Weinheim/Rhein-Neckar, 09. März 2018. (red/pro) Zwei aktuelle Fälle von mutmaßlichen sexuellen Übergriffen im Erlebnis- und Familienbad Miramar in Weinheim erregen die Gemüter – vor allem journalistische. Es folgte eine mediale Skandalisierung – die Fakten ergeben ein anderes Bild. Richtig ist, es gab die Vorfälle, doch weder einer Vertuschung noch Verharmlosung.
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Von Hardy Prothmann
Am 26. Februar meldet die Polizei einen mutmaßlichen sexuellen Übergriff: Am 25. Februar gegen 16:30 Uhr soll ein Mann einem 10-jährigen Mädchen “in einem Freizeitbad in Weinheim” zwischen die Beine gefasst haben. Natürlich ahnt jeder mit Ortskenntnis, dass es sich beim “Freizeitbad” um das Miramar handelt.
Ich bin zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht richtig fit wegen einer starken Erkältung, viele Geschichten sind unbearbeitet. Ich merke mir das Thema vor. Noch am 26. Februar meldet ein Boulevardportal, das zu einer großen Zeitungsgruppe gehört: “Im Miramar: Perverser vergreift sich an Mädchen (10)!” Die Meldung liest sich, als wäre die Reporterin daneben gestanden und hätte alles gesehen – dabei wurde nur die Polizeimeldung zugespitzt umgeschrieben. Eigene Recherchen finden sich nicht.
Am 01. März ziehen zwei Tageszeitungen der Region nach: “Dieser Fall hat Wut und Betroffenheit ausgelöst: Ein zehnjähriges Mädchen ist am Sonntagnachmittag im Freizeitbad Miramar von einem Mann sexuell belästigt worden. Der Fremde soll ihr im Außenbecken unter anderem zwischen die Beine gegriffen und seine eigene Badehose herunter gezogen haben.” In der Schlagzeile steht: “Innerhalb von zwölf Monaten sieben sexuelle Belästigungen von Kindern angezeigt – Miramar-Chef “geschockt”.
Der Zweifel ist der Job
Wut und Betroffenheit also. Doch bei wem? Bei den Zeitungslesern? Bei allen Menschen der Region? Oder eher in den Redaktionen? Es gibt keine Zeugen für den Vorfall – nur das betroffene Mädchen. Oho, ruft jetzt vielleicht mancher: Dieser Prothmann ist ja wohl widerlich. Da “vergeht” sich jemand an einem Kind und er stellt das in Zweifel? Gehts noch?
Ja, liebe Leserin, lieber Leser. Es geht noch – und nur so. Denn der Zweifel ist mein Job. Es kann sich
so zugetragen haben, es kann aber auch anders gewesen sein. Journalismus ist kein Tribunal, kein Gericht, keine Ermittlungsbehörde und schon gar nicht das Sprachrohr für den “Volkszorn”. Guter Journalismus trägt gesicherte Fakten zusammen, überprüft Informationen und ordnet sie vernünftig ein – das braucht häufig Zeit. Und was ich und meine Mitarbeiter berichten, orientiert sich niemals daran, ob es jemandem “gefällt” oder an der “Masse”. Und im Zweifel lässt sich das RNB die Zeit, die es braucht, um eine ordentliche Arbeit zu liefern.
Bild: Kinderschänder-Angst im Spaßbad!
Die Bild entdeckt das Thema auch und titelt am 04. März: „Kinderschänder-Angst im Spaßbad!“ Die Zeitung nennt namentlich einen Polizeisprecher: “Laut Polizeisprecher Markus Winter (47) konnten fünf mutmaßliche Kinderschänder, die im „Miramar“ aktiv waren, ermittelt werden.” Auf Nachfrage sagt Herr Winter: „Das entspricht nicht meiner Wortwahl und auch nicht der meiner Kollegen.“ Hat die Zeitung Miramar-Gäste befragt, ob diese unter einer “Kinderschänder-Angst” leiden? Im Text ist davon keine Rede, nur von einer Mutter, die schwere Vorwürfe erhebt: “Was die Polizei allein in den letzten zwölf Monaten ermittelte, ist alarmierend: Männer sollen vor Kindern onaniert, sie in den Po gebissen, befummelt haben.”
Am Abend des 05. März soll ein Mann in einer Sauna vor zwei 14-jährigen Mädchen onaniert haben. Der Mann wurde vor Ort von der Polizei festgenommen, berichtet die Polizei am 06. März um 15:37 Uhr. Sehr wortgleich “berichtet” das genannte Boulevardportal um 14:27 Uhr zu diesem neuen Vorfall. Eine erstaunlich investigative Leistung. Nicht nur ist man laut Zeitstempel fast eine Stunde vor der Polizei mit der Meldung draußen, man kennt sogar die Wortwahl der Polizeipressestelle.
Wie definieren Sie “Perverser”?
Wir fragen beim Boulevardportal an: Bitte definieren Sie “Perverser”? Ist in der von Ihnen verantworteten Redaktion der Unterschied zwischen Tatverdächtigem und Täter bekannt? Ist der Redaktion das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung bekannt? Nach welchen journalistischen Regeln gestalten Sie Ihr Angebot? Auf die Einzelfragen wird in der Antwort nicht eingegangen, nur soviel: “Welche Bezeichnung für den Tatverdächtigen hätten Sie gewählt? „Perverser“ trifft es ganz gut, meinen wir …”, teilt uns Volker Pfau, Geschäftsführer der “Headline24 GmbH” mit. Auf eine erneute Anfrage reagiert er nicht mehr.
Wer diese und andere “Berichte” liest, könnte meinen, der Betreiber des Miramar habe seine Aufsichtspflicht verletzt, die Behörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) hätten frühere Fälle verschwiegen, denn 2017 gab es sechs Fälle, die von der Polizei nicht bekannt gegeben worden waren. Das riecht doch nach einem Skandal oder etwa nicht?!
Ein Kartell des Schweigens?
Ein Kartell des Schweigens also? Mitnichten. Eher eine eindrückliche Demonstration journalistischen Versagens.
Von der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung haben solche Redaktionen offenbar noch nie etwas gehört, ebensowenig von Opferschutz. Ermittlungsmethoden sind ebenfalls unbekannt. Sie können auch nicht zwischen öffentlichem Raum, öffentlichen Einrichtungen und einem Privatbetrieb unterscheiden.
Behörden werden angeprangert – ohne jede Auseinandersetzung mit deren gesetzlichen Grundlagen. Dabei sollte insbesondere eine große Lokalzeitung der Region sensibilisiert sein, nachdem sie ein mit großem Bohei inszeniertes Gerichtsverfahren kläglich verloren hat.
Ich bin sehr erstaunt über die hysterische Berichterstattung,
sagt Miramar-Geschäftsführer Marcus Steinhart, den ich aus Termingründen erst am 08. März persönlich treffen konnte. Der Familienbetrieb hat deutschlandweit mehrere Bäder. Herr Steinhart ist sichtlich irritiert:
Wir haben eine Haus- und Bäderordnung, ein klares Konzept und unsere Mitarbeiter haben jeweils sofort richtig reagiert. Wir bringen jeden Vorfall zur Anzeige und es wird ein Hausverbot ausgesprochen.
Natürlich seien solche Vorfälle abstoßend, aber „wie sollen wir erkennen, welche Neigungen jemand hat?“ Und:
Ich erwarte eigentlich eine ehrliche und faire Berichterstattung. Das war überwiegend nicht der Fall.
Die Fakten
Die Fakten: Im vergangenen Jahr kamen sechs Vorfälle zur Anzeige. Vier mal wurden dazu Videoaufzeichnungen des Badbetreibers ausgewertet. In fünf Fällen konnte man die Tatverdächtigen sofort ermitteln, in einem Fall nicht, hier ist die Täterbeschreibung unzureichend gewesen, weshalb es keine Pressemitteilung gab. Kein Fall steht mit einem anderen in Verbindung, kein mutmaßlich geschädigte Person wurde zwei Mal Opfer. Die mutmaßlichen Taten geschahen zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Stellen im Freizeitbad. Sieben Mal waren es einzelne Tatverdächtige, ein Mal eine Gruppe von sechs minderjährigen Jungen.
In einem der aktuellen Fälle (10-jähriges Mädchen) konnte der Tatverdächtige noch nicht ermittelt werden, deshalb gab die Polizei eine Personenbeschreibung bekannt: “Ca. 50 Jahre alt, dickliche Figur, graues Haar zum Zopf gebunden, kurzer Vollbart, rundes Gesicht, wellenförmiges Tattoo auf dem rechten Oberarm.”
Warum aber nicht in den anderen Fällen?
Die Veröffentlichung von Pressemitteilung in den genannten Fällen durch die Staatsanwaltschaft war nicht veranlasst. In der Regel veröffentlicht die Staatsanwaltschaft Pressemitteilungen bei öffentlichen Interesse wie bei Kapitaldelikten und Haftsachen oder soweit Ermittlungserkenntnisse zu erwarten sind. Um Persönlichkeitsrechte der betroffenen Kinder und Geschädigten zu wahren, erfolgen Pressemitteilungen in entsprechenden Fällen – wie vorliegend – in Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft und aus Opferschutzgründen in der Regel nur bei gegebenem Ermittlungserfordernis,
teilt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Mannheim, Sandra Utt, auf Anfrage mit. Übersetzt: Man wägt behördlich das öffentliche Interesse gegen Persönlichkeitsrechte ab und auch, ob man wie im Fall vom 25. Februar, aus ermittlungstaktischen Gründen eine Tatverdächtigenbeschreibung herausgibt, um den mutmaßlichen Täter ermitteln zu können. In den anderen Fällen war das gegeben, in einem Fall aus dem vergangenen Jahr nicht. Die Täterbeschreibung “60-70” Jahre wird zu keinem Ermittlungserfolg durch Zeugenhinweise führen.
“Schwere Vorwürfe” – Quelle: eine “Mutter”
Im Fall des 10-jährigen Mädchens, war eine Mutter mit eigenen und fremden Kindern im Bad, das Mädchen gehört nicht zu deren eigenen Kindern. Die “schweren” Vorwürfe der “Mutter” – es wird in diversen Berichten nicht klar, ob es die betreuende Mutter oder die leibliche Mutter ist – sind laut Bildzeitung: “Wertvolle Minuten wurden meiner Meinung nach nicht genutzt, der Täter konnte einfach raus spazieren. Wenn bekannt ist, dass so etwas immer wieder vorkommt, muss das anders ablaufen, Mitarbeiter sensibler sein.”
Laut Herrn Steinhart und auch der Polizei stellt sich die Sache anders dar: Ein Mädchen soll unsittlich im Schritt berührt worden sein. Danach verließ das Mädchen mit einer gleichaltrigen Freundin das Badebecken. Die beiden kehrten 20 Minuten später zurück, der Tatverdächtige soll sich erneut genähert haben und jetzt erst wandten sich die Mädchen an die “Begleitperson”, die verständigte das Personal. Das Mädchen musste zunächst beruhigt werden und dann ging man “zu sechst auf die Suche nach dem Mann”, wie Herr Steinhart sagt: “Aber der war schon weg.” Meinte die Mutter die 20 Minuten als “wertvolle Minuten wurden nicht genutzt”? Und überhaupt Zeitangaben: Jeder Reporter sollte wissen, dass “Zeugen” oder “Betroffene” häufig sehr widersprüchliche Zeitangaben machen, weil je nach Situation das “Zeitgefühl” sehr trügerisch sein kann. Ob Zeitangaben zutreffend sind, kann man überprüfen, aber nur in der direkten Befragung der Personen, niemals “von außen”.
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Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Mutter, welche auch immer, sehr aufgebracht war über das Ereignis. Aber woher kennt sie das Aufsichts- und Sicherheitskonzept des Badebetriebs? Und woher nimmt sie Kompetenz, dies beurteilen zu können? Weil sie betroffene Mutter ist? Der Täter konnte also ihrer Meinung nach einfach rausspazieren – was erwartet die Frau? Dass man 2.-3.000 Personen solange einsperrt, bis ein Tatverdächtiger identifiziert wird? Soll die Polizei nach jedem Taschendiebstahl die Innenstadt hermetisch abriegeln? Wie stellt sie sich “sensiblere Mitarbeiter” vor? Sollen Männer an der Kasse gefragt werden: “Haben Sie pädophile Neigungen oder sind Sie ein Exhibitionist?”
Kein einziger “schwerer” sexueller Missbrauch – tatverdächtig sind einzelne Männer
Ein anderes Medium beklagt, es gäbe zu wenige Kameras. Videoüberwacht sind der Eingangsbereich, der Raum mit den Spinten sowie das Wellenbad – aus Sicherheitsgründen. Was würden wohl gewisse Medien schreiben, wenn der FKK-Bereich videoüberwacht wäre, gar jede Sauna? Im FKK-Bereich sind alle Arten von Kameras und auch Smartphones strikt verboten. Sollen Mitarbeiter anlasslos Bademantel abtasten und Taschen durchsuchen? Soll jeder allein saunierende Mann künftig unter Generalverdacht gestellt werden: “Schau, der ist alleine hier, vermutlich ein “Perverser”!”
In keinem der insgesamt acht Vorfälle der vergangenen zwölf Monate kam es zu einem schweren sexuellen Missbrauch. In sechs Fällen sind die Tatverdächtigen ermittelt. In vier Fällen handelte es sich um deutsche Männer im Alter von 30, 47, 50 und 56 Jahren aus Koblenz, Wiesbaden, Heppenheim und Rottweil (Hinweis: Die Aufzählung des Alters und der Orte haben keinen Zusammenhang).
In drei Fällen soll ohne direkten Kontakt zu den Opfern onaniert worden sein, zwei Mal davon unter Wasser. Ein Mal soll ein erigierter Penis gezeigt worden sein. Im Fall vom 6. März handelt es sich vermutlich um eine exhibitionistische Tat – ein 36 Jahre alter Mann aus Ludwigshafen soll vor zwei 14-jährigen Mädchen in einer Sauna onaniert haben. Diese wurde nach meinen Informationen wegen kriminaltechnischer Spurensuche kurzzeitig beschlagnahmt. Es handelt sich mutmaßlich nicht um einen sexuellen Missbrauch, da die Mädchen eben schon 14 Jahre alt waren, wohl aber um eine exhibitionistische sexuelle Belästigung. Das kommt auch immer wieder im öffentlichen Raum vor – ist dann der jeweilige Bürgermeister verantwortlich?
In vier Fällen soll es zu Berührungen gekommen sein – davon ein Mal gegenüber einem 12-Jährigen, dem ein Mann um 23:25 Uhr im Whirlpool an den Penis gefasst haben soll, ein Mal soll ein Mann zwei 9-jährige Mädchen um 22:31 Uhr im FKK-Bereich geküsst und „in den Po gebissen“ haben. Man beachte die Uhrzeiten: Wo waren die Eltern? Jedenfalls nicht bei den Kindern. Die Eltern hatten ihre Kinder zu diesen Uhrzeiten jeweils unbeaufsichtigt gelassen. Wer empört sich darüber? Jedenfalls keiner der Reporter, deren “Berichte” wir gelesen haben. Unter 16-Jährige dürfen im Miramar übrigens nur in Begleitung Erwachsener in die FKK-Saunawelt – wo waren die Eltern der 14-jährigen Mädchen?
Strafbefehle, andauernde Ermittlungen, Anklagen
Je ein Strafbefehl von 30 und 100 Tagen wurden zu den Vorfällen 2017 bereits verhängt, drei Vorfälle sind noch in der Ermittlungsphase, ein Vorfall wurde an die Staatsanwaltschaft Darmstadt abgegeben. Hier waren ursprünglich sechs zum Tatzeitpunkt im April 2017 noch Minderjährige (5 Deutsche, 1 Somali) einer Jugend-Fußballmannschaft verdächtig, an einer Rutsche vier 13 und 14 Jahre alte Mädchen sexuell belästigt und begrapscht zu haben. Wo war bitte der Betreuer dieser “Jungs”?
Gegen vier ist nach meiner Recherche Anklage wegen „gemeinschaftlich begangener Nötigung“ (§ 240 StGB) am Landgericht Darmstadt erhoben worden. Ein Gerichtstermin steht noch nicht fest. In der Bildzeitung werden auch diese Jugendliche zu „Männern“ und unter „Kinderschänder“ subsumiert. Seltsam, wie genau die Bild weiß, was ein “Kinderschänder” ist, während die Staatsanwaltschaft “nur” von Nötigung ausgeht und diese anklagt. Sicher war das Erlebnis der Mädchen nicht besonders nett, aber “schänden” geht anders.
Überhaupt dieses Wort: “Schande” oder “schänden”. Denkt einer der Reporter darüber nach, wie das, sofern tatsächlich gegeben, das bei den Opfern ankommt? Sind die jetzt für ihr gesamtes Leben mit Schande überzogen? Das gegenteilige Wort ist “Ehre” – wann und wie kann die wiederhergestellt werden? Reicht dafür ein juristisches Verfahren oder sollte man nicht andere Mittel in Erwägung ziehen? Wie wäre es mit einem “Ehrenmord”?
Unterm Strich bleibt wenig übrig
Von den acht angeblichen „Kinderschändungen“ durch „Perverse“ bleiben unterm Strich drei Fälle übrig, in denen Kinder von Männern angefasst worden sind. Zwei Tatverdächtige wurden 2017 ermittelt, zum Vorfall am 25. Februar noch nicht. In vier Fällen waren es exhibitionistische Handlungen (§ 183 StGB), die ein sexueller Missbrauch von Kindern sein können, aber nicht sein müssen (§ 176 StGB), in einem Fall Nötigung.
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Für alle, die Übergriffe erleben müssen, ist das mindestens unangenehm, möglicherweise auch “schlimm”, möglicherweise sogar traumatisierend. Keine Frage. Das hängt vom “Einzelfall” ab – jeder verarbeitet solche Erfahrungen individuell – auch durch sein Umfeld beeinflusst.
Es macht aber einen himmelweiten Unterschied zwischen den geschilderten, mutmaßlichen Taten und einem schweren sexuellen Missbrauch, möglicherweise systematisch und über Jahre. Die “härtesten” Fälle finden übrigens meistens im familiären Umfeld statt. Die Täter sind meist Väter, Onkels, Großväter, Brüder, Bekannte. Häufig sind Frauen “Mittäterinnen”, zumindest durch Duldung. Denn es gibt gefühlt keine Straftat, die ähnlich verwerflich verachtet wird, wie sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen. Deswegen ist das für gewisse Medien auch eine “Hammerstory”, die man gerne mal ordentlich aufdreht – um sich an der erst dadurch erzeugten Empörung mal so ordentlich – mit Verlaub – “aufzugeilen”.
365 Tage – 710.000 Menschen – 6 Übergriffe
2016 hatte das Miramar 694.000 Gäste, 2017 waren es 710.000 Gäste. Das Erlebnis- und Familienbad ist also sehr beliebt und kann diese Beliebtheit steigern. Dagegen stehen sechs Vorfälle zwischen Februar und August 2017, die aus Sicht des Betreibers natürlich sechs zu viel sind.
Jedes Jahr werden Dutzende Hausverbote ausgesprochen – die meisten wegen “ungebührlichen Verhaltens” gegen die Haus- und Baderordnung: Also Vandalismus, Alkoholmissbrauch und allermeistens wegen gefährlichen Verhaltens, beispielsweise durch Sprünge ins Becken, die andere gefährden. Interessiert sich irgendein Medium für den Aufwand, der betrieben wird, um einer ganz enormen Anzahl von Menschen Badespaß und Wellnessatmosphäre zu bieten?
Wir sind ein Familienbad, da gehören Kinder dazu und die dürfen nur mit den Eltern und Erziehungsberechtigten auch in den FKK-Bereich,
sagt Marcus Steinhart, dessen Eltern 1987 das Bad von der Stadt Weinheim übernommen hatten. Im FKK-Bereich gilt übrigens das Nacktheitsgebot – wer das also nutzt, muss alle Hüllen fallen lassen: “Insbesondere bei kleineren Kindern und bei jungen Mädchen handhaben wir das nicht so streng und drücken ein Auge zu”, sagt Herr Steinhart.
Ui! Könnte man das nicht auch skandalisieren? Wäre ich ein Boulevard-Reporter, würde ich daraus machen: “Wie scheinheilig kann man sein? Bäder-Chef lässt Verstöße gegen die Badeordnung zu! Junge Mädchen im FKK-Bereich müssen nicht nackt sein!”
Eine Frage der Perspektive
Scherz beiseite. Wie geht man mit solchen Vorwürfen wie in den vergangenen Tagen um? “Was soll man dagegen machen?”, sagt Herr Steinhart, und:
Wir machen hier ein Freizeitangebot, das viele Menschen nutzen. Wo viele Menschen sind, entstehen auch Konflikte. Meine Mitarbeiter kümmern sich nicht nur um den technischen Betrieb, sondern auch darum. Da stelle ich mich auch vor meine Mitarbeiter, die in gewissen Medien ja “mitangeklagt” werden. Wir haben aus Betreibersicht keinen Fehler gemacht und uns nichts vorzuwerfen. Dazu stehe ich.
Im Bad herrscht Hochbetrieb am Donnerstagnachmittag. Der Parkplatz ist voll. Im Bad gellen die Schreie der Kinder und Jugendlichen, die sich im Wellenbad vergnügen – an den Rutschen steht man Schlange und im FKK-Außenbereich dampfen Körper nach dem Saunagang. Herr Steinhart und ich sprechen in dessen Büro, einem eher schmucklosen Arbeitsraum. Ich kenne Herrn Steinhart seit Jahren – der aktuelle Stress ist ihm anzusehen. Er muss “ausbaden”, was andere “verbockt” haben.
Wir hatten auch mal einen Fall, da ist ein Onkel mit seinem Neffen ins Bad gekommen und hat diesen betatscht. Der Pädophile hat also sein Opfer selbst mitgebracht. Wie soll man das verhindern?,
fragt Herr Steinhart und zieht die Augenbrauen hoch. „Unser Konzept steht, trotzdem lasse ich Mitarbeiter erneut schulen.“
Zum Vorfall am 05. März hat die Polizei auch eine Mitteilung veröffentlicht – obwohl man den mutmaßlichen Täter hatte. Ist das nicht gegen die sonstige “Linie”? Oder könnte es sein, dass da “noch mehr im Busch ist”?
Er sah wie folgt aus: 1,76m groß, schlanke Statur, osteuropäisches Erscheinungsbild, dunkles Haar, hoher Haaransatz, Dreitagebart. Während des Aufenthalts im Schwimmbad trug der Mann schwarz/neon-grüne Badelatschen,
meldet die Polizei. Auf Nachfrage, warum denn diese Beschreibung mitgeteilt wurde, sagt ein anderer Sprecher: “Aus ermittlungstaktischen Gründen können wir Ihnen das derzeit nicht erläutern.” Den Hinweis verstehen auch unsere verständigen Leserinnen und Leser, die gut aufpassen: Möglicherweise sucht man weitere Zeugen zu weiteren “Vorkommnissen”.
Auch statistisch betrachtet erheben sich erhebliche Zweifel an der skandalisierte Darstellung. 5.251 Fälle von sexuellen Handlungen nach § 176 StGB weist die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016 aus (2017 liegt noch nicht vor). Ausgehend von der Annahme, dass die 710.000 Gäste 2017 real nur 180.000 Personen sind (also jeder geht vier Mal im Jahr) ergäbe sich eine “Fallzahl” von 2.664 – also deutlich weniger als im Miramar. Das ist aber nur eine Näherung.
Wie viel “Wut” und “Betroffenheit” bleibt Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, nach unserem Bericht?
Kommentieren Sie gerne. Aber sachlich, mit Argumenten und auf unseren Text bezogen. Beachten Sie bitte, dass wir die Arbeit von vielen Kollegen sehr schätzen und wir pauschale “Lügenpresse”-Rufe zurückweisen. Wir veröffentlichen wie immer alle Kommentare, die sich inhaltlich einlassen. “Wut” und “Empörung” überlassen wir anderen Medien, die darin in Heil suchen.
Wir machen Journalismus, der mit Kritik umgeht – auch da sind wir anders als die anderen.
P.S. Nach unserem Kenntnisstand verfügten einige Redaktionen über exakt dieselben Informationen wie wir, was die “Vorfälle” angeht. Weitere exklusive Recherchen sind im Text benannt. Exklusiv ist auch unsere Einordnung, die teils fundamental anders ist, als bei anderen. Achten Sie auf die Details.
Dislaimer: Was haben wir noch recherchiert? Gab es Ermittlungen gegen die Betreiber, gegen Angestellte? Nein, sagt die Staatsanwaltschaft. Gab es aufsichtsbehördliche Maßnahmen? Nein, ist das Ergebnis unserer Recherche bislang. Gab es körperliche Schäden für die mutmaßlichen Opfer? Nein, sagt die Staatsanwaltschaft, die ergänzt, dass sich manche psychologische Hilfe geholt hätten. Wurden verdeckte Ermittler eingesetzt? Nein, sagt die Staatsanwaltschaft. Waren die Tatverdächtigen “einschlägig bekannt” – ja, sagt die Staatsanwaltschaft, teilweise.
Hinweis zur Transparenz: Das Miramar ist seit einigen Jahren einer unserer Werbekunden. Wir trennen strikt zwischen unseren redaktionellen und gewerblichen Inhalten und teilen das allen Kunden auch aktiv mit. Bei uns gibt es keine “freundlichen” Berichte gegen Werbung, wie das bei anderen Medien der Region durchaus “üblich” ist (oder eher von übel). Einer der besten Belege dafür ist übrigens das Miramar selbst. Als es vor einigen Jahren einen sehr schweren Unfall in einer gerade neu eröffneten Rutsche gab, hatten wir exklusiv dazu berichtet. Es folgte eine bundesweite Berichterstattung in Print, Hörfunk und Fernsehen und “jede Menge Stress” für den Betreiber. Damals war das Miramar noch nicht unser Kunde, es gab Vertragsverhandlungen, aber die Verträge waren noch nicht unterschrieben. Herr Steinhart hat danach den Vertrag unterschrieben. Sein Kommentar: “Ihre Berichterstattung war hart, aber fair.”
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