Mannheim, 11. Juli 2013. (red/ld) “Sollen sie so viele Wanzen in die EU-Institutionen einbauen, wie sie wollen. Der viel größere Skandal ist die Datenauswertung von Bürgern ohne rechtliche Grundlage” sagt Jan Philipp Albrecht MdEP (Bündnis 90/Die Grünen). Auf Einladung des Mannheimer Abgeordneten Dr. Gerhard Schick sprach er am vergangenen Donnerstag beim Mannheimer Ortsverein der Grünen zum Thema “Abgehört und mitgeschrieben”.
Von Lydia Dartsch
Ist doch klar, dass die NSA zuschaut,
sagte einer der gut 20 Besucher der Diskussionsrunde: Die wurde per Google-Hangout im Internet übertragen. Internetnutzer konnten von zu Hause zuschauen und per Twitter und Facebook Fragen an den Europaabgeordneten stellen.
Ursprünglich hatte Jan Philipp-Albrecht über das Modell der Rundfunkgebühren und GEZ referieren sollen. Nach Bekanntwerden der Abhörprogramme “Prism” und “Tempora” habe Dr. Gerhard Schick, der Herrn Albrecht eingeladen hatte, das neue, brisantere Thema gesetzt. Der stellte die große Frage des Abends:
Wie geht man damit um, wenn man weiß, dass die eigenen Daten von anderen mitgelesen werden?
Der Europaabgeordnete spricht vom Schwarzen Loch der Bürgerrechte, von der Abschaffung des Rechtsstaats durch solche Abhörprogramme. Man merkt: Bei dem Gedanken, dass jegliche Kommunikation systematisch abgehört wird, gruselt es ihn regelrecht:
Wenn ich als Bürger weiß, dass meine emails, Chatnachrichten, mein Surfverhalten und mein Suchverlauf bei Suchdiensten mitgelesen werden, verhalte ich mich ganz anders, als wenn ich über meine Informationen selbst bestimmen kann.
Kenntnisse über Überwachungsmaßnahmen der USA habe es bereits vor den Enthüllungen über Prism gegeben. Sie waren teilweise sogar rechtens: Mit dem Swift-Abkommen zwischen den USA und der EU war vereinbart worden, bei Überweisungen nach außerhalb der EU Namen und Adressen der Absender und Empfänger zu übermitteln. Es wurden aber alle Daten abgefangen – auch bei innereuropäischen Überweisungen, was das EU-Parlament in der ersten Fassung des Swift-Abkommens abgelehnt hatte. Die Betroffenen Bankkunden werden darüber nicht informiert. So sollten Transaktionen zu terroristischen Zwecken aufgedeckt werden.
In den USA ist der Datenaustausch erlaubt
Die Enthüllungen der Programme “Prism” und “Tempora” haben gezeigt, dass auch Daten von Internetnutzern gesammelt und ausgewertet werden. Welche Daten gesammelt werden, darüber haben die Nutzer keinen Einfluss. Ein Verdacht ist nicht nötig. Die Betroffenen werden auch nicht darüber informiert. Sie können weder dagegen klagen, noch Einsicht in ihre Daten fordern.
Die Menschen werden wie Terrorverdächtige behandelt.
Und sie haben keine rechtliche Handhabe dagegen, vor allem, wenn die Daten auf US-amerikanischen Servern auflaufen.
In den USA ist das nach dem Patriot Act sogar rechtens,
sagte der EU-Abgeordnete. Daher sähe man in den USA auch keine Problem darin. Amerikanische Internet-Konzerne wie Google, Yahoo oder Facebook unterliegen dem Recht des Staates, in dem sie ihren Sitz haben. Will ein EU-Bürger dagegen klagen, dass seine Daten gesammelt und ausgewertet werden, müsse er das dort tun. Er bräuchte einen Anwalt, der sich im jeweiligen Rechtsraum auskennt und müsse lange, teure Reisen zu den Verhandlungen auf sich nehmen.
Klage gegen Facebook läuft
Ein kostspieliges Unterfangen, das sich mehrere Jahre hinziehen kann, wie es das Beispiel Max Schrems aus Wien zeige. Der Jura-Student hatte 2011 gegen Facebook geklagt, weil die meisten Inhalte, die er auf seiner Pinnwand gelöscht hatte, in Wahrheit lediglich ausgeblendet waren, aber eben nicht gelöscht. Da Facebook seinen europäischen Sitz in Dublin, Irland, hat, sei durch seinen Beitritt zu Facebook ein Vertrag nach irischem Recht zu Stande gekommen. Der Student klagte in Dublin. Und er klagt bis heute.
Es müsse eine rechtliche Handhabe geschaffen werden, forderte Herr Albrecht. Bis diese gilt, sollte die Datensammlung ausgesetzt werden. Zumindest sollten sich Internetkonzerne verpflichten, nach den Rechten zu handeln, die in den Ländern gelten, in denen sie ihre Dienstleistung anbieten.
Die Empfehlungen von Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich, man solle halt nicht googlen, nannte er absurd:
Das ist kein souveräner Umgang.
Es reiche nicht, dass Angela Merkel als einflussreichste Staatschefin in der EU kurz einmal mit Barack Obama telefoniere, um das Problem zu klären. Es könne auch nicht angehen, dass die Bundeskanzlerin drei Wochen nach den Enthüllungen immer noch nicht wisse, ob und in welchem Ausmaß der Bundesnachrichtendienst, der ihr als Kanzlerin direkt untersteht, darin verwickelt ist. Dieser sei als Geheimdienst ein parlamentarisches Kontrollgremium.
Swift- und Handelsabkommen als einzige Druckmittel
Die Kanzlerin wolle das aussitzen bis zur Bundestagswahl im September, vermutet er. Sie wolle den Abhörskandal unter den Teppich kehren.
Wir fordern eine lückenlose Aufklärung.
Dazu hatte er am vergangenen Donnerstag eine Resolution ins Europäische Parlament eingebracht, um einen Untersuchungsausschuss zu Prism und Tempora einzurichten. Das Parlament stimmte mehrheitlich dafür. Die Untersuchungen sollten in dieser Woche beginnen, noch vor der Sommerpause. Darin wurde auch die Einsetzung eines europäischen Kontrollgremiums gefordert.
Am besten ist es, wenn die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten, jeweils einen Untersuchungsausschuss zu den Ausspähprogrammen einberufen. Dort gibt es umfassendere Untersuchungsmöglichkeiten.
Und Möglichkeiten, Druck aufzubauen: Das Parlament hatte in seiner Entschließung die Kommission aufgefordert, die Aussetzung des Swift-Abkommens und des Abkommens zur Weitergabe von Flugpassagierdaten zu erwägen. Auch das Gelingen des Freihandelsabkommens mit den USA wollte Jan Philipp Albrecht von einer Kooperation der USA bei der Aufklärung des Abhörskandals abhängig machen. Dieser Antrag bekam keine Mehrheit im Europäischen Parlament.
Geheimdienste fangen Daten in Deutschland ab
Seit über zwei Jahren verhandelt die EU-Kommission auch über ein Datenschutzabkommen mit den USA. Bis es soweit ist, könne es weitere Jahre dauern, sagte Herr Albrecht. Solange schauen die Geheimdienste den Bürgerinnen und Bürgern über den Computer “ins Schlafzimmer”. Internetaktivitäten zu verbergen, sei nahezu unmöglich:
Wenn Daten vorhanden sind, werden sie abgefangen,
sagte Jan Philipp Albrecht. Der US-amerikanische Geheimdienst könne zwar nur Daten sammeln, die auf Servern in den USA gespeichert sind und diese würden auch nicht automatisch um die ganze Welt geschickt. Es lasse sich trotzdem nicht verhindern, dass innereuropäischer Datenverkehr unterwegs abgefangen werde:
Wir wissen, dass der britische Geheimdienst Daten über Strahlungen vom Nordseekabel im Ärmelkanal abgreifen. Außerdem werden Daten an den Knotenpunkten in Norden und in Frankfurt am Main gesammelt.
Wie kann man emails schreiben, die nur der Empfänger liest? Wie geht anonym im Internet surfen? Laufe ich Gefahr als islamistische Terroristin zu gelten, wenn ich mir arabische Musik herunterlade? Die Fragen der Besucher zeigen: Sie sind besorgt.
“Edward Snowden ist kein Staatsfeind”
Die Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren scheinen harmlos: Jan Philipp Albrecht empfiehlt den Google-Nutzern, eine email an den Konzern zu schicken, in dem sie ihn darum bitten, sich zur Einhaltung nationalstaatlichen Rechts zu verpflichten, das dort gilt, wo das Angebot besteht. Man soll sich auch mit den Verschlüsselungsmöglichkeiten von emails vertraut machen, um sicher zu gehen, dass diese nur von dem Empfänger gelesen werden können:
Damit kann man die NSA vielleicht ein bisschen ärgern.
Was das Schicksal des Whistleblowers Edward Snowden angeht, zeigte sich Herr Albrecht besorgt. Der Antrag der Grünen im Europäischen Parlament, dem Amerikaner Asyl zu gewähren, fand keine Zustimmung. Das hatte er sich anders gewünscht:
Es ist wichtig, dass Menschen, wie Edward Snowden, die den Mut haben, Missstände aufzudecken, für ihre Tat nicht um ihr Leben fürchten müssen.
Snowden sei schließlich kein Staatsfeind, sondern ein 30 Jahre alter Informationstechniker, der mehr Rückhalt braucht für seine Enthüllungen, die auch von Journalisten bestätigt worden sind. Herr Albrecht hätte erwartet, dass jemand wie Edward Snowden in einem Rechtstaat ein rechtstaatliches Verfahren erwarten könne. Möglicherweise könne für ihn sogar eine Kronzeugenregelung greifen, die zum Freispruch führe:
Es besteht kein Unrecht darin, über Unrecht zu berichten.