Heidelberg/Rhein-Neckar, 18. Juni 2013. (red/pro/ld) Der Heidelberger FDP-Bundestagsabgeordnete Dirk Niebel ist Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesregierung und Spitzenkandidat auf der FDP-Landesliste. Die Umfragewerte seiner Partei liegen derzeit zwischen vier und sechs Prozent. Im Interview zeigte sich der Kandidat sicher, dass er auch in der nächsten Legislaturperiode Minister wird.
Anm. d. Red.: Im Vorfeld der Bundestagswahl interviewen wir Kandidaten demokratischer Parteien, die voraussichtlich eine Wahlchance haben. Alle Interviews finden Sie unter dem Schlagwort (Ende des Artikels) “Bundestagswahl 2013″.
Interview Hardy Prothmann und Lydia Dartsch
Die FDP steht in den Umfragen ja gerade nicht so gut da. Die Werte schwanken zwischen vier und sechs Prozent. Um in den Bundestag einzuziehen braucht die FDP mindestens fünf Prozent. Wie hoch sehen Sie Ihre Chancen, wieder in den Bundestag gewählt zu werden?
Dirk Niebel: Die FDP kommt sicher in den nächsten Bundestag und hat gute Chancen, die bürgerliche Koalition fortzusetzen. Bei den letzten Landtagswahlen lagen die Umfragen und das tatsächliche Abschneiden der FDP weit auseinander. Deutschland steht gut da. Das ist nicht nur, aber auch ein Verdienst der FDP in der Bundesregierung. Das werden die Bürger bei ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen.
Was werden Sie beruflich machen, falls es die FDP nicht schafft?
Niebel: Wer einen Plan B hat, verfolgt Plan A – Wiedereinzug in den Bundestag – nicht konsequent genug.
“Das war harte Kärrnerarbeit.”
Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben Sie in Ihrer Amtszeit umstrukturiert. Wie haben Sie Ihr Amt geformt?
Niebel: Wir haben die verschiedenen Durchführungsorganisationen zur Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit fusioniert, damit Doppelstrukturen abgebaut und so die Effizienz erhöht. Das Ministerium haben wir im Zuge dessen völlig neu aufgestellt: Vor allem haben wir dafür gesorgt, dass das BMZ endlich die Lenkung über die vom Steuerzahler finanzierte Entwicklungszusammenarbeit wieder übernimmt – und nicht die durchführenden Organisationen. Das war harte Kärrnerarbeit – aber dringend notwendig. Diese Erfolge erkennen auch meine politischen Mitbewerber an.
Wie kommt es dazu, dass in Ihrem Ministerium so viele Beschäftigte FDP-Mitglieder sind?
Niebel: Die Parteizugehörigkeit der Beschäftigten wurde und wird nicht abgefragt. Die Personalauswahl erfolgt streng nach Eignung, Leistung und Befähigung.
Eignung, Leistung und Befähigung vs. Falschmünzer?
Wie profitiert Ihr Ministerium von den FDP-Mitgliedern, die dort eingestellt worden sind?
Niebel: Wie gesagt, die Personalauswahl richtet sich ausschließlich nach Eignung, Leistung und Befähigung. Wer in dem Personalauswahlprozess bei diesen Kriterien besser abschneidet als andere Mitbewerber, kann sicher einen Leistungsbeitrag für die Arbeit des BMZ erbringen – ganz unabhängig von politischen Präferenzen.
Warum wiederholen sich die Vorwürfe der Seilschaften bei Ihnen regelmäßig?
Niebel: Werden Vorwürfe nur oft genug wiederholt, werden sie für einige Leute zu Quasi-Wahrheiten, selbst wenn sie, wie in diesem Fall, objektiv falsch sind. Diesen Mechanismus nutzen die politischen Falschmünzer aus der Opposition. Außerdem wird heute mehr gegoogelt und abgeschrieben, statt solide zu recherchieren.
Es heißt, sie seien für eine Umstrukturierung der Bundesagentur für Arbeit. Streben Sie dafür den Posten als Arbeitsminister an?
Niebel: Ich will die Erfolge meiner ersten Legislaturperiode als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einer weiteren Amtszeit unumkehrbar machen und neue Akzente setzen.
Sie sind als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit sicher sehr eingespannt in Themen, die vor allem das Ausland betreffen. Sie waren gerade in afrikanischen Staaten unterwegs. Was haben Sie dort gemacht?
Niebel: Ich war gerade in Uganda und Ruanda, zwei Länder, die enorme Entwicklungsfortschritte erreicht haben. Vor Ort besuche ich Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und bespreche mit Beteiligten, Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, was gut läuft, wo es hakt und wie wir gemeinsam noch mehr Wirkung erzielen können. Gerade in Ländern, deren tatsächliche Menschenrechtslage nicht den internationalen Abmachungen entspricht, sind meine Gespräche vor Ort sehr nützlich.
Lebensperspektiven verbessern
Welche Themen bewegen die Menschen dort?
Niebel: Ich bin Menschen in Flüchtlingslagern begegnet, die nicht wissen, wie sie die nächsten Wochen überstehen sollen. Da geht es um schiere Existenznot. Die meisten Menschen jedoch wissen, was die nähere Zukunft bringt. Sie wollen ihre eigenen Lebensperspektiven und die ihrer Familie verbessern: gute Ernährung, gute Bildung, Gesundheit und ein ausreichendes Einkommen.
Gibt es Themen, die die Menschen in Afrika wie in Heidelberg-Weinheim gleichermaßen beschäftigen?
Niebel: Im Prinzip beschäftigen sich die Menschen mit dem gleichen Thema – den Lebensperspektiven. Allerdings geschieht das hier natürlich auf einem anderen Niveau.
Haben Sie sich ein Andenken mitgebracht?
Niebel: Mir geht es nicht um Gegenstände. Was ich mitnehme, sind die Beziehungen zu den Menschen. Das ist der größte Schatz, den es gibt.
Der Konflikt in Syrien scheint sich in einen Flächenbrand in der Region zu entwickeln. Deutschland greift entsprechend der EU-Politik nicht ein. Wie bewerten Sie die Lage im Augenblick dort?
Niebel: Ich sehe die Gefahr eines Religions- und Konfessionskrieges – und einer humanitären Tragödie in der gesamten Region. Klar ist, dass gegenwärtig zu viele Konfliktparteien keine politische Lösung wollen, sondern auf eine militärische Entscheidung setzen. Es ist bitter, dass China und Russland im UN-Sicherheitsrat mehr Druck auf die Konfliktparteien durch die internationale Gemeinschaft blockieren.
Was wird von Seiten Ihres Ministeriums unternommen, um den Menschen im Land zu helfen?
Niebel: Die Bundesregierung hat bisher 139 Millionen Euro aus den Etats des Auswärtigen Amts und des Entwicklungsministeriums eingesetzt, um die Lebenssituation der Menschen in und aus Syrien zu verbessern. Wir stärken zivilgesellschaftliche Strukturen auch in Nachbarstaaten, die Flüchtlinge aufnehmen. Im Osten der Türkei bauen wir mit Malteser International eine mobile Krankenstation, die nach Syrien verlegt werden kann. In Jordanien und dem Libanon verbessern wir die Versorgung mit Medikamenten und Wasser. Auch in Syrien selbst ermöglichen wir gemeinsam mit der Welthungerhilfe notleidenden Kindern wieder den Schulbesuch. Außerdem unterstützen wir humanitäre Organisationen wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.
Wahlziel: Bestes Ergebnis in Baden-Württemberg
Sie wollen in Baden-Württemberg für die FDP das beste Wahlergebnis in der FDP-Geschichte erzielen. Wie präsent können Sie da noch in Ihrem eigentlichen Wahlkreis Heidelberg-Weinheim sein?
Niebel: Ich möchte, dass die FDP in Baden-Württemberg das beste prozentuale Ergebnis in Deutschland bekommt. Die Verpflichtungen aus dem Ministeramt, meine Spitzenkandidatur in Baden-Württemberg und meine Rolle als Wahlkreisabgeordneter für Heidelberg bedeuten einen ständigen Spagat. Mir gelingt es aber, regelmäßig in den Wahlkreis zu kommen, mit den Menschen zu sprechen und über meine Netzwerke ein Gespür für die Herausforderungen in der Stadt zu erhalten.
Was denken Sie, wo den Menschen in den Gemeinden am meisten der Schuh drückt?
Niebel: Ich denke insgesamt betrachtet geht es den Menschen hier sehr gut. Wir haben in Deutschland gegenwärtig so viele Beschäftigte wie noch nie. Die öffentlichen Haushalte sind durch die gestiegenen Steuereinnahmen spürbar entlastet worden. Dies gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die Kommunen.
Eine große Herausforderung für die gesamte Metropolregion ist der Abzug der US-Streitkräfte und die damit verbundene Frage der Nachnutzung ihrer Liegenschaften. Hier wird es darum gehen, tragfähige und nachhaltige Lösungen zu finden, um ganze Siedlungen zu lebendigen Teilen der Städte und Gemeinden zu machen. Diese Herausforderung treibt viele Bürgerinnen und Bürger um.
Wie können Sie in der kommenden Legislaturperiode diese Probleme lösen?
Niebel: Wir werden im Bund weiterhin die richtigen Weichen für Wachstum und Beschäftigung stellen und damit indirekt auch den Kommunen die nötigen finanziellen Spielräume zur Bewältigung ihrer Herausforderungen ermöglichen.
“Es darf keine Einheitsbildung geben.”
Was halten Sie von Gemeinschaftsschulen?
Niebel: Als Liberaler bin ich für den Erhalt einer vielfältigen Schullandschaft, die jedem Kind ein seinen Begabungen angemessenes Angebot macht. Die Gemeinschaftsschule kann dabei ein Angebot unter vielen sein. Da es keine Einheitskinder gibt, darf es auch keine Einheitsbildung geben. Die finanzielle Bevorzugung des grün-roten Lieblingskindes Gemeinschaftsschule zu Lasten aller anderen Schularten ist daher nicht hinnehmbar.
Zur Person
Dirk Niebel wurde am 29. März als Sohn einer Hauswirtschaftslehrerin und eines Rugby-Spielers und Wirtschaftswissenschaftlers in Hamburg geboren. Der Vater verließ Herrn Niebels Mutter und seinen Sohn, als dieser fünf Jahre alt war.
Die Schule schloss er zuerst mit der Mittleren Reife ab und holte anschließend die Fachhochschulreife nach. Danach lebte er ein Jahr lang im Kibbuz Kfar Giladi in Israel. Vor seinem Studium des Verwaltungswesens diente er als Fallschirmjäger und Berufssoldat in der Bundeswehr. 2008 wurde er zum Hauptmann befördert. Von 1993 bis 1998 arbeitete er als Arbeitsvermittler in der jetzigen Bundesagentur für Arbeit in Sinsheim angestellt. In dieser Zeit – bis 1996 – war er ehrenamtlicher Richter am Landgericht Heidelberg.
Seine politische Karriere begann Dirk Niebel 1977 bei der Jungen Union, der Jugendorganisation der CDU, der er 1979 beitrat. Nach seinem Austritt aus beiden Organisationen im Jahr 1981, trat er 1990 der FDP bei und war Gründungsmitglied des Kreisverbands Heidelberg der Jungen Liberalen. Seit 1998 ist er Mitglied des Bundestages und war von 2004 bis 2005 Stadtrat in Heidelberg. Von 2005 bis 2009 war er Generalsekretär der FDP und ist seit der vergangenen Bundestagswahl 2009 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter der Regierung von Angela Merkel.
Außerdem ist Dirk Niebel seit 1996 ehrenamtlicher Beisitzer des Ausschusses für Kriegsdienstverweigerung beim Kreiswehrersatzamt Karlsruhe, seit 2000 Vorstandsmitglied der Deutschen-Atlantischen Gesellschaft und Schirmherr des Deutschen Rugby-Verbandes. Er war bis 2004 Kurator am Max-Planck-Institut für Kernphysik, Mitglied des Kuratoriums der Friedrich-Naumann-Stiftung bis 2009 sowie bis 2010 Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Dirk Niebel ist verheiratet und hat drei Söhne.