Mannheim, 30. Januar 2016. (red/ms) Die AfD lädt ein und die Besucher kommen in Scharen: Mehr als 400 Besucher sind im Feudenheimer Schützenhaus anwesend, um die Bundesvorsitzende Frauke Petry sprechen zu hören. Noch ein paar hundert Menschen mehr hätten Interesse gehabt, aber mehr geben die Räumlichkeiten nicht her. Frau Petry spricht über die “aktuelle politische Lage” und ganz besonders über die Asylkrise – die Zuschauer hängen ihr begeistert an den Lippen. Die Veranstaltung zeigt klipp und klar: Auch in Mannheim hat die AfD ein gewaltiges Wählerpotenzial. Andere Parteien geraten zunehmend unter Handlungsdruck.
Von Minh Schredle
Stürmischer Applaus bricht los. Ein paar Dutzend der Zuschauer reißt es schon jetzt von den Sitzen und allein der Umstand, dass Frauke Petry den Raum betritt, verleitet sie zu Standing Ovations. Der Raum ist proppenvoll. Die Atmosphäre ist hochkonzentriert.
Wie Robert Schmidt, AfD-Landtagskandidat für den Mannheimer Süden, mitteilt, habe man rund 380 Stühle aufgestellt. Die sind voll. Und nicht nur das – ein paar Dutzend weitere Menschen schauen stehend zu. Schon eine gute Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist die Hälfte der Plätze voll. Knapp eine halbe Stunde später muss das Sicherheitspersonal die ersten Gäste abweisen, weil nichts mehr frei ist. Auf wie vielen politischen Veranstaltungen in Mannheim gibt es einen vergleichbaren Andrang?
Ein besorgtes Publikum
Gleichzeitig ist die Angst im Saal förmlich greifbar – das liegt vor allem an gewaltbereiten Antifaschisten, die draußen eine Gegendemonstration abhalten. Aus Sorge vor Vorkommnissen sind während des Vortrags von Frau Petry keine Getränke gestattet – jemand könnte mit Gläsern werfen. Ein Gast fragt später, ob man denn für die AfD noch Flyer austeilen könne, ohne Übergriffe befürchten zu müssen. Eine Frau murmelt: “Man kann sich ja sowieso nicht mehr ohne Begleitschutz auf die Straßen trauen.”
Als Frau Petry anfängt zu reden, ist die Sorge im Saal für ein paar Momente verschwunden. In vielen Blicken glänzt flammende Verehrung. Frau Petry sagt, hier dürfe jeder ehrlich sein – sie suche einen offenen Dialog.
Wir haben in Deutschland inzwischen ein Meinungsklima, bei dem sich leider viele nicht mehr trauen, zu sagen, was sie wirklich denken.
Euphorische Zustimmung für diese Worte. Viele rufen Sachen wie “Genau so sieht es doch aus!” oder “Egal, was man über die Ausländer sagt, man wird sofort in die rechte Ecke gestellt”. Frau Petry trifft ganz offensichtlich einen Nerv: Sie will die Menschen aussprechen lassen, ohne ihre Ansichten zu verurteilen – auch, wenn einige Äußerungen in der anschließenden Diskussion mindestens grenzwertig sind, schreitet sie nicht ein.
Meinungen aushalten
Es dürfe keine Denkverbote geben, sagt sie. Auch dafür erntet sie tosenden Beifall. Ein “links-rechts-Schubladendenken” behindere aktuell die gemeinsame Suche nach vernünftigen Lösungen. Viel zu oft stilisiere sich links gegen rechts zum Kampf zwischen Gut und Böse:
Dabei geht es leider nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Etikettierungen.
Die Zuschauer lauschen wie gebannt. Es ist deutlich ruhiger geworden, kaum noch Gemurmel unter den Gästen. Dann wird es plötzlich unruhig im Saal. Drei Zuschauer sind aufgestanden, auf ihren T-Shirts ist zu lesen “Rassismus ist keine Alternative”. Das Sicherheitspersonal will eingreifen – doch Frau Petry bittet, das zu unterlassen:
Wir wollen nicht die Schemata von anderen aufgreifen und ihre Fehler übernehmen. Es gehört zu meinem Verständnis von Demokratie, dass man auch andere Meinungen aushalten muss.
Die Störer sind ganz offensichtlich ziemlich perplex. Scheinbar hatten sie schon fest damit gerechnet, rausgeworfen zu werden. Sie stehen etwas bedröppelt da. Frau Petry fragt sie, ob sie denn ruhig bleiben würden, dann könnten sie gerne mit dabei bleiben. Ein paar Minuten später verlassen sie den Saal von selbst – unter spöttischen Pfiffen und höhnischem Gelächter der Zuschauer. Frau Petry kommentiert.
Schade, ich hätte Sie gerne nachher bei der Diskussion dabei gehabt.
Keine Partei in Deutschland erlebt aktuell einen so starken Zuwachs wie die AfD. Frau Petry gesteht offen ein, dass die Partei dabei “taktisch und strategisch” von der Flüchtlingskrise profitiere – sie sieht darin auch nichts Bedenkliches:
Die AfD hat die unkontrollierte Einwanderung schon seit Gründung im Februar 2013 kritisiert. Sollen wir uns jetzt dafür rechtfertigen, dass wir die Probleme vor allen anderen erkannt haben?
Man habe die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz mit strengen Regeln von Anfang an beibehalten und weiter ausgefeilt. Dazu stehe man auch heute noch. Außerdem müssten auch die anderen Parteien die “Flüchtlingsfrage” zum Hauptthema des Wahlkampfs machen – das werde “ganz offensichtlich von der Bevölkerung verlangt”.
Was wird aus dem Rechtsstaat?
Auch dafür gibt es Applaus. Dann sagt Frau Petry, Merkel und die Regierung würden “die Rechtsordnung ganz offiziell mit Füßen treten” – und der Applaus wird noch deutlich lauter. Frau Petry betont, sie hätte zusammen Merkel mit Kollegen als “Schlepperin” angezeigt. Großer Jubel. Doch die Staatsanwaltschaft werde das nicht weiter verfolgen:
Die Staatsanwaltschaft sieht nämlich keinen Anhaltspunkt für Ermittlungen.
Wütende Buh-Rufe unter den Gästen. Andere schreien verächtlich “Pfui!”. Viele schütteln verständnislos den Kopf und sagen Dinge wie: “Was ist bloß aus unserem Rechtsstaat geworden?”.
“Nationaler Schuldkomplex”
Ein Land müsse sich seine Zuwanderer aussuchen dürfen, nicht die Zuwanderer das Land, sagt Frau Petry und wird bejubelt. In anderen Ländern sei das ja auch Gang und Gäbe, funktioniere unproblematisch und habe nicht das Geringste mit Rassismus zu tun:
Wir müssen endlich aufhören, deutsche Politik, egal, worum es geht, immer wieder mit einem nationalen Schuldkomplex zu erklären.
Diesmal brandet der Applaus gewaltig auf – mit Abstand der lauteste des Abends. Es dauert eine Weile, bevor Frau Petry weitersprechen kann. Man müsse Artikel 16a des Grundgesetzes entweder “ändern, aussetzen oder abschaffen”, sagt sie dann. Das heiße aber nicht, dass man generell überhaupt kein Asyl mehr gewähren wolle – es gebe aber keine Notwendigkeit, das über das Grundgesetz zu regeln, und man brauche dringend klarere Festsetzungen:
Asyl ist nur für politisch Verfolgte. Migranten haben darauf keinen Anspruch.
Die aufgeweichten Verfahrensrichtlinien würden sich zu leicht ausnutzen lassen, sagt sie und wieder nickt ein Großteil des Publikums eifrig mit dem Kopf. Das verschulde dramatische Überbelegungen und unzumutbare Zustände in Unterkünften überall in Deutschland. Sie nennt das eine “perfide Situation”:
Wer keinen echten Anspruch auf Asyl hat, bringt Menschen, die wirklich politisch verfolgt werden, in Gefahr, nicht mehr geschützt werden zu können.
Auch dafür gibt es Beifall, allerdings merklich zurückhaltender als bei vielen anderen Aussagen. Insgesamt werden die emotionalen Ausrufe intensiver beklatscht als die sachlich-analytischen Statements von Frau Petry.
Bewaffnete Grenzschließung vs. “Schießbefehl”
Um weiteren Schaden vom Land abzuwenden, müssten die Grenzen so schnell wie möglich dicht gemacht werden, fordert die frühere DDR-Staatsbürgerin – und “notfalls auch bewaffnet” kontrolliert werden:
Man versucht mir immer, in den Mund zu legen, ich wolle den Schießbefehl. Das stimmt natürlich nicht. Ich will nicht, dass irgendjemand erschossen wird und lehne Gewalt generell ab. Aber ein Staat muss handlungsfähig bleiben und seine Grenzen im Griff haben.
Die “unkontrollierte Einwanderung hunderttausender illegaler Immigranten” werde noch verheerende Folgen für die Bundesrepublik haben, sagt Frau Petry vorher und stellt insbesondere den Islam als existenzielle Bedrohung dar. So spricht sie von “zehntausenden Dschihadisten und Terroristen, die womöglich schon ins Land eingereist” wären und auch von einer Gefahr, die von Muslimen ausgehe, die bereits in der dritten oder vierten Generation in Deutschland leben:
Eine Rückbesinnung auf den radikalen Islam kann jederzeit und überall in Deutschland erfolgen.
Es wird unruhig. Einige applaudieren eifrig, andere runzeln die Stirn und verlieren sich in Gesprächen mit ihren Sitznachbarn. Einige Augenblicke vergehen, bevor Frau Petry weitermacht. “Den Islam” spricht sie in ihrem Vortrag anschließend nicht mehr an – gegenüber einem Zuschauer erklärt sie später, “die Probleme der Islamisierung” seien genug Stoff für einen eigenen Vortrag. Heute sollten aber andere Aspekte im Vordergrund stehen.
Provokante Rhetorik
Die AfD sei keine “Ein-Themen-Partei”, auch wenn viele Medien das gerne so darstellen würden, betont Frau Petry. So habe man beispielsweise schon seit Parteigründung klare Standpunkte in der Bildungs- und Familienpolitik. Denn auch hier würde Deutschland in naher Zukunft vor gewaltige Herausforderungen gestellt sein:
Unsere Sozialsysteme stehen kurz vor einem Zusammenbruch.
Das werde vor allem die Rentner treffen. Durch den demographischen Wandel werde sich das ohnehin schon drastische Problem der Altersarmut noch weiter zuspitzen. Viele im Publikum sehen nachdenklich aus, es wird wieder ruhig. Dann kommt Frau Petry wieder auf Migration zu sprechen:
Ein Volk muss selbst für seinen Fortbestand sorgen. Wir können dafür nicht Zuwanderung als Vehikel gebrauchen.
Wieder wird der Applaus stürmisch und Jubelschreie gehen durch den Raum. Die vierfache Mutter Petry spricht sich in diesem Zusammenhang für deutliche Vergünstigungen für “Drei-Kind-Familien” aus und für eine Befreiung von der Einkommensteuer. Die AfD wolle aber keine Steuersenkungen versprechen, denn das könne man sich nicht leisten, aber man trete für eine “Umverteilung” ein – auf wessen Kosten das gehen soll, erwähnt sie nicht. Zustimmung findet es trotzdem.
Als Frau Petry zum Ende kommt, sagt sie, die Politik müsse endlich wieder die Bereitschaft zeigen, Fehler einzugestehen. Dann hätte man “Merkel vielleicht sogar verzeihen” können. Ein paar Dutzend Zuschauer nicken nachdenklich – vielleicht handelt es sich um ehemalige CDU-Mitglieder.
Sie wolle den gemeinsamen und konstruktiven Dialog suchen, um Lösungen zu finden, kündigt Frau Petry schließlich an. Trotz aller Probleme, die sie heute kritisiert habe, seien die Lebensstandards in Deutschland immer noch außergewöhnlich gut. Insofern sei das “Jammern auf einem hohen Niveau”. Plötzlich wird es mucksmäuschen still und nicht zu wenige schauen sehr verdutzt. Nach einer pathetischen Pause fährt Frau Petry fort:
Aber wenn wir jetzt stumm bleiben, riskieren wir all das, was wir uns über Jahrzehnte aufgebaut haben.
Riesige Zustimmung. Eine Handvoll älterer Herren steht sogar auf zum Szenenapplaus. Als Frau Petry ihren Vortrag schließlich beendet, reißt es fast den ganzen Saal von den Stühlen. Viele kommen nach vorne gedrängt und wollen Bilder mit der Bundesvorsitzenden machen. Es wird etwas chaotisch, Frau Petry zeigt keine “Berührungsängste”, lächelt freundlich und lässt den Andrang über sich ergehen. Nach einer guten Viertelstunde sagt sie schließlich: “Entschuldigen Sie mich bitte für fünf Minuten?”
Als sie zurückkommt, findet eine kurze Diskussion statt. Frau Petry hatte im Vorfeld betont, die Besucher sollten sich bitte nicht von der Anwesenheit der Presse abschrecken lassen und genau so “unverblühmt” reden, wie wenn man unter sich wäre. Vielleicht steckte dahinter auch eine Vorahnung, in welche Richtung manche Fragen gehen könnten.
Das Publikum ist ganz klar keine homogene Masse und es wäre hanebüchener Unsinn, sie alle als “Nazis” darzustellen, wie das draußen die Gegendemo macht. Ebenso wenig sollten aber gewisse Auffälligkeiten verschwiegen werden. Zum Beispiel, dass der Beifall regelmäßig in zwei Situationen ganz besonders begeistert wurde: Einmal, wenn politische Feinde angegangen werden – insbesondere Merkel, Kretschmann und die Antifa. Und das andere mal, wenn betont wird, dass die eigenen Ansichten nichts mit Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit zu tun hätten.
Sinnbildlich ist die Frage eines jungen Mannes, etwa 25 Jahre alt, der sagt, er sei sehr besorgt um die Zukunft des Landes und setze große Hoffnungen in die AfD. Er habe aber Angst, dass die Partei von rechtem Gedankengut unterwandert werde. Schon wird empörter Protest laut und aufgebrachtes Geschnattere bricht los. Frau Petry bleibt hingegen ruhig und fragt: “Was ist denn für Sie rechtes Gedankengut?”. Das Publikum jubelt wieder. Ein alter Herr mit Hut ruft:
Ja, genau. Was soll man denn nicht denken dürfen?
Der Jugendliche fängt an: “Vorhin hat zum Beispiel jemand neben mir gemeint: Wir leben hier nicht in Kanakistan. Und das finde ich…” Schon schreit einer aus dem Publikum dazwischen: “Na und? Nur weil ein einziger so etwas sagt…” Zustimmende Rufe. Der junge Mann erwidert:
Naja. Es gibt da bestimmt noch ein paar andere, die…
Schon wieder wird er unterbrochen. Ein wildes Stimmenwirrwarr bricht los. Viele rufen “Pfui” und “Buh” – Petry bemüht sich darum, zu erklären, dass viele aufgebrachte Bürger das, was sie sagen, gar nicht wirklich ernst meinen würden. “Kanake” sei sicherlich ein problematischer Ausdruck und beleidigend. Aber man dürfe sich die Alltagssprache auch nicht zu sehr zensieren lassen.
Offener Umgang mit allen Problemen?
So würden sich laut Frau Petry zum Beispiel viele Afrikaner selbst als “Neger” bezeichnen – und es demnach wohl nicht alle als Beleidigung ansehen. Viele Bürger wüssten aber gar nicht mehr, wie sie dunkelhäutige Menschen denn überhaupt bezeichnen sollen, ohne sofort in die rechte Ecke gestellt zu werden. Wieder viel Zustimmung. Eine Frau im Publikum sagt zu ihrer Begleitung:
Für mich sind das Mohrenköpfe. Was soll daran denn beleidigend sein? Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.
Die Frage, wie nun sichergestellt werden soll, dass rechtes Gedankengut die Partei nicht unterwandert, wurde schließlich nicht klar beantwortet – vielleicht gibt es darauf auch gar keine Antwort. Die AfD will offen über alles reden – gilt das auch für potenziellen Radikalismus in den eigenen Reihen?
Frau Petry gibt sich als Stimme der Vernunft – dann bleibt sie aber stumm, wenn es darum geht, sich klar und entschieden von radikalen und rassistischen Äußerungen von Parteikollegen zu distanzieren. Dann sagt sie:
Andere Parteien spitzen ja auch zu, das ist im Wahlkampf ganz normal.
Draußen sprechen wir noch mehrere Besucher an, ob sie Wähler sind. Ja, ist die Antwort. Die meisten haben früher CDU gewählt, einige SPD. Aber das sei jetzt vorbei.