Rhein-Neckar, 01. Februar 2016. (red/pro) Die AfD liegt in Umfragewerten in Baden-Württemberg längst zweistellig, in Rheinland-Pfalz bei neun Prozent. Die „Alternative für Deutschland“ profitiert von der Schwäche der anderen, nicht von eigener Stärke. Sechs Wochen vor der Wahl gibt es für CDU und SPD keine Alternative mehr, ohne Schaden aus der Entwicklung herauszukommen. Die AfD wird in den Landtag einziehen – weil Politik und Medien dachten, die Formel „Ignorieren und Diffamieren“ werde aufgehen. Das wird sie – zu Gunsten einer Partei, die mindestens rechtspopulistisch ist und deren Zukunft davon abhängt, ob sie rechtsextrem untergeht oder sich rechtskonservativ etabliert.
Kommentar: Hardy Prothmann
Das ist sie also. Die Frau, vor der sich alle fürchten. 40 Jahre alt. Promovierte Chemikerin. Vier Kinder. Getrennt vom Ehemann, einem evangelischen Pfarrer, neue Beziehung mit dem NRW-Chef der AfD. Dynamisches, unprätentiöses Auftreten. Fester Händedruck. Zugewandter, direkter Blick. Sie kann reden wie ein Buch, verirrt sich nie in ihren Schachtelsätzen und sagt, was sie sagen will.
Frau Dr. Petry zieht rund 450 Menschen mit ihrem Vortrag zur „aktuellen politischen Lage“ in Schützenhaus nach Mannheim. Weitere 200 kommen nicht mehr rein. Rund 650 Menschen wollen also die Bundesvorsitzende der „Alternative für Deutschland“ sehen. Der Kreisverband hat gerade mal 120 Mitglieder. Mehr Interesse geht nicht.
650:70
Einen Tag später ist Innenminister Reinhold Gall (SPD) auf Einladung des Landtagskandidaten Dr. Boris Weirauch in Mannheim. Herr Gall ist der Mann, der für die „innere Sicherheit“ im Land zuständig ist. Es kommen 70 Personen, davon mehr als die Hälfte Parteimitglieder der SPD. Weniger Interesse geht nicht.
Sechs Wochen vor der Wahl könnte das Zittern nicht größer sein. Niemand bezweifelt mehr, dass die AfD im Südwesten in den Landtag einzieht. Niemand rechnet noch mit „gerade so“ 5-6 Prozent. Alle gehen von einem zweistelligen Ergebnis aus – und sogar, dass die AfD drittstärkste Partei wird und die SPD hinter sich lässt. Kein Wunder, wenn man die Panikaktionen einer Frau Nahles verfolgt. Dabei wird die AfD am 6. Februar erst drei Jahre alt und tritt zum ersten Mal in Baden-Württemberg an. Ebenso in Rheinland-Pfalz, wo die Forschungsgruppe Wahlen 9 Prozent für die Neupartei sehen.
Aufregerpolitik nützt der AfD – siehe Schießbefehl
„Ignorieren und diffamieren“ – das war lange das Credo vieler Medien und der „Altparteien“, wie die AfD despektierlich CDU, SPD, Grüne und FDP nennt. Diese „Strategie“ wird scheitern und der AfD zu einem grandiosen Erfolg verhelfen.
Bestes Beispiel ist die aktuelle „Schießbefehl“-Debatte. Eine Lokalzeitung führt ein monothematisches, aggressives Interview. Die „Investigativen“ wollen wie viele zuvor vollständig überheblich die AfD „entlarven“. Das gelingt nicht. Die Tagesschau der ARD greift den „Aufreger“ auf und dreht ihn nur einen Tag später weiter:
Doch die Anwendung des Gesetzes auf den Umgang mit Flüchtlingen, die zuvor von der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry ins Spiel gebracht worden war, trifft bei der Polizei auf deutlichen Widerspruch.
Wer das Interview gelesen hat, weiß, dass diese Information falsch ist. Frau Dr. Petry hat keinen „Schießbefehl“ ins Spiel gebracht – das war die Lokalzeitung. Die Zeitung feiert sich vermutlich für diese „Enttarnung“, ebenso wie die Tagesschau, das Heute-Journal und andere Medien, die durch das Wort „Schießbefehl“ getriggert wurden. Tatsächlich darf Frauke Dr. Petry feiern – sie kann die Methoden der „Lügenpresse“ angreifen. Tatsächlich sagte sie:
Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt. Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. Entscheidend ist, dass wir es so weit nicht kommen lassen und über Abkommen mit Österreich und Kontrollen an EU-Außengrenzen den Flüchtlingszustrom bremsen.
Medien, die unsauber arbeiten, begünstigen den Aufstieg der AfD. Die neue Partei erhält bundesweit Aufmerksamkeit. Immer wieder. Einzelne Claqueure wie ein Björn Höcke in Thüringen werden als „die AfD“ hochstilisiert. Was die „Mainstream-Medien“, wie die AfD sie gerne nennt, nicht beachten: Sie haben längst die allgewaltige Gatekeeper-Funktion verloren – wollen das aber nicht realisieren. Über das Internet und in sozialen Medien können sich die Menschen selbst informieren – leider häufig auch aus unseriösen Quellen. Und dazu gehören immer häufiger vormals „seriöse“ Medienangebote.
Galoppierende Medienverdrossenheit
Als würde das noch nicht reichen, verbreiten „Multiplikatoren“ eine bedingungslose Glaubwürdigkeitsvernichtung der Medienlandschaft. Gefällt ihnen ein Artikel, „ist es genau so“, seht her. Gefällt der Inhalt nicht, heißt es: „Dieses Mediun geht schon länger den Bach runter.“ So wird über FAZ, Süddeutsche, Spiegel, Öffentlich-rechtliche Sender im Vorbeigehen geurteilt.
Undemokratischer als SPD und Grüne, die mit der aussichtsreichen AfD nicht diskutieren wollten, kann man sich nicht geben. Und auch hier macht sich ein öffentlich-rechtliches Medium lächerlich. Nicht, weil die Parteien sich den SWR zur Beute gemacht haben – das hat der Sender in vorauseilendem Gehorsam selbst und damit auch sich selbst erledigt. Die Farce um die „Elefantenrunde“ hat nur einem genutzt: der AfD.
Kleiner als Nazi geht nicht
Jede inhaltliche Debatte über Positionen der AfD wird vernichtet: Ignorieren oder diffamieren. Dazwischen gibt es keinen Inhalt. Man ist grundsätzlich gegen die AfD und jeder der auch nur ansatzweise ein „möglicherweise dafür“ von sich gibt, ist flugs ein „Rechter“ oder sogar „Nazi“. Die heftigen Wählerbewegungen von anderen Parteien zur AfD? Interessiert weder Journalisten noch Politiker.
Wer die AfD herausfordert, wird bedient. Mit „sich selbst erfüllenden Prophezeiungen“: „Seht her – das sind Nazis.“ Wer allerdings auf der Veranstaltung von Frau Dr. Petry war, erlebt jede Menge Kritik an den machthabenden Parteien und jede Menge polemische Zuspitzungen. Der „Schießbefehl“ war kein Thema, wohl aber die Todesstrafe, „ein schwieriges Thema, über das man umfassend beraten“ müsse. Sowas thematisiert sie wie nebenbei in Mannheim.
Getriggerter Schaum vorm Maul
Frau Dr. Petry und andere in der AfD triggern gewisse Reflexe am rechten Rand und provozieren die etablierten Parteivertreter, die sofort mit Schaum vorm Maul losgeifern. Kostenlos transportiert über Medien, die Aufreger-Schlagzeilen mit Relevanz verwechseln. Eine inhaltliche Analyse, eine kontinuierliche Befassung mit „Inhalten“ findet kaum noch statt. Wir empfehlen hierzu den Deutschlandfunk, der sich tatsächlich mit dem Thema „Schießbefehl“ recherchiert auseinandergesetzt hat.
Was wäre eine rechtspopulistische Partei, wenn es nicht auch den Counterpart gäbe? Die Linkspopulisten. Hier wird mächtig Wind gemacht. Dazu kommen Gewaltchaoten der Antifa und schon ist die nächste Aufregerstory in Sicht. Medien bedienen sich der Krawallmacher, die Krawallmacher der Medien.
Vollständig übersehen werden die Bürger und deren drängende Fragen. Weil die mediale und politische Aufarbeitung von „Europa“ und „Flüchtlingskrise“ überall an „Informationshäppchen“ scheitert, bereitet man der AfD die beste Grundlage, um Zweifel zu säen und zu züchten. Was für viele (hier sind explizit auch Medien und Politiker gemeint) zu groß ist, um es zu verstehen, kann wunderbar von der AfD „kritisiert“ werden. Funktioniert nicht. Ist gescheitert. Planlos. Dem Untergang geweiht.
Populistisch ist nicht rechtsextrem
Ja. Das ist populistisch. Das ist aber nicht automatisch rechtsextrem. Sicher gibt es rechtsextreme Aufwiegler wie Björn Höcke. Aber es gibt auch Konservative wie Jörg Meuthen, Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, der mal wieder in der FAZ was erklären muss, wo und wie die AfD wieder falsch interpretiert worden ist. Und in Baden-Württemberg steht weder Herr Höcke noch sonst ein Hetzer aus dem Osten zur Wahl. In Mannheim präsentieren sich zwei eher blasse Kandidaten, Robert Schmidt und Rüdiger Klos. Das sollen Nazis sein? Glaubt kein Mensch – weder die 450 im Saal, noch die 200 draußen. Niemand von denen, die am 13. März AfD wählen werden.
Für konservativ stand mal die CDU. Und die CDU im Südwesten hat sich alle Mühe gegeben, der „Willkommenskultur“ nicht zu widersprechen, vor Ort aber vor der „Flüchtlingswelle“ zu warnen – „mit dem Rücken zur Wand“, wie beispielsweise der CDU-Landrat Stefan Dallinger. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Warnmeldung im Rhein-Neckar-Kreis. In Mannheim und Heidelberg wurde insbesondere durch die CDU die Sicherheitslage so lange angemahnt, bis nun alle davon überzeugt sind, dass die Lage unsicher ist.
In Zeiten großer Umbrüche sehen und brauchen die Menschen aber „Stabilität“. Und die verspricht scheinbar die AfD: Werte, Tugenden, früher war alles besser. „Früher“ ist vor dem Zeitpunkt, als niemand mehr die EU verstanden hat, die auch niemand erklärt hat. Und früher ist auch vor der Flüchtlingskrise, die auch niemand versteht – schon gar nicht, wohin „das alles führt“.
„Schlechter“ als die anderen kann man es also gar nicht machen, nur „besser“, suggeriert die Alternative für Deutschland. Und je schlechter AfD-Mitglieder insbesondere durch „Antifaschisten“ gemacht werden, je mehr Menschen diffamiert werden, die sich für die AfD interessieren, umso mehr festigt sich der Eindruck: Hier muss etwas passieren.
Strukturelle Schwäche der AfD
Was die AfD aber den Wählern im Südwesten nicht erklärt, ist, wie man einbringen will, wenn man im Landtag ist. Politik ist das Zerren um Kompromisse. Wer einen eingeht, beteiligt sich auch und wird somit zwangsläufig zum Teil des „Systems“, das die AfD ja vehement ablehnt.
Was Medien und politische Gegner ebenfalls bislang nicht auf dem Schirm haben, ist die strukturelle Schwäche der AfD. Die Entwicklung innerhalb kürzester Zeit zu angeblich 20.000 Mitgliedern bundesweit ist enorm. Aber wer hat politische Arbeitserfahrung? Wer kennt die durchaus zähen Prozesse durch die Instanzen? Aus welchem Personalpool schöpft eigentlich die Partei? Wer macht die Alltagsarbeit? Fragen, die große Medien bislang nicht gestellt haben.
Und überhaupt – kann sich der Südwesten ein Experiment mit ungewissem Ausgang überhaupt leisten? Kann er, denn die AfD wird kein einziges Gesetz durchbringen. Sie kommt in die Landtage, aber nicht an die Macht. Das liest sich aber in den Medien immer anders und hört sich bei Politikern anders an.
Die Schwäche der anderen ist die Stärke der AfD
Frau Dr. Petry weiß das und ist entspannt. Die AfD zieht ein und gewinnt Mandate und damit Beteiligung an der politischen Macht, wenn auch nur als Oppositionspartei. Wenn die Partei hart arbeitet und sich einbringt, wird sie sich möglicherweise etablieren können. Wenn nicht, wenn gar die Entwicklung nicht rechtskonservativ, sondern rechtsextrem werden sollte, wird die AfD nur eine Episode bleiben.
Diese nüchterne Kalkulation hätte man sich in den vergangenen Monaten gewünscht. Sie wurde nicht angeboten. Davon profitiert die AfD. Von den Fehlern der anderen und das möglicherweise enorm, weil enorm viele Fehler gemacht worden sind. Beispielsweise in der Flüchtlingskrise – die machen die AfD, der Ausländerfeindlichkeit nachgesagt wird, enorm stark, weil immer mehr Menschen an der Merkel-Doktrin „Wir schaffen das“ zweifeln.
Ob die AfD eine „starke Kraft“ wird, bleibt abzuwarten. Aktuell profitiert sie ausschließlich von der Schwäche der anderen. Die können den Schaden kaum noch begrenzen. „Erfolge“ in der Flüchtlingskrise wird man in den nächsten Wochen nicht mehr feiern können – die bange Hoffnung ist, dass nur nichts mehr „Schlimmes“ passiert. Denn das kostet weitere Punkte, die an die AfD gehen werden.
Die Hoffnung, dass die Wähler auf „Altbewährtes“ setzen, ist in allen bisherigen sechs Landtagswahlen, bis auf Hessen (4,1 Prozent), wo die AfD den Einzug knapp verpasste, schief gegangen. Auch, weil ignorieren und diffamieren nicht funktioniert und „Aufklärung“ nur selten geboten wurde.
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