Rhein-Neckar/Stuttgart/Mainz, 21. Januar 2016. (red) Die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner (43) hat alles richtig gemacht. Sie sagte ihre Teilnahme an einer SWR-Debatte der Spitzenkandidaten in Rheinland-Pfalz ab, spielt SPD und Grünen den schwarzen Peter zu, stellt den SWR an den Pranger und bekommt bundesweit Medienaufmerksamkeit. Vollkommen zu recht.
Kommentar: Hardy Prothmann
Wer Julia Klöckner immer noch als ehemalige Weinkönigin unterschätzt hat, braucht jetzt einen kräftigen Schnaps, um ihr brillantes Manöver zu verdauen.
Der Bote verkündet das Urteil
Handstreichartig hat sie gezeigt, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken günstige Gelegenheiten für sich nutzen kann und jede Menge Punkte macht.
Der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wirft die CDU eine „skandalöse Einflussnahme“ auf den SWR vor, gar einen „Frontalangriff auf die Staatsferne öffentlicher-rechtlicher Sender“ und eine „Wahlkampfhilfe“ für rechtspopulistische Parteien.
Gleichzeitig watscht sie den SWR ab und macht das „Staatsfernsehen“ zum Befehlsempfänger – damit punktet sie bei allen, die sowieso überall nur staatlich kontrollierte Lügenpresse sehen. Sie gräbt also der AfD das Wasser ab.
Und darüber hinaus stützt sie ihren Wunschpartner FDP – ohne deren Spitzenkandidat Volker Wissing, über den bislang kaum jemand redet, geht sie nicht vor die Kamera.
Die Botschaft
Und vor der AfD hat sie keine Angst – das sagen weder sie noch ihr Bote Schnieder, aber das ist die Message.
Die Konkurrentin Dreyer wird putinisiert, der SWR als Befehlsempfänger gemaßregelt, der Partner gestützt und die AfD-Konkurrenz durch Nichtnennung in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Chapeau. Cleverer geht nicht.
Dabei profitiert die smarte CDU-Politikerin, die sich kontinuierlich als Merkel-Nachfolgerin aufbaut, sowohl von der Stärke als auch von der Schwäche der anderen.
Sie stützt die Kanzlerin und merkelt Kritiker in den eigenen Reihen ab – obwohl auch sie um den Druck weiß, den die Merkelsche Willkommenspolitik erzeugt hat. Aber sie zeigt sich als solide Parteisoldatin, die loyal ist. Und kopiert damit den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), der die Kanzlerin stützt, weil das seine Politik stützt.
Gleichzeitig nutzt sie die Angst einer vollkommen traumatisierten SPD, deren Zustimmungswerte anscheinend nur eine Richtung kennen – nach unten. Die SPD liegt bei Umfragen knapp fünf Prozentpunkte unter dem Ergebnis der vergangenen Landtagswahl von 2011. Die CDU gewinnt zwei Prozentpunkte. Die AfD, erst 2013 gegründet, steigt kontinuierlich auf bis zu acht Prozent. Die Grünen verlieren sechs Prozentpunkte.
Klöckner nutzt Stärken und Schwächen – handstreichartig
Julia Klöckner profitiert von den Fallen, die sich andere selbst gestellt haben.
Den Anfang hat der SWR gemacht. Möglicherweise ist der Grund ein systematischer Konstruktionsfehler der Zwei-Länder-Anstalt. Im Juli 2015 verkündete der Sender einen Dreikampf in Baden-Württemberg. Im „TV-Duell“ sollten die Spitzenkandidaten von Grünen, SPD und CDU aufeinander treffen. Die FDP, ebenfalls im Südwesten im Landtag vertreten, sollte außen vor bleiben. Deren Chef, Dr. Hans-Ulrich Rülke, kündigte eine Verfassungsklage vor dem Staatsgerichtshof an. CDU-Spitzenmann Guido Wolf sekundierte.
Der SWR hatte die Auswahl damit begründet, dass dies die drei Kandidaten seien, die öffentlich erklärt hätten, das Amt des Ministerpräsidenten anzustreben. Ein klassisches TV-Duell kam für den Sender wegen der Wahlergebnisse bei der Landtagswahl 2011 nicht infrage. Damals hatte die CDU 39 Prozent geholt. Die Grünen erreichten 24,2 Prozent, die SPD lag mit 23,1 Prozent knapp dahinter.
Das schrieb damals die Stuttgarter Zeitung. Beim SWR guckte man also auf Statistiken, statt sich journalistisch Gedanken zu machen. Und damit war die Büchse der Pandora offen:
Rülke zeigte sich zufrieden mit der für den 10. März geplanten großen Diskussionsrunde. CDU-Spitzenkandidat Wolf pochte am Mittwoch zusätzlich auf ein TV-Duell zwischen ihm selbst und Kretschmann. „Die Wählerinnen und Wähler erwarten diese Debatte zwischen Amtsinhaber und Herausforderer. Ich stehe zur Verfügung.“ Ein SWR-Sprecher betonte aber, man bleibe bei der getroffenen Entscheidung.
Man blieb nicht bei der Entscheidung. In Baden-Württemberg sollten dann alle „im Landtag vertretenen Parteien“ eingeladen werden. Die „Landtagsidee“ gilt aber nicht für Rheinland-Pfalz, dort ist die FDP 2011 nicht hinein gewählt worden.
Man hätte ja die große Runde in beiden Ländern machen können – mit allen Parteien, die eine „Wahlchance“ haben.
Dagegen haben sich die Regierungschefs gestellt: Man wolle der AfD keine Bühne geben.
Das bestätigt uns auf Anfrage der SPD-Sprecher Oliver Schopp-Steinborn telefonisch:
Die Ministerpräsidentin hat sich Ende 2015 klar geäußert, dass sie mit AfD-Politikern nicht in eine TV-Debatte geht. Man hat den Populismus bei Jauch sehen können, als Höcke dort war. Selbstverständlich stellen sich SPD-Vertreter der AfD überall im Land vor Ort, aber wir geben dieser Partei keine Bühne im Fernsehen.
Eine Einflussnahme auf den SWR weist der Sprecher strikt zurück.
Unsere Anfrage an Winfried Kretschmann blieb bislang ohne Antwort. Hilflos versucht der Klöckner zu kopieren, weil er dem SWR vorwirft, nicht „geradlinig zu sein“. Welche „Linie“ er wohl meint?
Einflussnahme von außen auf den SWR? War nicht nötig
Wie es ausschaut, hat der SWR die Einflussnahme komplett selbst erledigt. Durch mangelhafte Konzeption und wenig redaktionelles Stehvermögen.
Entscheidungen wurden zu schnell zu unüberlegt getroffen. Dann wurde zu schnell eingebrochen. Dann „nachgearbeitet“, um den nächsten Fehler zu machen.
Und jetzt steht der Zwei-Länder-Sender vor einem Desaster. Und verlängert sein Unglück nochmals – und wieder durch den Intendanten Peter Boudgoust:
Der SWR ist der politischen Neutralität verpflichtet. Wir hinterfragen in all unseren Angeboten alle relevanten Positionen. Wir verschweigen keine Meinungen. Wir haben immer und von Anfang an gesagt: Eine Runde mit allen Parteien, die eine realistische Chance haben, in den Landtag einzuziehen, wäre die beste Sendung.
In seiner persönlichen Stellungnahme lässt er sich auf die „Neutralitätsdebatte“ ein – „Wir verschweigen keine Meinung“. Und stellt sich nochmal das Zwei-Länder-Bein: Der SWR hat eben nicht „von Anfang an gesagt“, was die „beste Sendung wäre“.
Heillose Verzweiflung
In seiner Verzweiflung versucht der Intendant des SWR, den Ball zurück zu spielen und merkt nicht, dass der Pass ins Aus geht. Dass er höchstpersönlich jede Souveränität verliert, wenn er sich und seinen Sender als Opfer „partei-taktischer Manöver“ stilisieren will.
Tatsache ist, dass der SWR den Parteien erst das Spielfeld für Taktiken eröffnet hat. Fakt ist, dass Julia Klöckner zugeschaut hat, wer welchen Zug macht und dann alle anderen Schatt-Matt gestellt hat.
Die Frage ist: Kann man in dem einen Land eine TV-Politshwo absagen und sie ihm Nachbarland durchziehen? Wenn man extrem-flexibel ist, was „Standards“ angeht, vielleicht schon. Wenn man sich öffentlich-rechtlich für „den Standard“ hält, eher nicht.
Verantwortlich für dieses Desaster, das in höchstem Grade die Glaubwürdigkeit des Journalismus und die Notwendigkeit öffentlich-rechtlicher Sender beschädigt hat, ist der SWR. Sein Intendant – vermutlich aber eher die dilettantische Chefredaktion, vor die er sich stellt.
Was ist an Journalismus eigentlich so schwer?
Der SWR hätte ganz einfach ankündigen können: „Wir planen im März eine TV-Debatte und laden dazu alle Spitzenkandidaten der Parteien ein, die nach Meinungsumfragen wenige Wochen vor der Wahl eine Chance auf den Einzug in die Landtage haben. Die Entscheidung darüber fällt Ende Januar.“
Zwei einfache Sätze. Klar und deutlich. Wenn dann einzelne Vertreter welcher Partei auch immer „Nö“ gesagt hätten, wäre der Stuhl halt frei geblieben. Hätten sich das Frau Dreyer und Herr Kretschmann getraut? Man hätte es drauf ankommen lassen können – außer, man ist Staatsfunk und mag keine Experimente mit unbekanntem Ausgang. Wer vorher schon den Ausgang kennt, macht keinen Journalismus, sondern öffentlich-rechtliches Fernsehen – auch das ist eine Botschaft.
Wenn viele Vertreter zu viele unverschämte Forderungen gestellt hätten, hätte der SWR dieses Format einfach wegen „unerträglicher Parteitaktiken“ absagen können und wäre als souveräner Sender aus dem Schneider gewesen: „Wir lassen uns nichts diktieren und sind unabhängig.“
Doch das ist alles nicht passiert. Der SWR hat sich auf Parteigeschacher eingelassen. In vorauseilendem Gehorsam. Das ist so ungefähr das Schlimmste, was man anständigen Journalisten vorwerfen kann.
Das hat die CDU-Politikerin, übrigens nicht nur Wein-Königin, sondern auch volontierte Wein-Journalistin, vollkommen klar erkannt und genutzt.
Boudgoust hat seinen Sender und dessen Dilemma nicht verstanden
Man mag dem SWR-Intendanten Peter Boudgoust zugute halten, dass er es gut haben wollte. Er ist Jurist und kein Journalist.
Man muss ihn aber auch als weltfremd kritisieren, wenn er noch ansatzweise daran glaubt, dass es gut werden könnte.
Frau Dreyer hat sich ausgesprochen. Sie wird nicht an einer Sendung teilnehmen, an der der AfD-Spitzenkandidat teilnimmt. Damit ist das Format für Rheinland-Pfalz gestorben. Frau Klöckner wird nicht teilnehmen, wenn die aussichtsreichen Parteien nicht teilnehmen, also die FDP und auch die AfD. Dieses Dilemma ist nicht auflösbar.
In Baden-Württemberg haben sich CDU und FDP für eine Teilnahme ausgesprochen – ohne AfD, die im Südwesten noch viel bessere Chancen auf ein möglicherweise sogar zweistelliges Ergebnis hat.
Was Herr Boudgoust nicht verstanden hat: Wenn er die eine Landessendung ausfallen lässt und die andere zulässt, dann ist das kein „Gewinn“, sondern wird das Desaster vergrößern. Die AfD wird das zu nutzen wissen.
Klöckner macht Punkte, Wolf verliert diese – weil er nicht versteht
Was die Spitzenkandidaten Guido Wolf (CDU) und Dr. Hans-Ulrich Rülke (FDP) nicht verstanden haben: Sie schließen die AfD und Die Linke nach wie vor aus und ordnen sich Grünen und SPD und SWR unter. Damit werden sie keine Punkte machen und keine einzige Stimme von der AfD wegholen.
Beide haben ebenfalls nicht die Dynamik der Mediensituation verstanden – der SWR befindet sich als Zwei-Länder-Sender in der härtesten Zerreißprobe seit der insgesamt sehr unglücklich verlaufenen Fusion von SWF und SDR.
Leider hat der übergroße Teil der angeblichen „Qualitätsmedien“ das Dilemma der Zwei-Länder-Anstalt und zwei unterschiedlichen Konstellationen auch nicht ansatzweise verstanden.
Auch diesen Punkt hat Julia Klöckner gemacht. Sie stilisiert sich, ausweislich ihres Botens, sogar als die Retterin des unabhängigen Journalismus.
Darauf einen Schnaps. Einen doppelten.