Mannheim/Rhein-Neckar, 16. Juli 2013. (red/zef) Für viele Jugendliche wäre es ein Albtraum gewesen. Ein herrlicher, warmer Freitagnachmittag im Hochsommer und es heißt: Schule statt Freibad. Elf Schülerinnen und zwei Schüler nahmen freudestrahlend die Extra-Stunden in Kauf. Kein Wunder, schließlich hat das Ministerium für Glück und Wohlbefinden vorbeigeschaut. Ähem, Moment mal: Ministerium für was?
Von Ziad-Emanuel Farag
Behörden gibt es in Deutschland für fast alles. Nur nicht, für das, was wirklich zählt: Zu Beispiel Glück. Gina Schöler und Daniel Clarens, zwei Studierende der Hochschule Mannheim im Masterstudiengang Kommunikationsdesign, wollen dies nun mit einer breiten Kampagne im Internet, in Schulen, in Kinos oder auf der Straße ändern. Ihr Ziel: Ein Ministerium für Glück und Wohlbefinden, sowie der Forderung nach einem Bruttonationalglück.
Wirtschaftswachstum, Reichtum und Konsum sollen kein Selbstzweck mehr sein. Denn ab einem gewissen Zeitpunkt macht mehr Geld nicht glücklicher. Umgekehrt aber schließt ein zu geringes Einkommen Menschen aus vielen Teilen der Gesellschaft aus. Vorbild für das Ministerium für Glück und Wohlbefinden ist dabei das kleine Königreich Bhutan. In dem kleinen Binnenstaaat in Südasien, gibt es ein Vier-Säulen-Modell für Glück:
1. Bewahren und Fördern der Kultur
2. Leben im Einklang mit der Natur
3. Gerechte Wirtschaftsentwicklung
4. Gutes Regieren
Diese vier Säulen müssen im Gleichgewicht stehen. Jedes Gesetz in Bhutan wird darauf überprüft, ob es die Zufriedenheit der Bevölkerung dient. Klingt ein wenig „verrückt“? Ist aber so.
Bruttonationalglück für Deutschland
Die beiden Studierenden möchten in ihrer Kampagne einen Perspektivwechsel einleiten, einen anstehenden Wandel zu initiieren und diesen aktiv zu begleiten sowie mitzugestalten. Auf der Internetseite ihrer Kampagne www.ministeriumfuerglueck.de können Menschen ihre ganz persönliche Glücksgeschichte teilen. Hinzu kommen Workshops, Straßenaktionen und Kinoabende, die die Studenten im Auftrag des Glücks durchführen. So wurde bereits am 17. Juni der Film „What happiness is“ in Mannheim gezeigt. Dieser Film dokumentiert, wie wichtig das Thema Glück in Bhutan ist. Am 1. August wird der Film auch in anderen Städten gezeigt, u.a . in Kinos in Berlin, in München und Köln.
Mitte Mai fand ein Picknick-Flashmob mit 40 Personen auf dem Berliner Alexanderplatz statt. An diesem Tag, dem 16. Mai, sollte eigentlich der Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität bekannt gegeben werden. Unter einer Enquete-Kommission versteht man eine Kommission, die zu langfristigen gesellschaftlichen Fragen mögliche Lösungen erarbeiten soll, mit der alle in der Gesellschaft leben können. Dieser Termin wurde verschoben – aber der Flashmob nicht. Daniele Kolbe zählt als Vorsitzende dieser Enquete-Kommission auch zu den Unterstützern dieses Projektes.
Das Glück hält im Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium Einzug
Genauso wie die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Schulworkshops mitorganisiert und begleitet. Ein solcher Workshop fand vergangenen Freitag auch im Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium in Mannheim statt. Elf Oberstufenschülerinnen und zwei -schüler haben daran teilgenommen.
Wir haben von dem Projekt gehört und sind auf die beiden Studierenden zugegangen, um es an die Schulen zu bringen. Das ist nun ein Pilotprojekt an vier Mannheimer Schulen. Anschließend werden wir es evaluieren. Wir möchten den Begriff des Glücks mit politischen Inhalten füllen, damit wir uns stärker an Bhutan orientieren: Man sollte die Politik nicht nur nach Zahlen wie dem Buttoinlandsprodukt, sondern auch nach Glück und Zufriedenheit wie Bhutan bewerten
erklärte Agnes Gräsle von der Konrad-Adenauer Stiftung. Sie betreute den Workshop zusammen mit den beiden Studierenden Gina Schöler und Daniel Clarens sowie Ideencoach Martin Gronbach.
Glücksspiel mal anders
Unter den umfangreichen Materialien stachen besonders die kreativen „Glücksspielkarten“ heraus. Eine derauf verfasste Aufgabe war zum Beispiel: Verschenke bei der nächsten Gelegenheit ein selbstgemachtes Geschenk.
Interessant ist, dass deutlich mehr junge Frauen als Männer an diesem freiwilligen Workshop teilnehmen. Für Lehrerin Anja Stephan allerdings ist das keine Überraschung:
Im Neigungsfach Politik gibt es inzwischen generell mehr Schülerinnen, manchmal sind es sogar mehr als doppelt so viele. Das war bei uns nicht immer so: In meinem ersten Kurs saß nur ein Mädchen. Die Jungs wurden nicht weniger, sondern die Mädchen mehr!
Am Morgen haben sich die Schülerinnen und Schüler generelle Gedanken über Glück gemacht und an der Tafel festgehalten: Materielle Dinge sind dabei fast Fehlanzeige. Das Wort „Geld“ suchte man vergeblich. Es ging bei materiellen Dingen um die kleinen Freuden im Alltag, wie Musik oder Ausflüge mit Freunden. Das Übergewicht immaterieller Dinge wie Liebe, Freundschaft, Zusammenhalt, war riesig.
Im Verlauf des Tages überlegten sich die Schülerinnen und Schüler, was man für mehr Glück in der Gesellschaft ändern müsste und diskutierten am Ende des Tages sehr lebhaft ihre Erkenntnisse.
Tolle Präsentationen und Diskussionen
Die Jugendlichen traten gerade beim Thema „Wirtschaft/Unternehmen“ sehr selbstbewusst auf:
Ich weiß nicht, ob die Frauenquote gut ist. Sie erweckt den Eindruck, als ob Frauen nur wegen der Quote genommen würden. Das ist letztlich Männerdiskriminierung. Gleichheit heißt: Gleiche Chance für alle!
Es zeigte sich deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler über den eigenen Tellerrand hinausblicken:
Ist es moralisch vertretbar, mit Ländern zu handeln, die Menschenrechte verletzen, bloß um schnell Profite zu erzielen?
Auch über das, was sie selbst tun könnten, redeten sie:
Bei H&M ist es doch besonders deutlich. Ich kann doch dort nicht einkaufen und anschließend sagen: Waren aus Bangladesch und Kinderarbeit sind Mist. Das ist ein persönlicher Konflikt für mich. Denn ich kann mir andere Kleider nicht leisten.
Gina Schöler entgegnet dem:
Das geht schon, man kann ja auch weniger T-Shirts kaufen und muss ja nicht alle T-Shirts bei H&M beziehen.
Agnes Gräsle verweist darauf, dass sich die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel bei den Aktions-T-Shirts bewusst für Fair-Trade-Produkte entschieden haben. Eine Teilnehmerin fügt hinzu, dass auch H&M ein Fair-Trade-Label entwickelt hat. Alle Anwesenden waren sich einig, dass solche großen Unternehmen hier zum Trendsetter werden und die Produkte auch zu bezahlbaren Preisen anbieten könnten.
Zudem solle man laut der Schülerinnen und Schüler von klein auf lernen, selbstsändige Entscheidungen zu treffen, Dinge zu organisieren und Projekte auf die Beine zu stellen. Zum Thema Inklusion sagte ein Schüler:
Die Behinderten sind oft nicht integriert. Dies ist auch nicht einfach. Ich habe einmal in einer Behindertenwerkstatt ein Praktikum gemacht und dort Kartons gefaltet. Ich habe mich gefragt: Wollen sie wirklich sehen, dass ich und viele andere da deutlich schneller sind als sie? Man muss daqnn mit ihnen auch Dinge machen, in denen sie besser sind.
Glück als Schulfach?
Zum Thema Bildung wurde von den Jugendlichen zum Beispiel die Einführung des Schulfachs „Glück“ vorgeschlagen. Zudem solle in der Vorschulbildung das Miteinander gestärkt werden: Durch eine Kindergartenpflicht würden alle Kinder in der Grundschule die deutsche Sprache beherrschen. Behinderte Kinder sollten in das Regelschulsystem integriert werden. Sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen, sollte selbstverständlich sein.
Gemeinsame Tanzveranstaltungen, die alle Altersgruppen ansprechen, seien auch wichtig. Die Distanz zwischen Jung und Alt könne damit verringert werden. Kultur solle bei Jugendlichen zum Beispiel durch Streetart vom Spießer-Image befreit werden.
Die Ideen der Jugendlichen waren zahlreich. Die erarbeiteten „Glücksrezepte“ stellten alle zufrieden. So verdienten sich die 13 Schüler auch am Ende des Tages eine ganz besondere Auszeichnung: Eine Urkunde des Ministeriums für Glück und Wohlbefinden.