Mannheim, 31. Dezember 2014. (red/pro) Aktualisiert. Die Wellen schlagen hoch. „Pegida“ in Dresden bringt Woche für Woche immer mehr Menschen auf die Straße, zuletzt 17.500. „Mannheim“ holt zum Gegenschlag aus. Oder vielmehr ein Veranstaltungsbündnis von Politikern der Grünen (2), SPD (2) und CDU (1). Treibende Kraft ist Gerhard Fontagnier. Streitbarer Stadtrat der Grünen. Der möchte gerne einen Erfolg – viele Menschen auf der Straße. Auf Facebook haben bereits über 4.000 Menschen zugesagt, bei einer Demo „Mannheim sagt Ja“ am 17. Januar teilnehmen zu wollen. Ob alle kommen und wer noch, wird am 17. Januar festgestellt werden. Was vorher schon feststeht: Gerhard Fontagnier hat keine Lust, sich mit „Details“ zu befassen, die vielleicht unangenehm sein könnten. Und wer sich kritisch äußert, wird von ihm als „Pöbler“ bezeichnet.
Von Hardy Prothmann
Update, 31. Dezember 2014, 10:36 Uhr. Der grüne Stadtrat und einer der Organisatoren, Gerhard Fontagnier, hat einen Kommentarverlauf mit mehreren Dutzen Postings auf Facebook ohne Ankündigung gelöscht. Wir haben die anderen vier Veranstalter darüber informiert und um Stellungnahme gebeten.
Man lernt nie aus. Heute Nacht hat der Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier meinen Kommentar auf Facebook, der hier dokumentiert wird, als „Pöbelei“ bezeichnet: „ich investiere gerade viele stunden gegen den rechten pöbel und andere pöbeleien sind da irgendwie extrem kontraproduktiv“, hatte er zuvor noch geschrieben.
Inhaltlich geht es um den „offenen Brief“ an Ralf Stahlhofen, Ex-„Sohn Mannheims“, der sich explizit auf die Seite von Xavier Naidoo gestellt hat, nachdem dessen Auftritt vor Reichsbürgern und Rechtsextremen am Tag der Deutschen Einheit in Berlin (3. Oktober) bundesweit für negative Aufmerksamkeit gesorgt hat. Rolf Stahlhofen will am 17. Januar bei einem „Kulturfest“ im Capitol nach der Kundgebung auftreten.
Der Sänger hatte in einem Facebook-Post im Oktober das Verhalten von „Stadtvätern und Stadtbrüdern“ (Stadtschwestern gibt es anscheinend nicht, Anm. d. Red.), also eine kritische Haltung zum Auftritt von Herrn Naidoo vor Rechtsextremen und so genannten „Reichsbürgern“ als „beschämend“ bezeichnet. Insbesondere die Distanzierung durch Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und der Popakademie gegenüber verschwörungstheoretischen Aussagen von Herrn Naidoo bezeichnete Herr Stahlhofen als „armselig“.
Meine Sache ist gut und Deine Kritik stört nur
Meine Kritik daran interessiert Herrn Fontagnier nicht. Während er sich früher zu Xavier Naidoo eindeutig geäußert hat, ist ihm jetzt wichtiger, dass viele Menschen bei „seiner“ Veranstaltung teilnehmen. Dass ein „Naidoo“-Unterstützer im Anschluss daran Teil haben soll, interessiert ihn nicht, denn das macht die „gute“ Sache anscheinend für ihn zu kompliziert. Deswegen forderte er ein „Runterfahren“ von mir, es gehe doch um „Gemeinsamkeiten“.
Dieses „windige“ Verhalten ist nach meiner professionellen Einschätzung ausschlaggebend für Entwicklungen wie „Pegida“. Herr Fontagnier begreift das als „Beleidigung“. Auch das ist „symptomatisch“ für ein politisches Verhalten, dass die Bürger/innen „ungut“ auf die Straße treibt. Politik, die alle Augen zukneift, wenn es um die „eigene“ Sache geht und Politik, die alle Geschütze auffährt, wenn es gegen den „Gegner“ geht.
Ich bin mir sicher, dass nicht nur 2015 ein Jahr der extremen Auseinandersetzungen wird, wenn Politiker nicht eine „neue Ehrlichkeit“ entdecken und für diese „konsequent“ eintreten. Denn wenn das nicht geschieht, wird „Pegida“ als Massenprotest nicht auf Dresden beschränkt bleiben.
Ich beurteile das Verhalten von Herrn Fontagnier als „grundlegendes Problem“ für diese Entwicklung. Aber nicht seins alleine, sondern im Chor mit vielen anderen, ob einer Kanzlerin Merkel, die teflonglatt alles weglächelt, was die Menschen umtreibt oder einer Julia Klöckner, die angesichts der Debatte um eine angebliche „Islamisierung“ Deutschlands ein „Burka-Verbot“ fordert oder einem Horst Seehofer, der den Freistaat „bis zur letzten Patrone“ gegen eine Zuwanderung aus Südosteuropa verteidigen will. Und natürlich auch einem Xavier Naidoo, der vor Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern spricht.
Politik in der schwersten Krise aller Zeiten
Die politische Klasse, ob lokal, auf Landes- oder Bundesebene, befindet sich in einer der schwersten Krisen aller Zeiten. Vollständig überfordert von „modernen Entwicklungen“ greift man in die Mottenkiste aus früheren Zeiten. Die einen bedienen bis über die Grenze des Erträglichen dumpfe Ressentiments, die anderen versuchen ein „we-shall-overcome“ aus den 80-er Jahren. Aber „Pegida“-Spaziergänger reagieren nicht darauf. Das haben die Ressentimenter und Overcomer aber noch nicht verstanden.
In Mannheim konnte man im März 2014 einen „Test“ erleben, der später in Köln und Hannover bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat: Hooligans von früher „verfeindeten“ Clubs treten gemeinsam gegen „Salafisten“ auf. In Sachen „Buga“ gibt es eine gemeinsame Front von Linken und Konservativen und „normalen Bürgern“ gegen eine angeblich „mafiöse“ Stadtverwaltung. Befeuert durch die Monopolzeitung, die angeblich nur „Volkes Stimme“ dokumentiert, tatsächlich aber im Existenzkampf jede journalistische Ethik weit hinter sich gelassen hat.
Ethisches Handeln in der Politik, also „Zuverlässigkeit“, „Berechenbarkeit“, ist zur Mangelware geworden. Der politische Diskurs ist oft auf einem Niveau angekommen, der schlicht „unterirdisch“ ist. Kein Wunder, dass manche Menschen sagen, „es reicht“, „wir machen jetzt unser eigenes Ding“. Nur blöd, wenn diese Leute sich nicht an „demokratische Spielregeln“ halten. Und noch blöder, wenn angebliche „Demokraten“ anfangen, ihre „wohlmeinenden Kritiker“ als „Pöbel“ zu beschimpfen.
Ob Herr Fontagnier und andere dieser Analyse folgen können, lasse ich mal dahingestellt.
Wir haben die Veranstaltung am 17. Januar mit einer von uns aus angebotenen kostenfreien Werbeanzeige und mit journalistischer Begleitung zunächst unterstützt, weil es uns „um die gute Sache“ geht. Gleichzeitig ordnen wir das aber auch kritisch ein, weil das unsere Arbeitshaltung ist und das, was unsere Leser/innen von uns erwarten.
Dokumentation meines Kommentars zur Aufforderung, „doch mal runterzufahren und Gemeinsamkeiten zu suchen“. Den vollständigen Kommentarverlauf können Sie hier (nicht mehr) bei Facebook nachlesen. So „pöbelt“ also ein Journalist in den Augen eines grünen Stadtrats:
Lieber Gerhard Fontagnier, ich fahre gar nix runter. Und ich suche auch keine Gemeinsamkeiten. Meine Haltung in Sachen Pegida und Flüchtlingen und Nazis usw. kann man in zahlreichen Artikeln nachlesen.
Um das mal klipp und klar deutlich zu machen: Ich würde lieber alleine oder mit wenigen laufen, bei denen ich mir aber sicher sein kann, dass sie nicht je nach Wind ihr Fähnchen drehen. Es ist gut, viele Menschen zu mobilisieren, aber trotzdem traue ich keiner Masse, weil Massen eigene Dynamiken entwickeln.
Künstler wie Naidoo oder Stahlhofen engagieren sich „Gegen Rechts“ oder für humanitäre Projekte – das heißt aber nicht, dass man sich nicht klar gegen sie ausspricht, wenn sie a) vor Reichsbürgern und Rechtsradikalen auftreten und b) andere entschuldigen, die das tun und die anklagen, die das kritisieren, wie Stahlhofen das getan hat.
Und wenn das Capitol „nicht Dein Haus“ ist, dann weiß ich, was ich von Deiner Politik zu halten habe. Was nicht in Deinem Vorgarten stattfindet, interessiert Dich plötzlich nicht. Dann hättest Du aber zu Naidoo bitte schön auch die Klappe halten sollen, denn das war in Berlin. Und der Hidden Track war auf einer CD. Alles nicht Deine Baustelle.
Dieses Verhalten, sich die Dinge zu drehen, wie man will, lieber Gerhard, ist genau das, was zu Pegida und den anderen Deppen-Demos führt. Damit äußere ich kein Verständnis für Pegideppen, sondern lege nur verständig dar, warum es zu solchen Phänomen kommt, die mittlerweile eine Dynamik entwickeln, die nicht mehr ignoriert werden kann.
Das belegt der Anstieg rechtsradikaler Übergriffe ebenso wie der Schmierbrief, den du gepostet hast. Da macht sich jemand die Mühe, von Briefkasten zu Briefkasten zu laufen und diese Zettel reinzustecken, die vorher gedruckt und bezahlt werden mussten. Da rechnet sich jemand Chancen aus, dass der Dreck inhaltlich geteilt wird.
Wer immer nur dann hinguckt, wenn es gerade passt, lieber Gerhard, der verspielt politische Glaubwürdigkeit ganz, ganz schnell – und schnell ist heute im Gegensatz zu früher blitzschnell.
Aktionismus ist sicher kein Rezept für den Aktionismus von anderen.
Das habe ich auch in meinem Text zu der Veranstaltung geschrieben. Guck ihn Dir an. In der Schlagzeile steht „Mannheim vorne?“ – mit Fragezeichen.
Denn Mannheim wird künftig keine Flüchtlinge „willkommen heißen“ – das ist schlicht gelogen. Mannheim verwaltet als LEA Flüchtlinge für ein paar Wochen als Durchgangsbahnhof.
Die Wahrheit ist, dass Mannheim durch Zuwanderung sehr „belastet“ ist – darüber muss man offen reden, dass sich die Stadt nicht noch mehr „Belastung“ zumuten will. Das kann man argumentieren und verstehen. Nur sollte man das ehrlich thematisieren und nicht so tun, als würde Mannheim die Arme für Flüchtlinge ausstrecken.
Noch ehrlicher wird man, wenn man darüber redet, dass Mannheim vermutlich gar nicht drum herumkommt, Flüchtlinge zusätzlich „aufnehmen zu müssen“. Richtig: „Müssen“ – weil die Plätze woanders nicht reichen.
Und richtig ehrlich würde die Veranstaltung, die ich im Übrigen kostenfrei bewerbe, wenn aus dem „Müssen“ ein „Wollen“ wird und das klar gesagt wird.
Und noch ehrlicher wäre man, wenn man allen, die unsere Demokratie beschädigen oder Leute, die das „entschuldigen“, klare Kante und die Tür zeigt.
Dein Argument, „ist nicht mein Haus“, ist keins. Der Thorsten Riehle sitzt mit Dir im Gemeinderat, ihr seid in Kontakt miteinander und stimmt Euch ab. Herr Riehle ist genau einer dieser Vertreter eines Systems, das in Schwierigkeiten kommt. Denn als es um die Gründung einer Stiftung für das Capitol ging, war wer zu Gast? Hoho, Xavier Naidoo. Und was hat der gemacht? 10.000 Euro für jede richtige Antwort in die Kasse der Stiftung bei einem Quiz angeboten. Und vor vollem Haus hat Herr Naidoo jemanden gefragt, wann die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden ist. Antwort: Mai 1949. Und was hat Herr Naidoo vor vollem Haus gesagt? „Diese Antwort ist falsch. Es gibt keine Bundesrepublik Deutschland“. Und was war die Folge? Es gab keine. Bülent Ceylan meinte nach meinen Rechechen damals, der Xaver solledas Babble lieber ihm überlassen und singen. Höhö. Applaus, gerade mal die Kuh vom Eis gekriegt. Herr Riehle erinnert sich auf Nachfrage daran nicht. Warum wohl?
Und jetzt kommt ein „Sohn Mannheims“, der Dir und anderen „beschämdendes Verhalten“ vorwirft und „Armseligkeit“, der Dich und andere als „Schulterklopfer“ darstellt, als „Top-Act“ in ein Haus, das nicht Deins ist?
Ganz ehrlich? Mich kotzt das an. Deswegen gehe ich aber nicht zu Pegida oder unter sonstige Verschwörungsdeppen. Aber ich thematisiere das immer wieder, als kritischer Journalist.
Na, Herr Dennings, genug Vorlagen geliefert, wen ich nun schon wieder so alles „diffamiert“ habe?
Noch ehrlicher? Ich verspüre schon seit Jahren immer wieder den Impuls, mich nicht mehr mit diesem Zeugs beschäftigen zu müssen.
Motto: Lass Sie doch ihren Scheiß machen, wie sie ihn machen. Warum mache ich weiter? Weil ich gerne in Deutschland lebe und auf Grund meiner Reisen und Erfahrungen weiß, dass hier nicht die Ukraine oder Syrien oder die USA ist. Ich verteidige mit meiner Arbeit dieses Land und sein Rechtssystem, stelle aber auch mit zunehmender Besorgnis fest, dass es immer schwerer wird, dies mit einem aufrechten Glauben daran zu tun.
Merke: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn das bei mir der Fall ist, höre ich auf.