Mannheim, 24. Dezember 2014 (red/cb) Über 5.000 Flüchtlinge sind zur Zeit in der Region untergebracht. Was macht ein Flüchtling den ganzen Tag? Sie selbst haben kaum Möglichkeiten, aus dem Alltagstrott von essen, schlafen, essen, schlafen, herauszukommen. Keine Bücher, kein Kino, kein Theater, selten Internet, kein Fernsehen, kein Café-Treffen mit Freunden, keine Feste – die allermeisten leben hier ohne Verbindungen zu vertrauten Menschen in einer fremden Kultur. Sie werden versorgt – das ist gut. Sie erhalten aber keinen oder kaum Zugang zu Kultur – das ist schlecht für’s Gemüt, für die Seele. Ohne Zugang zu Kultur ist eine Integration kaum möglich.
Von Carolin Beez
Raquel Rempp ist Stadträtin in Schwetzingen und nahe zu jeden Tag im dortigen Flüchtlingslager. Das Interesse an unseren kulturellen Angebote käme auf die Länder an, aus denen die Flüchtlinge stammen. Sie kenne zwar viele, die sich gar nicht für die deutsche Kultur interessieren, allerdings auch genauso viele, die sie toll finden und gern mehr erfahren würden.
Besonders bei Afghanen sei das Interesse groß. Viele haben sehr schnell deutsch gelernt und begleiten die Stadträtin in die Bibliothek. Regelmäßig versucht sie ihnen auch einen Besuch im Theater oder bei verschiedenen Konzerten zu ermöglichen.
Keine Unterstützung der Stadt
Allerdings fehle es in Schwetzingen an Unterstützung seitens der Stadt. Denn Raquel Rempp kann das nicht alles allein organisieren. Andere Flüchtlinge benötigen den Raum für ihre eigene Kultur. Mit ihrer Musik und ihren Gesängen beispielsweise.
Einer der Flüchtlinge, erzählt Frau Rempp spiele so wunderbar Klavier, dass sie ihn für das Klavierstudio vorgeschlagen habe. Hier werden Hochbegabte gefördert. Auf die Antwort warte sie zur Zeit noch.
Musik kann immer gefördert werden, dafür braucht man nicht die gleiche Sprache zu sprechen,
sagt Gerhard Fontagnier. Der Mannheimer Stadtrat ist der erste Vorsitzende des Kulturparkett Rhein-Neckar. Dem Herausgeber des Kulturpasses. Dieser soll Familien und auch Einzelpersonen mit einem geringen Einkommen den Zugang zur Kultur in Mannheim ermöglichen. Warum also nicht auch Flüchtlingen?
Kein Kulturpass für Flüchtlinge
Unter den Personen, die den Kulturpass beantragen, seien bestimmt auch Flüchtlinge sagt Gerhard Fontagnier. Allerdings sei es schwer eine allgemeine Förderung zu schaffen, da man hier eng mit dem Arbeitsamt zusammenarbeite und die Pässe nicht einfach verteilen kann.
Außerdem gäbe es in Mannheim nur eine Erstaufnahmestelle, so dass die Flüchtlinge nicht länger als drei Monate verweilen. In dieser Zeit seien die meisten Menschen noch sehr verunsichert.
Die Sprache ist der Schlüssel zur Kultur
Die Wenigsten sprechen unsere deutsche Sprache oder können sie schreiben. Das Erlernen der Sprache habe Vorrang, denn nur so sei es möglich, die Flüchtlinge in ein normales Leben einzubinden und ihnen auch andere Teile von Kultur zu ermöglichen. Doch was passiert, wenn die Menschen gar kein Zugang zur Kultur finden?
Dann können die Flüchtlinge dem Alltagstrott nicht mehr entfliehen, der lediglich aus Essen und Schlafen besteht. Viele verfallen in schwere Depressionen. Frau Rempp berichtet aus dem Lager in Schwetzingen, dass es in den Containern viele Alkoholkranke und depressive Bewohner gäbe. Auch Aggressionen würden durch das Nichtstun gefördert werden.
Schwere Psychopharmaka auf den Nachttischen der Flüchtlinge
Das Gleiche berichtet Tobias Klaus von Pro Asyl. Auf den Nachttischen der Bewohner finde man immer wieder schwere Psychopharmaka. Es sei furchtbar, wie junge und motivierte Menschen immer mehr die Hoffnung verlieren, in dem neuen Land etwas erreichen zu können. Natürlich käme es dabei immer auf die unterschiedlichen Städte und die individuelle Förderung an, aber meistens sei diese eher dürftig, sagt Herr Klaus.
Es gibt viele Menschen, die sich wie Raquel Rempp engagieren. So zum Beispiel das Projekt von Heinz Ratz. Er hat 2012 das Bandprojekt „The Refugees“ ins Leben gerufen. Heinz Ratz besuchte im Jahr 2012 80 verschiedene Flüchtlingslager in ganz Deutschland. Hier fand er Menschen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Kulturen. Und er fand Musiker – im Weltklasseformat. Doch durch die Reise- und Arbeitsverbote, hatten sie keine Möglichkeit ihr Können zu zeigen.
„Strom und Wasser feat. Refugees“
Mit seiner Band „Strom und Wasser“ und 20 ausgewählten Flüchtlingsmusikern nahm er dann eine CD auf. Im Oktober 2012 erhielt er für sein großes Engagement die Integrationsmedaille der Bundesrepublik. Ein Jahr später ging er dann mit seiner eigenen Band und den Flüchtlingen auf die „Refugees Lagertour 2013“. In rund 100 Städten trat die Gruppe auf. Alles über Spenden von Fans oder größeren Unternehmen finanziert. Mit dem wenigen Bargeld, das den Flüchtlingen ausbezahlt wird, war es nicht möglich die Reisekosten zu decken.
Es sei auch nicht leicht gewesen mit den Flüchtlingen zu reisen, denn es mussten immer wieder die Reisegenehmigungen eingeholt werden. Das Projekt von Heinz Ratz ist nur eines von vielen. Unzählige Vereine oder Privatpersonen in Deutschland helfen bei der Förderung von Kultur in den Flüchtlingslagern mit. Warum gibt es kein Programm vom Land, das den Zugang zu Kultur in Flüchtlingslagern vorantreibt?
Integration erst nach Aufenthaltsgenehmigung erwünscht
Außerdem sei ein weiteres Problem, dass die Integration von Flüchtlingen erst nach der Bestätigung des Asylantrags gewünscht ist. Bis dahin sind die Flüchtlinge von der Integrationsförderung ausgeschlossen und damit auch von der umliegenden Kultur. Einzig privates Engagement bietet, je nach Möglichkeiten, einen Zugang zur Kultur. Ausnahme sind die schulpflichtigen Kinder: Nach der Erstaufnahme müssen sie in der Anschlussunterbringung wie alle Schulkinder den Unterricht besuchen – meist in Förderklassen, um erst einmal deutsch zu lernen.
Kultur: Ein teures aber unumgängliches Gut
Kulturkonsum ist für die Asylbewerber eigentlich unbezahlbar. Gleichzeitig dennoch extrem wichtig, denn wie will man in einem Land leben, von dem man nichts kennt außer das Flüchtlingslager am Rande der Stadt? Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein und ein Anliegen aller Bürger, das Leben der Flüchtlinge in ihrem Wohnheimen zu fördern und zu gestalten. Anschluss finden Flüchtlinge meist nur über einschlägige Cafés, wie man sie vor allem in Mannheim. Man ist unter sich – abgeschottet. Oder über die muslimische Gemeinden, in der Moschee trifft man Landsleute und Gläubige.
Die Möglichkeit, den eigenen Glauben leben zu können, ist wichtig. Auch, mit anderen derselben Kulturgemeinschaft zusammen zu treffen. Das machen Deutsche im Ausland nicht anders. Deutsch zu lernen und sich an das deutsche Leben anzupassen kann man als „Bringschuld“ bezeichnen – oder einfach auf die „Schuld“ verzichten, und eine Anforderung daraus machen. Das klingt schon mal freundlicher und diffamiert niemanden als „schuldhaft“.
Vielleicht diskutieren wir mal eine „Angebotsschuld“ oder klingt da zu negativ und wir reden doch lieber über Gastfreundschaft? Warum öffnen Kultureinrichtungen in den Städten und Gemeinden nicht einmal im Jahr ihr Pforten und laden explizit Flüchtlinge zu einem Willkommenstreffen ein? Man stelle sich vor, wie diese zum ersten Mal in ihrem Leben eine Oper im Nationaltheater erleben oder ein Konzert in der Alten Feuerwache oder bei den zahlreichen Festen in der Region Verzehrgutscheine erhalten und die Einladung, sich an einem Stand vorzustellen oder selbst etwas anzubieten. Oder Kinder und Jugendliche, die mal ein großes Kinoerlebnis haben dürfen. Oder im Frühjahr ein Flüchtlingsfest im Herzogenriedpark?