Heidelberg/Rhein-Neckar, 14. Juni 2013. (red/ms) Das Jugendensemble „Club Spezial“ des Heidelberger Theaters wagt sich an Friedrich Schillers „Die Räuber“. Es wird das letzte, gemeinsame Projekt dieser Gruppe sein, denn danach werden sich die sieben Schauspieler zwischen siebzehn und zweiundzwanzig Jahren anderen Dingen zuwenden.
Von Minh Schredle
Neben den großen Theatern für professionelle Schauspieler gibt es in Heidelberg auch ein recht ausgeprägtes Angebot für Jugendliche. Doch da natürlich auch unter Heranwachsenden teils erhebliche Unterschiede im Können vorliegen, wurde der „Club Spezial“ gegründet. Um dort spielen zu dürfen, muss man schon mindestens ein Jahr Theater-Erfahrung haben und sechzehn Jahre alt sein.
Dieses Projekt neigt sich jetzt seinem Ende zu. Zwar wird der „Club Spezial“ weiterhin unter diesem Namen bestehen, das Konzept allerdings ein ganz anderes sein. Dann soll es kein Angebot mehr für erfahrene Spieler sein, sondern für alle Interessierten. Es wird auch keine Aufnahmebedingungen mehr geben und statt selbst zu spielen, soll der Fokus stärker auf das Angucken und Schreiben von Stücken gelegt werden.
Das liegt in erster Linie daran, dass viele der jetzigen Club-Mitglieder in ein Alter gekommen sind, in dem ihnen durch Studium, Ausbildung und Ähnliches schlichtweg die Zeit fehlt, um weiterhin auf so hohem Niveau Theater zu spielen. Die sieben jungen Erwachsenen, sechs Frauen und ein Mann, sind seit mindestens vier Jahren miteinander aufgetreten. Jetzt werden sie nur noch ein Stück aufführen, bevor sich die Gruppe auflöst: Friedrich Schillers „Die Räuber“.
Gewissen vs. Freiheit
Das Original führte bei seiner Uraufführung 1782 zu einigen Furoren. Die beiden Grafensöhne Franz und Karl von Moor unterscheiden sich grundlegend und werden im Lauf der Handlung zu Gegenspielern. Karl – der ältere Sohn – ist weitaus beliebter als sein Bruder, auch vom Vater bekommt er mehr Zuneigung entgegengebracht. Als Zweitgeborener weitaus weniger beachtet, fühlt Franz sich ungeliebt und sinnt auf Rache:
Als Karl zum Studieren in Leipzig ist, lebt er dort ausschweifend und macht Schulden. Er möchte seinen Vater, den Grafen Maximilian von Moor, in einem Brief um Vergebung bitten, allerdings fängt Franz den Brief ab und ersetzt ihn durch eine Fälschung. Karl wird darin als Räuber, Vergewaltiger und Mörder dargestellt, der schon altersschwache Vater glaubt die Lüge und ist so entsetzt, dass er Karl enterbt.
Dieser ist zu Boden zerstört und lässt sich von ein paar Freunden zum Anführer einer Räuberbande wählen. Fortan plündern und morden sie, teilweise sogar nur aus Lust daran. Karl beginnt zunehmend zu zweifeln, ob er diesen Weg weitergehen kann, hat aber auch einen Eid geschworen, die Räuberbande nie zu verlassen.
Zentral ist im gesamten Stück der Konflikt zwischen Gewissen und Freiheit. Und der Appell, sich aufzulehnen, nicht einfach das hinzunehmen, was andere vorschreiben. Als ich mich in den Zwinger begebe, bin ich skeptisch. Wie wird ein so junges Ensemble ein so tiefsinniges Stück inszenieren?
Ein enttäuschender Anfang
Zwei lächerlich überzeichnete Gestalten betreten die Bühne: Maximilian und Franz von Moor, beide von Frauen gespielt. Sie tragen dermaßen extravagante Perücken, dass sie wohl selbst zu Zeiten des Barocks einiges an Aufsehen erregt hätten. Der betagte Maximilian zittert unablässig und quält sich förmlich zu seinem Stuhl, während Franz ihn stützt.
Ein wenig verärgert bin ich schon, denn neben mir im Publikum wird permanent genuschelt und die Darstellung ist dürftig: Eine der beiden Schauspielerinnen trägt ihren Text quälend langsam und viel zu leise vor, die andere so schnell, dass man Probleme hat, zu folgen, und so monoton, dass man eigentlich auch gar nicht zuhören will. So müssen die Zuschauer ein paar Minuten lang leiden – dann die willkommene Wendung: Aus dem Publikum beginnen sich Leute zu erheben, klettern über das Gelände auf die Bühne und beschweren sich, dass es langweilig ist. Es scheinen die selben Leute zu sein, die zuvor durch ihre lautstarken Unterhaltungen störten – zumindest ist es im Publikum plötzlich verdammt still geworden.
Natürlich war das alles inszeniert. Trotzdem verfehlte es seine Wirkung nicht. Und dieser unkonventionelle Einstieg sollte sich bloß als Vorgeschmack zu dem erweisen, was uns in einer guten Stunde voll experimentierfreudigem, modernem Theater erwarten sollte. Die Inszenierung war dabei so eigenwillig, dass sie dem Original von Schiller nur noch in einzelnen Aspekten ähnelte, aber wirklich erfolgreich darin war, den rebellischen Geist von Sturm und Drang im einundzwanzigsten Jahrhundert wieder ein wenig aufleben zu lassen. Denn beherrschend waren – wie auch schon 1782 in Mannheim – Anarchie und Provokation.
Bewusstes Regelbrechen
Schiller brach nahezu alle Regeln des klassischen Theaters. Heutzutage wird jedoch wohl kaum noch einer sonderlich entsetzt sein, wenn in einer Tragödie Handlung, Raum und Zeit keine Einheit bilden. Also musste die junge Theatergruppe auch noch die letzten Konventionen brechen.
Immer wieder variiert der Text: Mal sprechen die Schauspieler in den wohlformulierten Versen Schillers, mal in einem provokant plumpen Jugendjargon, für den sich ein Großteil der Altersgleichen vermutlich fremdschämen würde. Das ist aber eher amüsant als ärgerlich. Außerdem übernahmen nicht nur einzelne Schauspieler mehrere Rollen, einzelne Rollen wurden auch von mehreren Schauspielern besetzt. Wichtige Figuren hatten auszeichnende Attribute, Karl zum Beispiel eine neongrüne Mütze. Dabei spielten Frauen mal Männer und der eine Mann auch mal eine Frau. Leider klappte das nicht ganz so gut, denn sprachen mehrere zur gleichen Zeit denselben Text, war das oft nicht synchron und manche Mehrfachbesetzung war verwirrend, weil nicht klar ersichtlich.
Andere Ideen gehen dagegen weitaus besser auf. So wurde etwa die Musik grandios ausgewählt und schafft perfekt den Spagat zwischen Vergangenheit und Moderne. Vieles ist an Beethoven angelehnt und ich habe wirklich schmunzeln müssen, als Karl seinen Eid schwört, auf ewig der Anführer der Räuberbande zu werden. Das geschieht nämlich nicht normal – es stehen gleich drei Karls auf der Bühne, die den Schwur gnadenlos schrill und herrlich respektlos zur Melodie der Ode an die Freude herausgrölen.
Ein anderes Highlight ist Amalias Totenlied, das hier nicht durch Lautenspiel untermalt wurde, sondern von der Mondscheinsonate. Während sie ihr Leiden besingt, betritt Franz die Bühne, zieht gemächlich seine Kreise um sie, bis er direkt hinter ihr stehen bleibt, langsam seine Hände auf ihre Schultern legt und, als die Musik verstummt, zu sprechen beginnt. In diesem kurzen Moment blitzt das wahre Potenzial der jungen Talente auf. Einfach alles greift ineinander, fügt sich zu diesem herrlich-harmonischen Gesamten.
Allerdings gab es neben einigen überragenden Einzelmomenten auch lange Durststrecken. Häufig wurde es anstrengend schrill, manchmal konnte man wegen des Lärms nichts von den Worten eines Schauspielers verstehen. Das größte Manko war aber die Erzählweise. Die gab es nämlich nicht. Statt zwischen den Szenen überzuleiten, wurden sie einfach aneinandergereiht. Jemand, der das Werk noch nicht kannte, könnte nach dieser Aufführung durchaus ein sehr verzerrtes Bild von Schillers Stück vermittelt bekommen haben, ohne dabei auch nur einen Teil der Handlung zu verstehen.
Insgesamt gelingt aber das eigentliche Vorhaben: So zu provozieren, aber gleichzeitig zu gefallen.
„Das hat doch nichts mehr mit Schiller zu tun!“, könnte manch einer nach dem Verlassen der Vorführung verärgert festgestellt haben. Und oberflächlich betrachtet stimmte das auch, denn zumindest von dem, was auf dem Papier geschieht, entfernt sich die Theatergruppe stark. Das tut sie allerdings bewusst. Brechen von Normen und Konventionen und konsequent ausgelebte Freiheit – das hätte vermutlich auch Schiller gefallen.