
Nur zehn Prozent der Mitglieder des Kreisverbands Heidelberg warfen ihre Stimmzettel vor Ort in die Urne. Wie hoch die Wahlbeteiligung der einzelnen Kreisverbände tatsächlich ist, lässt sich wegen der anonymen Briefwahl allerdings nicht bestimmen.
Rhein-Neckar, 14. Juni 2013. (red/ld/zef) Der Strom soll bis 2030 komplett aus erneuerbaren Energien erzeugt, der Massentierhaltung ein Ende gesetzt werden und es soll einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde geben. Das ist das Ergebnis des Mitgliederentscheids von Bündnis ’90/Die Grünen am vergangenen Wochenende. Es war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die Mitglieder einer Partei direkt über Regierungsinhalte abstimmen durften. Bundesweit haben 16.270 von rund 60.000 Mitgliedern mitgemacht und die neun wichtigsten Ziele für eine Regierungskoalition bestimmt. Wegen der Briefwahl lassen sich die Ergebnisse nur ungenau auf die einzelnen Kreisverbände herunterbrechen. Denn diese fand anonym statt, ohne Hinweis darauf, aus welchen Kreisverbänden die Stimmzettel kommen.
Von Ziad-Emanuel Farag
Bereits am 06. Juni fand der Mitgliederentscheid des Kreisverbands Heidelberg statt. Am vergangenen Wochenende folgten über 300 weitere Kreisverbände im Bundesgebiet. 58 Schlüsselprojekte für eine Regierungsbeteiligung hat die Bundesdelegiertenkonferenz Ende April vorgeschlagen. Die Mitglieder sollten nun die neun wichtigsten darunter wählen. Diese sollen bei einer Regierungsbeteiligung zuerst umgesetzt werden.
Bei der Abstimmung wurden die 58 Projekte in drei Themenfelder unterteilt: „Energiewende und Ökologie“, „Gerechtigkeit“ und „Moderne Gesellschaft“. Insgesamt hatten die Mitglieder neun Stimmen – drei pro Themenfeld. Damit sollten sie in den einzelnen Themenfeldern die drei wichtigsten Projekte mit je einer Stimme wählen. Am Mittwoch wurde das bundesweite Ergebnis bekannt gegeben.
Vier Kreisverbände – vier gemeinsame Projekte
Die vier Kreisverbände Odenwald-Kraichgau, Neckar-Bergstraße, Mannheim und Heidelberg sind sich einig: 100 Prozent erneuerbare Energien, Massentierhaltung beenden, keine Rüstungsexporte zu Lasten von Menschenrechten und eine Schuldenbremse für Banken sind ihnen am wichtigsten, wie auch den Mitgliedern der Grünen bundesweit. Denn diese vier Themen gehören zu den neun Schlüsselprojekten: 52,55 Prozent wählten erneuerbare Energien, 46,61 Prozent stimmten gegen Massentierhaltung, 38,65 Prozent sind gegen Rüstungsexporte und 26,54 Prozent stimmten für eine Schuldenbremse für Banken.
Bei der Abstimmung im Kreisverband Odenwald Kraichgau in Leimen am vergangenen Sonntag wurden die anwesenden 40 Mitglieder sogar ungeahnt zum Trendsetter: Alle neun Projekte, die sie zu ihren Favoriten erklärten, machten auch bundesweit das Rennen. Außer den bereits genannten gehören hierzu die folgenden fünf Projekte:
- Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde einführen: 42,05 Prozent
- Zwei-Klassen-Medizin abschaffen – eine Bürgerversicherung für alle: 38,03 Prozent
- Das Betreuungsgeld abschaffen – gute Kitaplätze ausbauen: 37,92 Prozent
- Wirtschaftswachstum ist nicht das Maß der Dinge – neue Indikatoren für Wohlstand und Lebensqualität: 36,34 Prozent
- Rechtsextremismus entschieden entgegentreten – Projekte gegen Rechtsextremismus systematisch fördern: 26,11 Prozent
Rechtsextremismus ein Schlüsselprojekt – bundesweit und beim Kreisverband Odenwald-Kraichgau
Das Projekt gegen Rechtsextremismus setzte sich bundesweit durch. In der Metropolregion Rhein-Neckar kam es aber nur beim Kreisverband Odenwald-Kraichgau auf die Liste der ersten neun Schlüsselprojekte – kein Wunder, denn rechtsextreme Umtriebe sind in diesem Gebiet ein wahrgenommenes Thema. Laut dem Geschäftsführer der Grünen im Kreisverband Heidelberg ist dieses Thema dennoch für alle Grünen sehr wichtig:
Die Arbeit gegen Rechtsextremismus ist bei uns seit Jahren ein Dauerthema. Daher mussten unsere Mitglieder dieses Projekt nicht für Koalitionsverhandlungen extra hervorheben, das machen wir sowieso. Vielleicht hielten das deshalb einige in unserem Kreisverband für so selbstverständlich, dass sie eher für andere Projekte gestimmt haben.
Im Heidelberger Mitgliederentscheid wurden wegen eines Stimmenpatts gleich dreizehn Schlüsselprojekte gewählt: Denn auf sechs Projekte waren je zehn Stimmen gefallen, die sich den achten Platz teilen. Darunter “Stärkung der Hochschulen”, mit dem pro Jahr eine Milliarde Euro mehr in die Hochschulen investiert werden sollte. Bundesweit konnte sich dieses Vorhaben nicht durchsetzen. Für Michael Wustmann ist der besondere Stellenwert dieses Projektes in Heidelberg nicht überraschend:
Heidelberg ist eine Unistadt, sie definiert sich über die Wissenschaft und unsere Mitglieder hier sind grob geschätzt zu zwanzig Prozent Studierende.
Das Projekt „Gleiche Rechte für gleiche Liebe – die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen“ wurde vom Kreisverband Heidelberg ebenfalls unterstützt, erreichte aber bundesweit nur 14,5 Prozent der Stimmen.
40 Prozent Wahlbeteiligung im Kreisverband Neckar-Bergstraße
In Heidelberg beteiligten sich zehn Prozent am Mitgliederentscheid, in Mannheim dreizehn Prozent und im Kreisverband Odenwald-Kraichgau siebzehn Prozent. Von den insgesamt 60.742 Mitgliedern haben 16.270 abgestimmt: Das entspricht einer Beteiligung von 26,7 Prozent.
Vielleicht war diese Abstimmung einigen nicht so wichtig: Wir setzen uns als Partei für alle 58 Projekte ein, hier ging es ja nur darum, welche Projekte wir zuerst anpacken wollen. Viele Themen sind unabhängig von diesem Mitgliederentscheid vorrangige Themen für eine Regierungsbeteiligung,
sagt Ingrid Behner, Vorsitzende des Kreisverbandes Odenwald-Kraichgau auf Nachfrage.
Besonders bemerkenswert sind die 40 Prozent Wahlbeteiligung (70 Mitglieder) im Kreisverband Neckar-Bergstraße. Davon haben 25 nach Angaben des Kreisvorstands vor Ort in Schriesheim gewählt. Die restlichen 45 ließen den Kreisvorstand wissen, dass sie per Briefwahl ihre Stimme abgegeben haben.
Wie hoch die Wahlbeteiligung in den einzelnen Kreisverbänden insgesamt war, ist wegen der anonymen Briefwahl schwer zu sagen: Die Mitglieder schickten ihre Umschläge in die Berliner Parteizentrale. Hinweise darauf, aus welchem Kreisverband sie geschickt wurden, werden auf den Stimmzetteln nicht erfasst. Soviel weiß man – gut ein Drittel haben die Briefwahl bevorzugt.