlag. Wir haben momentan noch keine hundertprozentige Sicherheit, wer hinter den Anschlägen steckt.
Im Wahlkampf ist die NSA kein Thema
In den Medien wird ja auch oft die Haltung von Frau Merkel kritisiert. Es heißt sie habe es sich mit den USA ein bisschen verscherzt, weil sie dort nicht sofort unterschrieben hat. Wie beurteilen Sie das? Sieht das nur die Presse so oder gibt es jetzt tatsächlich Schwierigkeiten zwischen den USA und Deutschland?
Jüttner: Also ich würde sagen, wir haben den USA sehr viel zu verdanken. Vor allem in der Nachkriegszeit. Wegen allem, was sie für uns getan haben. Wir haben eigentlich ein sehr gutes Verhältnis mit den USA. Es muss aber bei Weitem nicht so sein, dass wir all das billigen, was die Amerikaner wollen. Wir sind ein eigenständiger Staat, wir sind eingebunden in die europäische Gemeinschaft. Insofern denke ich, müssen die Amerikaner es einfach mal akzeptieren, wenn wir bei einem Thema sagen, dass wir eine andere Auffassung dazu haben.
Was sagen Sie zu den Abhörprogrammen der NSA und des britischen Geheimdienstes? Journalisten und Netzaktivisten halten das Thema hoch. Haben Sie den Eindruck, dass es auch ein Thema bei den Bürgern ist?
Jüttner: Also ich war ja auf vielen Informationsveranstaltungen und Diskussionen. Und auf dieses Thema darauf wurde ich kein einziges Mal angesprochen. Was die Leute, die mit mir sprechen, viel mehr interessiert, ist zum Beispiel die Zukunft der Rente. Oder auch die Beschäftigungssituation. Darüber machen die Leute sich Sorgen. „Mein Sohn bekommt immer nur Zeitarbeitsverträge“, heißt es da. So etwas bewegt sie.
Wie beurteilen Sie persönlich, was die Geheimdienste hier mit uns getrieben haben? Finden Sie das in Ordnung?
Jüttner: Nein, in Ordnung ist das sicher nicht. Natürlich liegen uns diesbezüglich aber auch noch nicht alle Erkenntnisse vor und man sollte noch abwarten. Eins aber ist klar: Man kann nicht einfach unsere Gesetze missachten. Ich wage es allerdings nicht, jetzt ein Urteil zu bilden, bevor mir nicht alle Informationen vorliegen.
Ein Schlusswort zum Direktmandat. Wie sicher ist das für Sie?
Jüttner: Ich bin da schon sehr zuversichtlich. Da müsste schon noch irgendwoher ein heftiger Schlag kommen.