Rhein-Neckar, 05. Februar 2016. (red/pro) Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry wird aktuell von zwei Lokalzeitungen geschleift – zur Seite springen jede Menge andere Medien, die die Politikerin der „Lüge“ überführen wollen. Man bläst zur Jagd und muss aufpassen, nicht Beute der eigenen Hysterie zu werden.
Hinweis: Mittlerweile wurde unsere angekündigte Recherche veröffentlicht – „Schießbefehl – Im Rausch der Schlagzeile“
Kommentar: Hardy Prothmann
Es ist beileibe nicht meine Aufgabe, für eine Frau Petry etwas zu richten, schon gar nicht für die AfD.
Aber was hier aktuell getrieben wird, hat nichts mehr mit Journalismus zu tun, sondern ausschließlich mit einer Kampagne. Motto: Freigaben zum Abschuss.
Man kann zu jeder politischen Partei stehen wie man will, man kann sie gut oder schlecht finden oder irgendwas dazwischen – es sollte aber immer fair und professionell zugehen. Wer sich nicht an die Spielregeln hält, kann sich später nicht auf diese berufen. Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Gut für Journalismus – immer dann, was es sich „zuspitzt“, muss alles sitzen.
Spielregeln verletzt
Nach unseren Recherchen haben beide Zeitungen Spielregeln verletzt – sogar die eigenen. Und beide sollten eigentlich den Ball flach halten – denn wer sich so stolz auf die Brust trommelt, endet möglicherweise mit einem Keuchhusten.
Die Rhein-Zeitung aus Koblenz beispielsweise veröffentlicht (wir können das nur online beurteilen) erst das von Frau Petry redigierte Interview und informiert also die eigene Leserschaft falsch – um sich dann darüber zu empören, dass Frau Petry eine Aussage „komplett umgeschrieben habe“.
Der Mannheimer Morgen legt der AfD-Chefin ein Interview zur Freigabe vor, erhält eine redigierte Fassung und streicht daraus einfach eine Frage und eine Antwort – verkürzt also das Interview. Ganz und gar unglaublich ist ein quasi dreifacher „Skandal“. Frau Petry – oder ein Mitarbeiter – ändern eine Frage der Zeitung. In der Freigabe-Fassung steht:
Es gibt ein Gesetz, das einen Schießbefehl an den Grenzen wie früher in der DDR enthält?
Daraus wird in der redigierten Fassung – „in der DDR“ ist gestrichen:
Es gibt ein Gesetz, das einen Schießbefehl an den Grenzen enthält?
Letztlich veröffentlicht die Zeitung diese Frage – „in Deutschland“ wird ergänzt:
Es gibt in Deutschland ein Gesetz, das einen Schießbefehl an den Grenzen enthält?
Wir berichten am Samstag zur gezielten Skandalisierungsmasche der Zeitungen
Frau Petry greift also in Fragen der Redaktion ein und die lässt sich das gefallen, um dann noch eine andere Änderung einzufügen? Das ist für mich als Journalist der eigentliche Skandal: Unglaublich schlechtes journalistisches Handwerk, das nicht einfach fehlerbehaftet ist, sondern gezielt eine Skandalisierung erreichen möchte.
Wir haben dazu den Chefredakteur des Mannheimer Morgen angeschrieben – der lehnte Antworten auf unsere Fragen ab und verwies auf ein Radio-Interview und andere Quellen im Internet. Wir haben auch den Chefredakteur der Rhein-Zeitung angeschrieben, mit der Bitte um Antwort auf unsere Fragen bis Samstag, 12 Uhr.
Sobald die Frist verstrichen ist, zeichnen wir nach, was wir zur Sache recherchieren konnten.
Wir werden ebenfalls dokumentieren, wie wir bei Interviews mit „Freigaben“ vorgehen.
Zur Info:
Das Interview mit CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf dauerte rund eine halbe Stunde. Wir haben die Interviewfassung mit der Bitte um Kenntnis vorgelegt. Geändert wurden zwei Wörter:
Die Kommunen brauchen jetzt mehr Unterstützung.
Das Interview mit der AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry dauerte über 40 Minuten. Wir haben die Interviewfassung mit der Bitte um Kenntnis vorgelegt. Es gab wenige „Verbesserungen“, die sich auf einzelne Wörter beschränkten, darunter Rechtschreibkorrekturen:
Wir können uns nur schwer einer zugeschriebenen Radikalisierung erwehren.
Das Interview mit der Künstlerin Julia Neigel wurde eindeutig als Entwurf mit der Bitte um Überarbeitung zugesandt – aus einem einfachen Grund. Das Interview war ein Gedächtnisprotokoll und basierte auf einem Gespräch, auf das weder der Interviewer noch die Interviewte vorbereitet waren. Es hat sich entwickelt. Im Sinne der Fairness haben wir deshalb ausdrücklich um Überarbeitung gebeten. Ein „Feintuning“ fand statt, Fragen, Antworten und die Kernaussagen blieben erhalten:
Die Schwächeren brauchen Schutz.
Ein Interview mit der früheren Bundestagsabgeordneten Dr. Birgit Reinemung (FDP), die heute noch Stadträtin in Mannheim ist, wurde nie veröffentlicht. Warum, lesen Sie hier:
Ein Interview mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Stephan Harbarth ist nie zustande gekommen – wir haben es trotzdem veröffentlicht. Auch das geht. Als Satire.
Die Entschädigung für das Ehrenarmt geht in Ordnung.
Ach – und dieses Interview mit dem Schwetzinger Oberbürgermeister Dr. René Pöltl, ganze 25.000 Zeichen lang, also ein richtig „langer Riemen“, wurde per SMS freigegeben: „Vielen Dank für das Gespräch, bitte ändern Sie am Ende die Jahreszahl auf 2006. Da habe ich mich geirrt.“
Das Amt verändert die Blickwinkel.
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