Mannheim/Rhein-Neckar, 18. Juli 2013. (red/ae/ld) „Bock auf Wahl“ heißt das Projekt des Stadtjugendrings Mannheim e.V. und des Johann-Sebastian-Bach-Gymnasiums (JSB). Ob man den Titel als Frage oder Aussage begreifen will, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Die Schüler kamen am Montag und Dienstag aus verschiedenen Schulen ins Jugendkulturzentrum Forum. Moderiert wurden die vier Podiumsdiskussionen von Schülern der 11. Klasse des Politikleistungskurses des JSB. Mannheimer Bundestagsabgeordnete und -kandidaten hatten Gelegenheit, Schülerinnen und Schüler davon zu überzeugen, wählen zu gehen und das Kreuzchen hinter ihren Namen zu setzen. Ob sie das geschafft haben, darüber sind unsere Autorinnen sich nicht ganz einig. Ein Streitgespräch.
Wie wäre es mit einem Ministerium für Zufriedenheit und Wohlbefinden? Was kann man gegen die Ausbeutung der Leiharbeiter machen? Wie geht man zukünftig mit Migration um? Um dies und viele andere Themen ging es in den vergangenen zwei Tagen an den vier Podiumsdiskussion anlässlich der Bundestagswahl am 22. September. Rund 900 Schüler/innen besuchten die Veranstaltung, die unter dem Motto „Nutze deine Chance und verändere die Politik“ stand.
Die Podiumsdiskussionen sind Teil des Projekts “Bock auf Wahl” des Stadtjugendrings Mannheim e.V., seinen Mitgliedsverbänden, dem Jugendamt Mannheim und weiteren Kooperationspartnern. Das Projekt soll Jugendlichen einen neuen Blickwinkel auf die Politik eröffnen. “Mit den Podiumsdiskussionen wollten wir die Schüler auf die Jugendwahl aufmerksam machen und vorbereiten. Außerdem wollten wir Jugendliche für Politik begeistern.”, sagte Oliver Stoltz, Lehrer am Bach-Gymnasium und Organisator der Veranstaltung.
Mannheimer Schüler/innen fühlten den Wahlkreiskandidat/innen Prof. Dr. Egon Jüttner (CDU), Dr. Birgit Reinemund (FDP), Stefan Rebmann (SPD), Gerhard Schick (Die Grünen), Michael Schlecht (Die Linke), Stefan Täge und Sophie Mathes (Piraten-Partei) und Bernd Kölmel (Alternative für Deutschland) auf den Zahn. Um es den Poltikern nicht zu einfach zu machen, war ihre Redezeit jeweils auf 90 Sekunden beschränkt.
Von Alina Eisenhardt und Lydia Dartsch
Alina Eisenhardt (19):
Bock auf Wahl? Aber klar! Die Podiumsdiskussionen waren klasse! Die Bundestagskandidaten hatten nur 90 Sekunden Zeit, um die Fragen der Schüler zu beantworten. Sie waren motiviert, hielten sich an die Regel, einen Joker für mehr Redezeit zu verwenden und sagten zu keinem Spiel „Nein“. Und die Schüler erst! Ich hätte nicht erwartet, dass sie so kritische Fragen stellen.
Lydia Dartsch (29):
Naja, wenn ich Wählen nicht als meine Bürgerpflicht ansehen würde, würde mich das nicht ins Wahllokal ziehen. Die Politiker haben vor allem Phrasen gedroschen. Richtige Antworten habe ich wenige gehört. Und was die Fragen der Schüler angeht, kannst Du ja fast nur die der Moderatoren vom Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium meinen. Die Zuhörer trauten sich ja kaum, etwas ins Mikrofon zu sagen – vielleicht, weil man sie dann hätte hören können. Dabei haben viele von denen sogar zwei Stimmen am 22. September.
Eisenhardt:
Du vergisst die Jugendwahl am 13. September. Da können die 16- und 17-Jährigen doch schon abstimmen. Dafür war das ganze doch gedacht.
Dartsch:
Sag bloß, die Jugendwahl bestimmt die Besetzung im nächsten Bundestag? Die Erstwähler sollen doch an die Urne!
Eisenhardt:
Damit können die Jugendlichen doch mal ihre Einstellung mitteilen. Hauptsache wählen: Jede Stimme zählt!
Dartsch:
Genau. Bei einigen Kandidaten weiß ich aber nicht, warum ich denen meine Stimme geben sollte. Nehmen wir mal Sophie Mathes von den Piraten. Die wurde in einer Vorstellungsrunde gefragt, welches Talent sie sich noch wünschen würde und sagte: „Ich habe schon alle!“ Vielleicht stimmt das auch, wenn man mal das Thema „Außenpolitik“ ausblendet. Sie wurde gefragt, wie man verhindern könne, dass die Taliban in Afghanistan wieder an die Macht kommen, wenn die ISAF-Truppen abgezogen sind: Ihre Antwort:
Man muss nicht alles wissen, und nicht alles können.
Das ist nicht mein Fachgebiet. Da hat selbst die junge Frau neben mir kommentiert, sie hätte sich doch lieber ein weiteres Talent wünschen sollen.
Eisenhardt:
Ja, echt peinlich, aber Du kannst doch nicht alle Kandidaten über einen Kamm scheren! Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen) zum Beispiel hat auf die Frage, ob und wie die Bundeswehr in den Syrien-Konflikt eingreifen sollte, sehr souverän geantwortet:
Ich bin dafür, zivile Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass man im Konfliktfall militärisch vorgehen muss.
Und Stefan Rebmann (SPD) war doch auch in Ordnung. Auf die Frage nach den Taliban in Afghanistan hat er konkrete Maßnahmen genannt:
Wir müssen nach dem Abzug der ISAF-Truppen sicher stellen, dass die Schulen weitergeführt werden und die dort ansässigen Angestellten der ISAF eine Anschlussbeschäftigung erhalten.
Dartsch:
Das waren ja noch Lichtblicke in den Aussagen der Kandidaten. Nehmen wir als Beispiel Dr. Birgit Reinemund (FDP), die aus dem Untersuchungsausschuss über die Euro-Hawk-Affäre berichten sollte und lediglich sagte, es sei nicht erfreulich, was sie dort erfahre. Ob Verteidigungsminister Thomas de Maizière vom Scheitern des Projekts vorher gewusst habe, könne sie nicht beurteilen.
Eisenhardt: Aber das ist ja nicht ungewöhnlich, wenn der Untersuchungsausschuss noch läuft. Der hat ja gerade erst begonnen. Das Thema „Suchtpolitik“ ist für Jugendliche sowieso viel interessanter. Dazu sagte Michael Schlecht (Linke):
Ich bin für die Legalisierung von Marihuana. Das eigentliche Problem sind die familiären und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die zum Drogenkonsum führen. Diese müssen erheblich verbessert werden. Wenn man mit Verboten arbeitet, ist man ganz am Ende.
Dartsch:
Hach! Wäre das schön, wenn die Linke in die Regierung kommen würde. Dann hätten wir endlich ein Ministerium für Glück und Michael Schlecht wird Glücksminister. Das ist nämlich im Wahlprogramm der CDU nicht vorgesehen, hat Prof. Egon Jüttner (CDU) gesagt. Dass er nichts verspricht, was seine Partei nicht halten wird, muss ich dann doch mal positiv hervorheben. Viel gesagt hat er ja nicht oder hast Du gesehen, dass er auch nur einen Joker benutzt hat, um in die Diskussion einzugreifen.
Eisenhardt:
Besser man sagt wenig und dafür Prägnantes! Wie zum Beispiel Bernd Kölmels (AfD) Aussage zur Einwanderungspolitik:
Für Einwanderung muss es klare Regeln geben. Immigranten müssen integrationswillig sein – sonst ist niemandem geholfen.
Dartsch:
Frei nach dem Motto: „Wir sind Deutschland. Sie werden integriert. Widerstand ist zwecklos!“ Von so einem Integrationszwang halte ich nichts. Und generell: Was sollten diese ganzen Spiele? Frau Dr. Reinemund und Herr Rebmann mussten sich bei einer fiktiven Firma vorstellen, oder als Bewerber seinen Vielleicht-Chef vom Mindestlohn überzeugen. Und erst dieses alberne „Eins, zwei oder Drei“! Das ist Politik! Da ist es wichtig, ernst zu sein.
Eisenhardt:
Ja, und es ist furchtbar trocken – genau das schreckt ja viele Jugendliche davon ab, sich damit zu beschäftigen. Dabei betreffen sie Themen wie Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik doch besonders. Oder nimm zum Beispiel Umweltpolitik. Wenn sie morgen nicht im Smog leben und auf Schritt und Tritt vom „großen Bruder“ verfolgt werden wollen, haben sie am 22. September die Chance, genau das zu beeinflussen.
Dartsch:
Gut. Bei der Begeisterung, die ich bei den Podiumsdiskussionen von den rund 900 Schülerinnen und Schülern gesehen habe, bin ich überzeugt, dass die jetzt auf jeden Fall Bock auf Wahl haben.
Mal humorvoll, mal ernst befragten die Schüler und Schülerinnen die Kandidaten über aktuelle Themen der Politik, und brachten diese mit ihren Fragen machmal ganz schön ins Schwitzen. Unter anderem ging es um Integration- und Asylpolitik, Datenschutz, Suchtpoltik, Arbeit und Soziales, Europapolitik, Waffen und Menschenrechte und Bildung.