Mannheim, 09. Dezember 2014. (red) 10.000 „Pegida“-Teilnehmer in Dresden sind eigentlich kein regionales Thema für uns. Rechtsextremismus und eine rechte Radikalisierung in der Mitte unserer Gesellschaft hingegen schon. Laut Auskunft des Innenministeriums gibt es zwei Regionen mit besonders gefestigten rechten Strukturen: Karlsruhe und Mannheim/Nordbaden. Auch die Pfalz mit Ludwigshafen, Worms, Kaiserlautern oder Pirmasens muss man mit einbeziehen. Und das reicht noch nicht aus, denn die Radikalisierung macht nicht an Ländergrenzen halt, sie ist überall vor Ort zu jeder Zeit möglich: Über das Internet.
Von Hardy Prothmann
Die Initiatoren schüren mit ausländerfeindlicher Hetze und islamfeindlicher Agitation Vorurteile und Ängste,
sagte aktuell Ralf Jäger, Innenminister Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Es mache ihm Sorgen, „dass Rechtspopulisten und Rechtsextremisten hier aggressiv Stimmung machen – und das auf dem Rücken der Menschen, die sowieso schon alles verloren haben“.
Herr Jäger macht sich zu Recht Sorgen. 4.800 Hooligans in Köln und jetzt 10.000 „Pegida“-Demonstranten (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands) in Dresden – das sind Teilnehmerzahlen, über die sich der Deutsche Gewerkschaftsbund freuen würde. Oder die Friedensbewegung. Oder andere, die unverdächtig sind, extreme Postionen zu vertreten.
Sorge muss das Phänomen machen, weil es nicht zu „greifen“ ist. Rechtsextreme Parteien wie die NPD oder Die Rechte sind schon gar nicht in der Lage, auch nur ansatzweise in dieser Zahl zu mobilisieren. Aber sie sind überall mit dabei und nutzen die „Stimmung“, um auf sich aufmerksam zu machen und für ihre extreme Einstellungen zu werben.
Der neue Antisemitismus paart sich mit allgemeiner Ausländerfeindlichkeit
Antisemitismus ist in weiten Teilen der Gesellschaft zumindest im öffentlichen Rahmen verpöhnt und wird sofort gebrandmarkt. Findet aktuell eine Transformation statt? Ein neuartiger Antisemitismus, der sich zunächst gegen andere semitische Völker wie die Araber richtet und da diese überwiegend Moslems sind, auf alle Moslems erweitert wird? Auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners: Dem Fremden?
Diese Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit), auch Ausländerfeindlichkeit, gibt den gemeinsamen Rahmen für 10.000 Menschen, die auf die Straße gehen. Innerhalb von nur acht Wochen ist die „Friedensbewegung“ auf diese Größe angewachsen. Immer und immer wieder treten sie unter der völlig blödsinnigen Bezeichnung „Patriotische Europäer“ auf. Ganz sicher ist nicht Europa für diese Menschen die Patria, das Vaterland. Und ganz sicher zählt keiner dieser Demonstranten Bulgarien und Rumänien zu diesem Europa, dass da angeblich verteidigt werden soll. Und es ist äußerst zweifelhaft, dass es sich um christliche Demonstranten handelt, denn dieser Glaube ist immer noch eine Basis für die „abendländische Kultur“. Hinweise, dass auch nur Bruchteile dieser 10.000 „Verteidiger des christlichen Abendlandes“ am Sonntag die Gottesdienste bevölkert haben, fehlen.
Hogesa und Pegida – Zeichen der bösen, dunklen Seele?
Zeigt sich bei Hogesa und Pegida dieser böse und dunkle Teil der „deutschen Seele“? Die, die den Sündenbock für eigene Unzulänglichkeiten sucht? Jemanden, den man für den eigenen Frust, die eigene Bedeutungslosigkeit verantwortlich machen kann? „Gewaltbereitschaft“ ist sicher ein starker Trieb – aber nicht der ideologische Leitfaden, der die Teilnehmer dieser Demos verbindet. Das dürfte eher aus dem Spektrum Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Anti-Islamismus kommen.
Das Problem bei diesen neuen „Bewegungen“ ist – einfache Zuordnungen funktionieren nicht mehr. Erkannte man früher einen Neonazi eindeutig an Glatze und Springerstiefel, sehen heute viele „ganz normal“ aus. Kaum jemand gehört einer organisierten politischen Vereinigung an. Ähnlich wie bei einer asymmetrischen Kriegsführung entstehen asymmetrische Bewegungen, die sich kurz zusammenschließen, „vorstoßen“ und sich dann in der zivilen Masse wieder auflösen.
Für die Hüter der öffentlichen Ordnung, Polizei und andere Ordnungsdienste, eine absolute Herausforderung. Ebenso für die Politik, die erkennen muss, dass in der Bevölkerung trotz aller Bildung und der Möglichkeit der politischen Teilhabe, sich mittlerweile bedeutende Größen aus einer systematischen politischen Partizipation in Richtung „Straßenkampf“ verabschiedet haben.
Gesamtgesellschaftliche Herausforderung
Als Trigger wirken die Medien, die wie immer in einem Dilemma sind: Nicht berichten geht nicht, berichten bedeutet aber Aufmerksamkeit für die Szene und eventuell auch einen Anreiz für andere, sich der Masse anzuschließen. Die Politik wird das Problem nicht alleine lösen können – das ist ein Auftrag an die Gesellschaft und das Engagement von Bürgern vor Ort. In Dresden haben rund 1.000 Gegendemonstranten vorige Woche rund 7.500 Pegida-Teilnehmer durch eine Sitzblockade aufhalten können.
Wesentlich wird aber auch sein, dass demokratische Parteien und ihre Mitglieder vor Ort gemeinsam diesem neuen Extremismus entgegentreten und nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht. Eine Gesellschaft der Mitte muss deutlich machen, dass Extreme, ob links oder rechts nicht in der Mitte akzeptiert werden, sondern weiterhin an den Rand der Gesellschaft verdrängt werden.
In Mannheim und Umgebung gibt es nach unserem Informationsstand keinerlei nennenswerte Vorbereitungen auf die Entwicklungen zu Hogesa und Pegida. Das ist bedenklich.