
„Es ist ja interessant, dass wir vor allem mit Steuererhöhungen in Verbindung gebracht werden, obwohl wir für 90 % der Menschen die Steuerbelastung senken wollen.“ Dr. Gerhard Schick setzt sich im Bundestag gegen Steuerflucht und Steuervermeidung ein. Eine Billion Euro fehlen den EU-Mitgliedstaaten jedes Jahr dadurch.
Mannheim, 12. Juli 2013. (red/ld) Die Grünen planen Steuererhöhungen für die nächste Legislaturperiode – zumindest für die oberen zehn Prozent der Bevölkerung, sagt Dr. Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen Fraktion im Bundestag und Abgeordneter für den Wahlkreis Mannheim. Im Herbst will er sich für eine dritte Legislaturperiode wieder in den Bundestag wählen lassen. Warum er Jürgen Trittin für den besseren Finanzminister hält, wie er in einer Regierungskoalition Staatsschulden abbauen will und wie er als Homosexueller Katholik zu seiner Kirche steht, hat er uns im Interview gesagt.
Interview: Lydia Dartsch
Sie sind finanzpolitischer Sprecher der Grünen Fraktion. Werden Sie im Herbst Finanzminister?
Dr. Gerhard Schick: Vor uns liegt zunächst ein spannender Wahlkampf. Bürgerinnen und Bürgern müssen entscheiden, in welche Richtung Deutschland und Europa in den nächsten Jahren gehen sollen. Gerade in der Finanzpolitik kommt es da zu einer klaren Richtungsentscheidung: Wollen wir akzeptieren, dass in unserem Land die Vermögen sich immer weiter konzentrieren, aber die Schulgebäude verfallen und die öffentlichen Schulden wachsen – oder korrigieren wir diese Fehlentwicklungen. Unser Spitzenkandidat Jürgen Trittin wäre ein hervorragender Finanzminister, um die grünen Konzepte in einer rot-grünen Regierung umzusetzen.
Während andere Parteien im Wahlkampf Steuererleichterungen versprechen, plädieren die Grünen in ihrem Wahlprogramm für eine Steuererhöhung. Das ist ja nicht gerade ein Stimmenfänger, oder wie sehen Sie das?
Schick: Es ist ja interessant, dass wir vor allem mit Steuererhöhungen in Verbindung gebracht werden, obwohl wir für 90 % der Menschen die Steuerbelastung senken wollen, zum Beispiel durch die Erhöhung des Grundfreibetrages. Daran sieht man, dass die öffentliche Meinung bei manchen Themen vor allem danach fragt, was für die oberen 10% in unserem Land gut ist. Nur die werden im grünen Steuerkonzept belastet, das haben uns bisher alle Faktenchecks, auch von der gegnerischen Seite, bestätigt. Richtig ist aber, dass wir Bürgerinnen und Bürgern ehrlich sagen, wie es um unsere Finanzen bestellt ist. Und wenn wir investieren wollen – zum Beispiel in Bildung oder nachhaltige Energie – dann müssen wir das auch finanzieren. Und im Gegensatz zur CDU und FDP machen wir keine unfinanzierbaren Wahlversprechen.
Der Zentralverband des deutschen Handwerks kritisierte die grünen Steuerpläne als “Wachstumsbremse”. Für wen würde die steuerliche Belastung denn steigen, wenn die Grünen ab Herbst die Chance hätten, ihre Pläne durchzusetzen?
Schick: Für Menschen mit einem zu versteuerndem Einkommen von über 80.000 Euro gilt ein neuer Spitzensteuersatz von 49 Prozent, statt wie bisher 42 Prozent. Das zu versteuernde Einkommen ist immer niedriger als das Brutto-Einkommen, weil zum Beispiel noch Werbungs- und Vorsorgekosten abgezogen werden können. Und der Spitzensteuersatz bezieht sich ja nur auf Einkommen, die oberhalb dieser 80.000 Euro sind. Ein Beispiel: Ein Alleinstehender mit einem monatlichen Brutto von 7.500 Euro, zahlt monatlich etwa 72 Euro mehr Steuern.
Wie hoch sind die Mehreinnahmen, mit denen da gerechnet wird?
Schick: Dadurch möchten wir Mehreinnahmen von drei Milliarden Euro erhalten. Der größte Posten von Mehreinnahmen wird aber durch die grüne Vermögensabgabe erzielt, die wir ausschließlich dafür verwenden wollen, Schulden zurückzuzahlen, die zur Bewältigung der Finanzkrise aufgenommen wurden. Menschen mit einem Privatvermögen von mehr als einer Million Euro sollen davon über zehn Jahre jährlich 1,5 Prozent abgeben. Wir sind damit die einzige Partei, die einen Vorschlag hat, nicht nur weniger neue öffentliche Schulden zu machen, sondern endlich auch mal Schulden abzubauen.
„Die Bundesregierung wollte Steuerflüchtlinge schützen“
Ein weiteres hoch aktuelles Thema gerade ist Steuerflucht und Steuervermeidung, durch die den europäischen Mitgliedsstaaten jedes Jahr eine Billion Euro Steuereinnahmen verloren gehen. Was ist notwendig, um das künftig zu verhindern?
Schick: Da brauchen wir endlich klare internationale Regeln für einen automatischen Informationsaustausch. Wenn eine in Deutschland steuerpflichtige Person im Ausland Kapitalgewinne macht, dann müssen die deutschen Finanzbehörden davon erfahren – und zwar ohne mühsame Amtshilfeverfahren, sondern automatisch. Die Bundesregierung dagegen wollte Steuerflüchtlinge schützen und hat ein Abkommen mit der Schweiz ausgehandelt, das Steuerhinterziehern Straffreiheit gesichert hätte. Zum Glück hat Rot-grün das gestoppt, so dass jetzt endlich an einem automatischen Informationsaustausch gearbeitet wird.
Gibt es EU-Mitgliedstaaten, die solche Regelungen bereits durchgesetzt haben? Welche Erfahrungen hat man dort damit gemacht?
Schick: Ja, der Großteil der EU-Mitgliedstaaten hat bereits einen automatischen Informationsaustausch eingeführt. Nur die Steueroasen Österreich und Luxemburg und eben auch Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz oder Liechtenstein machen nicht mit, weil sie von der Steuerflucht profitieren. Wichtig ist aber auch, bei großen Unternehmen sicherzustellen, dass sie sich nicht armrechnen und ihre Steuerbelastung drücken können. Denn das ist unfair gegenüber kleinen Betrieben vor Ort, die das nicht können. Wir Grünen wollen, dass die Großunternehmen ihre Steuertricks offenlegen müssen.
Warum werden solche Maßnahmen nicht in der Bundesrepublik ergriffen? Wer steht dem entgegen?
Schick: Das könnte man auch in Deutschland einführen, anstatt darauf zu warten, bis alle EU-Staaten mitziehen. Wir haben das beantragt, doch die schwarz-gelbe Koalition hat dagegen gestimmt, um die Großunternehmen zu schützen.
Bei Privatpersonen soll die Steuerpflicht an deren Staatsangehörigkeit geknüpft werden, um zu vermeiden, dass Vermögende sich in Länder mit niedrigen Steuern absetzen. Wen betrifft das und wie hoch schätzen Sie die steuerlichen Mehreinnahmen dadurch ein?
Schick: Die Mehreinnahmen lassen sich kaum schätzen, weil es in dem Bereich eine hohe Dunkelziffer gibt. Aber einzelne Beispiele zeigen das Problem auf: Denken Sie damals an den Fall Boris Becker, der steuerlich in Monaco, tatsächlich aber in München wohnte. Wir wollen ein Prinzip, das die USA erfolgreich anwenden, auf Deutschland übertragen. Normalverdiener, die im Ausland arbeiten, merken davon nichts, weil sie unterhalb eines hohen Freibetrags sind. Aber Spitzenverdiener, die in Steueroasen umziehen, müssten deutlich mehr zahlen als heute.
„Kritisches Verhältnis zu meiner Kirche“
Im vergangenen Jahr sind Sie in die Kritik geraten, weil Sie gemeinsam mit anderen Grünen eine Kultursteuer für Konfessionslose nach italienischem Vorbild gefordert haben. Was ist aus den Plänen geworden?
Schick: Das Kirchensteuerrecht passte früher, als praktisch alle in einer der beiden großen christlichen Kirchen waren. In Teilen Deutschlands trifft das aber nur noch für eine kleine Minderheit zu. Zum Mannheimer Katholikentag haben einzelne Grüne, die auch Kirchenmitglieder sind, argumentiert, dass es auch im Interesse der Kirche ist, da Reformen anzustreben. In Italien ist es so, dass alle Menschen eine Kulturabgabe zahlen, die viel geringer ist als die deutsche Kirchensteuer, und dabei entscheiden können, wem sie das Geld geben. Kirchenmitglieder können also auch entscheiden, dass das Geld nicht an die Kirche geht. Es gibt parteiintern aber keine Pläne, das italienische Modell in Deutschland einzuführen, auch von mir nicht. Das müsste man sich erstmal genauer anschauen. Und momentan gibt es auf der politischen Agenda wichtigeres.
Sie sind mit Ihrem Mann verpartnert und sind mit der katholischen Kirche scheinbar eng verbunden. Homosexualität und die katholische Kirche: Wie passt das für Sie zusammen?
Schick: Ich bin Christ und versuche das auch zu leben. Aber zu meiner Kirche habe ich ein sehr kritisches Verhältnis, wegen der Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen, wegen einer intransparenten, konservativen Hierarchie, der Verquickung mit Diktaturen und vielen anderen Fragen. Da braucht es eine grundlegende Neuausrichtung. Das war übrigens der Kern des vorher von Ihnen angesprochenen Papiers. Schließlich lege ich meine Überzeugungen als Demokrat nicht an der Kirchentüre ab!
Strompreis könnte niedriger sein
Vor einigen Tagen wurde vermeldet, dass die Strompreise wegen der EEG-Umlage wieder steigen werden. Das trifft die Bürgerinnen und Bürger hart. Gleichzeitig lassen sich Unternehmen wie die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH und viele andere von der Umlage befreien. Ist das nicht unfair? Was werden Sie bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen dagegen unternehmen?
Schick: In der Tat, die Höhe der Umlage liegt zum Teil auch daran, dass viele Unternehmen sich von ihr befreien lassen können. Das ursprüngliche Argument dafür war, dass einige energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb stehen und dieser Nachteil ausgeglichen werden sollte. Dass das mit dem internationalen Wettbewerb für die RNV GmbH gilt – ich habe so meine Zweifel daran. Generell möchten wir die Befreiung auf ihren ursprünglichen Sinn reduzieren und Merkelsche Klientelpolitik rückgängig machen. Denn durch die Erneuerbaren Energien ist der Börsenstrompreis eigentlich billiger geworden – die Verbraucherinnen und Verbraucher spüren das bisher nicht. Aber es stimmt auch, dass wir mittelfristig Subventionen dort abbauen müssen, wo erneuerbare Energien im Markt bestehen können. Zusagen, die staatlicherseits gemacht wurden, müssen aber natürlich eingehalten werden.
Die EEG-Umlage ist dazu gedacht, die Energiewende zu finanzieren. Wie profitieren Unternehmen wie die RNV von der Energiewende?
Schick: Die gesamte Gesellschaft profitiert von der Energiewende und es war eine gute Entscheidung der deutschen Bevölkerung, diese endlich anzugehen. Fukushima hat gezeigt, dass wir mit Atomstrom neben tickenden Zeitbomben leben, eine Lösung für den Atommüll haben wir nicht gefunden. Ressourcen wie Kohle sind endlich und Klimakiller. Auch, wenn die Umstellung Kosten verursacht: Wir können in Deutschland froh sein, dass wir früh auf erneuerbare Energien umschwenken. Wenigstens dafür werden uns unsere Kinder und Enkel danken. Und zur Gesellschaft gehören nun mal Unternehmen dazu, die sich wie jede Bürgerin und jeder Bürger an diesem großen Projekt beteiligen.
Welche Folgen hätte es für die Bürgerinnen und Bürger, für den Strompreis und den Fortschritt der Energiewende, wenn alle Unternehmen die EEG-Umlage bezahlen würden?
Schick: Dann würde die Umlage natürlich für jeden einzelnen sinken und dementsprechend auch die Strompreise. Wenn unsere grünen Pläne umgesetzt würden, hätte es 2013 allenfalls eine sehr geringe Erhöhung gegeben. Aber Merkels Bundesregierung hat auch in diesem Fall nicht die Interessen der Allgemeinheit im Blick, sondern nur die einer kleinen Klientel von meist großen Unternehmen.
„Abgeordnetenbestechung muss endlich unter Strafe gestellt werden!“
Sie setzen sich gemeinsam mit dem SPD-Abgeordneten Marco Bülow für einen Ehrenkodex für Bundestagsabgeordnete ein. Darin verpflichten sich dessen Unterzeichner, ihre Nebeneinkünfte genau anzugeben. Auf Ihrer Homepage haben Sie für Februar und März 2013 650 Euro angegeben. Im Vergleich zu anderen Abgeordneten ist das wenig. Wie kommt das?
Schick: Ich wurde von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt, um sie als Bundestagsabgeordneter zu vertreten und werde dafür gut bezahlt. Dem fühle ich mich verpflichtet. Wer andere Einnahmen hat, kommt schnell in Interessenskonflikte. Wenn man zum Beispiel als Anwalt Firmen vertritt, denen man gleichzeitig als Politiker Regeln setzen sollte, wenn man im Aufsichtsrat solcher Firmen sitzt, dann ist das schräg. Die 650 Euro kommen nur dadurch zustande, dass ich bei einigen wenigen der vielen Vorträge, die ich als Politiker halte, ein Honorar bekomme.
Abgeordnete verpflichten sich in Ihrem Ehrenkodex auch, keine Geschenke über einem Wert von 100 Euro anzunehmen. Was wurde Ihnen schon alles angeboten und wofür?
Schick: Wenn man bekannt ist als Kritiker der mächtigen Lobbys und der Großunternehmen, dann bekommt man vieles schon mal gleich gar nicht angeboten, und das ist auch gut so. Was auch mich erreicht, sind zum Beispiel Einladungen von Großunternehmen zu Konzerten oder Events. Die wirklichen Schweinereien in der Politik werden aber nicht damit erkauft, sondern eher mit großen Parteispenden. Deshalb setzen wir Grünen uns dafür ein, dass Unternehmensspenden an politische Parteien verboten werden.. So etwas wie die Mövenpick-Nummer, wo sich ein Unternehmen ja quasi eine Ausnahme bei der Mehrwertsteuer gekauft hat, darf es nicht mehr geben. Und Abgeordnetenbestechung muss endlich unter Strafe gestellt werden!
Zur Person:
Dr. Gerhard Schick ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Er wurde am 18. April 1972 im schwäbischen Hechingen geboren, wo er 1992 sein Abitur ablegte. Danach studierte er Volkswirtschaftslehre in Bamberg, Madrid und Freiburg.
Seit 1996 ist er Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Von 2000 bis 2001 war er Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen der Grünen in Baden-Württemberg. Bis 2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Walter-Eucken-Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – danach, von April 2001 bis September 2007, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen von Bündnis 90/Die Grünen. Außerdem war er von 2001 bis 2004 bei der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt.
Im Jahr 2003 promovierte Gerhard Schick zum Dr. rer. pol. an der Universität Freiburg mit der Arbeit „Doppelter Föderalismus in Europa – eine verfassungsökonomische Untersuchung“. Im Jahr 2004 wechselte er als Projektmanager zur Bertelsmann Stiftung in Gütersloh.
Dr. Schick ist seit dem Jahr 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages und leitet dort die Arbeitsgemeinschaft „Wirtschaft und Arbeit“ der Bundestagsfraktion. Im September 2007 wurde er zum finanzpolitischen Sprecher seiner Fraktion gewählt. Seit November 2008 ist er Mitglied des Parteirats.
Schick ist katholisch und lebt seit 2003 mit seinem Partner in einem Pacte civil de Solidarité, dem französischen Äquivalent zur eingetragenen Lebenspartnerschaft.