Rhein-Neckar, 31. Januar 2016. (red/pro) Die AfD-Bundesvorsitzende Dr. Frauke Petry hat am Wochenende die Schlagzeilen der Medien bestimmt und die Debatten in den sozialen Netzwerken. Ihr wurde die angebliche Forderung nach einem Schießbefehl von einer Lokalzeitung in den Mund gelegt und dutzende „Qualitätsmedien“ sorgten für eine eifrige Verbreitung des herausgerissenen und verkürzten Zitats. Wir sind vermutlich bundesweit das einzige Medium, das ein langes und unaufgeregtes Interview mit Frau Petry in voller Länge dokumentiert. Ohne „schlagzeilengeile“, polemische Zuspitzung. Mit einfachen Fragen und langen Antworten. Frau Petry hat ihre Wortäußerungen in dieser Textform ohne wesentliche Änderung akzeptiert. Das Gespräch fand vor ihrem Auftritt am 28. Januar im Mannheimer „Schützenhaus“ statt.
Interview: Hardy Prothmann
Frau Dr. Petry, was läuft eigentlich gut in Deutschland?
Frauke Petry: Wir können uns in Deutschland darauf verlassen, dass es Menschen gibt, denen diese Demokratie etwas wert ist und die sie erhalten möchten. Ich habe die große Hoffnung, dass es immer noch genug Menschen in Deutschland gibt, die merken, dass nicht nur diese, sondern auch die vorangegangene Bundesregierung die Zukunft dieses Landes völlig aus den Augen verloren haben und die alle demokratischen Mittel in die Hand nehmen werden, um diese Politik zu ändern. Wenn man meine Antwort interpretiert, kann man sagen, dass in Deutschland ziemlich viel schief läuft.
Wir wollten darüber reden, was gut läuft.
Petry: Wir haben in Deutschland eine relativ gute Wirtschaft, im Vergleich zu anderen Ländern ein gutes Bildungssystem. Aber wir sehen, dass wir auf Kosten dessen leben, was andere Generationen geschaffen haben. Meiner Ansicht nach geben wir fahrlässig die freiheitlichen und demokratischen Traditionen auf, die Deutschland und Europa groß gemacht haben. Das ist der Grund, warum die AfD überhaupt entstanden ist. Weil sich dort Menschen gefunden haben, die liberale und konservative Schnittmengen miteinander gefunden haben und die glauben, dass in Deutschland und Europa eben diese über Jahrhunderte erkämpften freiheitlichen Traditionen in Gefahr sind und dass wir die retten wollen.
Sie sind promovierte Chemikerin. Was interessiert Sie an Politik?
Petry: Ich habe immer Interesse an Politik gehabt, mich aber von den großen Parteien fern gehalten, weil meine Erkenntnis aus dem Leben als DDR-Bürger und spätere Bundesbürgerin ist, dass große Strukturen sich durchaus immer ähnlich verhalten. Ob das große Parteien oder große Firmen sind – je älter und größer die Strukturen werden, desto eher verkrusten sie. Mich hat die Wiedervereinigung sehr geprägt, mich haben meine Auslandsaufenthalte sehr geprägt. Vor allem in England und in Frankreich und der Blick von außen auf dieses Deutschland. Auch von Afrika oder Amerika aus, wo ich Geschäftskontakte habe.
Wir können uns in Deutschland darauf verlassen, dass es Menschen gibt, denen diese Demokratie etwas wert ist und die sie erhalten möchten.
Und welcher Blick ist bei Ihnen entstanden?
Petry: Dass Deutschland als Staat in Mitteleuropa die Verantwortung hat, ein Stabilitätsfaktor auf diesem Kontinent zu sein. Ein Stabilitätsfaktor, was die Wirtschaft, als auch Frieden und Demokratie angeht. Ich glaube, dass wir aufgrund einer falsch verstandenen Identität, die wir nicht mehr leben, dabei sind, diese Funktion als Stabilitätsanker zu verlieren. Ich glaube, dafür brauche ich keine politische Ausbildung, das ist, was der gesunde Menschenverstand mir sagt, was mir meine Eltern mitgegeben haben und was ich als Naturwissenschaftlerin sage, die immer erst analysieren muss, bevor sie redet. Und die drei Jahre seit der AfD-Parteigründung haben diesen Blick geschärft.
Was hat Sie konkret bewegt, sich in der Politik zu engagieren?
Petry: Ich hatte vor der Gründung der AfD schon einmal darüber nachgedacht in die Politik zu gehen. Am wahrscheinlichsten wäre meine Wahl die CDU gewesen, weil ich einen christlichen Hintergrund habe. Ich bin aktuell noch mit einem evangelischen Pfarrer verheiratet und bin selbst nebenberufliche Kirchenmusikerin. Ich bin erst mit neun Jahren getauft worden und habe also eine durchaus bewusste Hinwendung zur evangelischen Kirche erlebt. Insofern habe ich natürlicherweise angenommen, dass die CDU die Partei sein könnte, habe diesen Schritt aber nie gewagt, weil mir durch diverse Erlebnisse in meinem direkten Umfeld als Gymnasiastin in Nordrhein-Westfalen klar geworden ist, in Gesprächen mit anderen Schülern, dass es eben, nicht immer, aber häufig, diejenigen waren, die fachlich wenig zu bieten hatten, aber auf die Partei als Karriereleiter gesetzt haben. Das ist etwas das mir aus der DDR mit der SED nur allzu gut bekannt ist und mich immer abgestoßen hat, weil für mich Qualität und Sachkenntnis wichtiger waren als auf die Art und Weise erdiente Beziehungen und Karrieren. Deswegen habe ich es dann einfach gelassen und habe die Politik von außen betrachtet, eine Familie gegründet, mein Studium beendet, habe eine Firma gegründet, meine Promotion beendet, und bin dann durch Zufall, durch Hinweis meiner Mutter, auf die Wahlalternative 2013 gestoßen. Das war im Herbst 2012. Ich habe dort Kritik an Euro, an EU, an einem Mangel an direktdemokratischer Tradition im Wahlprogramm gefunden, an einer de facto nicht vorhandenen Familienpolitik, die mich immer selbst betroffen hat. Ich habe selbst vier Kinder und finde, dass Deutschland seit Jahrzehnten keine vernünftige Familienpolitik macht. An diesem Tag habe ich spontan entschlossen, diese Bewegung zu unterstützen und das war der Vorläufer der AfD. Wir haben uns am 20. Januar 2013 das erste Mal in Hannover getroffen, anlässlich der Landtagswahl in Niedersachsen. Damals ist Bernd Lucke zum ersten Mal zusammen mit den Freien Wählern angetreten und dort haben rund 30 Leute den Entschluss gefasst, eine neue Partei zu gründen. Das ist dann wenige Wochen später auch passiert.
Sie kritisieren die Bildungspolitik und haben selbst eine hervorragende Ausbildung genossen – so schlecht kann es doch mit dem Bildungswesen nicht bestellt sein? Wie passt das zusammen?
Petry: Ich habe am Anfang gesagt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern immer noch ein sehr gutes Bildungssystem hat. Ich sehe aber, dass wir in diesem Bildungssystem seit Jahren an Substanz verlieren.
Wir reden mehr über das Einführen von Ernährungskursen an Schulen als über die Vermittlung von Grundwissen.
Woran sehen Sie das?
Petry: Konkret kann man das zum Beispiel daran sehen, dass wir in vielen Fächern immer weniger versuchen, Fakten und Wissen zu vermitteln. Ich sage nicht, dass Fakten und Wissen alles ist, man muss auch in der Lage sein, sich eigenes Wissen zu erwerben. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat man aber viele Lerninhalte aus den Lehrplänen entfernt und durch Erlernen von Kompetenzen ersetzt. Also die Art und Weise, wie man lernt. Es gibt Bundesländer in denen Geschichts- und Politikunterricht zusammengelegt werden sollen, es gibt Bundesländer in denen man über die Zusammenlegung von Naturwissenschaften gesprochen hat, da ja jedes Bundesland seine eigene Bildungspolitik macht. In der Grundschule ist der Heimatkundeunterricht zum Sachkundeunterricht umdefiniert worden. Wir reden mehr über das Einführen von Ernährungskursen an Schulen als über die Vermittlung von Grundwissen. Der Deutsch- und Mathematikunterricht an Grundschulen hat zeitlich gesehen oft weniger Raum als er bräuchte.
Waren sie gut in Mathe?
Petry: Ja, mein Lieblingsfach. Ich habe in Mathe, Chemie, Geschichte und Französisch Abitur gemacht. Ich bin sehr dafür, dass Fremdsprachen erlernt werden. Das Abschmelzen von Wissen zugunsten sogenannter Soft Skills sehe ich durchaus als Gefahr.
Zurück zum Blick von außen: Wer als Engländer auf das marode System des öffentlichen Nahverkehrs schaut, als Franzose auf die Arbeitsplätze muss mit dem Blick auf Deutschland eigentlich sagen: Dort läuft es viel besser als bei uns.
Petry: Das bestreite ich nicht.
Was für einen kritischen Blick können dann diese Länder auf Deutschland werfen?
Petry: Bis zu meinem 15. Lebensjahr bin ich in einer Diktatur aufgewachsen. Meine Familie hat selbst eine kleine Flüchtlingsgeschichte, mein Vater stammte aus Schlesien. Meine Großmutter ist mit fünf Kindern Anfang 1945 nach Westen geflohen und meine Familie hat mit dem Weggang aus der DDR ihre eigene Fluchtetappe, wenn auch im eigenen Land. Als Kind habe ich mich immer so gefühlt, als lebte ich in einem Teil von Deutschland, auch wenn man das in der DDR nicht sagen durfte. Mein Vater ist am ersten März 1989 im Zuge einer genehmigten Besuchsreise nach Köln gefahren – mit der festen Absicht, nicht zurück zu kehren. Das war innerhalb der Familie der Fluchtplan, der Vater geht vor und die Familie kommt im Rahmen eines Familiennachzugs nach.
So ähnlich wie bei den arabischen Flüchtlingen.
Petry: Ja, aber innerhalb des eigenen Landes, insofern ist das sehr unterschiedlich. Aber ja, das Schema“ einer geht vor, die anderen kommen nach“ war damals erfolgversprechender, weil man als Gesamtfamilie bei einem Antrag Jahre warten musste, die Eltern ihre Arbeit verloren, auch wenn es in der DDR offiziell keine Arbeitslosen gab, und soziale Schikanierungen stattgefunden haben. Die Kinder durften kein Abitur machen und so weiter. Die Wiedervereinigung war für uns ein großes Glück. Für mich, weil ich immer raus aus Deutschland wollte, die Welt sehen wollte, weil mir Sprachen lernen schon immer Spaß gemacht hat, weil ich schon während DDR-Zeiten in meiner Freizeit Französisch gelernt habe, Englisch gab es ja nicht. Ich wollte raus, ich wollte Deutschland von außen sehen.
Man steht in Deutschland aufgrund einer falsch verstandenen Verantwortung für seine Nation nicht ein.
Sie kommen schon noch zur Antwort auf die Frage, was man, wenn man Deutschland von außen betrachtet, eher sieht?
Petry: Ja. Die drei Jahre in England haben mir im Kontakt mit US-Amerikanern, mit Kanadiern, mit Portugiesen und vielen anderen Nationen gezeigt, dass vor allem wir Deutschen ein Problem mit unserer Identität haben. Die Briten haben eine durchaus wechselvolle Geschichte hinter sich, trotzdem käme niemand auf die Idee, nicht stolz zu sein, dass er Brite ist. Das ist bei vielen anderen Nationen ähnlich. Was nicht heißt, dass man sich nicht kritisch mit seiner Geschichte auseinandersetzen soll, dass man sich verantwortungsvoll zeigt für das, was in der Vergangenheit passiert ist. Aber meiner Ansicht nach muss es das große und ganze Bild sein. Und mir ist aufgefallen, nachdem ich zurückgekommen und nach Göttingen gezogen bin, um weiter zu studieren, dass man in Deutschland aufgrund einer falsch verstandenen Verantwortung oder eines falsch verstandenen Schuldbewusstseins für seine Nation nicht einsteht.
Deutschland gilt als eine der stabilsten Demokratien weltweit. Der Wohlstand ist hoch…
Petry: Ja. Wirtschaftlich ist Deutschland sehr erfolgreich gewesen. Man hat aber viel zu oft die Identität Deutschlands auf das Wirtschaftswunder nach dem zweiten Weltkrieg reduziert und das kann ich verstehen, weil es natürlich wehtat, sich mit den eigenen Verfehlungen auseinanderzusetzen und ich denke, dass wir 1990 eine Chance vertan haben, uns als Nation neu zu definieren, mit allen positiven und allen negativen Seiten. Die Migrationsfrage, die Migrationsentwicklung beschäftigt uns nicht erst in den letzten paar Jahren, sondern seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Wollen wir ein Einwanderungsland sein? Wie wollen wir mit Einwanderung umgehen? Wie wollen wir mit Integration umgehen? Ich glaube, dass es da viele Verfehlungen gegeben hat in den vergangenen Jahrzehnten, dass man geglaubt hat, man könnte die Gastarbeiter wieder loswerden. Was Helmut Kohl in den 90-igern ja noch versucht hat, die Türken mit Prämien zum Rückgang zu bewegen.
Was hat das jetzt mit dem deutschen Selbstbewusstsein zu tun?
Petry: Dass wir ein Problem mit uns selbst haben. Daher können wir nicht die Integrationsfläche sein, die man aber bieten muss, wenn man ein Einwanderungsland sein will. Wer nach Amerika immigriert, will Amerikaner werden, weil er Amerika toll findet. Wenn wir aber den Einwanderern nicht sagen: „Wenn ihr Deutsche werden wollt, müsst ihr zuallererst die deutsche Sprache lernen, unsere Gesetze achten und ihr müsst euch auch hier ein Stück weit assimilieren wie das andere Einwanderer auch tun“, dann geben wir das auf, was genau genommen der Grund ist, warum alle nach Deutschland wollen.
Es brechen religiöse Konflikte auf, die geeignet sind, die deutsche Gesellschaft massiv zu verändern.
Und das ist?
Petry: Das ist unsere Demokratie. Wenn wir eine Willkommenskultur predigen, die sogar soweit geht zu sagen, nicht die Einwanderer müssen sich an unsere Sitten und Gebräuche anpassen, sondern wir müssen uns an ihre anpassen, geben wir langfristig das auf, was zur Einwanderung geführt hat.
Die früheren Einwanderer, wie Türken, Italiener, Spanier, sprechen überwiegend deutsch, haben sich assimiliert. Wo ist das Problem?
Petry: Viele haben das getan. Die allermeisten sind integriert – aber sie kamen aus europäischen Ländern. Die Türken sind da noch was Besonderes, weil die türkischen Einwanderer nach dem zweiten Weltkrieg aus einem weitgehend säkularisierten Land gekommen sind. Im arabischen Raum, im Nahen Osten aber, spätestens mit dem arabischen Frühling sehen wir eine Entwicklung, die nicht ohne Auswirkungen auf Deutschland bleibt. Wir sehen eine Radikalisierung innerhalb des Islam. Ich glaube, wir wissen insgesamt darüber in Deutschland viel zu wenig. Gleichzeitig haben wir viele unserer christlichen Wurzeln bereits verloren. Der Osten ist da dem Westen ein paar Jahrzehnte voraus, aber diese Entwicklung schreitet in ganz Deutschland voran. Sie führt dazu, dass wir die eigenen Wurzeln nicht mehr ausreichend wahrnehmen und nicht mehr ausreichend kennen. Ich glaube, dass wir die Gefahren erkennen müssen, die darin liegen, dem Islam, der eine Aufklärung wie das Christentum zu keinem Zeitpunkt durchlaufen hat, an der Stelle zu indifferent gegenüberzustehen. Wir sehen gerade bei Jugendlichen der dritten, vierten Generation eine Rückkehr zu einem sehr viel strengeren und unangepassterem Islam. Wenn wir sehen, was auf den deutschen Straßen und an den Schulen passiert, wo wir plötzlich darüber reden müssen, dass in Deutschland deutsche Gesetze und nicht die Scharia gelten, dass Frauen und Mädchen nicht verschleiert sein müssen… Also letztlich, überspitzt gesagt, religiöse Konflikte aufbrechen können, die dazu geeignet sind, auch die deutsche Gesellschaft massiv zu verändern. Diese religiöse Umwälzung dürfen wir nicht zulassen. Frankreich hat bereits eine viel stärkere Immigration dieser Menschen erlebt und steht vor riesigen Problemen, die auch wir bekommen werden, wenn wir nicht reagieren.
Fördern und fordern, damit Integration gelingt – das unterschreibe ich.
Das sehen auch andere Politiker ähnlich. Warum muss die AfD dies mit radikal-konservativen Forderungen verbinden?
Petry: Die AfD ist keine rein konservative Partei. In der AfD haben sich Menschen zusammengefunden, die 2013 vor allen Dingen wegen der Euro-Währungskrise und wegen einer zunehmenden Verstaatlichung der europäischen Union massive Kritik geübt haben. Dazu kritisieren wir einen Demokratieverlust, der unserer Ansicht nach dadurch stattgefunden hat, dass Bürger nicht beteiligt wurden, auch noch nie so richtig beteiligt wurden, weil Volksentscheide auf Bundesebene bislang nicht existiert haben. In der AfD versammeln sich Menschen, die einen schlanken Staat wollen, die als Individuum ihre Freiheiten in den Grenzen des Rechtsstaats ausleben wollen. Diese bürgerlich Liberalen unterscheiden sich von denen, die sich als wirtschaftsliberal bezeichnen und von den wir uns abgrenzen. Das sind die, die die FDP noch hat und das sind nicht mehr viele. Unsere bürgerlichen Liberalen treffen in der AfD zusammen mit einer sicherlich großen Anzahl von ehemaligen CDU-Unterstützern aus dem konservativen Lager, die sagen, der Staat schützt meine Werte nicht mehr. Um das plakativ zu machen, heutzutage muss alles bunt sein, bunt und multikulti. Das funktioniert nicht. Eigentlich gilt, was Frau Merkel mal gesagt hat: „Fördern und fordern, damit Integration gelingt“. Das unterschreibe ich auch. Beides muss zusammenkommen und am Ende steht die Staatsbürgerschaft als Integrationsergebnis und nicht als Geschenk am Anfang. Das heißt, Konservative und Liberale haben einen großen Staatsskeptizismus, weil die einen sagen, wir wollen sowieso wenig Staat, und die anderen sagen, wir wollen zwar den starken Staat, aber wir trauen diesem Staat in der Konstellation, in der Verfassung, in diesem Zustand nicht mehr zu, dass er leistet, was wir von ihm erwarten. Insofern kommen Liberale und Konservative auf sehr unterschiedliche Art zusammen. Dass die AfD häufig als radikal bezeichnet wird, ist eine Zuschreibung, der man sich als junge Partei nur schwer erwehren kann. Es gibt immer lautere und leisere Stimmen, es gibt differenziertere und undifferenziertere Äußerungen. Das ist vielen Parteien in der ersten Zeit durchaus gemein. Schauen Sie die Grünen in den 80-er Jahren an, die haben auch mehrere Läuterungsprozesse und Abspaltungen durchgemacht. Und ganz entschieden, wo sie hinwollen, haben sie sich bis heute nicht.
Naja, die Rhetorik mancher AfD-Politiker unterscheidet sich schon wesentlich von den Grünen.
Petry: Dass es verschiedene Stimmen in der AfD gibt, ist richtig. Der entscheidende Unterschied ist, dass wir möchten, dass in Deutschland Recht und Gesetz eingehalten werden. Das gilt sowohl für Kompetenzen, die zum Beispiel die EZB von der Bundesbank und dem deutschen Parlament an sich genommen hat, wo es einen Verfassungsstreit gibt: Was ist davon noch rechtsstaatlich? Was passiert auf EU-Ebene im Bezug auf Eingriffe in die Souveränität eines Landes? Budgetentscheidungen zu treffen, war einmal das Königsrecht des Parlamentes – inzwischen macht das die EZB mehr oder weniger selbstherrlich über die Entwertung des Geldes. Gleiches gilt auch für Kompetenzen, die die EU an sich genommen hat und wo ein sehr unsägliches Ping-Pong-Spiel zwischen nationalen Regierungen und Europäischer Kommission gibt. Wenn man befürchtet, auf nationaler Ebene mit etwas nicht durchzukommen, dann wird das an Brüssel delegiert, von wo aus man die Forderung dann zurückbekommt und dann leider abnicken muss. Das ergibt mindestens Rechtsbeugung, wenn nicht Rechtsbrüche, die man vielfach feststellen kann und die natürlich immer politisch zu interpretieren sind. Auf der anderen Seite ist da natürlich – besonders in Bezug auf Zuwanderung und Asyl – die Frage: Was passiert, wenn sich eine Regierung nicht mehr an geltendes Recht hält? Wir haben Gesetze, die wie der Dublin-Vertrag verlangen, dass wir in Deutschland, wenn Migranten oder Asylsuchende über deutsche Landesgrenzen kommen, zurückgeschickt werden müssen, in sichere Drittstaaten. Das ist Recht und Gesetz. Aber es wird nicht mehr angewandt. Di Fabio hat in seinem Gutachten festgestellt, dass Frau Merkel und ihre Regierung Recht und Gesetze brechen. Das ist jetzt erst einmal gar keine Frage von Tradition, sondern die Frage, ob wir den Rechtsstaat noch ernst nehmen. Ob wir noch verlangen, dass alle Bürger in diesem Land….
Dann machen Sie doch eine Verfassungsklage.
Petry: Nein, das können wir nicht, weil wir keine Bundestagsfraktion sind. Wir würden das gerne machen, aber eine Organklage oder eine Normenkontrollklage können Sie nur einreichen, wenn Sie eine Fraktion im Deutschen Bundestag bilden. Oder wir können in den Landtagen – und das überlegen wir auch – die Landesregierung per Antrag dazu auffordern, selbst diese Klage zu erheben. Da wir aber in keinem der Landtage die Mehrheit haben, können Sie sich ausrechnen, was passiert: Die Regierungsparteien werden den Antrag ablehnen. Uns steht also derzeit kein Rechtsweg offen, beim Bundesverfassungsgericht ordentlich Klage einzureichen. Was wir gemacht haben, war, Frau Merkel wegen Verstoß gegen Paragraph 96 des Aufenthaltsgesetz – das ist der „Schleuserparagraph“ – anzuzeigen. Die Staatsanwaltschaft wird diese Anzeige aber nicht weiter verfolgen.
Frau Merkel hat signalisiert: Ihr könnt alle kommen. Das war ein Fehler.
Haben Sie die Nachricht schon bekommen?
Petry: Ja, vor etwa zwei Wochen. Der Punkt ist: Wir wollen wieder rechtsstaatliche Verhältnisse herstellen, Tradition und Werte folgen dann.
Mit diesen Themen können wir das ganze Wochenende verbringen. Wir nehmen einfach mal die Flüchtlingssituation und dass Frau Merkel so viele ins Land gelassen hat. Was hätten Sie denn an ihrer Stelle anders gemacht?
Petry: Erstens: Der politische und juristische Schaden ist schon viel früher gesetzt worden, weil die Änderung der Asylverfahrensrichtlinien bereits im April 2011 erfolgt ist. Das wurde europaweit beschlossen und damit wurden die Hürden für die Anerkennung von Asyl und Flüchtlingsstatus wesentlich abgesenkt. Und wenn man mit Mitarbeitern aus Asylbehörden in Deutschland spricht, weiß man, dass die Zahlen von Asylbewerbern schon seit diesem Zeitpunkt sukzessive angestiegen sind. Den Kardinalfehler, den Frau Merkel aus unserer Sicht begangenen hat, den sie meiner Ansicht nach aber auch voller Überzeugung eingegangen ist, war, im September 2015 zu signalisieren, dass die Grenzen unbegrenzt offen sind und dass es in Deutschland keine Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern gibt. Damit hat sie an die Herkunftsländer signalisiert: „Ihr könnt alle kommen!“. Berichte aus Syrien und Afghanistan zeigen, dass dort infolge dieser Aussage die Anzahl an Asylanträgen noch einmal massiv gestiegen ist.
Können wir wie in Frankreich den Notstand ausrufen?
Jetzt sind die Menschen da – was machen wir denn nun mit ihnen?
Petry: Wir müssen unserer Ansicht nach zuallererst dafür sorgen, dass nicht noch mehr kommen. Und auch wenn das brutal klingt: Wir müssen genauso, wie die Spanier das schon tun, unsere Grenzen sichern und für die illegale Einreise schließen. Dass heißt nicht, dass wir die Grenzen generell für Europäer schließen. Aber ich glaube, dass das Schengener Abkommen an dieser Stelle für uns ein Problem ist. Aber wir können Schengen für den G7-Gipfel aussetzen. Also können wir Schengen auch aussetzen, um mit der Migrationskrise umzugehen. Und das sollten wir unserer Ansicht nach auch tun. Das Dublin-Abkommen wird massiv gebrochen. Man spricht zwar davon, dass es einfach nicht angewandt wird – in unseren Augen ist das aber ein eindeutiger Rechtsbruch. Die Grenzen müssen besser kontrolliert werden und wir brauchen mehr Personal zur Überwachung – das sagt ja übrigens auch Frau Merkel. 3.000 Bundespolizisten – dass wir die nicht sofort bekommen, ist auch klar. Es stellt sich auch die Frage – und das ist hoch umstritten – können wir auch die Bundeswehr dort stationieren, was aber unter Umständen eine Verfassungsänderung bedeuten würde – oder das Ausrufen eines Notstandes, wie es Frankreich ja schon getan hat. Das sind die kurzfristigen Maßnahmen. Daneben müssen wir mittelfristig die Anreizsysteme abschaffen, die überhaupt erst dafür sorgen, dass wir hier solch massive Einwanderung bekommen. Das betrifft die Geldleistungen , die an Asylbewerber gezahlt werden – da hat die Bundesregierung ein bisschen dran gearbeitet. Die Verfahren müssten gestrafft werden. Wir werden mittelfristig damit zu tun haben, dass wir durch Artikel 16a das individuelle Recht auf die Prüfung des Asylantrags haben, was einen Klageweg ermöglicht – was wiederum von Flüchtlingsorganisationen massiv unterstützt wird. Das geht sogar so weit, dass jetzt 200 Flüchtlinge gegen das BAMF klagen, um eine Beschleunigung ihres Verfahrens zu erreichen, was für mich tatsächlich eine Farce ist, weil sie das Wesen des Asylrechts komplett auf den Kopf stellt. Ein Asylrecht ist etwas, das ein Staat gewährt, aber auch gegebenenfalls entziehen kann. Wir setzen uns daher dafür ein, dass Artikel 16a ausgesetzt, wenn nicht abgeschafft wird. Nicht, weil wir kein Asyl mehr gewähren wollen, sondern weil ein Staat und eine demokratische Regierung auch dazu in der Lage sein müssen, Grenzen eindeutig zu definieren. Und das geht nur, wenn der Staat über Gesetze und Verordnungen Einfluss auf die Rechtslage ausüben kann. Daher setzen wir uns dafür ein, dass es eine einfache gesetzliche Regelung gibt, wie in vielen anderen Staaten auch. Offensichtlich kann Deutschland mit diesem liberalen Asylrecht nicht umgehen.
Die Frage war, wie gehen wir mit den Menschen um, die schon hier sind.
Petry: Mit den Menschen, die schon hier sind – das ist die wichtigste Frage – mit denen müssen wir menschenwürdig umgehen. Der Meinung sind wir auch. Ich bin außerdem dafür, dass während der Verfahren und auch wenn eine Abschiebung erfolgen muss, Deutschkurse stattfinden und zwar so viele wie möglich. Praktisch wissen wir aber, dass das vor Ort nicht stattfinden kann. Es gibt ja nicht einmal genügend Räumlichkeiten, um viele Asylbewerber menschenwürdig unterzubringen. Teils müssen sie mit Absperrbändern voneinander getrennt in großen Turnhallen schlafen und das auf Wochen und Monate und das ist kaum zumutbar. Auf der anderen Seite haben wir uns diese Situation selbst geschaffen. Es ist dringlicher denn je: Diejenigen, die kein Anrecht auf Asyl haben, müssen abgeschoben werden. Der politische Weg dahin, wird aber kein sehr schöner sein. Aber wir müssen auf diese Art Druck aufbauen und damit dafür sorgen, dass die EU-Staaten gemeinsam an einen Tisch kommen und dafür sorgen, dass Verhandlungen mit den Herkunftsländern stattfinden und das muss sehr zeitnah erfolgen, damit eine Abschiebung in die Heimatländer überhaupt möglich wird. Bislang scheitern viele Abschiebungen daran, dass viele Herkunftsländer die Rücknahme ihrer Landsleute verweigern. Diese Art der Blockadepolitik muss durchbrochen werden. Und natürlich müssen wir mit Entwicklungshilfe vor Ort unterstützen. Wir müssen heimatnah in sicheren Gebieten dafür sorgen, dass die Menschen untergebracht werden können. Wir müssen aber auch klar stellen, dass Migranten keine Asylberechtigten sind. Ich kann diesen Menschen gar nicht verdenken, dass sie diese Situation für sich nutzen wollen, die Deutschland geschaffen hat. Aber dann müssen wir die Situation eben ändern, auch weil es sehr unehrlich ist. Die Menschen, die hier nach Deutschland kommen – denen bieten wir ja aktuell gar nicht wirklich Perspektiven. Frau Nahles sagt, 90 Prozent sind nicht in den deutschen Arbeitsmarkt integrierbar. Wir haben ihnen viel zu viel versprochen und können das nicht ansatzweise einhalten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Bedingungen in den Herkunftsländern verbessern.
Ich weiß, dass Herr Frohnmeier hart formuliert.
Sie haben gerade etwas gezeigt, was man Ihnen auch vorhält: Dass Sie die sympathische und offene Seite der AfD darstellen, aber die andere – die böse und rassistische – verdecken. Lassen wir den Herrn Höcke mal bei Seite. Aber hier in Baden-Württemberg haben wir etwa einen Markus Frohnmeier, der Dinge sagt wie: „Wenn wir dran sind, wird aufgeräumt. Dann wird ausgemistet“. Unterstützen Sie solche Aussagen?
Petry: Überhaupt nicht. Das ist auch nicht mein Duktus. Trotzdem habe ich als Parteivorsitzende die Aufgabe, mich vor Herrn Frohnmeier zu stellen. Zur Aussage: Es kommt auch immer auf den Kontext an. Es gibt eine ganze Menge in Deutschland aufzuräumen. Ich kenne Markus Frohnmeier und ich weiß, dass er sehr hart formuliert.
Wenn wir da einhaken dürfen…
Petry: Sie dürfen gern einhaken.
Versuchen Sie uns doch mal zu erklären: In welchem Kontext darf man so eine Aussage machen? Wir können uns keinen vorstellen.
Petry: Ich muss ehrlich zugeben, ich kenne die Gesamtrede nicht. Wenn es darum geht, dass Recht und Gesetz wieder angewendet werden müssen – und das muss es ja ganz offensichtlich, wie ich jetzt langatmig erklärt habe – dann ist das sicherlich eine Art des Aufräumens, die ich unterstütze. Wenn es heißen sollte, dass mit Menschen aufgeräumt werden müsse, ist das eine Aussage, die ich nicht unterstütze.
Eine Aussage, die Sie nicht unterstützen oder ablehnen?
Petry: Das ist das Gleiche.
Nein.
Petry: Oh doch.
Dass Flüchtlingshelfer an Vergewaltigungen mithelfen ist eine Zuspitzung.
„Nicht unterstützen“, heißt für uns: „Damit habe ich nichts zu tun.“ Und „ablehnen“ heißt ganz klar: „Stop!“.
Petry: Wenn es Ihnen darum geht, dass Menschen diffamiert werden sollen, dass Menschen unwürdig behandelt werden sollen, dann lehne ich das ab und das ist auch nicht die Position der AfD. Ich glaube aber auch nicht, dass das die Position von Herrn Frohnmeier ist.
In einem Ausschnitt von „Kontraste“ wird Herr Frohnmeier ebenfalls sehr denkwürdig zitiert – wir kennen zugegebenermaßen auch hier nicht den Kontext, sondern nur den kurzen Ausschnitt. Aber er sagt, dass Flüchtlingshelfer und Menschen, die Multikulti nicht hinterfragen, in der Kölner Silvester Nacht „mittelbar mitvergewaltigt“ haben. Wir können uns auch hier keinen Zusammenhang vorstellen, aus dem man dieses Zitat herausreißen könnte, ohne dass dadurch rassistische Ressentiments bedient werden.
Petry: Dass Flüchtlingshelfer irgendwie an Vergewaltigungen mithelfen, ist natürlich eine Verkürzung, die so nicht stimmt und eine Zuspitzung. Aber wissen Sie, im Wahlkampf erleben wir Zuspitzungen auch von allen anderen Seiten. Ich selbst werde zum Beispiel immer wieder als ein „verlängerter politischer Arm einer Meute, die Ausländer durch die Straßen hetzt“ bezeichnet. Das ist genauso bescheuert und genauso falsch. Ich will das nicht relativieren. Aber wenn Aussagen so verkürzt wiedergegeben werden, regt das geradezu an, Missverständnisse und Ablehnung zu produzieren.
Oder zu provozieren…
Petry: Ja, auch das, ganz bestimmt. Dass das nicht mein Stil ist, nehmen Sie mir vielleicht ab. Dass Menschen unterschiedlich formulieren – darüber sind wir uns wahrscheinlich auch einig. Ich bin immer sehr dafür, so etwas zu konkretisieren und wenn es möglicherweise Missverständnisse gibt, das auch klar zu stellen. Ich bin nur an der Stelle dafür, dass man auf beiden Seiten des politischen Spektrums wahrnimmt, dass es Stilmittel sind, die auf beiden Seiten eingesetzt werden und die dann bitte auch auf beiden Seiten gleichermaßen be- und verurteilt werden. Was wir aber erleben, ist, dass Zuspitzungen, die bei uns in der AfD passieren, immer sehr viel härter verurteilt werden als Zuspitzungen auf der anderen Seite. Es sind Stilmittel. Ich glaube, wenn Sie Herrn Frohnmeier fragen – und das müssen sie ihm dann eben glauben oder nicht glauben – dann wird er Gewalt gegen Personen ebenso ablehnen. Da bin ich mir ganz sicher und dafür kenne ich ihn, glaube ich, gut genug. Er ist noch ein junger Mann – die Jungen sind häufig noch radikaler als die Älteren. Wenn ich bei Frau Maischberger am Mittwoch Herrn Augstein und Herrn Stegner gehört habe, waren die genauso radikal und das ist keinen Deut besser. Insofern plädiere ich dafür: Wenn Sie wissen wollen, wie genau Herr Frohnmeier das gemeint hat, fragen Sie ihn am besten selbst. Das werde ich auch noch einmal tun.
Wir müssen in Baden-Württemberg erst Parlament lernen.
Die AfD wird höchstwahrscheinlich in Baden-Württemberg in den Landtag einziehen. Das sieht nach den aktuellen Prognosen ganz eindeutig so aus. Mit der Art und Weise wie sich einige Vertreter der Partei äußern – wie muss man sich das vorstellen, mit einer AfD-Fraktion im Landtag? Wie soll da konstruktiv Politik gestaltet werden? Oder müssen wir uns auf fünf Jahre Gezeter und Kleinkrieg einstellen? Vielleicht gibt es dann ja auch italienische Verhältnisse und wir müssen uns auf die ein oder andere Schlägerei einstellen. Glauben Sie, das AfD-Mitglieder in einem Landtag wirklich konstruktiv mitarbeiten können, wenn sie gleichzeitig den Mitgliedern der „Altparteien“ vorwerfen, dieses Land zu Grabe zu tragen?
Petry: Ich denke, dass man auch im baden-württembergischen Landtag erleben wird, dass es einen Unterschied zwischen dem Verhalten im Wahlkampf und der praktischen Zusammenarbeit im Alltag gibt. Als Fraktionsvorsitzende habe ich damit jetzt Erfahrung seit 2014 – und die sächsische AfD ist auch nicht gerade dafür bekannt, dass sie ein Blatt vor den Mund nimmt. Wir haben hier in Baden-Württemberg zuerst einmal die Aufgabe, Parlament zu erlernen. Das kann sehr trocken sein und auch sehr kleinteilig. Das muss die AfD hier noch lernen. Und wir müssen den Spagat schaffen, den wir in Sachsen ganz gut geschafft haben: Nämlich zwischen einer sachlich-klaren und manchmal auch harten Aussage im Einzelfall und einer menschlich-konstruktiven Art miteinander umzugehen. Wenn Sie unsere Kollegen im sächsischen Landtag fragen, haben wir mit den allermeisten Kollegen aus anderen Fraktionen auf der menschlichen Ebene kein Problem. Das gilt natürlich nicht für alle, Linke sind schwierig und Grüne sind schwierig, aber auch da nicht alle. Als wir in den Landtag kamen, waren alle anderen so ideologisch verängstigt – und das formuliere ich sehr vorsichtig an dieser Stelle – dass sie glaubten, wir würden ihnen nicht die Hand geben und wir würden nicht guten Tag sagen und wir würden uns auch sonst total daneben benehmen. Sie waren dann ganz erstaunt, als wir uns wie zivilisierte Menschen verhalten haben. Ich fand das am Anfang eher witzig und habe mich gefragt, wie man nur ideologisch so verblendet sein kann. Aber da tun der Wahlkampf und die aufgeheizte Situation ihr Übriges. In Baden-Württemberg wird das nicht anders laufen. Pöbler gibt es in den anderen Parteien auch und die sind bei der AfD auch nicht verstärkt vertreten.
Die AfD erlebt gerade einen Aufstieg, den so vor einem Jahr bestimmt niemand erwartet hätte. Das hängt ganz entscheidend mit der Entwicklung der Flüchtlingskrise zusammen…
Petry: …nicht nur…
…ist es nicht ein wenig absurd, dass das, was sie als eines der größten Probleme bezeichnen, gleichzeitig das ist, was Ihnen politisch am meisten hilft?
Petry: Sie zeigen eine Momentaufnahme der vergangenen politischen Wochen und Monate und da gebe ich ihnen recht. Es ist tragisch für das Land, was aktuell jeden Tag hier passiert. Es hilft uns momentan taktisch und strategisch, das ist richtig. Trotzdem darf man die AfD überhaupt nicht auf dieses eine Thema reduzieren, das wir so auch schon 2013 angesprochen haben, als es von den anderen Parteien noch niemand als akut angesehen hat. Schon damals waren unsere Wahlplakate: „Einwanderung braucht strikte Regeln“ – dafür bin ich mit meinem Gesicht eingestanden und habe dafür viel Prügel bezogen. Damals wie heute bin ich der Meinung, dass es richtig war, das Thema anzusprechen und aus der Tabu-Zone heraus zu holen. Die AfD war aber schon immer viel mehr als dieses eine Thema. Wenn Sie in das Wahlprogramm von 2013 reinschauen, sehen Sie: Euro-Kritik, EU-Kritik, Familienpolitik, Einwanderung und Migration – das war damals schon immer da. Dass wir Themen, die wir schon damals als wichtig empfunden haben, natürlich heute – nachdem sich die Lage noch zugespitzt hat – auf keinen Fall totschweigen, das muss eigentlich auch jedem klar sein. Insofern sehe ich das relativ gelassen: Ja, wir profitieren wählerstimmentechnisch davon, aber ganz sicher nicht, weil wir etwas anders machen als andere Parteien. Wir transportieren eine Überzeugung weiter und es ist in erster Linie die Unfähigkeit der politischen Konkurrenz, die es uns zur Zeit relativ einfach macht. Die könnten ja eigene Konzepte vorlegen und umsetzen. Im Gegensatz zu uns hat die Regierung ja tatsächlich die Möglichkeit, unmittelbar etwas zu tun – aber sie tut es nicht. Die Überbringer der schlechten Nachricht dafür zu kritisieren, dass wir die Lage schon viel früher erkannt haben, ist meiner Ansicht nach billige politische Rhetorik und die prallt relativ einfach an mir ab. Ich möchte etwas verändern und das gerne auch mit anderen Parteien und wenn die anderen Parteien endlich etwas tun und die Bürger davon profitieren, dann ist nicht so wichtig, welches Etikett drauf klebt, sondern, dass es passiert.
Ein letztes Wort zu Frau Dreyer, dem SWR und Rheinland-Pfalz?
Petry: Das ist für mich politische Unreife und mehr nicht.
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